Dieses Buch wird ohne Zweifel die Herzen der Haflingerfreunde höherschlagen lassen: Der Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften setzt seine bemerkenswerte Pferde-Reihe fort und bietet mit „Haflinger im Spiegel der Wissenschaften" eine umfassende Darstellung der faszinierenden Haflinger-Zuchtgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart.
Die Literatur zur Haflingerrasse wächst unaufhörlich, doch dieses Buch ragt nicht nur in Umfang und Aufmachung aus der Masse heraus: „Haflinger im Spiegel der Wissenschaft" darf ruhigen Gewissens als neues, universelles Standardwerk für alle Kenner dieser Rasse bezeichnet werden, denn wohl kein anderes Buch behandelt das populäre und beliebte Allround-Pferd aus den Alpen so umfassend, kenntnisreich und auf so hohem Niveau.
„Haflinger im Spiegel der Wissenschaft", herausgegeben von Gottfried Brem und erschienen im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist der Abschluss einer Trilogie, die 2011 mit dem Buch „Der Lipizzaner im Spiegel der Wissenschaft" begonnen und 2017 mit „Kaltblutpferde im Spiegel der Wissenschaft" fortgesetzt wurde. Damit wird, wie Gottfried Brem im Vorwort betont, der „aktuelle wissenschaftliche Forschungsstand zu den drei österreichischen Hauptpferderassen komplettiert", und allein dieser Umstand unterstreicht die besondere Stellung und Bedeutung dieses Buches eindrücklich.
Auf mehr als 500 Seiten werden in 25 interessanten Kapiteln nicht nur die historischen Ursprünge der Haflingerrasse nachgezeichnet, sondern auch die neuesten Erkenntnisse zur Zuchtgeschichte, die gegenwärtige Zuchtarbeit und aktuelle wissenschaftliche Studien präsentiert: Zuchtziele, Rassenstandards, der administrative Aufbau der internationalen Haflingerzucht werden ebenso eingehend dargestellt,wie die genealogische Struktur der Hengstlinien und Stutenfamilien. Beiträge zur Farbgenetik, Populationsstruktur, Y-chromosomalen Haplotypenanalyse und genetischen Diversität geben spannende Einblicke in den aktuellen Forschungsstand – und beweisen, wie minutiös und intensiv die Haflingerrasse mittlerweile untersucht und wissenschaftlich analysiert wird.
Hippologisch besonders interessant ist der umfangreiche historische Teil des Buches, der die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Haflingerzucht nachzeichnet und durch zahlreiche Fotos und Abbildungen ein lebendiges Bild des Haflingerpferdes durch die Jahrhunderte vermittelt.
Dabei wird auch deutlich, dass der moderne, bewegungsstarke und elegante Haflinger von heute nur noch entfernt an das einstige stämmige Saum- und Gebirgspferd aus dem Land an der Etsch erinnert, das sein Vorfahr war – und über das der Tierarzt Emanuel Kopatschek im Jahr 1875 nicht gerade schmeichelhaft schrieb: „Die meisten Pferde haben wohl den Typus der Gebirgspferde, starke, stämmige, meist gut gebaute Füße, einen kurzen kräftigen Schluss in der Lende, häufig jedoch ist deren Aussehen durch das stark abgedachte Kreuz, sehr kurzen Schweifansatz, kurzen mittelmäßig gut angesetzten Hals und niedrigen Wiederrest, wodurch sie überbaut erscheinen, als unvortheilhaft zu bezeichnen; das Hinertheil ist gewöhnlich etwas stärker entwickelt als das Vordertheil. Diese Eigenschaften lassen in den Thieren auf den ersten Blick ein wenig veredeltes, ich möchte sagen gemeines Pferd erkennen." Dem weltweiten Siegeszug der Rasse stand dies alles aber nicht im Wege, wie sich zeigen sollte ...
Der Haflinger ist – etwas prosaisch formuliert – ein Kind der Habsburgermonarchie, die mit mehr als 3,5 Millionen Pferden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das nach Russland bedeutendste europäische Pferdezucht- und Pferde-Exportland war. Das Pferd hatte damals als Arbeits- und Zugtier in der Landwirtschaft und für das Militär zentrale Bedeutung, und diese beiden Bereiche beeinflussten auch die weitere Zuchtgeschichte des Haflingerpferdes nachhaltig.
Zur Popularität der Rasse und ihrem späteren Aufschwung trug – wie das Buch ebenfalls belegt – Kaiser Franz Joseph I. maßgeblich bei: Er ritt auf der Jagd – etwa während seiner vielbeachteten Aufenthalte in der Sommerresidenz Ischl – gerne auf Haflingern, die braune Haflingerstute ,Reserl' galt sogar als „Lieblingspony" des Herrschers. Diese auch medial intensiv verbreitete Vorliebe des Kaisers verhalf dem Haflinger „rasch zu Popularität in höchsten Kreisen und erhob den Hafinger in den Rang einer prestigeträchtigen Pferderasse", wie man hier nachlesen kann.
Dies hatte weitreichende Folgen, denn Mitglieder der Hocharistokratie, Großindustrielle und Gutsbesitzer waren „unter den Ersten, die sich nach den Tiroler Bauern um die Zucht des Haflingers bemühten, in dem sie Gestüte gründeten." Zu diesen frühen und für die weitere Zucht sehr einflussreichen Gestüten zählten etwa das Gestüt der Familie Trauttmansdorf in Meran, das Haflingergestüt Kalwang von Rudolf Gutmann in der Steiermark sowie das Gestüt Blühnbach der Krupp'schen Gutsverwaltung in Salzburg. Von diesen österreichischen Privatgestüten – denen im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet ist – gingen später die ersten Impulse zur Etablierung einer Landeszucht in der Ersten Republik aus.
Ein bemerkenswertes Kapitel ist auch dem „Haflinger unter dem Hakenkreuz" gewidmet. Nach dem Anschluss Österreichs im Jahr 1938 avancierte die Haflingerzucht des ehemaligen Österreich alsbald zum „Objekt der Begierde" sowohl des Landwirtschaftsministeriums (des sogenannten ,Reichsnährstands') als auch der Deutschen Heeresverwaltung, da es innerhalb des Deutschen Reichs keine nennenswerte Kleinpferdezucht bzw. keinen Gebirgspferdeschlag gab. Dies führte zu einer großen Förderwelle und einem geradezu sprunghaften Anstieg bei eingetragenen Zuchtstuten und Belegungen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft konnte die Haflingerzucht der Landesbauernschaft Alpenland um fast 50 % gesteigert werden, wie man hier erfährt. Es kam zur Gründung von Tragtieraufzuchthöfen und Heeresfohlenhöfen, um die Divisionen der Gebirgsinfanterie ausreichend mit Pferden zu versorgen. Das Deutsche Oberkommando versprach sich viel vom Haflinger, der als Bergreitpferd und Tragtier eingesetzt wurde – was man auch propagandistisch zu nutzen verstand.
Das Ende dieser Entwicklung ist bekannt – Millionen Pferde, darunter auch viele Haflinger, mussten auf den Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs ihr Leben lassen. Denn auch mit diesem Mythos räumt das Buch gründlich auf: Der Zweite Weltkrieg – nicht der Erste! – war es, der die meisten Pferdeleben forderte. Vor allem die Artillerie, aber auch die Infanterie bestand zum großen Teil aus bespannten Einheiten, und das Oberkommando des Heeres konnte den gewaltigen Bedarf an Zug- und Tragtieren nicht aus dem eigenen Land decken. Das entsetzliche Ergebnis: „Insgesamt schickte der NS-Staat 2,75 Millionen Pfeerde in die Schlacht (ca. eine Million mehr als Russland), und mit einem Pferdeverlust von 1,5 bis 1,75 Millionen Tieren auf deutscher Seite ging der Zweite Weltkrieg als größter Pferdekrieg in die Geschichte ein (Piekalkiewicz 1976) – ein Fakt, der weder von den Historikern noch in der allgemeinen Rezeption berücksichtigt wird."
Nach dem Krieg konnte der Haflinger vom Pony-Boom und der beginnenden Freizeitreiterei profitieren und sich durch eine gelungene Neupositionierung auf einem beachtlichen Niveau halten. Für diese war maßgeblich der Tiroler Haflingerpferdezuchtverband unter der Leitung von ,Haflinger-Papst' Otto Schweisgut verantwortlich, dem es gelang, den Haflinger mit einer gezielten Marketing- und Werbestrategie als vielseitig verwendbares Freizeit- und Familienpferd zu etablieren und zu einer Weltmarke zu formen.
So ist es auch der logische Schlusspunkt es Buches, auf die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten dieser Pferderasse hinzuweisen, die heute als das ,Allroundpferd' schlechthin gilt. Drei Kapitel demonstrieren eindrucksvoll, dass der Haflinger mit seinen einzigartigen Leistungseigenschaften einen fixen Platz in der internationalen Pferdeszene gefunden hat. Ob Wanderreiten, Springen, Dressur, Voltigieren, Fahren, Westernreiten, winterlichen Trab- und Schlittenrennen, Skijöring oder auch Galopprennen – der Vielseitigkeit des Haflingers sind keine Grenzen gesetzt, was im vorletzten Kapitel des Buches (Barbara Schneider sei Dank!) auch bildlich eindrucksvoll dokumentiert wird.
Von besonderer Aktualität ist auch das Thema ,Alpung für Haflinger' bzw. für Pferde insgesamt, dem in diesem Buch ein eigenes, ausführliches Kapitel gewidmet ist und das dem – insbesondere in alpinen Regionen – spannenden Verhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie in der Almwirtschaft nachgeht. Diese hat in Österreich nach wie vor hohen Stellenwert – auch für die Pferdewirtschaft, denn immerhin werden hierzulande jedes Jahr beachtliche 10.000 Pferde aufgetrieben, Tendenz steigend.
Dies ist wohl ein österreichisches Spezifikum und darf insgesamt als sehr positive Entwicklung bezeichnet werden, denn, Zitat: „Die Alpung unterstützt die Entwicklung eines ausgeglichenen und widerstandsfähigen Tieres. Durch die Leistungsfähigkeit und Prägung eines guten Charakters eignen sich diese Pferde besonders gut als Reit-, Fahr- und Arbeitspferde. Durch die Alpung erfolgt ein Zuwachs an weiteren Futterflächen für die Betriebe, die ihren Tierbestand dadurch signifikant erhöhen können. Es kommt zu einer Reduktion der Tierarztkosten und der Betreuungsintensität durch die naturnahe Haltung der Pferde. Die Alpung von Pferden ist von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, da das Pferd als Kulturfolger des Rindes einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung ökologisch wertvoller Flächen leistet."
Wer sich also tiefer in die Welt des Haflingers einlesen möchte, kann dies kaum auf bessere und profundere Weise tun als mit diesem eindrucksvollen, rundum gelungenen Buch, das für Haflingerfreunde uneingeschränkt zu empfehlen ist und auf keiner – weihnachtlichen oder sonstigen – Wunschliste fehlen sollte!
Gottfried Brem (Hg.): Haflinger im Spiegel der Wissenschaft, 584 Seiten, Format 29,7 x 21 cm, mit zahlreichen Farb- und s/w-Abbildungen. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2023. Preis: 98,– Euro. Bestellung ist über diesen Link möglich.