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Wie gefährlich sind Wölfe für Pferde wirklich? Studie gibt erste Antworten
12.08.2023 / News

Ein Wolf am Rande einer Pferdeweide, festgehalten von einer Wildkamera im Rahmen der mehrjährigen Feldstudie.
Ein Wolf am Rande einer Pferdeweide, festgehalten von einer Wildkamera im Rahmen der mehrjährigen Feldstudie. / Foto: Konstanze Krüger et.al.

Der „Arbeitskreis Pferd und Wolf" in Niedersachsen hat eine Studie in Auftrag gegeben, in der erstmals das komplexe Verhältnis von Pferd und Wolf wissenschaftlich analysiert wird. Nun liegen die spannenden Ergebnisse vor, die auch mit manchen Mythen rund um Pferde und Wölfe aufräumen.


Seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland im Jahr 2000 haben Pferdebesitzer verständlicherweise Angst davor, dass ihre Pferde Opfer von Wolfsangriffen werden könnten, so Studien-Leiterin Prof. Konstanze Krüger, eine international renommierte Expertin für Pferdepsyche und Pferdeverhalten, die an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen tätig ist und nun – gemeinsam mit Theo Gruentjens und Enno Hempel – die Ergebnisse ihrer umfangreichen Untersuchung in der Zeitschrift PLOS ONE vorgestellt hat. Eine weitere Befürchtung vieler Pferdebesitzer ist auch, dass ihre Pferde beim Anblick von Wölfen in Panik geraten und von der Weide fliehen könnten, was zu schweren Unfällen führen könnte.

Tatsächlich ist bekannt, dass Wölfe Pferde jagen. Auch wenn Pferde im Allgemeinen nicht als Hauptbeutetiere der Wölfe gelten, haben Studien gezeigt, dass Pferde in einigen Gebieten Südeuropas bis zu 93 % ihrer Nahrung ausmachen können. Landwirte in Nordspanien und Portugal berichteten in einer Dissertation aus dem Jahr 2013 über den Verlust von 59 % ihrer Fohlen durch Wölfe, wobei 41 % der Kadaver gefunden und dem Raub von Wölfen zugeordnet wurden. In Spanien und Portugal erbeuten Wölfe vor allem Fohlen und Jungtiere von Barrenos, lokalen Kleinpferderassen, die das ganze Jahr über frei herumlaufen, ohne jegliche Schutzmaßnahmen gegen Raubtiere. Wolfsrudel können sich in diesen Gebieten sogar auf die Jagd auf Pferde spezialisieren und lernen, wie man ausgewachsene Pferde angreift.

In Mitteleuropa ist die Situation – noch – eine andere: In Militärgebieten im Nordosten Deutschlands begannen einzelne Wölfe und Wolfspaare im Jahr 2002, stabile Lebensräume zu errichten. Von dort aus breiteten sich Wölfe über ganz Deutschland aus und erschlossen neue Lebensräume. Bis 2020–2021 ist die deutsche Wolfspopulation auf 158 Rudel, 27 Paare und 20 territoriale Individuen angewachsen.

In Deutschland wurden im Jahr 2016 die ersten Angriffe von Wölfen auf Pferde gemeldet und die Häufigkeit der Angriffe nimmt jährlich zu. Im Monitoringjahr 2020–2021 wurden 18 Wolfsangriffe dokumentiert. Zu den bestätigten Fällen gehörten acht Shetlandponys (7 starben, 1 wurde verletzt), zwei Konik-Fohlen (1 starb, 1 wurde verletzt), ein 20-jähriges Mischlingspony (gestorben) und ein kleines 40 Jahre altes Pferd (verletzt).

Studien deuten darauf hin, dass zunehmende Wildtierpopulationen in Südeuropa den Raubdruck auf Pferde verringern, insbesondere in Gebieten Italiens, Spaniens und Portugals, wo im Allgemeinen Nutztiere den Großteil der Wölfe ernähren. In Mitteleuropa jagen Wölfe bevorzugt Rehe, Rothirsche, Wildschweine, Damhirsche und Mufflons (ein Wildschaf) – Nutztiere machen hingegen nur 2 % der Wolfsnahrung aus.

Ob Pferde sich wirksam vor Wolfsangriffen schützen können, hängt laut Studien möglicherweise von der Struktur der Pferdegruppen ab. Es bleibe fraglich, ob Pferde Mitteleuropas, denen es an Erfahrung mit Raubtieren mangele, ein räuberfeindliches Verhalten zeigen würden oder ob sie beim ersten Anblick oder Geruch eines Wolfes lieber in Panik fliehen würden, sagten die Forscher. Pilotstudien zu Anti-Raubtier-Reaktionen von Pferden zeigten jedoch vergleichbare Reaktionen bei mitteleuropäischen Pferden wie bei südeuropäischen Pferden.

In ihrer aktuellen Untersuchung führten Krüger, Gruentjens und Hempel zwischen Januar 2015 und Juli 2022 eine Langzeitbeobachtung im Rahmen einer Feldstudie durch: Beobachtet wurden 13 Reitpferde unterschiedlicher Rassen, die dauerhaft auf zwei großen angrenzenden Weiden im Osten Deutschlands zwischen Dresden und Cottbus gehalten wurden. Das Durchschnittsalter der Pferde betrug 15 Jahre (min. = 6 Jahre, max. = 29 Jahre). Es waren sieben Stuten und sechs Wallache. Geschlecht, Rasse und Altersverteilung der Pferde entsprachen der üblichen Gruppenzusammensetzung privater Reitpferde in Deutschland, zu der weder Hengste noch Zuchtstuten gehörten.

Die konventionell mit Elektrozäunen (also keinen Wolfschutzzäunen!) umgrenzte Weiden befanden sich in der Reichweite von Wildtieren und einem Wolfsrudel mit Nachwuchs, dem so genannten Knappenrode-Seenland-Rudel.

Das Studienteam beschäftigte sich mit mehreren Fragen: Könnten Wölfe außerhalb oder innerhalb der Pferdeweiden erfasst werden? Wie würden Pferde auf die Anwesenheit von Wölfen und sogar auf einen Angriff reagieren? Würden Wölfe Pferdeweiden anders aufsuchen, wenn die Tierwelt auf den Weiden unterschiedlich wäre? Würden Wölfe in Gebieten mit vielen Wildtieren Pferde angreifen? Unterscheidet sich die Anwesenheit von Wölfen, wenn sich Pferde in Rasse, Form und/oder Alter unterscheiden?

Während der Studie machten sechs Wildkameras an den Zäunen der Weiden 984 Aufnahmen von Wölfen und 3151 Aufnahmen von Wildtieren in und um die Weiden. Wölfe wurden hauptsächlich nachts gesehen. Die meisten trotteten an den Zäunen entlang (695 Bilder), einige standen (117) und einige schnüffelten in Richtung der Pferde (25). Neun Bilder zeigten Wölfe, die auf der Weide standen. Drei zeigten Wölfe, die außerhalb der Weide liefen.

Es gab keinen Fall, bei dem Pferde ungewöhnliche Verhaltensweisen oder Körperzustände zeigten, die einen Wolfsangriff hätten vermuten lassen. Von den 3151 Wildtierbildern waren 1342 Hasen, gefolgt von Wildschweinen (867), Rotfüchsen (810) und Rehen (95). Die Kamera zeichnete außerdem einige Rothirsche (17), Marderhunde (11), Nebelkrähen (11), Dachse (3), Waschbären (3), einen Steinmarder, einen Kranich und eine Bekassine auf.

Eine vergleichende Beobachtung wurde zwischen dem 1. Januar 2022 und dem 23. März durchgeführt. In diesem Zeitraum blieben die beiden Pferdegruppen auf den Weiden 1 und 2 konstant, unterschieden sich jedoch in der Verteilung der Pferderassen, des Alters und des Geschlechts. Fünf Pferde verschiedener Rassen wurden der Weide 1 zugewiesen, die Gruppe bestand aus einem Pony, zwei Warmblütern und zwei Kaltblütern. Das Durchschnittsalter der Pferde – vier Stuten und ein Wallach – betrug 8 Jahre (min. = 6 Jahre, max. = 29 Jahre).

Auf Weide 2 wurden acht Pferde „schwerer Rassen“ gehalten. Sie bestanden aus drei schweren Warmblütern und vier Kaltblütern (bei einem waren Rasse und Alter unbekannt). Das Durchschnittsalter der Pferde – drei Stuten und fünf Wallache – betrug 16 Jahre (min. = 13 Jahre, max. = 22 Jahre).

Während dieser zweiten Beobachtungsperiode wurden Wölfe auf Weide 1 insgesamt 89 Mal registriert, das am häufigsten gesehene Wildtier waren Hasen. Auf  Weide 2 wurde kein Wolf registriert, es wurden jedoch mehrmals Wildschweine gesichtet, so die ForscherInnen: „Wölfe haben Weide 2 möglicherweise wegen der Anwesenheit von Wildschweinen gemieden oder weil die große Gruppe älterer Pferde schwerer Rassen möglicherweise eine stabile Schutzgruppe gebildet hat. Letzteres muss durch eine anschließende Feldbeobachtung bestätigt werden, bei der das Anti-Raubtier-Verhalten und Wohlfahrtsindikatoren bei Pferden erfasst werden.“

Die AutorInnen weiter: „Die Beobachtungen der vorliegenden Studie könnten eine frühere Annahme stützen, dass mitteleuropäische Pferde ihre Fähigkeiten im Umgang mit Wölfen, die nicht angreifen, möglicherweise nicht verloren haben, auch wenn sie in den vergangenen Jahrhunderten keinen Kontakt mit Raubtieren hatten.“ Dennoch könne die vorliegende Studie keine Rückschlüsse auf den emotionalen Zustand und das Wohlbefinden der Pferde bei Kontakt mit Wölfen ziehen. Die ForscherInnen schlagen daher vor: „Zukünftige Ansätze müssen die Wildtierdokumentation mit zusätzlichen Parametern zur Messung der Emotionalität und des Wohlergehens von Pferden kombinieren.“

Die AutorInnen stellten fest, dass frühere Untersuchungen darauf hindeuteten, dass Wölfe möglicherweise größere Pferdegruppen meiden. „Die besten Voraussetzungen für den Raubtierschutz dürften daher in mittelgroßen, stabilen Pferdegruppen gegeben sein, zu denen Zuchttiere wie Zuchtstuten und Hengste gehören und in denen die Mitglieder stabile soziale Beziehungen eingehen.“ 

Die ForscherInnen wiesen auch darauf hin, dass die Wölfe keine erwachsenen Pferde auf Weiden mit vielen Wildtieren in der Nähe angriffen und die Pferde offenbar nicht mit sichtbaren Anzeichen von vermindertem Wohlergehen oder Panik auf die Anwesenheit von Wölfen reagierten. Die Studienergebnisse deuten vielmehr darauf hin, dass Wölfe möglicherweise lieber Jagd auf leicht jagdbare Wildtiere rund um Pferdeweiden machen und dass mitteleuropäische Pferde sich offenbar an die Anwesenheit nicht jagender Wölfe gewöhnen.

Weiter heißt es: „Abschließend muss auch darauf hingewiesen werden, dass, obwohl in Deutschland seit 2016 Wolfsangriffe auf Pferde gemeldet und diskutiert werden, nur wenige Pferdebesitzer ihre Haltungs- und Managementstrategien geändert oder entsprechende Schutzmaßnahmen eingeführt haben. Es sollte sorgfältig beobachtet werden, ob sich Wölfe in Deutschland, wie aus anderen Ländern berichtet, auf die Jagd auf Pferde spezialisieren. Um Wolfsangriffe auf Pferde zu verhindern, kann es ratsam sein, Wolfabwehrzäune zu installieren. Darüber hinaus sollten fohlende Stuten, Fohlen und kleine Ponys durch die Anwesenheit von Menschen geschützt werden, beispielsweise indem sie für die Nacht auf Weiden mit Wolfsabwehrzäunen in der Nähe menschlicher Behausungen gebracht werden. Schließlich könnten Pferdebesitzer die Ausbildung von Wachhunden in Betracht ziehen, von denen häufig berichtet wurde, dass sie für viele Arten, darunter auch Pferde, beim Schutz vor Raubtieren sehr hilfreich sind.“

Abschließend wiesen die AutorInnen darauf hin, dass dies die erste Langzeit-Feldstudie ist, „die Wölfe in der Nähe und auf Pferdeweiden in Mitteleuropa dokumentiert". Es lasse sich zusammenfassend sagen, „dass Wölfe ausgewachsene Pferde auf Weiden mit vielen Wildtieren nicht angegriffen haben und die Pferde auf die Anwesenheit von Wölfen nicht mit sichtbaren Anzeichen von vermindertem Wohlergehen oder Panik reagierten. Dies deutet darauf hin, dass Wölfe es möglicherweise vorziehen, leicht angreifbare Wildtiere rund um und auf Pferdeweiden zu jagen, und dass Pferde in Mitteleuropa sich an die Anwesenheit nicht-jagender Wölfe gewöhnen.“

Die Studie „Wolf contact in horses at permanent pasture in Germany" von Konstanze Krueger, Theo Gruentjens und Enno Hempel ist am 10. Aug. 2023 in der Zeitschrift ,PLOSOne' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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