Judith Oberngruber-Spenger ist Trainerin und Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung – mit mehr als 35 Jahren Pferde-Erfahrung. Sie entwickelte die Methode der Selbst-Aktivierung, um Probleme bzw. negative Verhaltensmuster durch neue, positive zu ersetzen. In ihren Workshops setzt sie auch ihre Pferde als Co-Trainer ein, um Vertrauen zu schaffen, Unbewusstes sichtbar zu machen und individuelle Stärken zu fördern.
Natürlich könnte ich lang und breit über die vielen schönen Seiten und Aspekte des Reitens schwärmen – aber was hilft das, wenn es im Alltag soviele Situationen und Hindernisse gibt, die uns dieses Vergnügen nachhaltig vermiesen können? Von einigen dieser „Freude-Killer“ will ich heute sprechen – vielleicht findet Ihr Euch in der einen oder anderen Situation wieder und könnt dann meine Tipps zur Problemlösung nutzen, um eine schöne, unbeschwerte und freudvolle Zeit mit euren Lieblingen genießen zu können.
Die Freude am Reiten kann uns z. B. verdorben werden durch …
• den Alltag
• 100% Zielerreichung
• Vorbilder
• Ängste
• die Anderen
• Ärger
• Ablenkung durch Handys oder Musik
1. Der Alltag
Du fährst in den Stall und weißt, dass noch viel Alltags-Arbeit erledigt werden soll, bevor der Tag zu Ende ist. Während des gesamten Zusammenseins mit Deinem Pferd fallen Dir ständig Dinge ein, die Du nicht vergessen darfst. Ich denke, jedem ist es schon einmal so ergangen. Ein entspanntes Reiterlebnis wird so an diesem Tag kaum möglich sein ...
Lösungstipp: Bevor Du aus dem Auto aussteigst, sprichst Du alles, was Du noch zu tun hast und wichtig ist, in die Diktierfunktion deines Handys oder schreibst es auf einen Zettel. Dieses einfache Ritual hilft Dir dabei, den Kopf freizubekommen und macht es leichter, Dich ganz auf die Zeit mit Deinem Pferd zu konzentrieren. Sollte zwischendurch noch ein Gedanke aufblitzen, einfach das Handy zücken, auf sprechen und so wiederum festhalten. Dadurch kann es zwar auch zu Unterbrechungen kommen, aber diese sind kurz und Du kannst dich danach entspannt weiter deinem Reitvergnügen widmen.
2. 100% Zielerreichung
Vielleicht arbeitest Du schon seit einiger Zeit an einem bestimmten Ziel. Als Beispiel möchte ich eine Lektion herausnehmen, die schwierig ist und das anfängliche „Scheitern“ vorprogrammiert ist: der Fliegende Wechsel. Das Pferd stürmt los, springt nicht durch oder gar nicht um oder nur vorn, wird hinten hoch oder schief, macht immer einen Trabschritt dazwischen... Nun kann ich Tag für Tag, auf die gleiche Art diese Lektion üben – und dadurch scheitern und unzufrieden mit mir und meinem Pferd sein.
Lösungstipp: Wenn ich mir Ziele setze und erwarte, diese zu 100% umzusetzen, werde ich unzufrieden sein, wenn dies nur zu 90% gelingt. Erwarte ich allerdings nur 80%, werden mich 90% mehr als zufriedenstellen.
Das hieße in unserem Fall konkret, das Augenmerk auf Teilabschnitte wie z.B. die Vorbereitung auf den Wechsel zu lenken oder neue Varianten zu überlegen, z.B. den Wechsel über eine Stange zu machen.
Zur Zielerreichung und um emotionale und mentale Hürden/Blockade zu überwinden, biete ich ein individuelles Erfolgscoaching oder Workshops an.
3. Vorbilder
Wenn ich den oder die letzte Weltmeisterin als Vorbild nehme, ist das grundsätzlich eine tolle Sache. Der Wunsch im Einklang mit seinem Pferd Höchstleistungen zu erbringen, ist ein schönes Ziel. Messe ich allerdings meine Leistung und mein reiterliches Können direkt mit diesem Vorbild, muss ich zwangsläufig unzufrieden sein.
Mein Vorbild ist Reitmeisterin Ingrid Klimke. Ich bewundere sie für ihr Gefühl, mit dem sie auf die verschiedensten Pferde eingeht. Wenn ich die Situation realistisch betrachte, werde ich nie auch nur annähernd die Leistungen oder Erfolge meines Vorbilds erreichen können – würde ich mir erwarten, eine zweite Ingrid zu werden, müsste ich zwangsläufig scheitern. Mein Ziel ist es daher, danach zu streben und mein Möglichstes zu tun, um meine Hilfen zu verfeinern.
Lösungstipp: Überleg Dir, was Du an Deinem Vorbild am meisten bewunderst und versuche, dieser Eigenschaft in Deinem Rahmen und mit Deinen Möglichkeiten näher zu kommen.
4. Ängste
Das Pferd als Fluchttier ist von Natur aus ängstlich. Nur durch den vertrauensvollen Umgang lernt es Schritt für Schritt, sich vor möglichen Gefahren nicht durch „plötzliches Losstürmen“ in Sicherheit zu bringen, sondern auf seinen Reiter zu vertrauen und möglichst ruhig und entspannt zu bleiben.
Trifft nun ein ängstlicher Reiter auf ein vorsichtiges Pferd, kann es leichter zu brenzligen Situationen kommen, weil sich die Anspannung unweigerlich erhöht und das Pferd eher zur Flucht tendiert. Anders jedoch wird sich dieser Reiter auf einem souveränen, ruhigen Pferd fühlen. In diesem Fall gibt das Pferd dem Reiter Sicherheit – und Ängste können mit der Zeit abgelegt werden. Wer aber tagtäglich auf ein Pferd steigt und seine Ängste nicht los wird, kann keine Freude am Reiten haben, da immer eine große Anspannung mitreitet.
Lösungstipp: Analysieren, woher die Angst kommt und alles unternehmen, was ein Gefühl der Sicherheit geben kann. Trotz negativer Erfahrungen hilft es, sich das Zusammensein mit seinem Tier so vorzustellen, wie es gewünscht ist. Jeder Gedanke an ein mögliches gefährliches Szenario verstärkt die Anspannung und wird das Eintreten dieser vermeintlichen Gefahr sogar eher fördern. Sollten sich Bilder oder Gedanken aufdrängen, schieb diese immer wieder beiseite, dann lächle und denk an ein schönes Erlebnis mit einem Pferd. Auch hier gibt es spezielle Seminare, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
5. Die Anderen
Gemeint sind damit die „Zaungäste“, die am Reitplatz oder in der Halle zusehen und möglicherweise lästern. Manchmal bilden sich in Reitställen Gruppen, oftmals um TrainerInnen oder ReiterInnen herum. Wer nicht in dieser Gruppe ist, wird als Außenseiter kritisch betrachtet. In der Gruppe sind alle stark, als Einzelner ist es immer schwieriger. Sich durch andere verunsichern zu lassen, kann wiederum zu Anspannung führen und letztlich dazu, dass dann gar nichts mehr so funktioniert, wie man es möchte.
Lösungstipp: In Wirklichkeit reitest Du immer für dich selbst. Ob in der Trainingseinheit oder am Turnier, es zählt immer nur der Augenblick, die Performance von Dir und Deinem Pferd. Daher ist es ganz wichtig, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu richten, nämlich die Einheit Pferd/Mensch: Was fühlst Du, wie reagiert Dein Pferd auf Dich und was kannst Du tun, um dieses Zusammenspiel zu verbessern. Alles andere wird ausgeblendet. Der Fokus liegt auf dem, was Du gerade tust – im Hier und Jetzt.
6. Ärger
Wir kommen in den Stall und haben uns zuvor über irgendetwas geärgert. Noch beim Putzen Satteln und Zäumen kreisen Deine Gedanken um diese ärgerliche Situation, die zumeist nichts mit der bevorstehenden Reitstunde zu tun hat. Nimmst Du diesen Ärger mit auf den Pferderücken, wird es auf jeden Fall Auswirkungen auf die Trainingseinheit haben. Das Pferd wird sich verspannen und vermutlich für weiteren Ärger sorgen, weil es nicht tut, was Du von ihm erwartest. In Wahrheit kann es das gar nicht, weil die Kommunikation durch den Ärger und die dadurch verursachte Ablenkung gestört ist.
Der Ärger des Menschen kommt beim Fluchttier Pferd als Anspannung und Aggressivität an – und löst erhöhte Wachsamkeit und Spannung aus. Daher kann es gar nicht adäquat auf die Hilfen/Erwartungen des Reiters reagieren. Es betrachtet alles vor dem Hintergrund einer möglichen Bedrohung, die der Reiter ausstrahlt, auf die es vielleicht rasch zu reagieren gilt.
Lösungstipp: Ähnlich wie beim Alltagsstress kannst Du alles, was mit dem Ärger und der Situation zusammenhängt, aufnehmen oder aufschreiben, um Dich davon zu distanzieren. Auch schreien und schimpfen im Auto kann helfen – so kann man sich abreagieren und Emotionen abbauen, ohne dass es Konsequenzen hat oder andere behelligt werden.
Eine gute Technik zum Stress-Abbau ist auch konzentriertes Atmen: Einatmen, bis drei zählen – während des Ausatmens bis sechs zählen. Schön in den Bauch atmen. Beobachten wie der Atem in Dich fließt und aus dir hinausströmt. Mit dem Einatmen Energie und Ruhe aufnehmen – mit dem Ausatmen den Ärger und Anspannung abgeben.
Auch wenn Dir gerade nicht danach zumute ist: Versuch es mit einem breiten Lächeln für zwei Minuten oder länger – dadurch werden Glückshormone im Gehirn ausgeschüttet, die Dir helfen, Dich gut zu fühlen.
Triff eine Vereinbarung mit Dir selbst, dass Du jetzt die Zeit mit den Pferden genießt und Dich danach wieder dem Problem, falls es dann noch eine Relevanz hat, widmest.
Sollte all das nicht geholfen haben, überleg Dir, ob das vielleicht ein Tag zum Grasen-Gehen wäre...
7. Ablenkung durch Handys oder Musik
Musik hat unweigerlich eine Wirkung auf uns Menschen, aber auch auf Tiere (und wie wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben, selbst auf Pflanzen). Sie kann beruhigen, nachdenklich machen, anregen, aber auch aufregen. Nun, welche Musik würde demnach zu einer ganzen Trainingseinheit mit dem Pferd passen? Wahrscheinlich keine. Nicht umsonst wird versucht, bei einer Quadrille oder Musik-Kür verschiedene Titel auszuwählen, die vom Takt zur jeweiligen Gangart des Pferdes oder sogar zum Tempo passt. Das wird niemand für eine normale Reitstunde machen (können).
Daher kann Musik beim Reiten nur als „Hintergrundrauschen“ gesehen werden und dabei helfen das Pferd auf die Turnier-Situation vorzubereiten. Wird Musik über Kopfhörer gehört, kann der Takt, den der Reiter wahrnimmt, und in den sein Körper versucht, sich einzuschwingen, gar nicht mit dem des Pferdes übereinstimmen. Es wird wahrscheinlich zu Störungen in der Kommunikation zwischen Reiter und Pferd kommen.
Ablenkung durch Handys sind für mich eine Absurdität. Ich bin mit meinem Pferd zusammen, um eine schöne Zeit zu haben und muss mich davon mit dem Handy (oder auch Musik) ablenken. Manchmal kann es sein, dass man auf einen dringenden Anruf oder eine Nachricht wartet, aber wenn bei jedem Piepen das Ding in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät, geht unweigerlich die Kommunikation mit meinem Pferd verloren. Die Konsequenz wird sein, dass es schwierig wird, die Konzentration des Pferdes bei mir und den geforderten Lektionen zu halten.
Lösungstipp: Wenn Du beim und vor allem am Pferd bist, dann bist Du beim Pferd! Dann ist Deine volle Aufmerksamkeit und Konzentration bei ihm und nur bei ihm – alles andere muss in den Hintergrund rücken!
Das wäre meine Tipps für die vielen „Freude-Killer“, die uns davon abhalten können, eine schöne und erfüllende Zeit mit unseren wunderbaren Pferden zu verbringen. Ich hoffe, das eine oder andere hilft Euch dabei, diese Freude wiederzuerlangen oder zu steigern. Gerne gehe ich auch auf Fragen rund um dieses Thema, aber auch auf andere Probleme ein. Schreibt mir einfach eine E-Mail an judith@emotion-works.at.