Die Wogen nach dem Tod eines Fiakerpferdes in Wien haben sich noch immer nicht gelegt: Selbst dem alten Herrn bleibt das Thema nicht erspart – was ihm aber Gelegenheit gibt, einige Grundsätze über das richtige Verhalten in Ausnahmesituationen klarzustellen.
Wie ein Wirbelwind stürmte die junge, stets sehr temperamentvoll Dame ins Haus des alten Herren, noch bevor sie ablegte, brach es bereits aus ihr heraus: „Was sagen Sie zu dem Vorfall mit dem Fiaker-Pferd, das kürzlich auf einer Wiener Straße zusammengebrochen und gestorben ist – ist das nicht eine Tragödie?!“
„Ja, gab!“ der alte Herr zurück „zweifellos ist – wie übrigens zumeist – eine Tragik damit verbunden, wenn ein Pferd, das angeblich „gesund und munter“ war, plötzlich und auf offener Straße stirbt. Ich habe mich zu meinen Vorbehalten auch bereits geäußert – und dazu zwei bemerkenswerte Nachrichten erhalten.“
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Wer noch nie in einer akuten Krise war, hat hier nicht zu urteilen, denn es gibt Fälle, wo man handlungsunfähig wird und einfach nicht mehr handeln kann.
Ich arbeite in der Krisenintervention und weiß genau, dass es für Außenstehende schwer ist zu verstehen, dass man nicht handlungsfähig ist, aber das kommt vor und da einen Vorwurf zu machen finde ich nicht ok!!
Der Kutscher hat einen Schock und muss selber mit der akuten Krise klarkommen. Wer hat sich um den Kutscher gekümmert?
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„Bei unserem Kamingespräch in 12. Woche, also erst kürzlich, habe ich Ihnen erzählt, dass ich lange Jahre im Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes als Freiwilliger tätig war – auch bei mehreren Unfällen mit Pferden war ich im Einsatz, insgesamt blicke ich auf etwa 150 zurück! Mein Bemühen war dabei immer, so schnell wie nur möglich wieder eine gewisse Normalität herzustellen und zu vermeiden, dass sich psychisch traumatisierte Personen durch fortgesetzten Anblick eines „Schreckens-Szenarios“ selber in ihrem Schock „ertränken“ – genau das aber geschieht, wenn der Kutscher wie versteinert am Bock sitzt und auf die Pferde-Leiche starrt, ohne den Versuch einer Hilfestellung zu wagen – es waren nämlich , wie auf den Fotos ersichtlich, einige Personen unmittelbar am Ort des Geschehens, die helfen konnten.
Und es gibt schlimmere Bilder – Handlungsfähigkeit auch in Ausnahmesituationen muss „trainiert“ werden – zumindest durch mentale Vorbereitung – bewusstes Betrachten von Unfallbildern ist ein solches Training. Jede Person, die in verantwortungsvoller Position mit Pferden zu tun hat, ist in meinen Augen dazu – auch den Pferden gegenüber – verpflichtet!“
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Ich nehme mal an, der Kutscher war nicht handlungsunfähig, sondern hat alles richtig gemacht! der Kutscher steigt niemals bei einem ungesicherten Gespann ab! absolutes no go! Sofort den Stall anrufen und warten bis Hilfe kommt und auch da bleibt er noch sitzen bis das Gespann ausgespannt wird!
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„Die, den Fiaker-Kutschern eingebläute Verhaltensregel, bei Zwischenfällen jedenfalls am Bock, besser jedoch, an den Leinen zu bleiben, vom „Stall“ Hilfe anzufordern und bis zu deren Eintreffen dergestalt die Kontrolle zu bewahren, kann naturgemäß nur dann sinnvoll sein, solange zwei Pferde auf acht Beinen stehen, die Deichsel intakt ist und der Wagen – eingebremst- auf vier Rädern ruht. Diese Regel zeigt aber zugleich das Sicherheitsrisiko der Fiaker- Fahrer auf: Fahren ohne Beifahrer lähmt den Kutscher in kritischen Situationen.
Der Einwurf hat mich an eine Episode bei einer Staatsmeisterschaft im Gespannfahren, etwa dreißig Jahre her, in Mautern erinnert: Bei den Wiener Fiakern gab es damals einen „bunten Hund“, Herr Stelzel, der alles Traditionelle ablehnte, mit Kummt-Anspannung fuhr und auch sonst ein Quergeist war.
Beim oben erwähnten Fahrturnier fungierte Herr Stelzel als Beifahrer eines emporgekommenen Baumeisters, der ihm eingetrichtert hatte, seinen Platz im Fonds des Wagens „bei sonstiger Todesstrafe“ nicht zu verlassen – es kam, wie es kommen musste oder sollte (denn Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall): Baumeister K. schmiss um, der Wagen lag in Seitenlage, die volle Anzahl an Strafpunkten war ausgeschöpft, aber am Rücksitz saß – mit eiserner Miene und Bowler am Haupte – Herr Stelzel und weigerte sich, aus seiner misslichen Lage befreit zu werden, weil er sonst
a) Strafpunkte riskieren würde
b) die Todesstrafe erwarten müsse.
Vielleicht wird in Zukunft die „Künstliche Intelligenz“ (in Ermangelung einer natürlichen) solche Dilemmata lösen können??!!“
Dokumente, Fotos, Grafiken und Literatur – Archiv & ex libris Dr. Kaun seit 1963
Kamingespräche über Entwicklungen in der Welt der Pferde
von Univ. Lektor Mag. Dr. Reinhard Kaun
www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at