Gerichtsgeschichten & Pferdesachen: Das Pferd im Recht & sichere Verwahrung 08.07.2023 / News
Im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit hat der Tierarzt und gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. Reinhard Kaun – der auch ein Leben lang Reiter, Gespann-Fahrer und Turnierrichter war – einen einzigartigen Wissensschatz zusammengetragen, der nahezu jeden Aspekt im Umgang mit Pferden berührt, der zu rechtlichen Problemen oder sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann. Einen wichtigen Teil davon hat er im Handbuch „Über die forensische Relevanz im Umgang mit Pferden" zusammengefasst und systematisch dargestellt – von allgemeinen Fragen des Handlings und Umgangs mit Pferden bis zu Themen wie tierärztliche Sorgfaltsfehler, Pferdekauf, Schadenersatz, Wertermittlung, Strafrecht und Regelwerke, Tiertransporte, Straßenverkehrsordnung sowie Unterricht und Veranstaltungen, um nur einige zu nennen. All diese Themen sollen in der neuen Serie „Gerichtsgeschichten & Pferdesachen" auszugsweise und anhand real erlebter, aussagekräftiger Geschichten dargestellt und illustriert werden, die aus Gutachten von 1989 bis 2000 stammen. Jede Folge soll auf diese Weise Fachwissen vermitteln, vor allem aber auch das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für einen möglichst sicheren und von ethischen Prinzipien getragenen Umgang mit dem Partner Pferd schärfen.
In der dritten Folge seiner Serie erklärt Dr. Reinhard Kaun die Begriffe „Halter", „Inhaber", „Besitzer" und „Eigentümer" sowie deren rechtliche Stellung an einem drastischen Praxisbeispiel – und geht auch auf die Frage der „sicheren Verwahrung" ein, die immer wieder für Unfälle und gerichtliche Streitigkeiten sorgt.
Zu Tode erschreckt fuhr Lisa aus ihren Gedanken auf, stemmte sich reflexartig mit der Linken gegen das Armaturenbrett des schweren Geländewagens, ergriff mit der Rechten den Haltegriff – sie war in tiefer Nachdenklichkeit versunken gewesen. Dominik, ihr neuer Freund, der den Wagen steuerte und „Cid“, ihr neues Pferd hinten im Anhänger, den sie morgen zum zweiten Male bei einer Vielseitigkeit starten wollte – einige Geländehindernisse bereiteten ihr Druck im Magen und auch über Dominik war sie sich noch nicht im Klaren.
Ein PKW mit Anhänger hatte den Geländewagen mit dem Pferdeanhänger überholt, als sich plötzlich größeres Ladegut vom PKW- Anhänger löste und vor dem Geländewagen auf die Straße wirbelte - Dominik – mit wenig Erfahrung beim Lenken großer und schwerer Wägen und völlig unerfahren mit Pferdetransporten – verriss den Wagen bei gleichzeitiger Notbremsung – ein Zusammenstoß war nicht mehr vermeidbar.
Während des Ausweich – und Bremsmanövers gab es einen Stoß von hinten, ein dumpfes Geräusch und ein heftiges Beben ging durch das zum Stillstand kommende Gespann.
Das Pferd wies am rechten Hinterbein im Bereich des Fesselkopfes eine stark blutende Wunde auf, schien aber sonst zunächst unverletzt, jedoch schockiert. Man kehrte um und fuhr wieder nach Hause, wo das Pferd tierärztlich versorgt wurde. Erst jetzt entdeckte Dominik, dass das Polyesterdach des Pferdeanhängers einen Berstungssprung aufwies, direkt oberhalb des Pferdekopfes.
In den nächsten Wochen stellte sich eine schleichende, aber kontinuierliche Wesensveränderung bei dem, bisher braven und sehr kooperativem Pferde ein: der Wallach wurde zunehmend ängstlich und berührungsscheu, ein Verhalten das sich in weiteren Verlauf von Aggression bis zur Bösartigkeit steigerte – das Pferd wurde gefährlich, täglich notwendige Pflegemaßnahmen konnten nicht mehr verrichtet werden.
„Cid“ wurde euthanasiert, eine Obduktion ist unterblieben.
Bei der Aufarbeitung des Unfalles ergab sich dieses Bild:
Eigentümer des Pferdes war gemäß Eigentumsurkunde ein nicht näher bezeichnetes Syndikat aus dem Umfeld von Lisas Vater.
Person responsible, also als verantwortliche Person in pferdesportlicher Hinsicht war im FEI Pass Lisas Mutter eingetragen.
Inhaberin /Besitzerin - und zwar rechtmäßig – war zum Zeitpunkt des Unfalles Lisa.
Eigentümer des Geländewagens, gelenkt von Dominik, war eine Leasinggesellschaft mit Vertrag lautend auf eine Firma, bei der der Vater Dominiks beschäftigt war und mit dem Privatfahrten Dritter nicht gestattet waren.
Eigentümer des Pferdeanhängers war die Stallgemeinschaft, bei der „Cid“ eingestellt war.
Der Lenker des überholenden PKW besaß keinen gültigen Führerschein.
Der PKW-Anhänger, von dem sich die Ladung gelöst hatte, war nicht angemeldet.
Die Leser werden nun einwerfen, dass es das Zusammentreffen so vieler „Zufälle“ in der Realität nicht gibt – doch, dieser Fall hat sich tatsächlich zugetragen. Viele Anwälte waren bei der Lösung im Spiel – das Endergebnis wurde durch Verhandlung außergerichtlich erzielt, mit der allgemeinen Übereinkunft, Stillschweigen zu bewahren.
Ein Pferdedieb ist zwar der augenblickliche Inhaber oder Besitzer eines Pferdes, allerdings „unrechtmäßig“!
Unter „Sponsor“ versteht man ein Unternehmen, aber auch Privatpersonen, die sich durch „Sponsoring“ – also der Förderung von Einzelpersonen, Personengruppen oder Veranstaltungen eine Gegenleistung erwarten – Unterstützung im Marketing oder durch Reklame eine Förderung des Absatzes. Zwischen Sponsoren und Gesponserten besteht in der Regel eine vertragliche Bindung. Wenn Sie gerne Dressurturniere im obersten Schwierigkeitsniveau im TV anschauen, so wird vor Beginn einer Darbietung immer ein Podest mit 5 -10 Personen gezeigt: Dies sind Pferdeeigentümer, Syndikatsmitglieder, Sponsoren, Trainer und Equipe- Chefs – in dieser „Liga“ gehört kaum einem Reiter oder einer Reiterin das vorgestellte Pferd.
Im Gegensatz dazu ist ein „Mäzen“ ein freigiebiger Gönner und Geldgeber, der keine materielle Gegenleistung erwartet.
Reitbeteiligung liegt dann vor, wenn neben dem Eigentümer eines Pferdes weitere Personen ein Nutzungsrecht für ein Pferd besitzen. Ratsam ist jedenfalls, dies auf schriftlicher vertraglicher Basis zu gestalten, auf der neben den genauen Daten des Pferdes und der beteiligten Personen Rechte, Pflichten und Schadenersatzregelungen präzise festgelegt sind.
Mietpferde, Schulpferde und Beritt-Pferde sind spezielle Vertragsformen, denen ebenfalls eine genaue schriftliche und detaillierte Formulierung zugrunde liegen sollten. Die Aussagen der „Reiterstüberl-Mafia“ in Form eines Zeugenkomplottes stiften im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen meist mehr Verwirrung als Klarheit.
Ein „Syndikat“ ist ein Unternehmensverband aus Organisationen und/oder Einzelpersonen mit eigener Rechtspersönlichkeit. Spitzenpferde im internationalen Turnierzirkus sind oft und zunehmend im Eigentum von Syndikaten, die häufig schon den Erwerb auf Auktionen bewerkstelligen. Der Begriff „Züchtersyndikat“ ist schon seit 1936 überliefert als Begriff, der sich vom griechischen „Syndicus“ (Rechtsbeistand) ableitet und durch Mafiafilme in Misskredit kam, wo er sich für getarnte Geschäftsunternehmen von Verbrecherorganisationen eingebürgert hatte.
Forensische Relevanz
– Der FEI –Pass oder Pferdepass dient nicht zum Nachweis des Eigentums
– Vorsicht ist geboten bei sogenannten „Dritten“: Trainer, Überbringer, Mitreiter, Vermittler – es empfiehlt sich immer, deren genaue Rechtsstellung zu einem Pferd festzuhalten, also eine Klarstellung der Besitz-, Eigentums – und Verantwortlichkeitsverhältnisse herbeizuführen:
o bei Klinikeinlieferung von Pferden > wer erteilt Behandlungsbefugnis und bezahlt die Rechnung?
o Bei Übergabe zur Ausbildung
o Bei Übergabe als Beistellpferd
o Bei leihweiser Überlassung z.B. als Teil eines Mehrspänners.
Jedes Pferd muss in der Equiden-Datenbank registriert sein:
– Genaues Nationale des Pferdes mit UELN und Schlachtverfügung und Fotos
– Angaben zum Halterbetrieb (Betriebsnummern)
– Angaben zu
o Eigentümer
o Besitzer
o Person responsible
Mitte September - kurz vor Mitternacht - fuhren Josef K. und Xaver Z. auf der Bundesstraße in Richtung I. Auf Höhe des Straßenkilometers 121.7 stieß der PKW mit einem Haflinger zusammen, der zuvor aus einer nahegelegenen Weide entkommen war. Als Folge dieser Kollision wurden die beiden PKW-Insassen so schwer verletzt, dass sie noch an der Unfallstelle starben, das Pferd überlebte den Unfall auch nicht.
Befunde:
– Die Weide, auf der sich noch zwei weitere Pferde befanden, liegt in einem Abstand von etwa 100 m zur vielbefahrenen Bundesstraße.
– Unmittelbar nach dem Unfall konnten die Exekutiv-Beamten keine Lücken in der Umzäunung aus Stangen und Stacheldraht finden, auch das Weidezaungerät war in Funktion.
– Zeuge: „…..bemerkte ich plötzlich, wie ein Pferd auf meinem Fahrstreifen stand, das Pferd hatte den Kopf beim rechten Fahrbahnrand und fraß dort Gras. Ich wich nach links aus und fuhr an dem Pferd vorbei…“ [zit.]
– Erster Gutachter: „Die Holzkoppel war an vielen Stellen morsch, schiefe Stangen waren nur notdürftig gestützt, Holzstangen wechselten, nur ungenügend befestigt, mit Stacheldraht und Elektrozaun ab. Alle Stangen waren zu dünn und zu nieder angebracht. Dass der Stromfluss funktioniert hat, scheint dem SV unmöglich. Insbesondere durch das bereits vorher schon einmal erfolgte Ausbrechen des Pferdes hätte der Angeklagte erkennen müssen, dass die Weideumzäunung in keiner Weise zum Schutz für Mensch und Pferd ausreichend war. [….] Die Weide war ziemlich abgegrast, auf einem Hektar wurden drei Hengste gehalten. Als Weidezaunbänder wurden solche mit 1 bzw. 1.5 cm Breite verwendet. “ [zit.]
– Zweiter Gutachter: „Die Entfernung des Koppelzaunes, der näher zur Bundesstraße liegt, beträgt 50 m. Weidemäßiger Grasaufwuchs konnte nur auf der Hälfte der Weidefläche festgestellt werden, obwohl sie seit drei Jahren nicht mehr in Verwendung ist. Weiters wurde rechts vom Weideingang – direkt zur Bundestraße führend – eine freie Durchgangsstelle durch einen Graben gefunden, die von einem Pferd leicht durchschritten werden kann.“ [zit.]
Sachverständige Fall-Analyse
– Die Behauptung des Angeklagten, er habe am Abend des Vorfalls den gesamten Verlauf der Umzäunung kontrolliert, erscheint aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar, weil zur angegebenen Uhrzeit (ca. 20 Uhr) bereits Dämmerung herrschte und das äußerst bergige und ungangbare Gelände nicht einsehbar war.
– Zur Kontrolle des Weidezaungerätes durch die Exekutive um 00.40 Uhr der Unfallnacht ist keine Prüfmethode bekannt. Sollt eine „Handkontrolle“ in unmittelbarer Nähe des Stromgerätes erfolgt sein, so ist festzuhalten, dass diese auch dann positiv verläuft, wenn in den restlichen 95 % kein Stromfluss verläuft, der ausreichend wäre, durch ein Pferdefell zu wirken.
– Pferde zeigen dann Ausbruchstendenzen, wenn die Futtergrundlage knapp wird. Die Hälfte der 1 ha großen Weide war infolge von Gebüsch, Baumbestand und Vertritt zum Grasen unbrauchbar. Zwischen dem eingezäunten Bereich und der Bundestrasse befand sich jedoch eine „grüne Wiese“.
– Aus der Darstellung des Angeklagten ließ sich feststellen, dass der Haflingerhengst als Letzter in die Gruppe gekommen war und körperlich der Schwächste war – er führte in der Dreiergruppe ein unterdrücktes Einzeldasein.
– Höhe und Material des elektrischen Weidezaunes und die Dimension der Holzsteher und – stangen sind jeweils der zu verwahrenden Pferdeart anzupassen – die Materialien müssen stabil, respekteinflößend, ausbruchs- und verletzungssicher sein. Das verwendete, batterie-betriebene Gerät war zu schwach, und die Litzen zu schmal (bei Pferden mindestens 4 cm) bemessen.
Gutachten:
– Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist der Haflingerhengst aus eigenem Antrieb von der Weide entkommen, und nicht, wie vom Angeklagten vorgebracht, weil er durch Jemanden erschreckt oder angetrieben worden ist.
– Der Haflingerhengst hatte an zumindest an drei Stellen die Möglichkeit, aus dem umzäunten Areal durch Durchsteigen, Durchschlüpfen oder Unterwandern in die Nachbarwiese zu gelangen, ohne dass sichtbare Schäden an der Umzäunung entstanden wären. Haflinger sind von Natur aus behände und „einfallsreiche“ Pferde.
– An derjenigen Stelle, die vom Zweit-Gutachter als Ausbruchsstelle angenommen wird, wäre der Haflingerhengst mit dem elektrischen Weidezaun nicht in Berührung gekommen.
– Zusammenfassend war das Futterangebot für die dort gehaltenen Pferd zu gering, das späte Hinzufügen eines dritten Pferdes ohne gekonnte Eingliederung schaffte Spannungen, vor den Augen hatten die Pferde die benachbarte grüne Wiese und das verwendete Verwahrungsmaterial war insgesamt von sehr schlechter Qualität.
Soweit dem Verfasser bekannt, wurde der Halter der Pferde gemäß § 80 StGB verurteilt.
Fahrlässige Tötung § 80 StGB
(1) Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Hat die Tat den Tod mehrerer Menschen zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.
Als diese Fläche im Mai in Weidebetrieb genommen worden ist, war der Grasbesatz für Pferde noch einigermaßen attraktiv. Pferde bevorzugen den kurzen, bodennahen Aufwuchs, während Wiederkäuer den hohen, auch schon leicht verholzten Bewuchs lieber mögen, weil er ihrem mehr-höhligen Magensystem besser entspricht.
Etwa drei Wochen später stehen die Pferde „bis zum Bauch“ in einem „Futter“, das sie nicht sehr schätzen. Das Bild zeigt sehr deutlich, dass das lange Gras stehen bleibt und später vertreten wird, die Pferde aber das „kurze, frische Graserl“ in Bodennähe suchen.
Weitere drei Wochen später ist die Fläche als wertvolle Weide unbrauchbar geworden; ein, zwei Wochen ohne Regen und die Weide dörrt zur Steppe aus – aber gleich dahinter befindet sich eine große und einladende Fläche mit frischem, saftigem Grün.
Die Weide, die auf diesen drei Bildern in ihrer Entwicklung dargestellt ist, befindet sich in Luftlinie etwa 300 m von einer hochfrequentierten europäischen Fernstraße entfernt.
Die beste Vorbeugung und Sicherheitsvorkehrung gegen Ausbruch ist neben der ständigen Überprüfung der Umzäunung eine Pflege des Bewuchses!
Langeweile und zu geringes Futterangebot sind die häufigsten Gründe dafür, dass Pferde Zäune „umdrücken“ und dann in das offene Gelände gelangen.
Bei genauer Beobachtung, verbunden mit dem rechten Bewusstsein für Verantwortung von Pferdehaltern sind mögliche Schwachstellen und spätere Ausbruchsstellen gut und frühzeitig erkennbar.
Was nützt der schönste Springplatz für den Feierabend, wenn der Alltag von Tristesse pur gekennzeichnet ist?!
Diese Pferdehaltung befindet sich direkt an eine hochfrequentierte Bundesstraße angrenzend – rundherum einladendes Grün, die Umzäunung besteht aus „dünnen Stangerln und schmalen Banderln“ – von der Ausgestaltung des Springplatzes könnte man jedoch auf Lizenz-Reiter tippen.
Pferdehaltung eines namhaften Vielseitigkeitsreiters – diese Pferde sind nicht ausgebrochen, sondern ein Hengst aus der Nachbarschaft ist zu einer rossigen Stute „eingebrochen“!
Die Maxime der Sicherheit muss sein: Wehret den Anfängen!!
Dem Autor dieser Zeilen ist nicht klar, warum bei sehr vielen Pferdehaltungsbetrieben die Weideflächen so schlecht gepflegt werden. Die Wiesen beim Pferdespital PRO EQUO (oberes Bild) und bei allen Stallungen, in denen Pferde des Verfassers bzw. seiner Familie standen (unteres Bild), wurde mit einem Rasentraktor alle 10 -14 Tage auf eine Bewuchshöhe von ca. 15 cm gemäht und anschließend in zwei Richtungen – schachbrettartig – mit einem Wiesenstriegel abgezogen. Kündigte sich Regen an, wurden die Weideflächen halbiert und jeweils eine Hälfte gedüngt und gesperrt, nach etwa 14 Tagen kam dann die zweite Hälfte an die Reihe.
Gut gepflegte Weiden sind der beste Schutz gegen Ausbrüche! Auch in sehr trockenen Sommern lässt sich mit Weidepflege ein Bewuchs erhalten, der für mehrere Stunden täglich artgerechtes Weideverhalten erlaubt – denn ich bin der Ansicht, dass Pferde von 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr im Stall oder schattenspendendem Unterstand sein sollten, wenn die Umgebungstemperatur über 25 Grad C beträgt. Zwangsbeglückung mit ganztägigem „Sonnenbad“ ist sicher nicht artgerecht – und es komme niemand mit dem Argument, dass Pferde von Natur aus „Weidetiere“ wären!
Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun
http://www.pferd.co.at | http://www.pferdesicherheit.at
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:01.07.2023 - Gerichtsgeschichten & Pferdesachen: Über die typische Tiergefahr
Gerichtsgeschichten & Pferdesachen: Über die typische Tiergefahr 01.07.2023 / News
Im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit hat der Tierarzt und gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. Reinhard Kaun – der auch ein Leben lang Reiter, Gespann-Fahrer und Turnierrichter war – einen einzigartigen Wissensschatz zusammengetragen, der nahezu jeden Aspekt im Umgang mit Pferden berührt, der zu rechtlichen Problemen oder sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann. Einen wichtigen Teil davon hat er im Handbuch „Über die forensische Relevanz im Umgang mit Pferden" zusammengefasst und systematisch dargestellt – von allgemeinen Fragen des Handlings und Umgangs mit Pferden bis zu Themen wie tierärztliche Sorgfaltsfehler, Pferdekauf, Schadenersatz, Wertermittlung, Strafrecht und Regelwerke, Tiertransporte, Straßenverkehrsordnung sowie Unterricht und Veranstaltungen, um nur einige zu nennen. All diese Themen sollen in der neuen Serie „Gerichtsgeschichten & Pferdesachen" auszugsweise und anhand real erlebter, aussagekräftiger Geschichten dargestellt und illustriert werden, die aus Gutachten von 1989 bis 2000 stammen. Jede Folge soll auf diese Weise Fachwissen vermitteln, vor allem aber auch das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für einen möglichst sicheren und von ethischen Prinzipien getragenen Umgang mit dem Partner Pferd schärfen.
In der zweiten Folge geht es um die „typische Tiergefahr", die von Pferden ausgeht, um die besondere Stellung von Tieren in der heimischen Rechtsordnung und die verschiedenen Definitionen und Ansätze hinsichtlich des „Werts" eines Pferdes.
Die mögliche Gefahr, die von Pferden ausgehen kann, ist vor allem für Laien schwer einschätzbar ... (Symbolfoto: Archiv)
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben….
Blauer Himmel, kühle Herbstluft, keine Fliegen, keine Pferdebremsen – die Ausfahrt mit den beiden Haflingern zum Festessen auf der Bauer-Alm sollte ein unvergessliches Erlebnis werden. Gut angekommen, versorgte der Kutscher die beiden Pferde und band sie anschließend im Abstand von drei bis vier Pferdelängen mittels Stallhalfter und Stricken an zwei Birken fest, die auch Schatten spendeten. Der Wallach und die Stute standen ruhig und in Sichtkontakt miteinander und konnten grasen. Der Kutscher hatte die Pferde von der daneben befindlichen Terrasse im Blick.
Aus dem Gasthaus kamen plötzlich ein Mann und eine Frau mit zwei Kindern, gingen schnurstracks zu den Pferden und begannen, sie mit mitgebrachtem Zucker zu füttern. Ein Kind, noch zu klein, um selber zu gehen, saß dabei am linken Arm der Mutter, als diese plötzlich einen Schlag auf die Außenseite des rechten Oberschenkels erhielt und daraufhin mitsamt dem Kind am Arm stürzte.
Schien der Vorfall zunächst unbedeutend, gab eine Wesensveränderung beim Kinde dann aber Anlass zur Sorge, bei der Untersuchung im Kinderspital wurde ein Schädelbruch und eine Gehirnerschütterung festgestellt.
Befunde für den Sachverständigenbeweis:
Klage: (eingebracht von den Eltern des verletzten Kindes)
– Das Ehepaar ging mit den Töchtern zu den Pferden, um diese zu füttern. Plötzlich schlug die Stute mit den Hinterhufen gegen die Frau.
– Dem Pferdehalter hätte bekannt sein müssen, dass die Stute rossig war und man damit rechnen musste, dass sie bei Annäherung ausschlagen würde. Somit hätte der Beklagte verhindern bzw. warnen müssen, dass eine Annäherung an die Pferde mit einer gewissen Gefahr verbunden ist.
– Das Kind, das verletzt wurde, konnte noch nicht gehen und musste von der Mutter dorthin getragen werden.
– Mein Mann gab dem einen Pferd Zucker, ich ging dann vorne weg und habe mich dem zweiten Pferd genähert – der Stoß war auf meinen Oberschenkel, ich bin getaumelt. Ich bin nicht weggeschleudert worden vom Pferd.
– Meine Frau hat das Kind, nachdem das Pferd mit beiden Hinterhufen ausgeschlagen hat [……]…dass das Pferd mit einem Huf meine Frau und mit dem zweiten Huf das Kind am Hinterhaupt – das vermute ich – den Schlag selber habe ich nicht gesehen.
Dasjenige Pferd, das den Schlag geführt hatte, war zum Zeitpunkt der Befunderhebung nicht mehr am Leben, bei Recherche ließen sich keine weiteren Vorfälle oder Auffälligkeiten für dieses Pferd erheben.
Sachverständige Analyse der Befunde:
Das Ehepaar ging mit den Kindern, aus eigenen und freien Stücken, zu den Pferden, um diese mit Zucker zu füttern. Jeder Pferdebesitzer ist ungehalten, wenn Fremde – ohne Zustimmung - zu seinen Pferden gehen und diese – ungefragt – füttern, weil man nie weiß, was verabreicht wird.
Es entspricht deshalb einer Gepflogenheit guten Benehmens, einem Pferdebesitzer die Absicht mitzuteilen bzw. seine Erlaubnis einzuholen – ungefragt diese Absicht umzusetzen ist verpönt.
Die mögliche, aber nicht nachvollziehbar erwiesene Rosse der Stute stellt per se auch fachlicher Sicht keinen Grund für eine besondere, verschärfte Verwahrung dar, solange keine Hengste im Nahbereich sind.
Von Klageseite wird als Grundlage der § 1320 ABGB – zweiter Satz: „Vernachlässigung der Verwahrung“ bemüht; aus fachlicher Sicht ist jedoch auch der erste Satz diese Paragrafen von forensischer Relevanz:
§ 1320 ABGB
1. (1) Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat.
2. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.
Für das vorgebrachte Ausschlagen der Stute sind aus fachlicher Sicht zumindest zwei Gründe in die Betrachtung einzubeziehen:
– Futterneid, wenn nicht beide Pferde zeitgleich den „Zucker“ bekommen haben;
– Berührungsempfindlichkeit, wenn von den vier in unmittelbarer Nähe der Pferde befindlichen Personen (zwei Erwachsene, zwei Kinder – eines am Arm der Mutter) eine unbedachte oder unbeabsichtigte Berührung am Hinterteil der Stute erfolgt ist.
Wie aus Beobachtung bekannt ist, fehlt Menschen, die keinen Umgang mit Tieren haben, das Wissen, dass Füttern von mehreren Tieren immer zeit- und mengengleich erfolgen muss, wenn kein Futterneid provoziert werden soll.
Futterneid als provoziertes und ausgelöstes Verhalten kann auch bei sonst sehr friedlich Tieren zu spontaner Aggression führen.
Die Beweglichkeit der an Bäumen angebundenen Pferde in einem Winkel von 360 Grad war bei Annäherung erkennbar: Wäre die klagende – später verletzte – Partei in sicherem Abstand verharrt, hätte sich der Unfall nicht ereignen können – erst durch den Umstand, dass sie, aktiv und wissentlich, die „kritische Distanz“ unterschritt, wurde der Unfall ermöglicht.
Der von der klagenden Partei beschriebene Unfallhergang konnte fachlich nicht nachvollzogen werden:
Wenn das Pferd mit beiden Hinterhufen ausgeschlagen hätte und dabei die Mutter mit einem Huf am rechten seitlichen Oberschenkel getroffen hat, hätte der Schlag mit dem zweiten Huf das Kind im Gesicht oder Vorderbrust treffen müssen, da es gemäß der Klageerzählung am linken Unterarm der Mutter saß und dabei – vermutlich – dieser das Gesicht zugewendet hatte.
Wäre jedoch die Blickrichtung des Kindes in der Gegenrichtung gewesen, hätte die Mutter das Kind mit ausgestreckten Armen vor sich hertragen müssen, damit es beim beidseitigen Ausschlagen parieto-okzipital getroffen worden wäre.
Aus sachverständiger Sicht wird der Unfall folgendermaßen rekonstruiert:
Durch das Annähern der Personengruppe mit den Kindern kam Unruhe bei den bisher ruhigen Pferden auf – speziell als begonnen wurde, Zuckerstücke anzubieten. Da vermutlich aber nur wenige Stücke Zucker verfügbar waren, begannen die Pferde zu betteln und Futterneid aufzubauen – beides beunruhigte die Menschen, es kam zu spontanen Bewegungen und Lautäußerungen.
Die Stute – möglichweise am Beginn der Rosse und „kitzlich“ - ist vermutlich mit ihrem Hinterteil entweder beim Wallach oder bei Menschen angestreift und hat deshalb „angedeutet“ – also eine Drohbewegung einer Hinterextremität ausgeführt – der als „Rempler“ am seitlichen rechten Oberschenkel der Mutter wahrgenommen wurde und deren Sturz zur Folge hatte – die schwere Verletzung entstand beim Bodenkontakt des Kindes – ein für einen Hufschlag typisches Verletzungsbild wird nicht beschrieben.
Der Pferdebesitzer als beklagte Partei hatte seine Pferde für vorhersehbare Imponderabilien ausreichend verwahrt, sie waren hoch genug, aber auch lang genug angebunden, waren ruhig, konnten grasen, haben sich nicht selbst befreit oder losgerissen und konnten aus geringer Entfernung ständig beobachtet werden – eine Erlaubnis zur Annäherung an die Pferde und ihre Fütterung hatte er nicht erteilt; insoferne hatte er auch nicht die Möglichkeit, eine Warnung auszusprechen, wie dies der Klagevertreter gefordert hat. Die Kinder waren unter der Aufsicht ihrer Eltern, der Pferdebesitzer konnte also nach Ansicht des Autors vom „gesunden Menschenverstand“ ausgehen.
Aus heutiger Sicht, also fast dreißig Jahre nach diesem Unfall, würde aus der Sicht des Gutachters in Anbetracht der Veränderung der Bevölkerungsstruktur und dem gesunkenen allgemeinen Bildungsgrad im Umgang mit Tieren noch hinzugefügt:
– Eine Aufsichtsperson hätte bei den Pferden bleiben müssen, die das Nähertreten von Personen und das Füttern der Pferde verhindert.
– In Anbetracht der Lage der Gastwirtschaft als Ausflugsziel in Stadtnähe ist zu erwarten, dass dort Menschen verkehren, die keinerlei Erfahrung, vor allem aber keinen Respekt vor (fremden) Tieren haben, weshalb – vorhersehbar – zu befürchten ist, dass Menschen unbefugt und ungefragt die „kritische Distanz“ zu den Pferden unterschreiten.
Fotos aus dem Alltag: Obwohl bei diesem (grenznahen) Pferdebetrieb an allen Koppeln und Weiden zweisprachige Hinweisschilder zur Tiergefahr sowie gelbe Tafeln mit der Aufschrift „Füttern verboten“ angebracht sind, halten sich weder Erwachsene noch die, unter ihrer Aufsicht befindlichen Kinder daran.
„Hat die Mutter der Sorgfalt entsprochen?“ – war eine der Fragen an den Gutachter. Der Sachverständige hat diese Frage naturgemäß nicht in juridischem Sinne zu beantworten, sondern sach- und situationsbezogen auf die Pferde bzw. den Unfall:
„Wir (Mutter mit Kind am Arm) standen vorne im Kopfbereich des Pferdes. Dann ging ich mit dem Kind vom Kopfende weg seitlich einen Schritt zurück; der Grund, einen Schritt zurückzugehen in Richtung Rücken des Pferdes, war, um vom Kopfbereich wegzukommen, damit das Pferd nicht beißen kann.“ [zit.]
Aus fachlicher Sicht hätte die Mutter mit dem Kinde am Arm gar nicht so nahe an die Pferde herangehen dürfen, dass die Gefahr eines Bisses entstanden wäre, als sie dies erkannte, reagierte sie aber falsch – anstatt von den Pferden wegzugehen, bewegte sie sich in Richtung der Hinterextremitäten des Pferdes.
Das Dilemma
Es ist im modernen Journalismus in Mode gekommen, Überschriften und Schlagzeilen als Frage zu formulieren oder mit einem Fragezeichen auszustatten, um zu zeigen, dass deren Verfasser „intellektuell hinterfrägt“.
Diesem „Mainstream“ folgend, sollte die Überschrift zu diesem Kapitel wohl lauten:
„Paragraf 285 a ABGB – ist das Tier tatsächlich keine Sache?“ Vom Autor dieser Serie werden jedoch Antworten erwartet, keine Fragen!
Das Fremdwörterbuch des DUDEN (Band 5) definiert den Begriff Dilemma griechischen Ursprungs als „Wahl zwischen zwei (gleich unangenehmen) Dingen bzw. als Zwangslage“ –
Wird ein Pferd misshandelt oder gequält – aktiv oder passiv – so gibt es wohl kaum jemanden, der nicht der Meinung ist, dass Tiere allgemein aus dem „Sachbegriff“ ausgenommen werden müssen, also wie im ersten Satz § 285 a ABGB festgehalten ist: „Tiere sind keine Sachen, sie werden durch besondere Gesetze geschützt“ – das Tierschutzgesetz und der § 222 des Strafgesetzes sind neben anderen die zwei wichtigsten dieser Schutz- Gesetze.
Kommt es jedoch im Zuge eines vermuteten Behandlungsfehlers, eines Unfalles oder eines Kaufes zu Schadenersatzforderungen, so haben die vermeintlich Geschädigten keine Hemmungen, den ihnen zugefügten, angenommenen Schaden „an der Sache Pferd“ in Geldes Wert zu fordern. Diese Möglichkeit hat der kluge und vorausschauende Gesetzgeber im zweiten Satz des § 285 a ABGB geschaffen, indem anerkannt wird, dass jedes Tier einen materiellen, Lieblingstiere zusätzlich einen ideellen, Wert haben können. Der materielle Wert kann z.B. durch Schätzung ermittelt und vor Gericht erstritten werden, der ideelle Wert wird stets und ausschließlich vom Gericht festgestellt und bestimmt.
Josef S. fuhr mit seinem Zweispänner aus Kleinpferden, bespannt mit Brustblattgeschirr vor einer Wagonette in Richtung B. Gegen 15.10 Uhr wurde er von einem PKW, dessen Lenker durch die Blendwirkung der tiefstehenden Sonne kurzzeitig die Sicht verloren hatte, von hinten angefahren. Der Fahrer des Gespannes wurde durch die Wucht des Aufpralles auf das Handpferd geschleudert und fiel von dort auf die Straße. Das Handpferd wurde zu Boden geschleudert, erhob sich noch einmal kurz, um dann an der Unfallstelle tot zusammenzubrechen. Das Sattelpferd blieb weitgehend körperlich unverletzt, entwickelte aber eine deutliche Schocksymptomatik. Am pferdebespannten Fahrzeug entstand schwerster Schaden, das Brustblattgeschirr wurde ebenfalls stark beschädigt. Der Fahrer des Gespannes wurde schwer verletzt mit dem NAW ins Krankenhaus transportiert. Auf Grund der Blitzartigkeit des Ereignisses fehlen ihm Erinnerungsdetails. Er war zum Zeitpunkt des Unfalles ohne Beifahrer am Gespann.
Da dem Grunde nach (Schuldfrage) die Sache klar war, hatte der Gutachter folgendes zu klären:
– Wert des zu Tode gekommenen Pferdes
– Wertverlust beim überlebenden Pferd
– Zeitwert des zerstörten Wagens und der geknickten Deichsel
– Zeitwert der zerstörten Geschirre
Für den interessierten Leser sind die verschiedenen Definitionen und Ansätze -also die „Tools“ um dem Gutachtensauftrag nachzukommen - bedeutsam:
Taxationsverfahren
– Vergleichswertverfahren
– Ersatzwertverfahren
– Ertragswertverfahren
Preis
Ein Preis ist ein Geldbetrag, der unter Berücksichtigung individueller Einflüsse zufällig für ein bestimmtes Wirtschaftsgut verlangt, geboten oder bezahlt wird.
Wert
Von einem Wert spricht man bei einem statistisch repräsentativen Durchschnittspreis (Mittelwert) von mehreren konkreten Preisen.
Verkehrswert
– Flexibler Wertbegriff, der keinem konkreten Wert zugeordnet werden kann.
– Ergebnis einer Schätzung, ist ein Wert > der halbe Schätzwert ist jedoch der Ausrufpreis
– Im ABGB wird der Terminus „Preis“ gleichbedeutend mit „Wert“ angewandt, nicht jedoch in der Taxationslehre
Marktwert
– Ist der ordentliche gemeine Preis, den eine bestimmte Sache zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort hat.
– Kommt beim Kauf zwischen Privaten zu tragen (Privatverkaufswert)
– Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der gewöhnlich im Geschäftsverkehr nach Beschaffenheit des „Wirtschaftsgutes“ bei einer Veräußerung zu erzielen wäre
Zeitwert
– Flexibler Wertbegriff, der keinem konkreten Wert zugeordnet werden kann.
– Beschreibt den Wert eines Objekts zu einem festgelegten Zeitpunkt
– Die Zeitkomponente wird bei der Wertermittlung berücksichtigt
– Bei Wirtschaftsgütern: der um die bisherigen Abschreibungen verminderte Anschaffungswert
Sachwert:
– Ist der von Wirtschaftsgütern verkörperte Gebrauchswert
– Ist unabhängig von Geldwertschwankungen
– Nur für Liegenschaften, Immobilien und im Sachwertverfahren
Ertragswert:
Der Wert von Rendite-Objekten wird durch Kapitalisierung der Nettoerträge, die mit diesen Objekten voraussichtlich erwirtschaftet werden, ermittelt.
– Ertragswertverfahren
– Vermietung und Verpachtung
– Für die Wertermittlung von Pferden, die Erlöse erzielen: Mietpferde, Zuchtstuten, Deckhengste, Rennpferde, Stuntpferde
Vergleichswert
– Ableitung des Wertes aus tatsächlichen erzielten Verkäufen vergleichbarer Objekte
– Pferde: Rasse, Schlag, Geschlecht, Alter, Farbe, Pedigree, Ausbildungsstand nach objektivierbaren Daten
Wiederbeschaffungswert (Händlerverkaufswert)
– Darunter versteht man den Durchschnittspreis, der am redlichen inländischen Markt bei einer Wiederbeschaffung vom Geschädigten voraussichtlich zu zahlen sein wird.
– Objektiv - abstrakte Ermittlung des allgemeinen und gewöhnlichen Nutzens zum Zeitpunkt einer Beschädigung
– Durch Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung
– Der Begriff „Totalschaden“ ist bei Pferden wegen ihrer Individualität nicht anwendbar – ein zu Tode gekommenes Pferd kann nicht 1:1 wiederbeschafft werden
Affektionsinteresse – Wert der besonderen Vorliebe
– Bezifferung eines immateriellen Schadens
– Bemessung durch das Gericht, nicht durch den SV
– Kein Vermögensschaden
Wertminderung
– Wertminderung durch planmäßigen oder außerplanmäßigen Wertverlust von Gütern durch Schäden oder Nutzungseinschränkung
– Differenz von Zeitwert vor Schadenseintritt zu Zeitwert nach Schadenseintritt
Merkantiler Minderwert
– Schönheitsfehler oder Funktionsbeeinträchtigung
– Altersabhängige Wertminderung
– Ausbildungsdefizite
– Gefühlsmäßige Abneigung beim Käuferpublikum bei (vermuteten)bleibenden körperlichen und/oder psychischen Schäden z.B. Unfallfolgen, Behandlungsfehler, Naturereignisse.
Im Gegensatz zu Fahrzeugen, wo die merkantile Wertminderung üblichen Formeln (z.B. Salzburger Modell) unterliegt, ist bei Pferden die Einschätzung eines „merkantilen Minderwertes“ wesentlich diffiziler: Ist ein körperlicher Schaden eventuell noch nachvollziehbar durch Narben, Farbveränderungen des Haarkleides usw., so ist der „Nachweis“ eines psychischen und /oder Schmerz-bedingten Traumas, nachdem Zeit verstrichen ist, nahezu unmöglich.
Deshalb bergen Pferde, die nach Unfällen oder anderen physischen oder psychotraumatischen Insulten nachwirkend geschädigt wurden, ein erhöhtes Risiko im täglichen Umgang, das jedoch durch keine Kaufuntersuchung aufgedeckt werden kann – unumgänglich ist infolgedessen, dass der Verkäufer den Kaufinteressenten über die gesamte ihm bekannte Geschichte eines Pferdes aufklärt, will er sich nicht „arglistiges Verschweigen“ vorwerfen lassen. Bei Pferden mit vielen Vorbesitzern kann jedoch diese Kette der Transparenz – absichtlich oder zufällig – unterbrochen sein.
Klärt ein Verkäufer aber den möglichen Käufer eines Pferdes über bedeutsame traumatische Ereignisse körperlicher und/oder psychischer Art auf, wird dieser entweder vom Kaufinteresse Abstand nehmen oder den verlangten Preis drücken – also nur bereit sein – einen merkantilen Minderwert zu bezahlen.
Der Verfasser kann sich an eine Vielzahl von Pferden erinnern, die auf Grund solcher Ereignisse unbrauchbar geworden sind – deshalb die Empfehlung:
Traumatische Ereignisse (Verkehrsunfälle, Stürze, Gewalteinwirkungen auf Pferde) sollten in ihrer Schwere und Dimension nie nur danach bemessen werden, ob „Blut geflossen“ ist – gerade „gedeckte“ Verletzungen mit Schäden an Muskeln, Knochen oder Stützgewebe können sehr schmerzhafte, bleibende Areale hinterlassen, die bei kleinsten Irritationen infolge des assoziativen Schmerzgedächtnisses plötzlich und unvorhersehbar zu heftigen Reaktionen wie Ausschlagen, Beißen oder Durchgehen führen.
Nach jedem, auch scheinbar glimpflich verlaufenem, Trauma müssen Pferde deshalb einer sorgfältigen medizinischen Untersuchung am gesamten Körper unterzogen und das Ergebnis in einem Untersuchungsprotokoll dokumentiert werden. Video- und Fotomaterial kann wertvolle Unterstützung sein.
Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun
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23.06.2023 - Gerichtsgeschichten & Pferdesachen: Vom richtigen Umgang mit Pferden
Gerichtsgeschichten & Pferdesachen: Vom richtigen Umgang mit Pferden 23.06.2023 / News
Im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit hat der Tierarzt und gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. Reinhard Kaun – der auch ein Leben lang Reiter, Gespann-Fahrer und Turnierrichter war – einen einzigartigen Wissensschatz zusammengetragen, der nahezu jeden Aspekt im Umgang mit Pferden berührt, der zu rechtlichen Problemen oder sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann. Einen wichtigen Teil davon hat er im Handbuch „Über die forensische Relevanz im Umgang mit Pferden" zusammengefasst und systematisch dargestellt – von allgemeinen Fragen des Handlings und Umgangs mit Pferden bis zu Themen wie tierärztliche Sorgfaltsfehler, Pferdekauf, Schadenersatz, Wertermittlung, Strafrecht und Regelwerke, Tiertransporte, Straßenverkehrsordnung sowie Unterricht und Veranstaltungen, um nur einige zu nennen. All diese Themen sollen in der neuen Serie „Gerichtsgeschichten & Pferdesachen" auszugsweise und anhand real erlebter, aussagekräftiger Geschichten dargestellt und illustriert werden, die aus Gutachten von 1989 bis 2000 stammen. Jede Folge soll auf diese Weise Fachwissen vermitteln, vor allem aber auch das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für einen möglichst sicheren und von ethischen Prinzipien getragenen Umgang mit dem Partner Pferd schärfen.
In der ersten Folge geht es genau um diesen Umgang mit dem Partner Pferd: Dieser muss, so Dr. Kaun, „klar, diszipliniert, konsequent, gerecht und von tiefem Respekt und intimer Kenntnis der hippologischen Grundsätze" geprägt sein, um für beide Seiten erbaulich und sicher zu sein.
Der korrekte Umgang mit dem Pferd erfordert Feingefühl und Respekt ebenso wie Klarheit und Konsequenz. Symbolfoto: Archiv Dr. Reinhard Kaun
Der Begriff „forensische Relevanz“ umreißt alle Fakten und Vorkommnisse, die im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung, eines Rechtsstreits oder einer strafrechtlichen Verfolgung beweisende oder entlastende Bedeutung haben können. Das „Recht um das Pferd“ ist aber nicht als ein einziges Gesetzeswerk zu verstehen, in dem für jeden Fall und jedwede Situation ein „Paragraf“ existiert – das „Pferderecht“ setzt sich vielmehr aus einer Fülle von verschiedenen Betrachtungsweisen und Grundlagen zusammen, die im jeweils zu beurteilenden „Einzelfall“ berücksichtigt werden müssen:
Umgang und Sport mit Pferden kann in vielfältiger Weise ausgeübt werden, als „Arbeitstier“ ist das Pferd – sieht man von wenigen Ausnahmen ab – in den Hintergrund getreten. Das Pferd ist Freizeit- und Sportpartner geworden, wobei nach Meinung des Autors die Unterteilung in Freizeit- oder Turnierpferde nicht richtig und auch nicht zeitgemäß ist, wenn man ins Kalkül zieht, dass einerseits Turniersport in den meisten Fällen in der Freizeit stattfindet (Profi-Reiter gibt dort ja angeblich nicht), anderseits aber (angeblichen) „Freizeitpferden“ stundenlange Höchstleistungen abverlangt werden.
Initiiert von Pferde-affinen Rechtsanwälten hat sich folgende Einteilung etabliert:
Eine häufige Quelle von Auseinandersetzungen – zunehmend vor Gerichten - ist darin zu erkennen, dass viele Menschen um Umfeld von Pferden nicht (mehr) in der Lage oder Willens sind, ein Pferd als Pferd zu akzeptieren, ohne es zu verniedlichen, zu verharmlosen und – was besonders verwerflich und gefährlich ist – zu vermenschlichen, allerdings in Verbindung mit dem überdimensionalen absichtlichen Bestreben, dem Pferd seinen menschlichen Willen aufzuzwingen: Druck aufzubauen war lange Zeit die Maxime, nunmehr abgelöst von einer Strömung der „softies“ – Sanftmut als Dogma ist ebenso gefährlich, ebenso wenig pferdegerecht.
Der Umgang mit Pferden muss klar, diszipliniert, konsequent, gerecht und von tiefem Respekt und intimer Kenntnis der hippologischen Grundsätze geprägt sein, um für beide Seiten erbaulich zu sein - routinierte Abfolge seit Generationen bewährter Abläufe im täglichen Umgang und beim Pferdesport geben Pferden Sicherheit durch Vorhersehbarkeit.
Diese Ansicht des Autors mag in manchem Ohr kalt und herzlos klingen – aber in dieser Form begegnet der Mensch der Würde von Pferden eher als durch verzärtelndes Romantisieren – könnten Pferde sprechen, würden vermutlich die Meisten ihren Abscheu vor albernen und groteskfärbigen „Ausrüstungsgegenständen“ kundtun.
Wenn in einem deutschen Reiterheft eine vom Autor hochgeschätzte Dressurreiterin berichtet, dass einige ihrer Pferde die Schwangerschaft ihrer Reiterin „gespürt“ haben, so darf diese Einschätzung nicht falsch interpretiert werden: natürlich „spüren“ Pferde gravierende Veränderungen an Menschen, zu denen sie eine tiefe und funktionierende Bindung haben, durch deren Geruch, Verhalten und Einwirkung – aber daraus darf nicht die falsche und gefährliche Schlussfolgerung abgeleitet werden, dass ein Pferd „erkennt und weiß“, dass seine Reiterin schwanger ist, verbunden mit der fatalen Erwartung, das Pferd werde sich nun dem „anderen Umstand“ gemäß verhalten.
Aus forensischer Sicht muss sich jede Person, die mit Pferden verkehrt, daran messen lassen
– ob sie die fachlichen Voraussetzungen erfüllt,
– ob sie unter Beachtung der Obliegenheit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht die typische Tiergefahr beim Pferd und ihre Folgen erfasst hat,
– ob sie die moralischen und ethischen Prinzipien für den Umgang mit Tieren/Pferden beachtet hat.
Der Oberste Gerichtshof hat in einem Erkenntnis festgehalten:
„Pferde sind unberechenbare, von ihren Trieben und Instinkten geleitete Tiere.“
Dieses Grundwissen sollte Jedem, der sich Pferden nähert, unterstellt werden können. Die Tradition baut aber auch für Ausnahmen vor:
Frau S., eine Dame mittleren Alters, verbrachte den Sommerurlaub mit ihren beiden Kindern in einem Hotel, dessen Angebot auch einen „Kinderbauernhof“ umfasst. Dieser Teil der Hotelanlage ist gegenüber der Außenwelt mit Zäunen abgegrenzt, innerhalb des Areals können sich jedoch Gäste und Tiere, darunter auch zwei Zwergponys, frei bewegen. Unter der Aufsicht des Vaters des Hoteleigentümers wird diese Praxis seit über zehn Jahren geübt, ohne dass es Zwischenfälle gegeben hätte.
Am 15. Juni befanden sich am späteren Vormittag die beiden Zwergponys auf einer Wiese, die an ihre Paddocks angrenzt, dort hatten sie zu unregelmäßigen Zeiten freien Weidegang und Auslauf. Frau S. glaubte darin eine Gefahr für ihre ebenfalls auf der Wiese befindlichen Kinder zu erkennen, sie ergriff eines der Ponys am Stallhalfter und wollte es zum Paddock führen, während der Hund des Hoteleigentümers bellend herumlief.
Das Pony riss sich, in den Augen von Frau S. durch den Hund provoziert, los, Frau S. kam zu Sturz und verletzte sich dabei erheblich. Da sie der Ansicht war, seitens des Hotels hätte man der Sicherungs- und Aufsichtspflicht nicht genügt, beschritt sie den Rechtsweg.
Die Befunderhebung ergab diese Fakten:
– Die Ponys, Stuten und fünfjährig, haben ein Stockmaß von 65 cm, sie sind Bestandteil des Streichelzoos. Sie sind eher distanziert, weder aufdringlich noch aggressiv.
– Das gesamte Grundstück ist eingezäunt, weder die Ponys noch andere Tiere können in die angrenzende Umgebung gelangen.
– Der Zutritt von Hotelgästen ist durch den Eingang der Umzäunung frei möglich.
– Beim Zugang zur Wiese befindet sich eine Tafel mit der Aufschrift: „Eltern haften für ihre Kinder.
– Beide Kleinstpferde ließen sich problemlos am Stallhalfter führen.
– Während sich Eltern auf der nahen Liegewiese, beim Pool oder auf der Hotelterrasse aufhalten, können Kinder – einen Steinwurf entfernt – im Bereich des Kinderbauernhofes spielen, Tiere angreifen und kennenlernen.
Bei der Befundaufnahme war nachvollziehbar, dass die beiden Ponys großen Wert auf ihre „Ausgeh- und Weidezeit“ legen und diese nur ungern verkürzen lassen wollen. Eine Gefahr für Kinder durch herumlaufende Tiere konnte nicht erkannt werden, dass der herumlaufende und bellende Border Colli andere Tiere nervös machte, ebenfalls nicht.
Aus dem Gutachten:
– Anlässlich der Befundaufnahme gab es keine Verdachtsmomente, dass von den beiden Kleinstpferden eine, wie auch immer geartete besondere Gefahr ausging.
– Sieht man vom immer vorhandenen Restrisiko der besonderen Tiergefahr ab, kann aus sachverständiger Sicht eine Minimalgefahr für Streicheln und Füttern der beiden verfahrensgegenständlichen Pferde unterstellt werden, eine besondere Aufsicht seitens des Hotelbetriebes ist dafür nicht erforderlich.
– Die beiden kleinen Pferde sind im Hotelbetrieb integrierte „Animateure“, die sehr genau zwischen Dienst und Freizeit unterscheiden. Hätten Menschen etwas mehr Respekt und Achtung vor der Würde der Pferde und unterließen Störungen in deren „Freizeit“ = Weidegang, Fressen, Dösen, könnten viele Unfälle vermieden werden.
– Da keine Anhaltspunkte für eine akute Gefährdung durch die kleinen Pferde erkennbar waren, hätte Frau S. jederzeit mit ihren Kindern das vermeintliche Gefahrenareal verlassen können – das Wegführen eines der beiden Pferde war fachlich unnötig.
Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun
http://www.pferd.co.at | http://www.pferdesicherheit.at
... wird fortgesetzt!
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