Es ist der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Wien – und für diese Woche sind Temperaturen bis 38 Grad vorhergesagt. Dennoch haben Wiens Fiakerpferde offenbar keine Chance auf Hitzeferien. Wieso eigentlich nicht?
„Dieser Sommer dient der Forschung", meinte Ruth Jily, Leiterin des Veterinäramts der Stadt Wien (MA 60) kürzlich gegenüber dem ORF – und stellte damit auch klar, daß es heuer trotz Rekordhitze keine freien Arbeitstage für die Wiener Fiakerpferde geben wird. Dazu bräuchte es eine Gesetzesänderung – und diese müsse auf wissenschaftlichen Fakten basieren, die derzeit erarbeitet werden. Das Veterinäramt wurde von Wiens Tierschutz-Stadträtin Ulli Sima mit der Ausarbeitung einer Studie über die Hitzebelastung bei Fiakerpferden und deren gesundheitlichen Auswirkungen betraut – die Erhebung und Auswertung der entsprechenden Daten sei im Gange, Ergebnisse werden aber wohl erst nächstes Jahr vorliegen, so Jily.
In diesem Zusammenhang muss die Frage erlaubt sein, wozu man diese Studie tatsächlich braucht, denn es gibt – jedenfalls im Pferdebereich – nur wenige Dinge, die so gut und auf breiter Basis erforscht wurden wie die Frage, welche Auswirkungen hohe Temperaturen auf den Pferdeorganismus haben – und wie Pferde mit Hitze umgehen bzw. fertigwerden können. Einer der international renommiertesten Experten auf diesem Gebiet ist Prof. Michael Lindinger von der Universität von Guelph in Kanada, der zu diesem Thema umfangreiche Forschungsarbeiten geliefert hat und seine Ergebnisse in zahllosen Fachartikeln, auf Konferenzen und Kongressen präsentiert hat. U. a. leitete er ein Forscherteam, das die Auswirkungen hoher Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit auf die Pferde des kanadischen Reiter-Teams bei den Olympischen Spielen in Atlanta untersucht hat.
In der interessierten Fachwelt sind seine Erkenntnisse hinlänglich bekannt – wir dürfen sie hier für das Veterinäramt der Stadt Wien kurz zusammenfassen: Pferde sind für hitzebedingte Belastungen wesentlich anfälliger als Menschen – und haben schlechtere Voraussetzungen, mit hohen Temperaturen fertig zu werden als wir. Sie sind wesentlich größer und haben einen höheren prozentuellen Anteil an aktivem Muskelgewebe – und wenn Muskeln eingesetzt werden, produzieren sie erhebliche Wärme. Nur 17 Minuten Arbeit mittlerer Intensität bei heißer, feuchter Witterung reichen aus, um die Körpertemperatur eines Pferdes auf ein gefährliches Niveau zu steigern – das ist drei bis zehn Mal schneller als bei Menschen.
Pferde kommen mit Hitze also erheblich schlechter zurecht als wir – und die Auswirkungen können gravierend sein: Wenn die Körpertemperatur eines Pferdes von 37 oder 38 Grad auf 41 Grad ansteigt, erreicht die Temperatur in der aktiven Muskulatur nahezu 43 Grad – und das ist ein Niveau, bei dem die Muskel-Proteine zu ,kochen' beginnen und sich zersetzen. Pferde, die schwerem Hitze-Stress ausgesetzt sind, können von Blutdruckabfall, Koliken oder Nierenversagen betroffen sein.
Verschärfend kommt hinzu, daß Pferde zwar viel Schweiß produzieren und dadurch erhebliche Flüssigkeitsmengen verlieren – schon bei kühler, trockener Witterung 15 bis 20 Liter pro Stunde, bei heißer, feuchter Witterung sind es 30 Liter und mehr – sie können aber nur 25 bis 30 Prozent des Schweisses über Verdampfung zur Abkühlung ihres Körpers nutzen. Beim Menschen sind es 50 % – der Kühleffekt über die Verdampfung funktioniert bei uns also doppelt so gut. Zudem verlieren Pferde erheblich mehr Salze beim Schwitzen – deren Konzentration im Pferdeschweiß ist vier Mal so hoch wie beim Menschen.
All das lässt eigentlich nur einen gültigen Schluss zu: Pferde sind nach Möglichkeit von jeglichem Hitze-Stress und übermäßiger Hitze-Belastung fernzuhalten. Jeder verantwortungsvolle Pferdebesitzer wird sein Pferd weder bei großer Hitze reiten noch es ungeschützt starker Sonnenbestrahlung aussetzen. An den sogenannten Hundstagen bleiben viele Pferde tagsüber im Stall – und kommen erst am Abend und die Nacht über auf die kühle Koppel. Man kann es auf eine einfache Formel bringen: Was Du nicht willst, das man Dir tu, das mut' auch Deinem Pferd nicht zu.
Angesichts der Tatsache, daß in ganz Österreich die Hitzerkorde purzeln und vor allem die Wiener Innenstadt zur Grillzone mutiert, hätte man sich zumindest eine symbolische Geste erwarten dürfen, etwa ein zeitlich begrenztes Fahrverbot in den heißen Mittagsstunden, wie es die Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins, Madeleine Petrovic angeregt hat. Leider scheint es nicht einmal dafür zu reichen, und das angesichts der Tatsache, daß in Wien möglicherweise die heißeste Woche seit Beginn der Wetteraufzeichnungen bevorsteht. Die Prognose für heute Dienstag (11. August) lautet 36 Grad, für Mittwoch (12. Aug.) und Donnerstag (13. Aug.) sind 37 Grad vorausgesagt – und am Freitag (14. Aug.) könnten sogar 38 Grad bevorstehen.
Während die Salzburger Fiaker – übrigens recht medienwirksam – ihren Vierbeinern zumindest einen freien Hitzetag gegönnt haben – konnten sich die Wiener Fiaker bislang zu keinem derartigen Schritt durchringen, auch nicht auf freiwilliger Basis. Das mag wirtschaftlich argumentierbar sein, zumindest kurzfristig – ethisch zu rechtfertigen ist es keinesfalls. Angesichts der Ausnahme-Temperaturen dieses Rekordsommers hätten entweder die Fiaker selbst, oder aber die zuständige Politik ein Zeichen der Pferdefreundlichkeit setzen und demonstrieren müssen, daß sie sich für die Pferde verantwortlich fühlen und sie vor den schlimmsten Hitzebelastungen zu schützen bereit sind. Diese Gelegenheit wurde verpasst, und das wird den Wiener Fiakern, die ohnehin schon länger im Fadenkreuz von Tierschutzorganisationen stehen, noch mehr Sympathien kosten und langfristig erheblich schaden – wohl mehr, als ihnen im Moment bewusst ist...
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