Florians Blog: Wie Erwartungen uns in die Quere kommen können 31.05.2023 / News
Was erwarten wir von unserem Pferd? Wie hat es sich zu verhalten, zu sein, sich anzufühlen? Wenn unsere Vorstellungen dazu sehr konkret sind, kann das problematisch sein. Spezifische Erwartungen können zu Stolpersteinen werden, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind.
Durch unsere Erwartungshaltung können sich mentale und körperliche Spannungen aufbauen, die wir unbewusst auch aufs Pferd übertragen. Foto: Florian Oberparleiter
Heute genauso toll wie gestern?
Es gibt diese Tage, an denen sich im Pferdetraining alles perfekt entwickelt. Völlig unerwartet sind wir plötzlich eins mit dem Pferd. Alles geht leicht von der Hand, die Trainingseinheit ist eine Freude.
Am darauffolgenden Tag möchten wir dasselbe noch einmal erleben. Wir erwarten, dass sich das gleiche tolle Gefühl einstellt. Doch seltsamerweise will und will die heutige Trainingseinheit nicht so gut verlaufen. Egal wie sehr wir uns anstrengen – Leichtigkeit bleibt unerreichbar. Das tolle Gefühl von gestern ist dahin.
Unterschiede in der Erwartungshaltung
Eine häufige Ursache für solche Phänomene ist unsere unterschiedliche Erwartungshaltung an verschiedenen Tagen. Im obigen Beispiel sind wir am ersten Tag ohne Erwartungen zum Pferd gekommen und haben die Situation und das Tier so angenommen, wie sie gewesen sind. Wir haben uns auf alles eingelassen, uns vom Gefühl für das Pferd tragen lassen und dann dankend angenommen, was uns das Pferd geschenkt hat.
Am zweiten Tag haben unsere Erwartungen mentale und körperliche Spannungen aufgebaut. Während wir nach dem Gefühl vom Vortag Ausschau halten, entgeht uns, was das Pferd heute anbietet und wie es sich heute anfühlt. Mit dem Versuch, das Gefühl vom Vortag zu reproduzieren, verschließen wir uns der Realität und versäumen anzunehmen, was tatsächlich da ist.
Positiv ist nicht gleich positiv
Eine allgemeine positive Grundhaltung gegenüber unserem Pferd zu haben, kann sehr hilfreich sein. Die damit verbundene Erwartungshaltung erlaubt uns, den Fokus auf die Qualitäten des Pferdes zu legen und diese zu fördern (mehr dazu kann man in meinem Blog zum Pygmalion-Effekt nachlesen).
Positive Erwartungen können aber dann problematisch sein, wenn sie spezifisch sind. Das ist dann der Fall, wenn wir erwarten, wie unser Pferd oder die Beziehung zu ihm genau zu sein hat. Unsere Vorstellungen, wie sich das Pferd verhalten, bewegen oder anfühlen soll, können zum Hemmschuh werden.
Die Kunst besteht also darin, eine positive, aber zugleich offene Erwartungshaltung zu pflegen. Denn nur wenn wir das Pferd annehmen wie es ist und seine aktuelle Situation erfassen, können wir die richtigen Hilfen – wohl dosiert und gut getimt – geben.
Erwartungen bei hohem Ausbildungsniveau
Selbstverständlich kann mit zunehmendem Ausbildungsniveau vom Pferd mehr erwartet werden. Es würde etwas falsch laufen, wenn man von einem sorgsam ausgebildeten Pferd nicht mehr als von einem rohen Pferd erwarten könnte.
Interessanterweise verschwindet das „Erwartungs-Problem“ aber nicht mit steigendem Ausbildungsniveau von Mensch und Pferd. Es findet nur auf einem anderen Level statt. Von dem Pferd, das heute toll piaffiert, wird dies auch morgen erwartet. Morgen liefert es auch eine Piaffe – es ist ja kein Anfänger – aber vielleicht halten es unsere Erwartungshaltungen davon ab, die Qualität vom Vortag zu liefern.
Neues Pferd, neues Gefühl
Auf das „Erwartungs-Problem“ treffe ich auch häufig bei Menschen, die ein geliebtes Pferd verloren haben und sich schließlich für ein neues Tier entscheiden. Sie sind oft auf der Suche nach demselben wunderbaren Gefühl, das sie mit ihrem Vorgänger-Pferd hatten.
Man muss sich aber vergegenwärtigen: Ein neues Pferd wird nie GENAUSO gut sein, wie ein geliebter Vorgänger, aber es kann mit Sicherheit ANDERS gut sein – auf seine Weise! Dazu muss man sich aber auf das Pferd einlassen und aufhören zu vergleichen. Das ist jedoch oft ein großer Schritt, für den wir Menschen manchmal über den eigenen Schatten springen müssen.
„Unglaublich, was mir bisher entgangen ist!“
Karin, eine passionierte Wanderreiterin aus der Steiermark, führte mir einmal die Kraft der Erwartungshaltung besonders gut vor Augen. Als ich sie kennenlernte, hatte sie ihr jahrelanges Verlasspferd Lucky verloren und nahm mit ihrem neuen Pferd Charley bei einem meiner Kurse teil.
Lucky war Karins Traumpferd gewesen. Mit ihm hatte sie jeden unwegsamen Pfad gemeistert, Kreuzungen überquert und war tapfer an großen Fahrzeugen vorbei geritten. Die Latte lag somit hoch für das Nachfolger-Pferd Charley. Als tendenziell eher unruhiges und nervöses Pferd erfüllte er Karins Erwartungen mehr schlecht als recht.
Charley ständig mit Lucky zu vergleichen, hielt Karin davon ab, Charleys wunderbare, aber ganz andere Eigenschaften zu erkennen. In der gemeinsamen Arbeit richteten wir daher den Fokus darauf, Charley wahrzunehmen wie er war. Dabei nutzten wir eine einfache Übung, bei der man beim Reiten alles kommentiert, was das Pferd gerade gut macht, auch wenn man es für eine unbedeutende Kleinigkeit hält. Am Anfang fällt einem dabei vielleicht nicht viel auf, was man positiv kommentieren könnte. Doch je mehr man sich auf die Situation einlässt, umso mehr Positives bemerkt man. Und ehe man es sich versieht, hat man seine Erwartungen hinter sich gelassen und ist ganz beim Pferd im Hier und Jetzt.
Als Karin von ihrem Pferd abstieg, strahlte sie mich an und meinte: „Heute habe ich zum ersten Mal Charley geritten. Bisher bin ich in mein Kopf immer noch auf Lucky gesessen und hab mich nie auf Charley eingelassen! Unglaublich, was mir bisher entgangen ist!“
In den Moment kommen
Unsere Erwartungen können sich manchmal zwischen uns und den Moment stellen. Doch genau dort, im Moment, im Hier und Jetzt sollten wir sein, wenn wir bei Pferden sind. Dort sind Pferde zuhause – dort schenken sie uns alles was sie haben.
Florian Oberparleiter
Mai 2023
ZUR PERSON
Florian Oberparleiter ist international bekannter Pferdetrainer und hat sich sein ganzes Leben lang intensiv mit Tieren beschäftigt. In seinen Horsemanship- und Kommunikations-Kursen vermittelt er einen Umgang mit Pferden, der auf Körpersprache und Energie beruht. Er hat sich jahrelang mit verschiedenen Trainingskonzepten, Arbeitsweisen und Denkansätzen befasst und mit Pferdeexperten in den USA und Europa gearbeitet. Er schulte unablässig sein Gefühl und seine Wahrnehmung und entwickelte ein eigenständiges Trainingskonzept, das auf Kommunikation und nicht auf Konditionierung basiert und auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.
Weitere Infos über ihn, seine Arbeit und seine Kurse findet man auf www.florian-oberparleiter.com. Apropos: Kurse mit Florian Oberparleiter können auch auf der eigenen Anlage – egal ob in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder einem anderen Land – organisiert werden (Kontakte und Anfragen kann man über die Website, seine Facebook-Seite und seine Instagram-Seite an ihn richten). Zudem bietet Florian auch Online-Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen – siehe www.florian-oberparleiter.com/online-schule/!
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:02.03.2023 - Florians Blog: Pass auf, wie du über dein Pferd denkst!
Florians Blog: Pass auf, wie du über dein Pferd denkst! 02.03.2023 / Blogs
Wie wir unser Gegenüber sehen, so behandeln wir es auch – bewusst oder unbewusst, und das kann direkten Einfluss auf die Entwicklung und das Verhalten unseres Gegenübers haben. Diesen sogenannten Pygmalion-Effekt gilt es auch im Umgang mit Pferden zu beachten. Denn was wir über unser Pferd denken, könnte Wirklichkeit werden!
Foto: Hannah Assil
Vom „sturen Gaul“ zum sensiblen und intelligenten Pferd
Die meisten Pferd-Mensch-Beziehungen sind emotional. Dazu gehören sowohl positive als auch negative Emotionen. Bei der – beim Reiten im wahrsten Sinne des Wortes – engen Zusammenarbeit von Mensch und Pferd, neigen wir Menschen dazu, unserem Pferd bestimmte Attribute zuzuschreiben, und die sind nicht immer positiv.
In den Augen der Menschen gibt es da nicht nur „brave“, sondern auch „sture“, „dumme“, oder gar „A…loch-“ Pferde. Diese Zuschreibungen sind selten fair – und können sogar sehr problematisch sein.
Einerseits halten wir – unbewusst – ständig Ausschau nach Verhaltensweisen, die unsere Zuschreibung untermauern und sehen über gegenteilige Indizien hinweg. In der Psychologie nennt man das den Bestätigungsfehler.
Andererseits beeinflusst unsere Bewertung des Pferdes die Behandlung des Tieres: Behandeln wir unser Pferd als „sturen Gaul“, wird es ein solcher bleiben (oder eher werden!). Behandeln wir es als sensibles und intelligentes Lebewesen, wird es uns als solches begegnen. Ob positive oder negative Zuschreibungen, das Pferd wird sich ihnen anpassen!
Wissenschaftlicher Hintergrund
Dieser Effekt ist in der Psychologie als Rosenthal oder Pygmalion-Effekt bekannt. Er geht auf eine bahnbrechende Studie in den 1960er Jahren zurück. Dabei wurde Lehrkräften mitgeteilt, dass einige Kinder in ihren Klassen besonderes Potenzial in ihrer intellektuellen Entwicklung hätten. Diese Kinder waren jedoch nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden. Doch siehe da, acht Monate später wiesen genau diese Kinder ein signifikant höheren IQ auf.
Die Forscher, die diese Studie durchgeführt hatten, Robert Rosenthal und Lenore Jacobson, zogen aus diesem Ergebnis den Schluss, dass die Lehrer diese Schüler durch ihre positive Erwartung unbewusst anders behandelt hatten und so ihre Entwicklung besonders positiv beeinflussten.
Dieses Prinzip wurde im Vorfeld schon mit Ratten getestet und es folgten viele Nachfolge-Studien. Immer korrelierte die Erwartungshaltung der Lehrenden mit der Leistung der Schülerinnen und Schüler.
Mein erster Kontakt mit dem Pygmalion-Effekt im Pferdetraining
Zu Beginn meiner Trainertätigkeit wurde mir in meinen Horsemanship-Kursen die Relevanz des Pygmalion-Effekts im Umgang mit Pferden zum ersten Mal bewusst. In den Vorstellungsrunden zu Beginn der Kurse beschrieben die BesitzerInnen ihr Pferd häufig als „blöd“, „stur“ oder „böse“, untermauert von diversen Anekdoten.
Ich ließ mich von diesen scheinbaren Fakten beeinflussen und erwartete vierbeinige Gegner. Überraschenderweise traf ich später aber immer „nur“ auf Pferde. Auf liebe, nette Pferde sogar, die nur noch nicht ganz verstanden worden waren.
Behandelte ich dann die Pferde so, wie ich sie empfand, merkte ich in vielen Fällen nichts von den beschrieben negativen Tendenzen. Ließ ich die Worte aus der Vorstellungsrunde jedoch nachhallen, ertappte ich mich dabei, genau diese Eigenschaften in den Tieren hervorzurufen.
So wurde ich erstmals für dieses Thema sensibilisiert, ohne es benennen zu können. Bis heute erlebe ich regelmäßig, wie das Verhalten von Pferden sich mit der Einstellung ihrer Besitzer verändern kann.
Leichter gesagt als getan
In der Praxis ist es nicht immer einfach, nur das Gute in seinem Pferd zu sehen. Je unerwünschter sein Verhalten wird, umso schwerer fällt uns das in der Regel. Das erlebe ich beispielsweise oft bei aggressivem Verhalten.
Hat ein Pferd einmal gelernt zu beißen, zu buckeln oder gar den Menschen zu attackieren, neigen viele Menschen dazu, es für „böse“ zu halten. Warum das Pferd sich so verhält, wird dabei leicht aus den Augen verloren. Stattdessen behandeln wir das „böse“ Pferd natürlich auch als solches. In der Regel trägt aber genau solch eine Behandlung dazu bei, dass das Pferd „böse“ ist.
Der böse Normen
Vor nicht allzu langer Zeit durfte ich mit Normen arbeiten. Der große Warmblüter zeigte sich alles andere als kooperativ. Er hatte gelernt, den Menschen anzusteigen, wenn ihm etwas gegen den Strich ging oder sich seines Reiters durch Steigen zu entledigen. Ging man hinter ihm vorbei, lief man Gefahr, einen Tritt abzubekommen.
In seinem Stall galt Normen als „A…loch“. Wurde mit ihm gearbeitet, versuchte man durch entsprechenden Druck, eine Eskalation zu verhindern. Dies hatte den Anschein zu funktionieren, denn wenn der Druck stark genug war, beugt sich ihm Normen. Allerdings geschah dies mit großem Widerwillen und hatte zur Folge, dass Normens Toleranzgrenze für jegliche Einwirkung auf ihn immer niedriger wurde. Mit der Zeit reichte es aus, dass der Mensch die Richtung anzeigte, um Normen ausrasten zu lassen.
Unbeteiligten Dritten fällt es in einem Fall wie diesem leichter, die Schuld nicht beim Pferd zu suchen – ganz anders sieht es aber aus, wenn man tatsächlich einem großen Kerl wie Normen gegenübersteht. Schuldzuweisungen sind daher nicht angebracht.
Als Normen in meine Obhut kam, begann ich sukzessive daran zu arbeiten, ihm den Grund für seine Reaktion (zu viel Druck) zu nehmen. Dass ich ihn als sensibles, missverstandenes Pferd mit weichem Herzen sah, half mir, die Mittel und Wege zu finden, die er brauchte, um auf den richtigen Weg zu kommen.
Richtig verstanden
Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass durch eine positive oder gar naive Sichtweise Probleme einfach verschwinden – dies zu glauben, könnte sehr gefährlich werden, denn selbstverständlich ist ein achtsamer Umgang mit unerwünschten Verhaltensweisen des Pferdes geboten. Es geht vielmehr darum, auch die positiven Seiten des Pferdes zu sehen und diese vielleicht sogar in den Vordergrund zu rücken.
Dazu gehört, das Potential des Pferdes zu erkennen, aber auch nicht zu überschätzen. Jedes Pferd hat natürliche Grenzen. Sich nicht von der Vergabe negativer Attribute hemmen zu lassen, aber auch nicht die natürlichen Grenzen des Pferdes zu übergehen, ist die Kunst bei der Sache.
Halte ich meinen leicht erregbaren Vollblüter für hysterisch, wird er wohl auch so sein und bleiben. Behandle ich ihn im Gegenteil gleich wie ein nervenstarkes Pferd, das weder Großvieh noch Mähdrescher fürchtet, kann es auch schnell mal gefährlich werden. Die Lösung liegt in der Mitte: Sehe ich ihn als ein hochsensibles Pferd mit wunderbaren Fähigkeiten, gelingt es mir am ehesten, mich an sein wahres Potential heranzutasten.
Die positiven Seiten des Pferdes zu sehen, schenkt uns die Geduld, ihm die Zeit zu geben, die es braucht und die Bereitschaft, unser Training auf das Pferd abzustimmen.
Ein positiver Nebeneffekt
Es ist ein tolles Gefühl, ein liebes, feines, sensibles oder gemütliches Pferd zu reiten. Meistens macht es mit bösen, sturen, unsensiblen oder faulen Gäulen nicht so viel Spaß. Dabei sind das alles nur Zuschreibungen, mit denen wir unsere Pferde versehen.
Das Pferd negativ abzustempeln, nimmt uns die Freude am Umgang mit ihm. Das Gute im Pferd zu sehen, tut auch uns Menschen gut.
Florian Oberparleiter
März 2023
Quellenangaben:
Rosenthal, Robert; Jacobson, Lenore (1966). Teachers' Expectancies Determinants of Pupils' IQ Gains, in: Psychological Reports, 19, S. 115-118
Rosenthal, Robert; Fode, Kermit L. (1963), The Effect of Experimenter Bias on the Performance of the Albino Rat, in: Behavioral Science 8, S. 183-189
ZUR PERSON
Florian Oberparleiter ist international bekannter Pferdetrainer und hat sich sein ganzes Leben lang intensiv mit Tieren beschäftigt. In seinen Horsemanship- und Kommunikations-Kursen vermittelt er einen Umgang mit Pferden, der auf Körpersprache und Energie beruht. Er hat sich jahrelang mit verschiedenen Trainingskonzepten, Arbeitsweisen und Denkansätzen befasst und mit Pferdeexperten in den USA und Europa gearbeitet. Er schulte unablässig sein Gefühl und seine Wahrnehmung und entwickelte ein eigenständiges Trainingskonzept, das auf Kommunikation und nicht auf Konditionierung basiert und auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.
Weitere Infos über ihn, seine Arbeit und seine Kurse findet man auf www.florian-oberparleiter.com. Apropos: Kurse mit Florian Oberparleiter können auch auf der eigenen Anlage – egal ob in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder einem anderen Land – organisiert werden (Kontakte und Anfragen kann man über die Website, seine Facebook-Seite und seine Instagram-Seite an ihn richten). Zudem bietet Florian auch Online-Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen – siehe www.florian-oberparleiter.com/online-schule/!
26.01.2023 - Florians Blog: Präsenz - weil der Moment für das Pferd zählt
Florians Blog: Präsenz - weil der Moment für das Pferd zählt 26.01.2023 / Blogs
Kommunikation zwischen Mensch und Pferd passiert im Augenblick – sind wir in unseren Gedanken nicht im Hier und Jetzt, laufen wir Gefahr, Signale auszusenden, derer wir uns nicht bewusst sind. / Foto: Hannah Assil
Kommunikation mit Pferden passiert im Augenblick. Ob der Mensch mit seinen Gedanken und Gefühlen dabei im Hier und Jetzt ist, spielt eine entscheidende Rolle. Warum aber ist das so? Was genau passiert, wenn wir nicht präsent sind? Welche Möglichkeiten gibt es, sich besser auf den Moment einzulassen? Und kann man es mit der Präsenz auch übertreiben?
Unterschiedliche Tendenzen von Pferd und Mensch
Menschen habe die wunderbare Fähigkeit, sowohl über die Vergangenheit, als auch über die Zukunft nachzudenken. Somit sind wir in der Lage, in Erinnerungen zu schwelgen und unsere Zukunft zu planen. Dabei kann es passieren, dass wir auf das Hier und Jetzt vergessen. Das geht so weit, dass wir manchmal nicht mehr in der Lage sind, uns auf den Moment einzulassen.
Für Pferde hingegen ist das Hier und Jetzt das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie leben jeden Moment in voller Intensität. Dabei werden frühere Erfahrungen zwar genutzt, um Geschehnisse und Dinge einzuordnen, der Fokus liegt aber auf dem Augenblick.
Ich erlebe diese unterschiedlichen Tendenzen in Pferd und Mensch als Ursache für viele Missverständnisse im Umgang miteinander.
Was passiert, wenn wir nicht präsent sind
Pferde sind auf nonverbale Kommunikation angewiesen. Wollen wir mit ihnen kommunizieren, müssen wir uns unserer eigenen Körpersprache bewusst sein. Sind wir in unseren Gedanken nicht im Hier und Jetzt, laufen wir Gefahr Signale auszusenden, derer wir uns nicht bewusst sind.
Wenn unsere Gedanken beispielsweise um etwas kreisen, das uns nervt oder stresst, drückt dies auch unser Körper aus. Auch wenn die Ursache unserer negativen Gedanken fernab der aktuellen Situation liegen, nimmt sie das Pferd in diesem Moment wahr.
Neben dem Senden von Signalen betrifft nicht vorhandene Präsenz auch das Empfangen solcher. Denn Pferde selbst senden sehr subtile Signale, die von uns wahrgenommen werden wollen. Sind wir in unseren Gedanken woanders, werden uns feine Anbahnungen des Pferdes entgehen.
Auch unser Timing leidet, wenn wir nicht präsent sind. Denn selbst wenn wir unseren Körperausdruck kontrollieren und jenen des Pferdes im Auge behalten würden, wird sich unsere Reaktionszeit erhöhen, wenn wir nicht bei der Sache sind. Um ein Pferd erfolgreich zu trainieren, braucht es aber punktgenaue Reaktionen auf sein Verhalten und Signale.
Nach der Arbeit zum Pferd
Pferde werden oft als Entspannungsfaktor gesehen. So wird der Besuch beim Pferd nach einem stressigen Arbeitstag von vielen sehnlichst erwartet. Im Stall angekommen ist unser Geist noch mit den Dingen beschäftigt, die uns heute passiert sind, uns geärgert oder gestresst haben. Vielleicht sind wir aber auch schon beim morgigen Arbeitstag: was wir da zu tun haben, was heute liegen geblieben ist und morgen erledigt werden muss.
In solch einer Verfassung sein Pferd zu trainieren ist nicht immer die beste Entscheidung. Denn Pferdetraining erfordert sowohl Präsenz als auch Geduld und Einfühlungsvermögen – alles Dinge, an denen es fehlt, wenn wir uns in schwachem Gemütszustand befinden. Dies ist leider auf vielen Reitplätzen dieser Welt ab spätem Nachmittag täglich zu beobachten …
Einfach Zeit mit dem Pferd zu verbringen, statt es trainieren zu wollen, ist da eine mögliche Lösung. Ich habe mir daher vor gut zehn Jahren angewöhnt, dass ich in solch einer Verfassung mit dem Pferd spazieren gehe oder es grasen lasse. Dabei fordere ich nichts und erwarte nichts. Ich versuche das Pferd zu fühlen und lasse meinen Gedanken zur Ruhe kommen.
Statt meinen Gemütszustand aufs Pferd zu übertragen, versuche ich jenen des Pferdes auf mich zu übertragen. Erst wenn es mir gelingt die Verbindung zum Pferd und somit mich selbst wieder zu spüren, ziehe ich das Training in Erwägung. Manchmal starte ich dann eine Trainingseinheit, manchmal auch nicht. Mit dieser Strategie habe ich meinen Pferden und mir viel Frustration erspart.
Das richtige Maß finden
Immer wieder treffe ich Menschen, die das Gebot zur Präsenz jedoch zu ernst nehmen. Da ist dann eine Meditation im Rahmen des Pferdebesuches unumgänglich. Da wird jedes unerwünschte Verhalten des Pferdes auf sich bezogen. Da muss man zuerst in seine Mitte kommen, bevor man mit dem Pferd interagiert.
Hier ist für mich das gesunde Maß verloren gegangen. Denn um eine gute Horsewoman oder ein guter Horseman zu sein, müssen wir nicht perfekt sein. Ein bisschen Unaufmerksamkeit, ein bisschen Gedanken schweifen, ein bisschen Mensch sein, ist dem Pferd in meinen Augen schon zumutbar. Die Grundlagen im Training sollten auch funktionieren, wenn wir nicht im perfekt ausgeglichenen, mentalen Zustand sind!
Streben wir aber nach einem langfristigen, harmonischen Miteinander, müssen wir so gut es geht Vergangenheit und Zukunft hintanstellen und in den Moment eintauchen. Je feiner wir werden wollen, umso wichtiger wird das. Wollen wir nach den Sternen greifen und ganz besondere Momente mit unseren Pferden erleben, wird unsere Präsenz unumgänglich.
Eine einfache Übung, um sich auf den Moment einzulassen
Die Bewegungen der Pferdebeine unter dem Sattel zu differenzieren, ist eine einfach Möglichkeit, um ins Hier und Jetzt zu kommen. Dabei konzentriert man sich beim Reiten jeweils auf ein Pferdebein und versucht zu erspüren, wann genau es auf- oder abfußt. Kommentiert man laut mit („Jetzt fußt das rechte Hinterbein ab, jetzt, jetzt, jetzt, …“) kann ein Helfer vom Boden aus unsere Angaben überprüfen und Feedback geben.
Diese Übung schult grundsätzlich unsere reiterlichen Fähigkeiten (exzellente Reiter wissen genau, wo welches Bein ist). Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass sie den Menschen eine große Hilfe dabei sein kann, ihre Gedanken und Gefühle auf den Moment zu lenken. Das körperliche Fühlen (Wie fühlt sich die Bewegung an?) stellt eine Tür ins Hier und Jetzt dar. Nützen wir sie, sind wir einem harmonischen Miteinander einen Schritt näher gekommen.
Florian Oberparleiter
Jänner 2023
ZUR PERSON
Florian Oberparleiter ist international bekannter Pferdetrainer und hat sich sein ganzes Leben lang intensiv mit Tieren beschäftigt. In seinen Horsemanship- und Kommunikations-Kursen vermittelt er einen Umgang mit Pferden, der auf Körpersprache und Energie beruht. Er hat sich jahrelang mit verschiedenen Trainingskonzepten, Arbeitsweisen und Denkansätzen befasst und mit Pferdeexperten in den USA und Europa gearbeitet. Er schulte unablässig sein Gefühl und seine Wahrnehmung und entwickelte ein eigenständiges Trainingskonzept, das auf Kommunikation und nicht auf Konditionierung basiert und auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.
Weitere Infos über ihn, seine Arbeit und seine Kurse findet man auf www.florian-oberparleiter.com. Apropos: Kurse mit Florian Oberparleiter können auch auf der eigenen Anlage – egal ob in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder einem anderen Land – organisiert werden (Kontakte und Anfragen kann man über die Website, seine Facebook-Seite und seine Instagram-Seite an ihn richten). Zudem bietet Florian auch Online-Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen – siehe www.florian-oberparleiter.com/online-schule/!
07.10.2022 - Florians Blog: Der Ausdruck des Pferdes ist ein Blick in sein Inneres
Florians Blog: Der Ausdruck des Pferdes ist ein Blick in sein Inneres 07.10.2022 / Blogs
Ein Pferd mit wachem, positiven Ausdruck wird auch lernwilliger und motivierter sein. Und welches Pferd wird uns mehr geben: jenes, das muss – oder jenes, das will? / Foto: Hannah Assil
Der Ausdruck des Pferdes kann Bände sprechen. Er spiegelt die inneren Empfindungen des Pferdes wider. Ein positiver Ausdruck des Pferdes lässt auf eine positive psychische Verfassung des Tieres schließen, von der Pferd und Mensch profitieren. Was aber steht dem oft im Wege und wie können wir damit umgehen?
Wenn wir uns vom „Funktionieren“ blenden lassen
Wenn das Pferd das tut, was der Mensch möchte, kann das für uns ein tolles Gefühl sein. Das ist bei sehr gut „funktionierenden“ Pferden meist der Fall. Sie sind vollkommen brav und sicher. Mit ihnen zu arbeiten, kann viel Spaß machen.
In diesen Fällen lassen wir uns aber manchmal dazu hinreißen, den Ausdruck des Pferdes zu übersehen. Da kann es passieren, dass wir den subtilen Signalen, Gesichtsausdrücken oder Spannungszuständen im Körper des Pferdes keine Beachtung schenken. Zu gut fühlt es sich an, dass das Pferd unsere Anforderungen erfüllt.
Schaut man genauer hin, kann der Ausdruck von gut „funktionierenden“ Pferden aber erschreckend sein: Sie wirken häufig frustriert, ausgebrannt und matt. Der Glanz in ihren Augen ist verschwunden. Obwohl sie allen Aufforderungen des Menschen Folge leisten, interagieren sie nicht mit ihm! Sie haben sich in sich zurückgezogen und abgekapselt.
Welchen Einfluss die Trainingsstrategie haben kann
Pferdetraining zielt in der Regel darauf ab, dass das Pferd das tut, was der Mensch gerne hätte. Das deckt sich aber oft nicht mit dem, was das Pferd gerne machen würde. Das Pferd schlägt ganz andere Verhaltensweisen vor: Es möchte schneller oder langsamer gehen, es tänzelt statt ruhig zu stehen, es schaut immer über den Zaun oder will nur herumstehen, statt sich zu bewegen.
Eine häufig eingesetzte Trainingsstrategie besteht daher darin, die Verhaltensweisen des Pferdes zu unterbinden und dem Pferd stattdessen vorzugeben, was es machen soll. Dies kann auch zeitweise sinnvoll und notwendig sein. Basiert unser gesamter Umgang mit dem Pferd aber darauf, unterbinden wir irrtümlich jede Eigeninitiative des Pferdes. Die daraus erwachsende Frustration drängt das Pferd dazu, sich in sich zurück zu ziehen.
Im schlimmsten Fall verhält sich das Pferd letztendlich wie eine gut programmierte Maschine. Es funktioniert – nicht mehr und nicht weniger. Leider wird dieser Zustand von uns manchmal als „harmonisch“ wahrgenommen und das Verhalten des Pferdes als „willig“ verkannt.
Was passiert, wenn wir nicht auf das Pferd reagieren
Pferde haben die Eigenschaft, ständig mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Beobachtet man Pferde in einer Gruppe, können wir bei genauem Hinschauen eine fortlaufende, subtile Kommunikation erkennen. Selbst wenn sie „nur“ nebeneinander grasen, sind die einzelnen Tiere ständig in Interaktion. Drückt sich ein Pferd aus, bekommt es vom anderen eine Antwort. Diese kann positiv oder negativ sein, aber sie ist vorhanden!
Drückt sich das Pferd gegenüber dem Menschen aus, erhält es oft keine Antwort. Seine Signale sind subtil und werden somit oft übersehen oder nicht verstanden. Richten wir das Training – wie oben beschrieben – nur nach unseren Wünschen aus, nehmen wir die subtilen Anbahnungen des Pferds tendenziell umso weniger wahr.
Erhält das Pferd langfristig keine Rückmeldung, gibt es meist irgendwann auf. Es hört auf zu interagieren und zieht sich in sich zurück. Ein matter, leerer Ausdruck ist vorprogrammiert. Damit geht meist ein Sinken der Eigeninitiative des Pferdes einher.
Wie der Mensch von einem positiven Ausdruck profitiert
Ausdruck hin oder her – was hat denn der Mensch davon? Die Interaktion des Pferdes erhalten zu wollen ist zwar schön und nett – bringt aber keinen Vorteil für uns! Oder etwa doch?
Betrachtet man es aus menschlich-egoistischer Sicht, profitiert der Mensch vor allem von der, dem positiven Ausdruck zugrundeliegenden psychischen Verfassung des Pferdes. Ein positiver Ausdruck und eine intakte Interaktion lassen auf ein lernwilliges und motiviertes Pferd schließen. Und welches Pferd wird mehr geben – jenes das muss, oder jenes das will?
Wie auch Menschen, leisten Pferde in der Regel mehr, wenn sie motiviert sind. Als Reiter dürfen wir uns dann über bessere Ergebnisse im Pferdetraining freuen.
Darüber hinaus ist es – richtig gemacht – wesentlich einfacher, energiesparender und sicherer, die Interessen des Pferdes zu wahren. Denn gegen die Natur des Pferdes zu kämpfen – anstatt sie zu nutzen – ist immer mit mehr Aufwand und auch mehr Gegenwehr verbunden.
Mit der Natur des Pferdes zu arbeiten, wird nicht immer als „einfach“ erkannt, denn oft mangelt es uns an Wissen oder Einfallsreichtum, wie man das denn konkret angehen soll. Mit ein bisschen Nachdenken, Einfühlen und Ausprobieren lässt sich diese Hürde aber nehmen. Ist die im Moment richtige Vorgehensweise gefunden, ist sie immer einfacher und leichter, als gegen die Natur des Pferdes zu arbeiten.
Eine einfache Maßnahme, die Motivation des Pferdes zu halten
Eines der einfachsten Dinge, die wir tun können, um die Eigeninitiative des Pferdes zu erhalten, ist, uns nicht immer an unsere Pläne für eine Trainingseinheit zu halten. Viel Konflikt zwischen Mensch und Pferd ist dem geschuldet, dass der Mensch sehr klare Vorstellungen davon hat, was in einer Trainingseinheit bearbeitet oder gar erreicht werden soll.
Die Idee, etwas Bestimmtes umsetzen zu wollen, hält uns aber davon ab, auf das Hier und Jetzt einzugehen. Alles, was das Pferd von sich aus macht, erscheint uns lästig, zumal es mit dem, was wir geplant haben, nicht im Einklang steht. Wir müssen daher automatisch gegen das Pferd arbeiten.
Foto: Hannah Assil
Sind wir aber bereit, den Inhalt einer Trainingseinheit auf uns zukommen zu lassen, ist es viel einfacher, auf das Pferde einzugehen. Wunderbare Pferd-Mensch-Momente entstehen meist völlig ungeplant. „Ich hätte nie gedacht, dass mein Pferd das heute so schön macht!“, hört man dann vom Menschen.
Pferde bieten so viel an. Wir müssen nur lernen, die richtigen Fragen zu stellen!
Eine prägende Begegnung
Ich habe vor gut 10 Jahren einen Kurs auf einer Reitanlage gehalten, bei der sich neben dem Reitplatz einige Wohnhäuser befanden. Die Kursteilnehmer arbeiteten fleißig daran, auf ihr Pferd einzugehen und sich seine Mitarbeit zu verdienen.
Nach einiger Zeit öffnete sich eine Tür von einem der Wohnhäuser neben dem Reitplatz. Ein alter Mann auf Krücken kam heraus und fragte, ob er ein bisschen zuschauen könnte. Gebannt beobachtete er das Geschehen. Aus ein bisschen Zusehen wurden letztendlich zwei Tage, an denen er trotz kaltem Wind auf einem Stuhl neben dem Reitplatz saß.
Er sagte nicht viel, nur immer wieder „Wenn wir das gewusst hätten … Was wir damals den Pferden angetan haben … Traurige Viecher waren das … Und eine Plackerei war das … Aber wir haben es ja nicht besser gewusst …“
Diese Begegnung werde ich nie vergessen. Heute wissen wir es besser. Darum sollten wir auch besser handeln. Das Pferd, aber auch der Mensch hat mehr davon!
Ganz nebenbei
Ist dir schon mal aufgefallen, wieviel schöner dein Pferd ist, wenn es einen positiven Ausdruck hat?
ZUR PERSON:
Foto: Florian Oberparleiter
Florian Oberparleiter ist international bekannter Pferdetrainer und hat sich sein ganzes Leben lang intensiv mit Tieren beschäftigt. In seinen Horsemanship- und Kommunikations-Kursen vermittelt er einen Umgang mit Pferden, der auf Körpersprache und Energie beruht. Er hat sich jahrelang mit verschiedenen Trainingskonzepten, Arbeitsweisen und Denkansätzen befasst und mit Pferdeexperten in den USA und Europa gearbeitet. Er schulte unablässig sein Gefühl und seine Wahrnehmung und entwickelte ein eigenständiges Trainingskonzept, das auf Kommunikation und nicht auf Konditionierung basiert und auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.
Weitere Infos über ihn, seine Arbeit und seine Kurse findet man auf www.florian-oberparleiter.com. Apropos: Kurse mit Florian Oberparleiter können auch auf der eigenen Anlage – egal ob in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder einem anderen Land – organisiert werden (Kontakte und Anfragen kann man über die Website sowie seine Facebook-Seite an ihn richten). Zudem bietet Florian auch Online-Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen – siehe www.florian-oberparleiter.com/online-schule/!
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