Ohne Bein kein Pferd – diese uralte Weisheit gilt für das ausgewachsene Sportpferd und mehr noch für das Fohlen, bei dem Fehlstellungen der Gliedmaßen frühzeitig erkannt und korrigiert werden sollten.
Zu lange oder schlaffe Sehnen erlauben eine Überstreckung des Gelenkes, zu kurze oder stramme bewirken eine ständige Beugung. Beides kann beim neugeborenen Fohlen auftreten und muss nach ein, zwei Tagen beurteilt werden. Symbolfoto: Archiv/Pixabay
Junge Pferdebeine und unfertige Knochen unterliegen einer gewissen Deformierungsgefahr durch ungleiche Belastung oder angeborene Fehlformungen. Die späterhin möglichst perfekte und korrekte Stellung und Form wird bereits beim Fohlen durch regelmäßige Pflege und korrigierende Maßnahmen begründet. Leider wird dies oft vernachlässigt und zahlreiche Pferde erhalten den Grundstein späterer Beinprobleme bereits als Fohlen von ihren Züchtern mit in die Wiege gelegt.
Da Fohlen sehr schnell wachsen, sollte man alle vier Wochen ihre Hufe leicht berunden und nötigenfalls korrigieren, um etwaige Probleme bald erkennen und beheben zu können. Das ist nur möglich, wenn das Fohlen diese Prozedur gewöhnt ist und ein korrektes Vorführen auf einer harten, ebenen Fläche erlaubt. Dadurch kann der Schmied/Hufpfleger fehlerhaftes Auffußen erkennen und korrigieren. Unter schlechten Arbeitsbedingungen, auf unebener Fläche, bei einem zappeligen Fohlen oder im tiefen Schlamm einer Koppel ist dies unmöglich.
Knochen und Hufe
Die Knochen des ungeborenen Fohlens bestehen anfänglich aus Knorpel, der langsam verknöchert oder aushärtet. Bei der Geburt ist die Verknöcherung der Knochenschäfte soweit vorangeschritten, dass das Tier sofort laufen kann. Die Knochenenden, Lateinisch Epiphysen, verknöchern nun ebenfalls und es bleibt nur mehr eine schmale Stelle zwischen Schaft und Epiphyse knorpelig, die man als Wachstumsfuge bezeichnet und ein weiteres Längenwachstum des Knochens ermöglicht. Dieses erfolgt in den Wachstumsfugen durch die Entstehung weiterer Knorpelzellen, die sich an den Schaft anfügen und dann verknöchern. Ungleiche Belastung in den Wachstumsbezirken verursacht ungleiches Wachstum (geringer, wo mehr Druck) und führt zu einer unerwünschten Schiefe an dieser Stelle.
Sobald ein Knochen seine genetisch vorprogrammierte Maximallänge erreicht hat, hört er auf zu wachsen und die knorpelige Wachstumsfuge verknöchert endgültig. Dadurch fügen sich nun Knochenschaft und Knochenende im sog. Epiphysenschluss fest und dauerhaft zusammen – das Skelett hat seine maximale Festigkeit erlangt. Dieser Vorgang erfolgt bei jedem Individuum und auch für jeden Knochen mit einem bestimmten Alter, auch abhängig von Faktoren wie Fütterung, Training, Genetik etc. Ist der Wachstumsprozess einmal abgeschlossen, so liegt damit auch die Konformation des Knochenbaues nahezu unveränderlich fest. Notwendige Korrekturen sind also danach nicht mehr möglich – deshalb sind sie schon beim jungen, unausgewachsenen Pferd dringend anzuraten.
Die Hufe eines Fohlens sind während seiner Entwicklung im Mutterleib weich und verformbar, damit keine Verletzungen der Stute vor und während der Geburt vorkommen. Nach der Geburt wächst der weiche Fohlenhuf herunter und wird durch härteres Horn ersetzt. Eine grubenförmige, horizontale Trennlinie zwischen dem weichen und harten Horn markiert die Grenze der beiden Hornqualitäten. Sie kann manchmal recht tief erscheinen, ist aber völlig natürlich und keinerlei Anlass zu Besorgnis. Mit rund drei Monaten sollte die Trennlinie den Boden erreicht haben, dann beginnt das harte, dauerhafte Horn abgenützt zu werden. Geschieht dies ungleichmäßig, so beginnt sich der Huf zu verformen, falls er nicht laufend korrigiert wird. Der natürliche Winkel der Hufstellung zur Horizontalen ist beim Fohlen mit rund 60° deutlich steiler als späterhin (rund 50°), was berücksichtigt werden muss.
Zwei verschiedene Arten von Deformationen kommen bei Fohlen vor. Zum einen die fehlerhafte Streckung oder Beugung eines oder mehrerer Gelenke der Gliedmaße(n); zum anderen die fehlerhafte Winkelung oder Biegung von Knochen oder Gelenken. Beide können sowohl angeboren sein, als auch im ersten Lebensabschnitt durch Unfälle, mangelhafte Pflege oder Fütterung etc. erworben werden, wobei der erste Fall der häufigere ist. Auch die „gefaltete“ Lage des oft recht großen Fohlens im Mutterleib kann zu vorerst etwas krummen Gliedmaßen führen. Zahlreiche Fohlen werden mit leichten Deformationen geboren, welche sich unter günstigen Voraussetzungen nach kurzer Zeit auch ohne Behandlung rückbilden. Allerdings sollte man bald den Rat eines Tierarztes/Hufschmiedes/Hufpflegers suchen, wenn man nicht selbst in der Beurteilung erfahren ist. Und: Mit Elterntieren, die Fundamentsprobleme vererben, sollte „umsichtig“ (am besten gar nicht) gezüchtet werden!
Die erstaunliche Beweglichkeit und ihre ungebremste Bewegungsfreude machen die Beurteilung von Fohlen schwierig – gerade auch jene der Korrektheit ihrer Gliedmaßen. Symbolfoto: Archiv/Pixabay
Das Ideal
Um eine präzise Beurteilung durchführen zu können, muss man das Ideal kennen. Fohlenbeine sind lang und dünn, sie wachsen von allen Körperteilen am wenigsten in die Länge. Die im ersten Lebensabschnitt relativ zum übrigen Körper große Länge und auch die kräftigen Gelenke, kleinen Hufe und die erstaunliche Beweglichkeit machen eine Beurteilung für den Laien schwierig. Dennoch gelten für Fohlen genau dieselben Beurteilungskriterien wie beim erwachsenen Pferd.
Die Gliedmaßen sollen in schöner Regelmäßigkeit den Körper unterstützen. Dazu wünscht man sie sich in anatomischer und physikalischer Hinsicht ideal geformt und platziert, was aber nur selten vorkommt – denn Pferde sind selten ganz perfekt, und alle infantilen Säugetiere weichen noch deutlich von ihrer idealen adulten Form ab.
Gefährliche „Spontankorrekturen"
Viele Züchter, Reiter und auch Hufschmiede vertreten die Ansicht, dass alle Pferde durch korrigierende Maßnahmen zu einer relativ einheitlichen Idealform gebracht werden sollen oder können, was nicht ganz richtig ist. Man muss sich mit gewissen individuellen Formen arrangieren können und die Nutzung des Pferdes daran anpassen. Eine „gewaltsame“, vor allem abrupte Änderung beim erwachsenen Pferd im Sinne einer „Spontankorrektur“ führt langfristig meist zu größeren Schäden, als sie durch den ursprünglichen Mangel verursacht worden wären. Beim Fohlen kann man allerdings mit oft geringem Aufwand noch weitgehende und vor allem dauerhafte Verbesserungen erzielen, da in den ersten ca. 18 Lebensmonaten die Statik des Körpers noch deutlich beeinflussbarer ist als beim erwachsenen Tier.
Doch zurück zum Ideal: Die Beine sollen genau senkrecht das Gewicht des Körpers unterstützen und dabei nur möglichst wenig vom Lot aus dem obersten Gelenk abweichen. Der Körper ist über die Schulter- und Hüftgelenke mit den Beinen verbunden, also wirkt dort das Gewicht ein. Je präziser und senkrechter es unterstützt wird, desto stabiler ist die Stütze, und je weiter außen die vier Beine (= Stützen) angebracht sind, desto stabiler ist die ganze Konstruktion. Die Pferdebeine sollen also möglichst genau unter Schulter und Hüfte stehen, dabei möglichst wenig von der Senkrechten abweichen und die Eckpunkte eines möglichst großen Rechteckes bilden.
Die Gliedmaßen in sich wünscht man sich ausreichend kräftig, was beim Fohlen nur schwer zu beurteilen ist, da sich noch viel ändert. So manches „Spinnenbein" hat sich bei guter Aufzucht und Anlage zu einem starkknochigen Pferd gemausert. In aller Regel sieht man aber bereits beim Jungpferd, ob es ein knappes oder starkes Fundament erhalten wird. Die Gelenke sollen breit und kräftig sein, dabei korrekt gewinkelt und klar gezeichnet. Manches am Fohlen wirkt (oder ist tatsächlich) etwas steiler und staksiger; wenn die Gelenke aber von allen Seiten stimmig wirken und bei korrekter Einschienung keine Verkantungen erkennbar sind, so darf man auf eine gute Entwicklung hoffen. Symmetrie in den Gelenken, ja überhaupt in den Gliedmaßen, ist erwünscht, denn sie deutet auf eine ideale Lastverteilung hin und vermindert vorzeitigen Verschleiß. Eine gedachte Senkrechte durch die Längsachse einer Gliedmaße sollte also ungebrochen vom Bug, bzw. Sitzbeinhöcker nach unten fallen, wenn von vorne oder hinten betrachtet. Die Gelenke sollten von ihr zentral und symmetrisch durchschnitten werden und jeweils paarig (z. B. beide Karpalgelenke, beide Sprunggelenke …) gleich weit vom Boden entfernt sein.
Bei den Hufen kann gelten, dass beide Hufwände, von vorne gesehen, möglichst symmetrisch gewinkelt und gleich hoch sein sollen. In der Praxis ergibt sich sehr oft eine ganz leicht zehenweite Stellung, die als normal gelten kann. Seitlich gesehen sollten alle Hufe gleich gestellt sein und nicht steiler als 65° von der Horizontalen aufragen, andernfalls Verdacht auf einen Fohlenbockhuf vorliegt.
Strecken und Beugen
... müssen sich die meisten beweglichen Gelenke (es gibt auch einige wenige sog. starre und drehende). Besonders die Pferdebeine sind wahre Wunderwerke an präziser Mechanik und – wenn auch in seitlicher Richtung meist eingeschränkt – zu erstaunlichen Graden von Winkelungen fähig. Begrenzend wirken dabei vor allem die Sehnen und Bänder, von deren Straffheit und/oder Länge der Freiheitsgrad der Bewegung vor allem beim Fohlen deutlich abhängt. Zu lange oder schlaffe Sehnen erlauben eine Überstreckung des Gelenkes, zu kurze oder stramme bewirken eine ständige Beugung. Beides kann beim neugeborenen Fohlen auftreten und muss nach ein, zwei Tagen beurteilt werden.
Wenn eine übertriebene oder eingeschränkte Winkelung von Gelenken vorliegt, so hat dies Bedeutung, wenn der Zustand über ein geringes Maß hinausgeht und sich nicht rasch nach der Geburt bessert. Etwas zu steile Fesseln oder Sprunggelenke, auch eine leichte Vorbiegigkeit im Karpalgelenk sind tolerierbar, wenn sie sich kontinuierlich auswachsen und nach einigen Monaten verschwunden sind. Wenn der Huf normal aufgesetzt wird und das Fohlen sich flüssig und normal fortbewegt, so besteht meist kein Handlungsbedarf, denn mit zunehmender Belastung und Kräftigung verschwinden die Symptome rasch.
Der Bewegungsapparat passt sich rasch an die Belastung und Bewegung an und bildet sich dementsprechend um. Kann das Fohlen nicht korrekt auffußen und/oder sich nur mühsam fortbewegen, so ist eine Selbstheilung unwahrscheinlich und tierärztliche Hilfe unabdingbar.
Die korrigierenden Maßnahmen sind Bandagieren, Schienen, Gipsverband, Korrekturbeschlag (oft durch Aufkleben von speziellen, orthopädischen Korrekturschuhen etc.), und in Extremfällen die chirurgische Behandlung durch Durchtrennen oder Verkürzen von Sehnen und Bändern.
So drastisch diese Maßnahmen auch klingen mögen, besitzen sie doch in einer Mehrzahl der Fälle gute Heilungschancen, die dem Fohlen später ein normales Leben unter voller Einsatzfähigkeit ermöglichen. Allerdings werden im letzteren Fall oft nur jene Fälle wieder voll einsatzfähig, bei denen keine großen Sehnen durchtrennt werden müssen; solche Reparaturen können zu einer eingeschränkten Verwendungsfähigkeit führen.
Wenn Gelenke oder Knochen an sich deformiert sind, also die Fehlstellung oder Deformierung sich nicht allein auf die mangelhafte Qualität des Bänder-Sehnen-Apparates zurückführen lässt, so muss häufig recht aufwendig repariert werden. Die Selbstheilungschancen sind gering – außer bei sehr leichten Fällen mit guter Heilungstendenz. Dann genügen oft flankierende Maßnahmen (s. o.), um Gelenk oder Knochen in eine möglichst natürliche und korrekte Position zu bringen und ein Auswachsen des Fehlers zu erreichen. Bei Fesselgelenken sollte man in einem Monat, bei Karpal- und Sprunggelenken binnen dreier Monate eine deutliche Besserung feststellen können, andernfalls mit schweren Geschützen aufgefahren werden sollte. Wenn sich ein abnormal gewinkeltes Gelenk oder ein deformierter Knochen nicht binnen weniger Wochen deutlich bessert, so muss meist chirurgisch vorgegangen werden. Besonders ungünstig ist es, wenn ein normal geborenes Fohlen einen derartigen Fehler erst später entwickelt.
Fohlenbeine sind schon bei der Geburt relativ fertig, deshalb ist eine rasche Beurteilung oder Behandlung durch den Tierarzt immer ratsam. Hat das Jungpferd einmal zu wachsen aufgehört, so können korrigierende Operationen nur mehr durch das gezielte Durchtrennen von Knochen und Anbringen von Metallplatten zwecks Geraderichtens erfolgen. Weder die optischen noch die physischen Resultate sind dabei annähernd so gut wie beim jungen Fohlen. Wer schnell hilft, hilft doppelt!
Martin Haller