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Neuer Wundspray verhindert Bildung von "wildem Fleisch" bei Pferden
27.03.2024 / News

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein neuartiger synthetischer Hautspray die Wundheilung bei Pferden unterstützen könnte, indem die Bildung von übermäßigem Granulationsgewebe – sogenanntem ,wildem Fleisch' – hintangehalten wird.

 

Pferde verletzen sich im Alltag gar nicht selten – und Wunden an den Beinen, speziell den Unterschenkeln, heilen besonders langsam, wobei häufig überschüssiges Granulationsgewebe beteiligt ist. Dieses übermäßige Gewebewachstum, allgemein bekannt als „wildes Fleisch“, stellt eine erhebliche Herausforderung für die Wundversorgung von Pferden dar, da es die weitere Heilung behindern kann, wenn es aus der Wundstelle herausragt und ein Schließen der Wundränder nicht mehr möglich ist. in diesen Fällen muss eine weitere Behandlung (z.B. Verbände oder spezielle Medikamente) durch den Tierarzt erfolgen, um das „wilde Fleisch" zurückzudrängen und den Heilungsprozess wieder in Gang zu bringen. In gravierenden Fällen muss das wuchernde Gewebe aber auch entfernt werden.

Ein französisches Forscherteam hat die Wirksamkeit eines neuartigen synthetischen Epidermissprays (SES – Novacika®, Cohesive S.A.S, France) bei der Förderung der Wundheilung untersucht. Unter der Leitung von Charlotte C. Paindaveine von der Ecole Nationale Vétérinaire de Lyon führten die Forscher eine kleine klinische Studie durch, um die Heilungsergebnisse experimenteller chirurgischer Wunden zu vergleichen, die entweder mit SES-Spray behandelt oder einer herkömmlichen Wundbehandlung unterzogen wurden.

Die Studie, die im Fachjournal ,PLoS One’ veröffentlicht wurde, umfasste die Herstellung standardisierter chirurgischer Wunden (ca. 2,5 x 2,5 cm) an den vorderen Gliedmaßen von sechs erwachsenen Warmblutstuten. Diese Wunden wurden anschließend nach dem Zufallsprinzip entweder mit SES oder einem klassischen Wundverband (= Kontrollgruppe) behandelt.

Polymerisation des synthetischen Epidermis-Sprays auf dem linken Vorderbein mittels UV-Bestrahlung. Das rechte Vorderbein wurde mit einem konventionellen Wunderband behandelt. Foto: Charlotte C. Paindaveine et.al.

 

Für die SES-Behandlung wurde das Spray, das ultraviolett polymerisierbare Methacrylatmonomere, Comonomere, Vernetzer und einen Photoinitiator enthielt, auf die Wunde aufgetragen und anschließend mittels UV-Licht für 60 Sekunden in einem Abstand von etwa 30 cm polymerisiert (Abb. 1). Sie wiederholten den gleichen Vorgang, um eine zweite Schicht des Sprays zu fixieren. Die SES-Behandlung wurde nur am Tag 0 durchgeführt, eine weitere Anwendung gab es nicht.

Die Behandlung der Kontrollgruppe bestand aus einem nichthaftenden Wundauflage, die mit Verbandmull und selbsthaftendem Verband an Ort und Stelle gehalten wurde, was eine übliche Behandlung für oberflächliche Wunden im Alltag wäre. Die Kontrollbehandlung wurde alle 4 Tage bis zum Ende der Studie wiederholt, um die tierärztliche Nachuntersuchung vor Ort nachzuahmen.

Die Wunden wurden in der SES-Behandlungsgruppe täglich und in der Kontroll-/bandagierten Gruppe alle 4 Tage beurteilt.

 

Am rechten Vorderbein, dessen Wunden mit herkömmlichen Verbänden behandelt wurden, zeigt sich deutlich die Bildung von ,wildem Fleisch' (= Hypergranulation) sowie von Wundsekret (= Exsudation). Im Vergleich dazu sind die Wunden am linken Bein, die mit synthetischem Epidermis-Spray (SES) behandelt wurden, deutlich flacher und trockener. Foto: Charlotte C. Paindaveine et.al.

 

Das Resultat der Untersuchungen war bemerkenswert: Von den 46 einzelnen Wunden zeigten 22 übermäßiges Granulationsgewebe – und sie traten ausschließlich in der Gruppe auf, die mit herkömmlichen Wundverbänden behandelt worden war. Das in diesem Modell untersuchte synthetische Epidermisspray ermöglichte hingegen, so die ForscherInnen, „eine Heilung ohne Bildung von übermäßigem Granulationsgewebe", es verkürzte aber nicht die mittlere Wundheilungszeit im Vergleich zu einer Standard-Verbandtechnik.

Mit anderen Worten: Es kam in der mit SES behandelten Untersuchungsgruppe zu keiner Bildung von „wildem Fleisch“ und damit auch nicht zu weiteren Komplikationen bei der Wundheilung. Sie merkten allerdings an, dass „alle statistischen Schlussfolgerungen angesichts der Größe der Stichprobe mit Vorsicht interpretiert werden müssten.

Das Resümee der AutorInnen fiel dennoch positiv aus: „Das synthetische Epidermisspray ist aus wirtschaftlicher und praktischer Sicht möglicherweise eine interessante Alternative für die sekundäre Wundheilung von oberflächlichen und nicht infizierten Wunden der distalen Gliedmaßen bei erwachsenen Pferden.“

Die Studie „The effects of a synthetic epidermis spray on secondary intention wound healing in adult horses" von Charlotte C. Paindaveine, Benoit Bihin und Olivier M. Lepage ist am 7. März 2024 in der Zeitschrift ,PlosOne' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

 

Neuer Wundspray gegen „Caro luxurians“
Anmerkungen von Dr. Reinhard Kaun

Junge Pferdefreunde – jedweder geschlechtlichen Variation, versteht sich von selber – freuen sich ebenso wie ein alter Pferdetierarzt, wenn bahnbrechend Neues für die Versorgung von Wunden und Bagatelle-Verletzungen kundgetan wird – zumal wegen der Farbvielfalt bei Pferden fast jede, noch so banal erscheinende Abschürfung oder Zusammenhangstrennung zu Komplikationen führen kann: Wundheilungsstörungen, Eiterungen, Phlegmone und das mit dem fast lyrischen Fachausdruck „caro luxurians“ bedachte „wilde Fleisch“ gehören dazu – aber auch schwere Allgemeinerkrankungen wie Tetanus sollten nicht in Vergessenheit geraten.
Seit langen Jahrzehnten war der „Blauspray“ – völlig zu Unrecht – eines der beliebtesten Tools zu Behandlung von vornehmlich frischen Verletzungen – es waren damit immer zwei große Gefahren verbunden:
– Das „Spray-Geräusch“ gleicht den empfindsamen Pferdeohren dem Zischen einer Schlange – bedeutet also Gefahr mit der Konsequenz der Flucht!
– Durch die, auf eine Wunde aufgesprühte Substanz des Gentiana-Violett bildet sich sehr schnell ein oberflächlicher, trockener Wundschorf, unter dem Tetanus-Sporen eine ideales, sauerstoffarmes Milieu zur Vermehrung finden; Facit: alles, was Wunden oberflächlich unter Sauerstoffabschluss verschorfen lässt, fördert eine Tetanusinfektion – insbesondere bei schwachem Impfschutz.

 

Foto: Archiv Dr. Reinhard Kaun

Wundheilungsstörungen, schlechtversorgte Wunden, gefühlloses Herumwischen statt vorsichtigem „Ab-Tupfen“ regen in Folge die Bildung von Granulationsgewebe an; aus einem natürlichen und erwünschten Heilungsvorgang entwickelt sich durch sekundäre Reize (Entzündung mit Juckreiz, Nässen, ungeeignetes Verbandsmaterial, Herumreiben usw.) dann ein Überschießen der Reparationsvorgänge – das Wilde Fleisch, ein überschießendes Granulationsgewebe.

In die vorliegend publizierten Studie wurden lediglich sechs Pferde einbezogen, denen künstliche „Wunden“ an Stellen mit unterschiedlicher Hautbeweglichkeit an den Extremitäten zugefügt worden waren. Welche Fellfarben die Probanden hatten, war der Originalfassung nicht zu entnehmen – nachvollziehbar ist jedoch, dass das Aufbringen des SES-Sprays nicht die einzige Maßnahme war, vielmehr wurde zusätzlich zweimal  für eine Minute eine UV-Bestrahlung durchgeführt, um die Spray- Schichten zu polymerisieren, also ziemlich luftdicht machen, wodurch die darunterliegende Wunde ein sauerstoffarmes und nasses Milieu bekommt und die Bildung von saftigem Granulationsgewebe begünstigt wird und gleichzeitig Tetanus-Sporen Idealverhältnisse vorfinden. Auch die nach unterschiedlichen Kriterien durchgeführten Verbandwechsel ergibt in der Vergleichbarkeit in hinkendes Bild.

Zu Recht räumen die Autoren ein: „Angesichts der Größe der Stichprobe müssen alle statistischen Schlussfolgerungen mit Vorsicht interpretiert werden!“ 
 
„Über Tetanus“ von Jessika – M. Cavalleri (aus Handbuch Pferdepraxis, Enke Verlag 2017, Seite 773)
– Auslösendes Agens ist das Toxin von Clostridium tetani, einem grampositiven, sporenbildenden obligat anaeroben stäbchenförmigen Bakterium.
– Clostridium tetani kommt ubiquitär im Boden und im Gastrointestinaltrakt und Kot verschiedener Tierarten und des Menschen vor.
– Clostridium tetani-Sporen sind sehr widerstandsfähig gegen Hitze, Trockenheit und Feuchtigkeit.
– In oberflächlichen Erdschichten können Sporen für Monate und Jahre überlebens- und infektionsfähig bleiben.
– Pferde sind laut der Literatur die für Tetanus empfänglichste Haustierart.
– Die Sporen dringen über Verwundungen in das Gewebe ein. Dort wird die vegetative Form der Clostridien in einem Milieu mit geringer Sauerstoffspannung freigesetzt.

Univ. Lektor Mag. Dr. Reinhard Kaun
www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at

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