Pferdefreunde haben nicht nur die Verpflichtung, in Not geratenen Mitmenschen zu helfen, sondern auch bei Notfällen mit Pferden helfend einzugreifen oder zumindest für rasche Hilfe zu sorgen. Dabei ist ein großes Maß von hippologischem Verständnis und Wissen erforderlich, wie der alte Herr erklärt.
„Ja Sie haben recht!“ sagte der alte Herr auf die Frage seiner jungen Gäste nach seinen Lehraufträgen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, „ich hatte jahrelang – bis zu meinem Rückzug - Lehraufträge zu Präklinischem Notfallmanagement, zur Katastrophen-Veterinärmedizin und zum Sachverständigenwesen, aber auch zur Forensischen Veterinärmedizin.
Der erste Lehrauftrag wurde mir aber bereits im Jahre 2001 erteilt und zwar zum Thema >Pferdesport – Sportpferdetraining – Rehabilitation<. Der damalige Studiendekan hatte eine reitende Tochter, deren Fragen zu ihrem eigenen Pferde an der Universität damals niemand beantworten konnte – deshalb wurde ich als Externer geholt. Mein Lehrbuch >Sportpferde in Training und Wettbewerb< war kurz vorher erschienen, meine umfangreiche, auch internationale Tätigkeit im Pferdesport war offenbar nicht unbemerkt geblieben.
Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass >Pferdemenschen< neben ihrer Verpflichtung, körperlich und seelisch in Not geratenen Mitmenschen helfen zu müssen, auch für Pferde, nämlich über eigenen hinaus, eine moralische Mindest-Verpflichtung zur Hilfestellung haben – eine gesetzliche Verpflichtung dazu definiert das Tierschutzgesetz in den Paragraphen 9 und 15, wobei hier auch klar ausgedrückt wird, dass die „Veranlassung von Hilfestellung jedenfalls (und Jedem) zumutbar“ ist.“
„Die Bezeichnung >Präklinisches Notfall-Management< klingt recht sperrig und kompliziert – was ist darunter im Detail zu verstehen?“ die junge Dame, bei der sich Wissbegier und kritischer Geist die Waage hielten, gab zu erkennen, dass sie geschwollenen medizinischen Fachausdrücken etwas skeptisch zu begegnen pflegt.
Der alte Herr runzelte die Stirn, nahm die Brille ab und fasste zusammen: „Ihre Frage, mein geschätztes Fräulein, ist mehr als berechtigt: wir Mediziner gehen immer davon aus, dass unser Fach-Vokabular jedem Mitmenschen verständlich ist …….“; Der junge Herr hatte etwas spöttisch eingeworfen „ So wie Mediziner immer glauben, >normale Menschen< könnten ihre Handschrift entschlüsseln??“ – „……nun ja, wie auch immer….“ fuhr der alte Herr etwas pikiert fort „ Notfallmanagement ist eine Synthese aus Taktik, Technik und Medizin, also darunter sind sämtliche Tätigkeiten an einem Unfall- oder Schadensort zu verstehen, die zur schonenden Rettung von Patienten bis zur Weiterversorgung, Transportstabilisierung oder zum fachgerechten Transport in der Zeitspanne von Schadensereignis bis zum Eintreffen in der Klinik bzw. zur Fachversorgung vor Ort notwendig sind.
Bei Notfällen mit Pferden, also in Ausnahmesituationen, ist hier auch ein großes Maß von hippologischem Verständnis und Wissen erforderlich!“
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Die Vorlesung „Präklinisches Notfallmanagement“ basierte auf reicher praktischer Erfahrung aus Realfällen und Übungen mit Rettungsorganisationen- für unsere nächsten Zusammentreffen zu Kamingesprächen über Notfälle, Erste Hilfe und Rettung von Pferden werde ich Filme zu diesem Themenbereich vorbereiten und Ihnen so die Möglichkeit eröffnen, direkt in die „Rote Zone“ hineinzuschauen, die Ihnen sonst verboten ist.
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„Die ersten, für uns damals relevanten Anstöße kamen nicht, wie man vermuten könnte, aus Großbritannien, sondern aus der Schweiz. Der dort sehr bekannte Schweizer Spezialtierarzt für Pferde, wie man fachlich spezialisierte Tierärzte in diesem Land bezeichnet, Prof. Dr. Björn von Salis hatte um 1990 die Ausbildung von Laien zu Ersthelfern für Pferde eingeführt – er nannte diesen neuen Ausbildungsweg „Pferde-Samariter“. Ich lernte den Kollegen Björn von Salis in dieser Zeit als sehr innovativen Pferdetierarzt kennen, und folgte zunächst seinem Vorschlag, diesen Ausbildungsweg auch nach Österreich tragen, wobei sich aber hierzulande sehr schnell zwei bemerkenswerte Phänomene zeignten: zum einen standen viele Interessenten dem Begriff „Samariter“ skeptisch gegenüber, weil damit „Samariter-Bund“ assoziiert wurde und zum zweiten wurde die alleinige Bezogenheit auf Erste Hilfe für Pferde als zu engstirnig bemessen angesehen. Nicht ganz zu Unrecht wurden die Schweizer Pferdesamariter als eine Kleinmäderl-Truppe mit Rucksackerl und T-Shirt angesehen und ein wenig belächelt!“
„Mit diesem Image haben Sie aber gründlich aufgeräumt!“ sagte die junge Dame in Erwiderung auf die einleitenden Worte des alten Herren, „wie ist Ihnen dies gelungen?“
Eidgenössische Militärpferdeanstalt Bern 1997 – Erster Kurs für Notfallbehandlungen im Pferdesport – dem sehenden Auge wurde schnell klar, dass nicht alle Notfall-Gerätschaften geeignet waren:
Linkes Bild: ein Pferd hat 5/9 seines Gewichtes auf die Vorhand verteilt, es ist also kopflastig und fällt – nicht zusätzlich mit dem Kopf gesichert – aus dem Gurt. Ich habe bei Heli -Bergungen dem Grand Canyon dreimal solche Zwischenfälle erlebt – der Captain kam jedes Mal sehr in Bedrängnis.
Rechtes Bild: Auch für Rettungen gilt das oberste medizinische Prinzip: “Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare” (übersetzt aus der lateinischen Sprache: „Erstens nicht schaden, zweitens Vorsicht walten lassen, drittens heilen“); Einschnürungen und Quetschungen (Gesäuge, Schlauch, Brustapertur) sind hier – Angst erzeugend – vorprogrammiert.
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„Im Jahre 1997 nahm ich am allerersten Kurs teil, der zum Thema >Notfallbehandlung bei Pferdesportwettkämpfen< von der European School for Advanced Veterinary Studies (im Rahmen des Leonardo da Vinci – Programms der EU) in Zürich veranstaltet worden war, wenig später dann an einem Ergänzungskurs in Bern an der EMPFA (Eidgenössische Militärpferdeanstalt).
In beiden Fällen kam ich zu zwei entscheidenden Erkenntnissen:
– Ersthelfer für Pferde müssen im System der Rettungsorganisationen angesiedelt sein
– Ersthelfer für Pferde müssen auch in Erster Hilfe für Menschen sattelfest sein.
Als logische Folge erfolgte die allgemein und breit akzeptierte Erweiterung des Curriculums mit Unterweisungen seitens der Feuerwehren und Rettungsdienste, der verpflichtende Teilnahme an einem Großen Erste Hilfe Kurs für Menschen als Voraussetzung für die Ausbildung und damit insgesamt verbunden die Umbenennung in Pferde-Sanitäter mit gleichzeitiger Implementierung der Notfall-Trias als Handlungsmaxime am Unfall-/Schadensort:
– Erkennen
– Überlegen
– Handeln.
Die Grund-Kurse dauerten 4 Tage (Zwei Wochenenden) und wurden mit einer kommissionellen Prüfung abgeschlossen, wobei ein Prüfer jeweils vom Bundesfachverband für Reiten und Fahren entsandt wurde – viele Jahre war das der geschätzte Wanderreit-Referent Josef Kaiser.
Das Kursprogramm bestand aus:
– Anatomie und Physiologie, PAT-Werte, Notfall-Check
– Das verletzte Pferd, Schmerzbehaftung, Schmerztabelle
– Absatteln, Abschirren in Ausnahmesituationen, Retten und Bergen
– Absichern einer Unfallstelle beim Pferdeunfall
– Einleiten der Rettungskette
– Verbandslehre bei Pferden
– Rettungsfahrzeuge für Pferde
– Verladen eines verletzten/kranken Pferdes
– Relevante Gesetzeslage und Tierschutz
– Pferdekrankheiten
– Material – Instrumenten- und Verbandskunde
– Tierarzt-Assistenz und Notfall-Labor
– Lehre vom Schock
– Lehre von den Wunden und deren Versorgung
– Verhalten im Notfall
– Giftpflanzen
– Notfall-Management
– Das sterbende Pferd, Euthanasie und Nottötung
– Praktische Übungen zur Erhebung des Notfallchecks, zur Verbandslehre und zur Gesamtbeurteilung eines Pferdes.
Das Profil von Pferdesanitätern – weiblich und männlich – war und ist von der gesetzlichen Lage bestimmt:
– Tierschutzgesetz
o § 5 Tierquälerei
o § 6 Verbot der Tötung
o § 9 Hilfeleistungspflicht
o § 15 Versorgung bei Krankheit und Verletzung
– Strafgesetz
o § 222 Tierquälerei
– Allgemein bürgerliches Gesetz
o § 1320 Halterpflichten
o § 1035 Geschäftsführung ohne Auftrag
o § 1036 Geschäftsführung im Notfall
o § 1294 Schadenersatz
o Allgemeine Verkehrssicherungspflicht
o § 1299 Sachverständigenparagraph
o § 1315 Gehilfenhaftung
o § 1332 a Wert der besonderen Vorliebe
– Tierärztegesetz
o § 12 Vorbehaltene Tätigkeiten – Notfallkompetenz
Schock- und akutes Schmerzgesicht: grimassenhafte Starre, nach Innen gekehrter Blick, reduzierte Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Gefahr einer „Spontan- Explosion“.
Das wichtigste und bedeutsamste Lehr- und Ausbildungsziel besteht und bestand stets in der Schaffung einer Entscheidungsgrundlage, ob eine alleinige Versorgung durch Pferdesanitäter fachlich und rechtlich zulässig ist oder ob tierärztliche Akut- und Weiterversorgung zwingend geboten ist. Diese Entscheidung ist nur auf Basis eines dokumentierten Notfall-Checks rechtskonform und gerichtsfest.
Das Wissen um die Werte und Interpretation der Befunde des Notfall-Checks ist zwar wertvoll, aber von geringem praktischen Wert, wenn der Pferdehalter nicht in der Lage ist, diese Befunde selbst zu erheben – und diese Techniken wollen gründlich erlernt sein, von erfahrenen Ausbildnern – natürlich aller geschlechtlichen Varianten und Facetten.
Ein Druckverband bei klaffenden oder stark blutenden Wunden an den Extremitäten muss gekonnt angelegt werden, soll er dem folgenden Heilungsprozess förderlich sein.
„Um die Ausbildung der Pferdesanitäter und – etwas später – der Fire&Emergency VETs möglichst umfassend zu gestalten, habe ich mich selber in diesen Jahren – neben den rein beruflichen Fortbildungen – intensiv weitergebildet: Kurs für Psychologisches Debriefing Level I und II am Institut für Psychotrauma Schweiz (2003); Ausbildung für Krisenintervention in der Notfallmedizin (2001) Österr. Rotes Kreuz; Ausbildung zum Sanitätshelfer (2002) Österr. Rotes Kreuz; Defibrillator Zertifizierung (2002) Österr. Rotes Kreuz; RK Haupthelfer (2005) Österr. Rotes Kreuz; Traumatologie und Krisenintervention (2007) Österr. Rotes Kreuz; Dopingproben und Probenmanagement (2003) BFV f. Reiten und Fahren in Österreich; Katastrophenschutz (2010) Brandschutzforum Austria; Neue Wege der Schmerztherapie durch Hochenergetische Impulstherapie (2010) Guth Meditec GmbH.“
„Wenn ich Ihre Schilderungen überdenke, bestehen eigentlich nur mehr wenige Unterschiede in den Notfall-Versorgungen zwischen Menschen und Pferden, oder Tieren ganz allgemein?“ gab die junge Dame zu Bedenken.
„Nun ja, da trügt der Schein etwas – es ist zwar richtig, dass rein medizinisch Fachkönnen in der Veterinärmedizin kaum mehr hinter jenem der Humanmedizin zurücksteht, dennoch sind einige grundlegende Unterschiede zu bedenken. Bei der Versorgung von Humanpatienten unterscheidet man zwei unterschiedliche Systeme: >stay & play< heißt die Methode, die bemüht ist, eine möglichst intensive Versorgung – speziell bei Großschadensereignissen – an Ort und Stelle durchführen; dazu wurde die Sanitätshilf-Stelle (SANHIST) entwickelt mit Triage und gestaffelter Versorgung Vorort – mit dem Ziel, ein Chaos nicht in die Spitäler zu transportieren und unnötig Ressourcen zu binden.
In den angelsächsischen Ländern wird eher das System >take&run< praktiziert, also ein rascher Transport zu Ambulanzen und Spitälern.
Bei Pferden besteht in Abhängigkeit von den lokalen Möglichkeiten (Transport, Pferdeklinik) meist eine Mischform.
Aber es besteht noch ein anderer, wesentlicher Unterschied: die präklinische und weitere Versorgung war dann ein Erfolg, wenn der menschliche Patient korrekt erstversorgt wurde, der Weitertransport ins Krankenhaus klaglos verlief und er das Spital – wie auch immer – wieder verlassen hat.
Die präklinische und weitere Versorgung eines Pferdes war – in den Augen der meisten Pferdebesitzer – aber nur dann ein Erfolg, wenn Erstversorgung, Weitertransport und Klinikbehandlung ordnungsgemäß vonstatten ging – und das Pferd im Anschluss wieder gesund und ohne Einschränkung einsatzfähig ist- sonst droht Ersthelfern, Tierärzten oder Kliniken ein Schadenersatzverfahren.
Neben korrekter Arbeit gemäß einem Ausbildungsregulativ ist Nachvollziehbarkeit aller Interventionsschritte auf Basis genauer Dokumentation der einzig verlässliche Weg, gerichtliche Unannehmlichkeiten zu vermeiden.
Notfallmedizin und medizinisches Notfall-Management sind keine Tummelplätze für Selbstdarsteller, die ungern selber Hand anlegen.
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