Mit dieser Frage haben sich zwei Forscherinnen der Central Queensland Universität in Australien beschäftigt – und dabei spannende Ergebnisse erhalten. Demnach prägen drei grundsätzliche Einstellungen das Verhalten von Helm-Befürwortern als auch von Helm-Gegnern.
Während bereits in vielen Ländern das Tragen eines Sicherheitshelms bei turniersportlichen Veranstaltungen vorgeschrieben ist, gibt es unter den Hobby- und Freizeitreitern nach wie vor viele, die auf das Tragen eines Helms verzichten – mit den unterschiedlichsten Argumenten, Vor- und Einwänden. Welche Grundhaltungen darüber entscheiden, ob man einen Reithelm trägt oder nicht, das haben die beiden australischen Forscherinnen Laura Haigh und Kirrilly Thompson vom Appleton-Institut für Verhaltensforschung der Central Queensland Universität im Rahmen einer Studie untersucht. Sie analysierten im Rahmen einer Diskurs-Analyse 103 Postings und Kommentare, die zum Thema ,Reithelm – ja oder nein?' in australischen Pferde-Foren abgegeben wurden.
Dabei entdeckten sie, daß – neben offensichtlichen sozialen Einfluss-Faktoren bei der Reithelm-Verwendung – drei Grundhaltungen darüber entscheiden, ob man einen Reithelm trägt oder eben nicht:
1) „Ich kann das Risiko kontrollieren."
2) „Es fühlt sich nicht richtig an."
3) „Unfälle passieren."
Interessant ist, daß sowohl Befürworter als Gegner des Reithelm-Tragens auf diese drei Grundhaltungen Bezug nehmen, sie jedoch gänzlich anders interpretieren und zur Verteidigung ihrer jeweiligen Haltung ins Treffen führen.
1) „Ich kann das Risiko kontrollieren."
Diese Grundhaltung führen die Befürworter des Reithelm-Tragens an, um zu verdeutlichen, daß sie den Reithelm als wichtigen Teil ihrer Sicherheitsausrüstung sehen, der ihnen dabei hilft, das vorhandene Risiko des Reitens besser zu kontrollieren.
Für Gegner wiederum dient diese Haltung als Rechtfertigung einer gänzlich anderen Position: Für sie ist der Reithelm gegenüber anderen Dingen – etwa ein guter Reiter zu sein, ein zuverlässiges Pferd zu haben oder eine besonders gute Partnerschaft zu ihm zu pflegen – nachrangig und vernachlässigbar. Sie meinen, damit das Risiko besser kontrollieren zu können als durch das Tragen eines Helms.
2) „Es fühlt sich nicht richtig an."
Befürworter von Reithelmen meinen damit: Einen Helm zu tragen gehört für sie einfach zum Reiten dazu, auch wenn damit ein unkomfortables Gefühl verbunden ist. Man fühlt sich damit einfach sicherer und besser, vergleichbar dem Anlegen von Sicherheitsgurten beim Autofahren.
Gegner des Tragens von Reithelmen hingegen meinen damit, daß sie sich einfach seltsam fühlen, wenn sie einen Helm aufsetzen – für sie ist ein Helm im doppelten Wortsinn einfach ,untragbar'.
3) „Unfälle passieren."
Für Befürworter von Reithelmen bedeutet dieser Satz schlicht: Unfälle passieren so oder so, sie entziehen sich unserer Kontrolle und können auch nicht vom Können des Reiters, dem Temperament des Pferdes oder der Qualität der Mensch-Pferd-Beziehung beeinflusst werden. Und deshalb muss man sich vor Unfällen entsprechend wappnen.
Gegner interpretieren diesen Satz fatalistisch: Unfälle passieren so oder so – und auch ein Reithelm kann mich nicht 100%ig davor schützen...
Warum Vorbilder wichtig sind
Die Bildung unserer individuellen Meinungen und Haltungen ist ein komplexer Prozess, in dem viele Faktoren eine Rolle spielen – etwa persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch das soziale Umfeld unter Reiterkollegen und Pferdefreunden. Wie Haigh und Thompson herausfanden, spielen insbesondere Meinungsführer und Fachleute bei diesem Prozess eine wichtige Rolle: „Der Einfluss von Pferde-Experten als ein Grund, keinen Helm zu tragen, kam bei vielen Statements zum Ausdruck, exemplarisch bei einem Reiter der geschrieben hat: ,Ich verbrachte einige Trainingsmonate bei einem bekannten Springreiter in New South Wales, wo tatsächlich niemand einen Helm getragen hat – und deshalb kommt mir das ganz normal vor.' Umgekehrt kann das Verhalten von Meinungsführer und die wahrgenommene soziale Verantwortung auch das Helm-Tragen unterstützen. Eine Reiterin habe etwa angegeben, daß das Tragen eines Sicherheitshelms etwas ist, das man ,für diejenigen tut, die man liebt'; und eine andere meinte, sie reite stets mit Helm, um ein gutes Vorbild für ihre Kinder zu sein, denn ,Man kann von ihnen nicht erwarten, daß sie einen tragen, wenn man es selbst nicht tut.'"
Die Stärke derartiger Argumente könnte man für entsprechende Informations- und Werbekampagnen nutzen, meinten die Studienautorinnen. Man könnte vor allem auch die ,Vorbild-Funktion' prominenter ReiterInnen dazu einsetzen, um die verhängnisvolle Assoziation zwischen Helm-Tragen und reiterlicher Unerfahrenheit endlich zu beseitigen. „Wenn z. B. bekannte Pferdemagazine und Websites nur noch Fotos von ReiterInnen mit Helm veröffentlichen würden, wäre das ebenfalls eine exzellente und wertvolle Unterstützung." Kampagnen zur Unfallverhütung sollten stärker ins Treffen führen, daß das Tragen eines Helms für einen verantwortungsbewussten Pferdebesitzers bzw. Familienmitglieds einfach selbstverständlich sein sollte.
Den Reithelm von Vorurteilen befreien
Die Grundhaltung ,Ich kann das Risiko kontrollieren' erwies sich als besonders diffizil und zeigt, daß die mit dem Reiten verbundenen Risiken in ganz unterschiedlicher Weise wahrgenommen und vearbeitet werden können. „Positiv ist zweifellos, daß das Tragen eines Helms grundsätzlich als sinnvolle Maßnahme zur Risiko-Minimierung gesehen wird – unglücklicherweise messen aber viele Reiter anderen Dingen einen größeren Stellenwert zu. „Die Beziehung zwischen Risiko-Wahrnehmung und Vorbeugung ist nicht immer geradlinig bzw. ehrlich: Einige Reiter wollen – bewusst oder unbewusst – sich offenbar nicht das vorhandene Risiko eingestehen, indem sie vorbeugende Maßnahmen wie das Tragen eines Helms setzen. Es ist daher eine ganz besondere Herausforderung, den Reithelm von allen Stigmata und Vorurteilen zu befreien, die ihn als Hinweis auf schwache reiterliche Fähigkeiten, auf ein schlechtes Temperament des Pferdes oder eine schwache Reiter-Pferd-Beziehung deuten."
Künftige Informations- und Werbekampagnen, die das Tragen von Reithelmen empfehlen, sollten – so die Autorinnen abschließend – vermehrt an das Verantwortungsbewusstsein und die Vorbildwirkung von Reitern appellieren und zum Ziel haben, das Tragen eines Helms als ebenso normal und alltäglich darzustellen wie das Tragen von Reitstiefeln oder Reithosen. „Wie viele Studien beweisen hat der Pferdesport nach wie vor eine hohe Unfall- und Verletzungsrate – und das, obwohl technische Gegenmaßnahmen leicht verfügbar und auch leistbar sind." Das Tragen von Reithelmen bietet ein enormes Potential bei der Unfallvermeidung in der Reiterei – und das könnte und sollte man künftig besser und effektiver nutzen...
Die Studie „Helmet Use Amongst Equestrians: Harnessing Social and Attitudinal Factors Revealed in Online Forums" von Laura Haigh and Kirrilly Thomspon ist in der Zeitschrift ANIMALS erschienen und kann hier nachgelesen werden.