News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Botulismus-Toxine können für Pferde therapeutisch genutzt werden
15.07.2023 / News

In den meisten Fällen nehmen Pferde das gefährliche Botulinum-Toxin über das Futter – etwa kontaminiertes Heu – auf.
In den meisten Fällen nehmen Pferde das gefährliche Botulinum-Toxin über das Futter – etwa kontaminiertes Heu – auf. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Auch in der Veterinärmedizin gilt: Die Dosis macht das Gift! Italienischen ForscherInnen zufolge hat die therapeutische Anwendung von Botulinum-Toxinen bei Pferden ermutigende Ergebnisse erzielt – doch der Einsatz ist höchst diffizil und müsse noch weiter erforscht werden.

 

WissenschaftlerInnen der Universitäten von Turin und Mailand stellten in einem Artikel in der Fachzeitschrift „Veterinary Sciences" fest, dass sich Botulinum-Neurotoxine sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin als vielseitige therapeutische Verbindungen zur Behandlung mehrerer Syndrome des Nervensystems sowie Muskel- und Muskel-Skelett-Erkrankungen anwenden lassen.

Das große Potenzial von Botulinum-Neurotoxinen als therapeutische Verbindung für medizinische Syndrome liege in ihrer Fähigkeit, einen bestimmten Zelltyp zu erreichen und dabei andere Zellen zu umgehen, wodurch leichte oder keine Nebenwirkungen auftreten, wie die AutorInnen erklärten.

Die Erforschung dieser Neurotoxine schreitet rasch voran, wobei auch neue Varianten entwickelt werden: „Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um die biologischen und pharmakologischen Eigenschaften dieser neuartigen Botulinum-Neurotoxine sowie der natürlichen zu klären“, so die ForscherInnen.

In ihrer Arbeit untersuchten sie die jüngsten Entwicklungen rund um diese Neurotoxine und ihre therapeutischen Anwendungen in der Veterinärmedizin, hoben Vor- und Nachteile hervor und wiesen auf Forschungslücken hin.

Botulinumneurotoxine sind Proteine, die von neurotoxigenen Stämmen von Clostridienbakterien synthetisiert und abgesondert werden. Diese Neurotoxine werden herkömmlicherweise in sieben serologische Typen A bis G sowie zwei kürzlich entdeckte Typen eingeteilt. Das Toxin induziert bei infizierten, unbehandelten Tieren eine Muskellähmung, eine Krankheit, die als Botulismus bekannt ist, indem es die Freisetzung des Neurotransmitters Acetylcholin an den cholinergen neuromuskulären Verbindungen hemmt. In den schwersten Fällen kann es zu einer Beeinträchtigung der Gliedmaßen kommen und zu einer systemischen Lähmung führen. Die Lähmung der Atemmuskulatur führt zum Atemstillstand und schließlich zum Tod.

Pferde seien im Vergleich zu anderen Tierarten sehr anfällig für Botulinum-Neurotoxine, was bei futterbedingtem oder wundbedingtem Botulismus tödliche Folgen haben könne. Dennoch wurden bei Pferden in den letzten Jahren durch den therapeutischen Einsatz von Neurotoxinen ermutigende Ergebnisse erzielt:

Bei der Behandlung von Hahnentritt (,Stringhalt’) etwa, einer spastischen Erkrankung mit wiederkehrender Hyperflexion des Sprunggelenks (Tarsus), konnten einige beachtenswerte Erfolge erzielt werden. Hahnentritt kann verschiedene Auslöser haben, unter anderem neurogene Ursachen im Zusammenhang mit dysfunktionalen oder überreagierenden oberen Motoneuronen. Es wurden Injektionen von Botulinumneurotoxin Typ A in die betroffenen Muskeln getestet, und die Ergebnisse zeigten bereits zwei Tage später weniger spastische Bewegungen und weniger häufige hypermetrische Schritte, ohne Anzeichen von Toxizität oder nachteiligen Nebenwirkungen. „Der nur teilweise Erfolg, der mit diesem Versuch erzielt wurde (die Spastik wurde nicht vollständig beseitigt), zeigt, dass Dosierung und Art der zu injizierenden Muskeln kritische Variablen sind, die fein abgestimmt werden müssen.“

Typ A wurde auch zur Behandlung von Hufrehe untersucht. Hufrehe kann zu einem schwerwiegenderen Zustand werden, wenn das Gewicht und die Bewegungskräfte des Tieres, die durch den tiefen Beugemuskel am Hufbein ausgeübt werden, dazu führen, dass die Lamellenverbindung zwischen Hufbein und Hufkapsel versagt. In diesem Zustand verringerte der Einsatz des Neurotoxins, das eine Lähmung des tiefen Beugemuskels verursachte, die Scherkräfte und verbesserte die Ergebnisse der Hufrehe.

Pferde mit verschiedenen Graden der Hufrehe, die mit Typ-A (Botox) im Muskelbauch des tiefen Beugemuskels behandelt wurden, zeigten keine Verschlechterung der Krankheit und die Obel-Lahmheitswerte verbesserten sich um einige Stufen. Die Obel-Skala klassifiziert Lahmheiten von I bis IV, wobei I leichte Schmerzen und IV extreme Schmerzen mit Bewegungsunlust bedeuten.

Weitere Studien haben das Potenzial der Typ-A-Behandlung bei Pferden mit Hufrehe bestätigt, indem sie die Wirksamkeit der intramuskulären Injektion des Neurotoxins auf die Verringerung der Aktivität der tiefen digitalen Beugemuskeln, die Vergrößerung des Bewegungsbereichs von Mittelhand und Karpalgelenk sowie die Kraftverteilung unter dem Huf bei gesunden, erwachsenen Sportpferden. Es wurden keine signifikanten Veränderungen in der Zehen-Ballen-Kraftverteilung oder in den Gangveränderungen im Schritt festgestellt.

In einer anderen Studie wurde ein Pferdemodell für Lahmheit im Zusammenhang mit akuter Synovitis (= Entzündung der Gelenkinnenhaut) verwendet, um das Ergebnis einer intraartikulären Injektion von Typ A zu bestimmen. „Gelenkschmerzen sind einer der häufigsten lahmheitsauslösenden Faktoren bei Pferden. Nach der Auslösung einer akuten Synovitis bei Pferden mit normalen Karpi und einer Injektion von Botulinumtoxin Typ A (Botox) in das mittlere Karpalgelenk zeigten nur wenige von ihnen den Beginn einer Lahmheit. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Botulinum-Neurotoxine neben einer neuromuskulären blockierenden Wirkung auch eine schmerzlindernde Wirkung haben.“

Es wurde gezeigt, dass eine Typ-A-Injektion in ein Gelenk die Lahmheit bei Pferden mit akuter Synovitis ohne nachteilige Auswirkungen lindern kann. Sie stellten fest, dass eine ähnliche, kürzlich veröffentlichte Studie zeigte, dass die Injektion von Typ-A in das Karpalgelenk gesunder Pferde keine negativen Auswirkungen auf synoviale und klinische Parameter hat und daher für die Anwendung bei Pferden sicher ist.

Bei Typ B kann es zu Beschwerden kommen, die mit Schmerzen im Navikularknochen und im umgebenden Gewebe einhergehen. Betroffene Pferde zeigten nach der Injektion in den Schleimbeutel mehr als 14 Tage lang eine verbesserte Lahmheit und keine nachteiligen Auswirkungen. Ein vollkommen lahmheitsfreier Zustand konnte jedoch nicht erreicht werden. Um die schmerzstillende Wirkung zu optimieren, können mehrere Injektionen oder höhere Typ-B-Dosen, Konzentrationen oder Volumina erforderlich sein, bevor die klinische Anwendung bei Pferden empfohlen werden kann.

Es wurde auch gezeigt, dass Botulinumtoxin Typ B den Tonus des Schließmuskels (Analsphinkter) bei Pferden verringert. Das Abfohlen ist häufig die Ursache für Dammrisse bei Stuten. Die lokale Injektion von Typ B in den äußeren Schließmuskel von Stuten vor dem chirurgischen Eingriff unterstützte die Heilung und Reparatur aufgrund der vorübergehenden Entspannung des Anus und des geringeren Analtonus. „Die maximale Wirksamkeit wurde in den ersten 15 Tagen nach der Impfung erreicht und verschwand nach etwa sechs Monaten. Obwohl diese Behandlung nicht vollständig erfolgreich ist (nur vorübergehende Entspannung), zeigt sie ein gutes Verbesserungspotenzial.“

Insgesamt seien die bisher bei Pferden erzielten Ergebnisse – auch wenn sie nur teilweise positiv seien – Anlass für weitere Untersuchungen mit größeren Tiergruppen, so das Forscherteam. Angesichts der hohen Empfindlichkeit von Pferden gegenüber Botulinum-Neurotoxinen sei jedoch zu betonen, dass eine sorgfältige Optimierung der Dosierungen zusammen mit dem Zeitpunkt der Verabreichung und Richtlinien zu den Injektionsstellen für den Erfolg der Therapie von entscheidender Bedeutung seien.

Etliche klinische Beweise sprechen für den Einsatz von Botulinum-Neurotoxinen in der Veterinärmedizin – dennoch gebe es aber weiterhin offene Fragen, die geklärt werden müssen, so die AutorInnen: „Weitere Forschung ist erforderlich, um den Mechanismus und die Wirkungsdauer des Toxins sowie die Art und Weise, wie es die Immunantwort des Wirts auslöst, aufzuklären. Dies kann dann zum Design und zur Entwicklung neuer und verbesserter Botulinum-Neurotoxin-Biomoleküle führen, die idealerweise für jedes einzelne selektiv sind, um unterschiedliche klinische Anforderungen, einschließlich zusätzlicher Pathologien, besser zu erfüllen."

Unerlässlich seien weitere präklinische Studien vor allem, „um Patientenauswahl, Indikation, Dosis, Verabreichungssystem und Sicherheit“ besser und klarer zu definieren, so die AutorInnen. Sie betonten, dass bei der Beurteilung des therapeutischen Werts nicht nur die Linderung und Remission der Symptome, sondern auch die Rezidivrate berücksichtigt werden muss. Das Resümee ihrer Übersichtsstudie daher: „Insgesamt unterstützt die Literatur weitgehend die positive Wirkung solcher Toxine bei der Schmerzlinderung und der Behandlung einer Vielzahl von Dystonien und unterstreicht den Bedarf an zusätzlicher Forschung.“

Die Studie „Therapeutic Applications of Botulinum Neurotoxins in Veterinary Medicine" von Lauretta Turin, Marina Michaela Piccione, Fabio Crosa, Paola Dall’Ara, Joel Filipe und Laura Zarucco ist am 13. Juli 2023 in der Zeitschrift ,Veterinary Science' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...

Weitere Artikel zu diesem Thema:

04.08.2021 - Schadhaftes Futter: Neun Pferde auf Reiterhof an Botulismus verstorben20.03.2019 - Botulismus: Heimtückisches Gift tötet zwei Pferde in NÖ29.09.2022 - Fünf Islandpferde im Burgenland verstorben - Vergiftung vermutet
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen