News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Reiterin: "Es ist völlig ok, einmal nicht völlig ok zu sein!"
17.10.2023 / News

Jennie Sharpe hat viel durchgemacht und manche Krise überwunden – heute ist sie ein Beispiel und eine Inspiration für andere.
Jennie Sharpe hat viel durchgemacht und manche Krise überwunden – heute ist sie ein Beispiel und eine Inspiration für andere. / Grafik: FEI

Vor einem Jahr wollte sich die Britin Jennie Sharpe noch das Leben nehmen – heute ist sie mit ihrer Beeinträchtigung eine Inspiration für andere und für den FEI-Award 2023 nominiert.


Jennie Sharpe war eine 28-jährige Gefängnisbeamtin und Amateurreiterin, als 2018 bei ihr das Cauda-equina-Syndrom diagnostiziert wurde – ein Querschnittssyndrom, bei dem bestimmte Nerven in der Rückenmarksregion so zusammengedrückt und beschädigt sind, dass sie nicht mehr funktionieren. Dies hatte bei Jennie Sharpe dramatische Konsequenzen: Sie kann die Rückseite ihres rechten Beins, ihre Füße und ihre Genitalien nicht mehr spüren, und ihre Blase und ihr Darm funktionieren nicht mehr.

Die behandelnden Ärzte sagten Jennie, dass sie wahrscheinlich nie wieder gehen oder reiten können würde, aber nach sechs Monaten saß sie wieder im Sattel. Sie unterzog sich einer weiteren Notoperation an der Wirbelsäule und ließ sich im Januar 2023 einen Stomabeutel (einen künstlichen Darmausgang) anlegen, woraufhin sie einen Sepsis-Anfall erlitt, den sie glücklicherweise überstehen konnte. Insgesamt aber verbesserte dieser Eingriff ihre Lebensqualität enorm, wie Jennie Sharpe gegenüber dem Magazin ,Horse&Hound’ bestätigte: „Ich verbringe nicht mehr vier Stunden pro Tag auf der Toilette – ich leere den Beutel und mache weiter.“ Und Jennie machte so gut weiter, dass sie dieses Jahr sogar am CSI2* – dem Londoner Ableger der Global Champions Tour – teilgenommen hat, was angesichts ihres schwierigen Zustands ein unglaublicher Erfolg war.

In der FEI-Nominierung heißt es weiter: „Jennie ist eine Inspiration für andere und wird für ihre offene Art und Weise, mit der sie die Probleme angeht, mit denen sie konfrontiert ist, sehr geschätzt. Sie hat einen langen Weg zurückgelegt und viel Belastbarkeit und Stärke bewiesen, was andere ermutigt hat. Jennie hat auch viele Menschen mit mangelndem Selbstvertrauen und psychischen Problemen aktiv unterstützt, sei es in ihrem Stall oder bei anderen Gelegenheiten. Jennie selbst hatte nicht immer diese mentale Stärke und macht ihren Followern deutlich, dass es völlig ok ist, einmal nicht völlig ok zu sein.“

Was sich hinter diesem scheinbar harmlosen Satz verbirgt, hat Jennie Sharpe gegenüber ,Horse&Hound’ öffentlich gemacht – nämlich einen gescheiterten Selbstmordversuch vor knapp einem Jahr: „Ich wollte mir zu Weihnachten das Leben nehmen, weil ich dachte, dass es keinen Ausweg mehr für mich gäbe. Ich dachte, für mich würde dieses Leben nur noch Schmerz und Unglück bereithalten. Es gab damals einige Kommentare darüber, dass ich zu fett zum Reiten und nicht gut genug wäre. Das alles wurde mir irgendwann zuviel, und ich dachte nur noch: ,Ich will das alles nicht mehr!’“

Mittlerweile kann Jennie ehrlich und offen über ihren Selbstmordversuch sprechen: „Die Menschen müssen wissen, dass ihre Taten und Worte andere verletzen können. Man weiß nie, ob jemand buchstäblich am Abgrund steht, am liebsten nicht mehr da sein möchte – und es kann dieser eine Satz sein, der ihm den letzten Stoß versetzt. Ich weiß nicht, warum Menschen so grausam zueinander sein müssen.“

Mit einer Nominierung für den FEI-Award hätte sie niemals gerechnet – und sie hat es auch kaum glauben können, als ihr mitgeteilt wurde, dass sie in die engere Auswahl gekommen sei: „Das habe ich überhaupt nicht erwartet“, so Jennie Sharpe: „Ich glaube nicht, dass ich auch nur im geringsten eine Inspiration bin – ich bin einfach ehrlich und sehe keinen Sinn darin, irgendetwas zu beschönigen. Jeder macht irgendwann schlimme Zeiten durch und hat auf die eine oder andere Weise zu kämpfen.“

Sie versucht, das Beste aus allem zu machen – aber auch zu akzeptieren, dass das nicht an allen Tagen möglich ist: „Es klingt wie ein Klischee, aber an manchen Tagen wird es einem nicht gut gehen, und man wird es trotzdem irgendwie schaffen. Man kann ruhig denken: ‚Ich hasse das Leben heute‘.“ Früher war ich immer auf 100 % und völlig aufgedreht – heute sage ich mir, dass es in Ordnung ist, einmal einen entspannten Tag zu haben, eine Pause einzulegen und Dinge neu zu bewerten.“

Und weiter: „Die Leute fragen mich, wie ich damit zurechtkomme, aber ich denke, es hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich bin jetzt einfühlsamer und mitfühlender und bin mir der Umstände und Probleme der Menschen bewusster. Ich bin in Therapie – und komme an manchen Tagen trotzdem nicht aus dem Bett. Nach dem Nervenkitzel bei der Global Champions Tour oder nach der ,Horse-of-the-Year-Show’ letzte Woche komme ich nach Hause und habe eine Krise. Aber dann schaue ich mir die Fotos an, die mir der Fotograf nach der GCT mit den Worten geschickt hat: „Ich möchte nur, dass du weißt, wie stolz wir alle auf dich sind.“ Wenn ich also in einer Krise stecke, schaue ich sie an und denke: ‚Wenn ich das kann, kann ich alles tun, was ich will‘.“

Vielleicht sogar einen FEI-Award in der Kategorie ,Inspiration’ (Pivo FEI Inspire) gewinnen – bis 22. Oktober kann man noch wählen! Wir drücken jedenfalls die Daumen – hier geht’s zur Abstimmung! Mit den FEI Awards werden Einzelpersonen und Organisationen ausgezeichnet, die einen herausragenden Beitrag zum Fortschritt und zur Exzellenz des Pferdesports leisten, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Arena.

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen