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Verabreichung von Medikamenten wird oft nicht im Pferdepass vermerkt
19.10.2023 / News

Besorgniserregend: In über 65 % der untersuchten Pferdepässe von Wallachen war die Kastration nicht dokumentiert.
Besorgniserregend: In über 65 % der untersuchten Pferdepässe von Wallachen war die Kastration nicht dokumentiert. / Symbolfoto: Archiv Martin Haller

Ein Forscherteam der Freien Universität Berlin stellte am Beispiel der Kastrations-OP besorgniserregende Lücken in der Dokumentation von Medikamentengaben im Pferdepass fest. Dies könnte zu Arzneimittel-Rückständen im Pferdefleisch führen und ein potenzielles Risiko für Verbraucher darstellen, so ihre Warnung.


In der Europäischen Union wurden Pferdepässe als Identifikationsdokument für Pferde, Esel, Zebras und Hybriden eingeführt, um eine sichere Unterscheidung zwischen Schlachtpferden und Nicht-Schlachtpferden zu ermöglichen.

Die europäischen Gesetze unterscheiden grundsätzlich zwischen Schlachtpferden (deren Fleisch oder andere Produkte in die menschliche Nahrungskette gelangen dürfen) und Nicht-Schlachtpferden (die nicht geschlachtet werden dürfen, damit sie nicht in die menschliche Nahrungskette gelangen). Wenn ein Pferd zur Schlachtung bestimmt ist, um Fleisch für den menschlichen Verzehr zu gewinnen, ist die Verwendung bestimmter Medikamente verboten oder darf nur unter Einhaltung bestimmter Vorschriften verwendet werden.

Die dafür vorgesehene „Positivliste für Pferde“ wurde 2006 in der EU eingeführt. Ihr Ziel war es, angemessene Behandlungsmöglichkeiten und Zugang zu wichtigen Medikamenten für Schlachtpferde sicherzustellen. Bei der „Positivliste“ handelt es sich um ein Verzeichnis mit Medikamenten, die unter bestimmten Bedingungen bei Pferden, die für die Schlachtung vorgesehen sind, verabreicht werden dürfen, zusätzlich zu Medikamenten, die für andere Nutztiere zugelassen sind.

Für alle Medikamente der „Positivliste“ beträgt die Wartezeit (Abbaufrist) sechs Monate – und jede Einnahme muss im Pferdepass jedes Pferdes dokumentiert werden. Zur Behandlung von Nicht-Schlachtpferden können alle Medikamente verabreicht werden, die bei Tieren zugelassen sind.

Shary Tamara Schneider und ihre KollegInnen stellten in der Zeitschrift ,PLOS ONE' fest, dass eine korrekte Dokumentation besonders wichtig sei, da die Wartezeit für diese Medikamente bei Schlachtpferden lang sei. In ihrer Forschung verglichen sie die Ergebnisse zweier Teilstudien:

– Im ersten Schritt wurden 116 Tierärzte und neun Pferdekliniken in Deutschland zu Methoden und Medikamenten zur Kastration von Hengsten befragt.

– In der zweiten Teilstudie wurden die Einträge in 195 Equidenpässen, die zu 194 Pferden und einem Esel gehörten, analysiert.

Die Erhebung der Daten aus den Pferdepässen erfolgte im zweiten Halbjahr 2021 an der Klinik für Pferde der Freien Universität Berlin und in vier Pferdepensionsställen in drei Bundesländern.

In der ersten Studie stellten die Forscher fest, dass die am häufigsten angewandte Kastrationsmethode das „Hinlegen“ des Tieres war. Medikamentenkombinationen, die mindestens ein Medikament der „Positivliste“ enthielten, wurden von 86,7 % der 105 Tierärzte, die Pferdehengste „im Liegen“ kastrierten, und von 64,3 % der 56 Tierärzte, die diese Methode bei Eselhengsten anwendeten, eingesetzt.

Von den Medikamenten-Kombinationen zur stehenden Kastration enthielt ein Drittel mindestens ein Medikament aus der „Positivliste“ (4 von 12 Pferden und 3 von 9 Eseln).

In der zweiten Teilstudie wurde die Drogendokumentation nur bei 4,6 % (9/195) aller Pferde und bei nur 12,0 % der Schlachtwallache (3 von 25 Pferden) in den Pässen nachgewiesen. Anästhetika aus der „Positivliste“ waren nur in 4,0 % der Pferdepässe von Schlachtwallachen dokumentiert – also nur bei 1 von 25 Tieren.

„Aufgrund der hohen Diskrepanz zwischen den von Tierärzten verwendeten Medikamentenkombinationen und den tatsächlichen Dokumentationen in Pferdepässen kommen wir zu dem Schluss, dass die Verabreichung von Medikamenten in Pferdepässen in Deutschland nur sehr selten dokumentiert ist. Dies könnte zu Medikamentenrückständen im Pferdefleisch führen und ein potenzielles Risiko für Verbraucher darstellen“, so das Studienteam.

Bei der Diskussion ihrer Ergebnisse sagten die ForscherInnen, dass sie aufgrund der Zahlen zu dem Schluss kommen, dass die Arzneimitteldokumentation für die Kastration von Schlachtwallachen in 26 bis 96 % der Pferdepässe entweder nicht korrekt ist oder gänzlich fehlt. „Wir gehen daher davon aus, dass eine Arzneimitteldokumentation in Pferdepässen in der Regel häufig nicht erfolgt.“ Die fehlende Dokumentation in Pferdepässen könne auf fehlende Kenntnisse über die geltenden Arzneimittel-Dokumentationsverfahren zurückzuführen sein, da mehr als 50 % der deutschen Tierärzte, die Pferde behandeln, nur mäßige bis gar keine Kenntnisse über die Regelungen zur „Positivliste“ hätten “.

Und die Forscher entdeckten noch einen weiteren Schwachpunkt: „Obwohl keinem der beobachteten Equidenpässe die erforderlichen grundlegenden Informationen fehlten, unterschied sich der allgemeine Aufbau der Equidenpässe je nach ausstellender Institution sowie zwischen den verschiedenen europäischen Ländern. Dies könnte die korrekte und gründliche Dokumentation für Tierärzte zusätzlich erschweren, insbesondere in stressigen klinischen und praktischen Situationen, in denen die Zeit für die Dokumentation begrenzt ist.“

Die Folge: In über 65 % der Pferdepässe von Wallachen war die Kastration nicht dokumentiert. „Das ist offensichtlich problematisch“, so die AutorInnen, „denn durch die Kastration verändert sich das Aussehen des Tieres, eine eindeutige Identifizierung über den Equidenpass ist nicht mehr möglich.“ Wallache mit unvollständiger Dokumentation sollten daher vom Eintritt in die Nahrungskette ausgeschlossen werden, hieß es.

Immerhin gebe es einen begrüßenswerten Fortschritt, so das Forschertam: „Erfreulicherweise wurde im neuen Musterdokument für die Pferdepässe ein eigenes Feld zur Dokumentation der Kastration vorgesehen. Es wäre interessant, wenn zukünftige Untersuchungen eine deutliche Verbesserung der Kastrationsdokumentation zeigen könnten.“ Den EU-Mitgliedsstaaten steht es jedoch frei, vom neuen Musterdokument abzuweichen und eine eigene Version umzusetzen, wie die AutorInnen anmerkten.

Das Studienteam sagte, einer der wahrscheinlichsten Gründe für Arzneimittelrückstände im Fleisch könnte die Nichteinhaltung der Arzneimittelentzugsfrist sein. „Bei Arzneimitteln aus der ‚Positivliste‘ ist die korrekte Dokumentation der Wartezeit von sechs Monaten im Pferdepass besonders wichtig, um Informationsverluste zu vermeiden. Eine fehlende Arzneimitteldokumentation im Pferdepass könnte eindeutig zu einem potenziellen Risiko von Arzneimittelrückständen für Pferdefleischkonsumenten führen.“

Dieses Risiko werde durch die im Vergleich zu anderen Fleischsorten in Deutschland kontinuierlich höheren Arzneimittel- und Chemikalienrückstände in Pferdefleisch bestätigt: So waren im Jahr 2018 in Deutschland etwa 4,5 % der untersuchten Pferdefleischproben positiv auf diese Rückstände, im Gegensatz zu etwa 0,3 % der Schweinefleisch- und 0,6 % der Rindfleischproben. Im Jahr 2019 war die Diskrepanz zwischen positiv getesteten Proben geringer, aber immer noch hoch: Weniger als 1 % der Pferdefleischproben wurden positiv getestet, im Vergleich zu weniger als 0,4 % der Schweinefleisch- und etwa 0,5 % der Rindfleischproben.

Auch im Jahr 2020 enthielten Fleischproben von Pferden häufiger Arzneimittelrückstände als Schweine- oder Rindfleisch. „Dieser Trend war auch auf EU-Ebene spürbar“, sagten sie. Das Studienteam wies abschließend auf mehrere Einschränkungen seiner Untersuchung hin – beispielsweise die Einbeziehung nur eines Esels. Dies ändere jedoch nichts an ihrer Annahme, dass die fehlende Dokumentation im Pferdepass und die damit verbundenen Risiken für Pferdefleischkonsumenten und die Pferdepopulation auf Deutschland übertragbar seien.

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arzneimitteldokumentation in Pässen von zur Schlachtung bestimmten Pferden selten vollständig ist, was zu einem potenziellen Gesundheitsrisiko durch den Verzehr von Arzneimittelrückständen für Pferdefleischkonsumenten in Deutschland führt und außerdem die Gesundheit der einzelnen Pferde beeinträchtigt.“

Sie wiesen auch darauf hin, dass weitere Untersuchungen notwendig seien, um festzustellen, ob die fehlende und unvollständige Dokumentation von Kastrationen und verabreichten Medikamenten in Pferdepässen ein generelles Problem in der Europäischen Union darstelle. Daher ihre Forderung: „Das Bewusstsein für die Risiken, die eine fehlende Arzneimitteldokumentation für Menschen und Pferde mit sich bringt, sollte bei Pferde behandelnden Tierärzten geschärft werden.“

Die Studie „Verification of documentation plausibility in equine passports–drug documentation for geldings in comparison to self-reported veterinarian drug usage for equine castrations in Germany" von Shary Tamara Schneider, Rudi Isbrandt, Heidrun Gehlen, Nina Langkabel und Diana Meemken ist am 18. Okt. 2023 in der Zeitschrift ,PLOS ONE' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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