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Studie bestätigt: Enge Kopf-Hals-Position beeinträchtigt Atmung bei Sportpferden erheblich
26.05.2023 / News

Die in der Studie ermittelten Unterschiede im Genickbeugewinkel sind in diesem Bild dargestellt. Bild a zeigt einen 85° Bodenwinkel und 80° Widerristwinkel (grün) – der Genickwinkel ist weiter und die Nasenlinie leicht vor der Senkrechten. Bild b zeigt einen 100° Bodenwinkel und 70° Widerristwinkel (grün), der Genickwinkel ist enger und die Nasenlinie hinter der Senkrechten. Bild c zeigt den digitalen Winkelmesser DAF 220 K von Bosch.
Die in der Studie ermittelten Unterschiede im Genickbeugewinkel sind in diesem Bild dargestellt. Bild a zeigt einen 85° Bodenwinkel und 80° Widerristwinkel (grün) – der Genickwinkel ist weiter und die Nasenlinie leicht vor der Senkrechten. Bild b zeigt einen 100° Bodenwinkel und 70° Widerristwinkel (grün), der Genickwinkel ist enger und die Nasenlinie hinter der Senkrechten. Bild c zeigt den digitalen Winkelmesser DAF 220 K von Bosch. / Grafik: Paula Tilley et.al.

Eine neue Studie zeigt, dass eine Erhöhung der Genickbeugung beim Reiten negative Auswirkungen auf das Atmungssystem und das Verhalten eines Pferdes und damit auf sein Wohlbefinden haben kann – ein Unterschied von nur 15 Grad hat bereits einen enormen Einfluss.

 

Pferde sind Spitzensportler mit einem hohen Sauerstoffbedarf unter Belastung. Sie sind jedoch obligatorische Nasenatmer und können nicht auf Mundatmung umschalten, um das inhalierte Luftvolumen zu erhöhen bzw. den Atmungswiderstand zu verringern. Dies führe zu erheblichen Einschränkungen der Atmung und damit zu einer Beeinträchtigung ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit, so die Wissenschaftlerin Paula Tilley und ihre Kollegen in ihrer Studie.

Dennoch verfügt das Atmungssystem des Pferdes über einige Möglichkeiten, den Atmungswiderstand zu verringern, indem es die äußeren Nasenlöcher erweitert, den Kehlkopf vollständig öffnen und bis zu einem gewissen Grad die Bronchien erweitern kann (Bronchodilatation). Die Reibung und Turbulenzen, die durch den starken Anstieg der Luftgeschwindigkeit während des Trainings verursacht werden, beeinträchtigen diese Anpassungen jedoch, so die Forscher der Universität Lissabon in Portugal – und erklären den zugrundeliegenden Mechanismus:

„Wenn wir reiten, erhöhen wir den Reibungswiderstand, oft unbewusst. Während des Trainings erzeugen Pferde sehr hohe Luftströme mit daraus resultierendem Unterdruck in den oberen Atemwegen, was im Extremfall zu deren Kollaps führen kann. Deshalb wollen Pferde bei Belastung Kopf und Hals strecken, da dies die Luftröhre versteift und diesen Kollaps verhindert. In Disziplinen wie Dressur und Springreiten verlangen wir von den Pferden, die oberen Atemwege auf Höhe des Kehlkopfes und der oberen Luftröhre zu beugen und so das Gefäßvolumen zu verengen – und das bei gleichzeitiger Erhöhung der Luftströmungsgeschwindigkeit während des Trainings.“ Dies führe zu Problemen – es könne zu geringeren Luftströmen oder sogar zu einem dynamischen Zusammenbruch des Atmungssystems kommen.

Die ForscherInnen stellten fest, dass der Einfluss verschiedener Grade der Genickbeugung (Hyperflexion) auf das Wohlergehen von Reitpferden bereits zuvor in Studien untersucht wurde. Die Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften ISES (International Society for Equitation Science) hat jedoch vorgeschlagen, auch geringere Grade der Genickbeugung und deren mögliche Auswirkungen zu untersuchen. Genau dies haben sich Paula Tilley – zusammen mit Joana Simões und José Paulo Sales Luis – in ihrer Studie vorgenommen und die Auswirkungen zweier Genickbeugepositionen mit einem Unterschied von nur 15° auf das Atmungssystem und das Verhalten von Pferden während des Reitens zu bewerten.

20 Dressur- und 20 Springpferde hoher Leistungsklassen wurden im Abstand von drei Wochen zweimal für 40 Minuten geritten, wobei die erste Übungseinheit in einem 85-Grad-Bodenwinkel – also bei einer weiteren Kopf-Hals-Posittion, mit der Nasenlinie leicht vor der Senkrechten – und die zweite in einem 100-Grad-Bodenwinkel – somit bei einer engeren Kopf-Hals-Position, mit der Nasenlinie hinter der Senkrechten – geritten wurde. Die Beugungsgrade sind in der Abbildung oben dargestellt.

Das Konfliktverhalten wurde ebenso aufgezeichnet wie Anzeichen eines drohenden Kollapses der oberen Atemwege, die mit einem speziellen, dynamischen Endoskopie-System überwacht wurden. Das Endoskop samt Mikrokamera wurde nur für die letzten 5 Minuten in den Pferden platziert, damit es die Reitarbeit und die Genickbeugung der Pferde so wenig wie möglich beeinträchtigte. Zu diesem Zweck wurden die Pferde nach 35 Minuten kurz angehalten und ein Team stand bereit, um das von außen eingeführte Endoskop schnell am Pferd zu platzieren. Außerdem wurden arterieller Blutsauerstoff und Laktat, Pleuradruck, Rachendurchmesser sowie Herz- und Atemfrequenz ausgewertet.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Bei Pferden beider Disziplinen wurden bei einem 100°-Bodenwinkel – also bei enger Kopf-Hals-Position mit der Nasenlinie hinter der Senkrechten – sowohl Konfliktverhalten als auch Anomalien der oberen Atemwege häufiger beobachtet, der intrathorakale Druck war höher und der Rachendurchmesser geringer.

Zu den Konfliktverhaltensweisen, die im 100-Grad-Winkel häufiger beobachtet wurden, gehörten Schweifschlagen, Kopfschütteln, das Öffnen des Mauls und übermäßiger Speichelfluss. Bei 85° zeigten die Pferde hingegen häufiger Entspannungsverhalten – mit einem lebendigen Ohrenspiel und häufiger nach vorne gerichteten Ohren.

Im Vergleich zur ersten gerittenen Übung waren im 85-Grad-Winkel die Herz- und Atemfrequenz zu Beginn der zweiten gerittenen Übung niedriger, am Ende jedoch höher. Die niedrigeren Werte zu Beginn des zweiten Tests deuten darauf hin, dass sich die Pferde mit dem Raum, den Menschen und dem Belastungstest vertraut gemacht hatten, sagte das Studienteam.

Die ForscherInnen kamen daher zu einem klaren Resümee: „Die hier gefundenen Unterschiede stützen die Annahme, dass eine Erhöhung der Genickbeugung beim Reiten um nur 15° negative Auswirkungen auf das Atmungssystem und das Verhalten eines Pferdes und damit auf sein Wohlbefinden haben kann“, so die AutorInnen. Sie plädierten auch dafür, den Einfluss der Zeit, die man beim Reiten mit einem Genickbeugungs-Bodenwinkel von mehr als 85° verbringt, weiter zu untersuchen, um die Leistung des Pferdes und die Lebensqualität des Pferdes im Sport zu verbessern und so auf die Bedenken der Öffentlichkeit einzugehen – ließen zugleich aber keinen Zweifel daran, dass ihrer Ansicht nach diese Zeit jedenfalls auf ein Minimum beschränkt werden sollte.

Bei der Diskussion ihrer Ergebnisse stellten die AutorInnen fest, dass bei der Auswertung der oberirdischen Endoskopievideos mehrere dynamische Dysfunktionen der oberen Atemwege deutlich häufiger auftraten, wenn die 100°-Bodenwinkel-Position – sprich: eine enge Kopf-Hals-Stellung – in beiden Reitsportdisziplinen verwendet wurde. Auch die Blutlaktatwerte waren deutlich höher, nachdem die Dressurpferde in der 100°-Bodenwinkel-Position geritten wurden (zweiter Test), bei den Springpferden war dies jedoch nicht der Fall. „Betrachtet man jedoch die Blutproben aller Pferde zusammen, waren die Laktatwerte erneut deutlich höher, nachdem sie in der 100°-Grundwinkel-Genickbeugeposition geritten wurden.“ Der Pleuradruck war bei der 100°-Bodenwinkel-Position in beiden Reitdisziplinen deutlich höher.

Die in der vorliegenden Studie festgestellte signifikante Verringerung des Rachendurchmessers durch die stärkere Beugung des Genicks in beiden Reitsportdisziplinen hat wahrscheinlich zu diesem Ergebnis beigetragen.

In der vorliegenden Studie haben sich einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Reitsportarten Dressur und Springreiten ergeben – und zwar insbesondere beim Konflikt- und Entspannungsverhalten. Für die dynamischen Dysfunktionen der oberen Atemwege gab es diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede. „Die Tatsache, dass es möglich war, anhand einiger Konfliktverhaltensweisen und einiger Entspannungsverhaltensweisen zwischen den beiden Genickbeugepositionen beim Reiten zu unterscheiden, könnte dazu beitragen, Beschwerden beim gerittenen Pferd leichter zu erkennen.“

Zusammenfassend stellten die ForscherInnen fest, dass verschiedene dynamische Dysfunktionen der oberen Atemwege bei Dressur- und Springpferden mit 100°-Bodenwinkel und dadurch bedingter enger Kopf-Hals-Position deutlich häufiger auftraten als bei einem Bodenwinkel von 85° (also weiterer Kopf-Hals-Position und der Nasenlinie leicht vor der Senkrechten). Darüber hinaus traten die meisten Konfliktverhaltensweisen deutlich häufiger bei stärker gebeugtem Genickwinkel auf. „Die hier gefundenen Unterschiede stützen die Annahme, dass eine Erhöhung der Genickbeugung beim Reiten um nur 15° negative Auswirkungen auf das Atmungssystem und das Verhalten eines Pferdes und damit auf sein Wohlbefinden haben kann", so ihr eindeutiges Resümee.

Die Studie „Effects of a 15° Variation in Poll Flexion during Riding on the Respiratory Systems and Behaviour of High-Level Dressage and Show-Jumping Horses" von Paula Tilley, Joana Simões und José Paulo Sales Luis ist am 22. Mai 2023 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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