Neil Davies’ Blog: Pferdetraining ohne Angst 07.03.2015 / News
Der australische Horseman Neil Davies trainiert Pferde ohne Angst und Dominanz. / Foto: Neil Davies Dieses Pferd möchte einfach nur Druck reduzieren, daher ist es widersetzlich und weicht aus. Aber es bedeutet nicht, dass es „böse" oder „respektlos" wäre. / Foto: Neil Davies
Der Australier Neil Davies trainiert Pferde nach einem eigenen, unkonventionellen Konzept, in dem Angst, Dominanz und Unterordnung keine Rolle spielen. ProPferd veröffentlicht ab sofort Auszüge aus seinem Online-Blog, hier die 1. Folge: Respekt und Pferdetraining.
Angst ist die größte Hürde, die man überwinden muss, wenn man Pferde trainiert. Es ist sehr schwer, einem Pferd überhaupt irgendetwas beizubringen, wenn es Angst hat. Wenn ein Pferd Angst hat und verwirrt ist, wird es alles versuchen, um zu entkommen. Das schließt Verhaltensweisen wie Ausschlagen, Beißen, Zurückdrängen, Weglaufen oder Buckeln ein. Diese Verhaltensweisen sind aus unserer Sicht unerwünschte Unarten, aber das heißt nicht, dass sie falsch oder respektlos wären. Aus der Sicht des Pferdes sind sie richtig und natürlich – denn sie sind stressentlastend und machen eine furchterregende Situation weniger angstvoll.
Viele Trainer würden meinen, dass die größten zu überwindenden Hürden beim Pferdetraining das „Erlangen eines Platzes in der Pferdeherde“ oder das „Erlangen des Respekts des Pferdes“ sind. Sie missverstehen das Beißen, Ausschlagen, Buckeln, Aufbäumen und Weglaufen, indem sie meinen, das Pferd würde sie damit gleichsam herausfordern. Sie sagen, dass man „höher in der Rangordnung“ sein müsse, damit man „das Pferd dominieren“ und „seinen Respekt gewinnen“ kann.
Beißen, Ausschlagen, Bocken, Aufbäumen und Weglaufen sind die natürlichen Verteidigungsmechanismen des Pferdes, wenn es sich in einer furchterregenden Situation befindet. Diese Verhaltensmuster beginnen, wenn ein Pferd ängstlich ist und versucht, sein Leben zu schützen. Viele Trainer sagen, dass man ein Pferd jagen soll und noch mehr Druck machen soll, bis es „aufgibt“. Mit dieser Behandlung werden die meisten Pferde vom Herumjagen und Drangsalieren körperlich und seelisch so ermüdet, dass sie letztendlich einfach stehenbleiben. Dann sagt der Trainer, dass das Pferd „Respekt“ zeigt, sich untergeordnet hat oder etwas Ähnliches.
Diese Theorie nimmt an, dass das Pferd weiß, dass es nicht ausschlagen, beißen, sich aufbäumen oder bocken soll, auch wenn es Angst hat. Nehmt Euch ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken: Woher soll ein Pferd wissen, dass es diese Dinge nicht tun soll? Woher soll irgendein Pferd a priori wissen, was wir Menschen als richtig und falsch betrachten, als erwünscht oder unerwünscht? Pferde haben keine Ahnung, was wir möglicherweise als richtig oder falsch beurteilen. Pferde tun lediglich das, was sie als leichteste Lösung für die Situation sehen, in der sie sich befinden.
Man muss sich vor Augen halten, dass Pferde nicht automatisch wissen, was du von ihnen willst, wenn du ihnen etwas Neues beibringst. Ein Pferd kommt nicht auf den Platz und denkt: „Alles klar, heute wird mir Galoppwechsel beigebracht.“ Ein junges Pferd denkt nicht: „Es ist jetzt wirklich an der Zeit für mich, gesattelt und geritten zu werden.“ Selbst ein erfahrenes Pferd denkt nicht „Ich habe fliegende Galoppwechsel gelernt, ich schätze, Galopp-Pirouetten kommen als nächstes“. Pferde verstehen nicht automatisch, es ist unsere Aufgabe, es ihnen in jeder Situation beizubringen.
Wenn ein Pferd vertrauensvoll und ruhig ist, ist es leicht, ihm etwas beizubringen. Ein vertrauensvolles, ruhiges Pferd sucht immer nach Wegen, sich selbst das Leben leichter zu machen. In jeder Situation wird es versuchen, Druck zu reduzieren. Wenn der Trainer allerdings nicht den Druck zur passenden Zeit reduziert, wird das Pferd verwirrt sein. Wenn es keinen Weg sieht, den Druck wegzubekommen, wird es andere Möglichkeiten ausprobieren. Vielleicht entreißt es dem Reiter die Zügel oder bäumt sich auf, schlägt aus, oder buckelt. Wenn das Pferd diese Dinge macht, hört der Reiter für einen Moment auf zu ziehen oder anzuspornen. Aus der Sicht des Pferdes reduzieren diese Verhaltensweisen Druck – und so lernt es zu ziehen, sich aufzubäumen, auszuschlagen oder zu buckeln. Ein solches Pferd lernt, Druck auf andere Arten zu reduzieren als ein sogenanntes „gut erzogenes“ Pferd, aber das heißt nicht, dass es „böse“ oder „respektlos“ wäre.
Manche Pferde lernen, ihre Ohren anzulegen und Leute davonzujagen. Das beginnt, wenn ein Pferd verwirrt und genervt ist, weil es widersprüchlich und inkonsequent behandelt wurde. Wenn das Pferd seine Ohren anlegt und die Quelle seines Ärgers– seinen Trainer – verjagt, fällt der Druck weg, wenn der Trainer ein paar Schritte zurückweicht oder wegläuft. Und so lernt das Pferd, die Ohren anzulegen und andere zu verjagen. Das ist einfach ein angelerntes Verhaltensmuster und hat nichts mit dem Erlangen von Respekt, Dominanz, Führung oder mit Herdenverhalten zu tun.
Das Pferd tut in jeder Situation das, was es als einfachste Lösung sieht. Zu sagen, dass ein Pferd respektlos ist, ist nur eine Ausrede, um das Pferd vor sich herzujagen, zu schikanieren und ihm Gewalt anzutun. Vergesst das Gerede von Respekt. Es hat nichts mit Pferdetraining zu tun.
Hier geht's zur Website von Neil Davies: www.fearfreehorsetraining.com
ZUR PERSON
Neil Davies ist seit 1977 professioneller Pferde-Trainer. In den ersten 15 Jahren seiner Trainerlaufbahn hat er Tausende Pferde angeritten und auch zahllose sogenannte ,Problempferde’ trainiert. Egal ob ein 100-Dollar-Pony aus dem Hinterhof oder millionenteure Vollblüter – Neil Davies kennt sie alle.
Neil war einer der ersten Pferdetrainer, der seine Arbeit mit Hilfe von Videos dokumentierte. Diese Videos wurden weltweit verkauft, daneben führte er Clinics und Präsentationen in Australien, Neuseeland und den USA durch.
Neils einzigartiges Wissen entstand in der Arbeit mit sovielen Pferden, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Obwohl nur wenige die Möglichkeit bzw. die Neigung haben, das zu tun was er tut, kann jeder Pferdefreund von seinem Wissen und seiner Erfahrung profitieren.
Die Stute in diesem Video ist vertrauensvoll und entspannt, daher ist es einfach, ihr etwas beizubringen. Ihre Haltung hat nichts mit Respekt zu tun.
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Was glauben Sie: Wird dieses nervöse, verängstigte Pferd rascher lernen... / Foto: Neil Davies ... oder dieses neugierige, entspannte und vertrauensvolle Pferd? Die Antwort ist so einfach! / Foto: Neil Davies
Pferdetrainer Neil Davies zur spannenden Frage: Wie schlau sind Pferde? Sind manche Pferde schlauer als andere? Und ist es wirklich eine Frage der Intelligenz, wie schnell bzw. wie gut Pferde lernen können.
Pferde denken die ganze Zeit – und vielleicht sollten wir uns ein Beispiel daran nehmen.
Ja, Pferde denken anders als Menschen; sie denken nicht weniger – nur anders.
Wenn ein Pferd hinter einem Tor festsitzt, kommt es nicht darauf, ein paar Schritte zurückzugehen und hinten herauszukommen. Es kann nicht darauf kommen, dass Rückwärtsgehen es um das Tor herumbringt und auf die nächste Koppel. Obwohl wir meinen, dass das doch ein sehr einfaches Problem ist, ist es für das Pferd nicht zu lösen.
Ein Pferd kommt nicht darauf, dich aufmerksam zu beobachten und dich zu kopieren, wenn es dich sieht, wie du ein Tor oder die Stalltüre öffnest. Egal, wie viele Male ein Pferd dich diese Dinge tun sieht, es wird nicht darauf kommen, es selbst zu tun. Manche Pferde spielen mit Riegeln und Ketten – und als Ergebnis öffnet sich vielleicht irgendwann das Tor. Das Pferd spielt einfach damit herum und wird belohnt, wenn sich das Tor öffnet. Obwohl es versteht, dass das Spielen mit Riegeln oder Ketten dazu führt, dass sich das Tor öffnet, versteht es nicht die Mechanik, wie ein Riegel oder eine Kette funktioniert.
Lernen manche Pferde schneller als andere?
Wenn Pferde entspannt und vertrauensvoll sind, gibt es wenig Unterschiede in ihrer Lernfähigkeit, besonders im anfänglichen Training. Wenn ein Pferd nervös oder verunsichert ist oder verängstigt wurde, wird es sehr langsam lernen. Es wird schlechte Erfahrungen befürchten und erwarten, vom Trainer verängstigt zu werden. Und viele meinen dann, dass ein solches Pferd „dumm“ oder „verrückt“ sei.
Ein Pferd, mit dem schlecht umgegangen wird, wird einige Lektionen brauchen, bis es Vertrauen aufgebaut hat und in einer Stimmung ist, in der es bereit ist, zu lernen. Wenn es dann aber entspannt und vertrauensvoll wird, wird es genauso schnell lernen wie andere Pferde.
Pferde scheinen mit verschiedenen Geschwindigkeiten zu lernen – einfach, weil mit manchen besser umgegangen wurde als mit anderen. Viele Leute interpretieren das falsch und sagen, dass manche Pferde klüger sind als andere.
Pferde, die monate- oder jahrelang trainiert wurden, unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, mit dem psychischen Druck eines Wettkampfs umgehen zu können. Ihre körperliche Fähigkeit, schwierige Lektionen auszuführen, wird sich ebenfalls unterscheiden. Manche Pferde sind extrem gut, wenn man will, dass sie höher springen, schneller laufen, Vieh jagen oder schwere Dressurlektionen machen sollen. Andere Pferde tun sich sowohl körperlich als auch seelisch schwerer damit, wenn sie aufgefordert werden, auf einem höheren Level zu arbeiten.
Menschen denken, dass sie um einiges schlauer sind als Pferde. Und trotzdem habe ich 30 Jahre gebraucht, um etwas zu lernen, das ich einem Pferd in fünf Minuten beibringen kann. Und wenn ein neuer Reiter (ein intelligenter Mensch) auf einem armen, alten, vermeintlich „dummen“ Pferd sitzt, ist das Pferd dem Reiter innerhalb von fünf Minuten im Denken voraus. Das Pferd weiß sofort, dass es sein eigenes Ding durchziehen kann und es wird stehenbleiben, mit seinem Schweif wackeln, an den Zügeln ziehen, nach Hause rennen, oder was es sich sonst so aussucht. Ein „intelligenter“ Mensch kann einem „dummen“ Pferd in dieser Situation nicht voraus sein.
Pferde sind exzellente Problemlöser. Allerdings sind die Probleme, die sie behandeln, oft sehr verschieden von denen, die die Trainer im Kopf haben. Ein verängstigtes Pferd wird versuchen, so weit wie möglich vom Trainer wegzubleiben und wird sich ständig bewegen, um Distanz zu wahren. Pferde sind sehr gut darin, sich wegzubewegen von allem, was sie ängstigt – und sie konzentrieren sich komplett darauf, das zu tun, wenn sie ängstlich sind.
Auf der anderen Seite denkt der Trainer in der Zwischenzeit, dass sie dem Pferd beibringen, geführt zu werden und es an eine wehende Fahne zu gewöhnen. Also konzentriert sich der „intelligente“ Mensch auf eine Sache, während sich das Pferd auf eine ganz andere konzentriert. Und wenn die Lektion nicht nach Plan verläuft, sagt der Mensch, dass das Pferd „dumm“ und „ein langsamer Lerner“ ist.
Vor kurzem war in einer polnischen Studie zu lesen, dass manche Pferde angeblich „schlauer“ sind als andere und dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Grad, wie „schlau“ ein Pferd ist und der Zeitspanne, die es benötigt, um es zum ersten Mal satteln und aufsteigen zu können.
In der ersten Testphase teste man die Lernfähigkeit bzw. das Erinnerungsvermögen von insgesamt 120 Pferden, indem man in eine Futterbox mit einem einfach zu öffnenden Deckel ein paar Handvoll Hafer leerte, sodaß es die Pferde beobachten konnten. Anschließend stoppte man die Zeit, welche die Pferde brauchten, um den Deckel der Box öffnen zu können. In einer zweiten Testphase wurde dann jene Zeit gemessen, die es benötigte, um die Pferde das erste Mal zu satteln und zu besteigen, wobei drei professionelle Pferdetrainer nach einem standardisierten Übungsprogramm vorgingen. Das überraschende Ergebnis: Pferde, welche die Box schneller öffnen konnten – also ,intelligenter’ waren als die anderen – ließen sich erst nach deutlich längerer Zeitspanne satteln und besteigen. 22 Pferde ließen den Reiter gar nicht aufsitzen. Zitat aus der Studie: „Die Ergebnisse legen nahe, dass Pferde mit einer höheren Lernfähigkeit weniger willig waren, einen Reiter aufsitzen zu lassen, während Pferde mit einer niedrigeren Lernfähigkeit besser mit dem Trainer kooperiert haben und leichter die Präsenz eines Menschen auf ihrem Rücken akzeptiert haben.“
Nun, es gibt gewaltige Schwachstellen in dieser Studie. Zum ersten haben die Forscher komplett den vorherigen Umgang eines jeden Pferdes ignoriert. Um ein Pferd genau mit einem anderen zu vergleichen, wenn man aufsattelt, müssen beide Pferde genau denselben Umgang gehabt und dieselben Lebenserfahrungen gemacht haben. Es ist unmöglich, zwei Pferde zu finden, auf die das zutrifft, schon gar nicht 120 Pferde.
Das größte Problem bei dieser Studie ist aber, dass die Forscher geglaubt haben, dass sie die Lernfähigkeit von Pferden untersuchen. Ich meine aber, sie haben in Wahrheit die Fähigkeit der Trainer getestet, auf Pferde aufzusitzen zu können. Statt zu sagen: „Auf 22 Pferde konnte nicht aufgesessen werden“, hätten die Forscher schließen sollen, dass die Trainer auf 22 Pferde – immerhin 20,95 % aller Pferde in diesem Test – nicht fähig waren aufzusitzen. Diese 22 Pferde waren vielleicht nicht intelligenter als die anderen – sie kamen nur mit dem Trainingszugang, der verwendet wurde, nicht klar. Im Übrigen: Ich als Trainer würde erhebliche Zweifel an meiner Trainingsarbeit hegen, wenn meine Methode bei mehr als 20% der Pferde versagt. Dann würde ich, ehrlich gesagt, doch etwas ändern...
Auch wenn Pferde verschiedene Lernfähigkeiten haben, sollte es keinen Unterschied in unserer Fähigkeit machen, sie zu trainieren – soviel Intelligenz sollte ein Trainer schon haben. Wir müssen unsere Lektionen individuell auf jedes Pferd anpassen können, anstatt zu erwarten, dass sich jedes Pferd auf ein festgefügtes Trainingssystem einstellt.
Hier geht's zur Website von Neil Davies: www.fearfreehorsetraining.com
ZUR PERSON
Neil Davies ist seit 1977 professioneller Pferde-Trainer. In den ersten 15 Jahren seiner Trainerlaufbahn hat er Tausende Pferde angeritten und auch zahllose sogenannte ,Problempferde’ trainiert. Egal ob ein 100-Dollar-Pony aus dem Hinterhof oder millionenteure Vollblüter – Neil Davies kennt sie alle. Neil war einer der ersten Pferdetrainer, der seine Arbeit mit Hilfe von Videos dokumentierte. Diese Videos wurden weltweit verkauft, daneben führte er Clinics und Präsentationen in Australien, Neuseeland und den USA durch. Neils einzigartiges Wissen entstand in der Arbeit mit sovielen Pferden, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Obwohl nur wenige die Möglichkeit bzw. die Neigung haben, das zu tun was er tut, kann jeder Pferdefreund von seinem Wissen und seiner Erfahrung profitieren.
In diesem Video ist es ebenfalls deutlich zu sehen: Pferde lernen sehr schnell, wenn sie vertrauensvoll und entspannt sind.
17.03.2015 - Neil Davies’ Blog: Streichelt Eure Pferde!
Neil Davies’ Blog: Streichelt Eure Pferde! 17.03.2015 / News
Der Australier Neil Davies propagiert ein Pferdetraining ohne Angst und Gewalt. / Foto: Neil Davies Das Streicheln und Kraulen von Kopf, Hals und Widerrist ist den Pferden angenehm und schafft eine Vertrauensbasis für das weitere Training. / Foto: Neil Davies
Das Markenzeichen des australischen Pferdetrainers Neil Davies ist das intensive Streicheln des Pferdekopfes – die sanften Berührungen schaffen ein Grundklima des Vertrauens und damit die Basis für die weitere positive Zusammenarbeit.
Meine Frau Christine hat schon immer viel Zeit damit verbracht, ihre Pferde zu streicheln und zu kraulen. Unser Schimmel Kip hat schnell gelernt, zu ihr zu kommen und ihr die Stelle zu zeigen, an der er gestreichelt oder gekrault werden wollte. Manchmal war es sein Hinterteil, manchmal die Seite, der Widerrist, Hals oder Kopf. Kip hat sogar gelernt, rückwärts zu ihr zu gehen und ein Bein zu heben, damit Chris ihn genau an der Stelle kraulen konnte. Man könnte fast sagen: Kip hat Chris trainiert, jedes beliebige Körperteil zu streicheln oder zu kraulen, das er wollte. Er mag es ganz offensichtlich und kontrolliert genau, wann und wo sie zu streicheln hatte. Ob er gezäumt oder frei war, Kip hat sich mit Chris bewegt und ihr genau die Stelle angezeigt, die er gekrault haben wollte.
Kip hat auch meinen Bruder Jim für die spezielle Aufgabe „angeheuert“, die Innenseite seiner Ohren zu kraulen. Das Pferd stand dann mit gesenktem Kopf da, während Jim die Innenseiten seines Ohrs minutenlang kraulte. Wenn Kip endlich zufrieden war, drehte er seinen Kopf, damit Jim das andere Ohr kraulen konnte. Ohne Zügel oder Halfter hat Kip es lieben gelernt, dass er an seinen Ohren gekrault wird, an den Beinen und überall an seinem Kopf und Körper.
Pferde haben oft einen Lieblingsbaum an dem sie sich reiben und kratzen. Sie gehen rückwärts darauf zu und reiben ihr Hinterteil und ihren Schweif daran. Sie reiben ihre Rippen, Schultern, Hals und Kops mit offensichtlichem Gefallen – und ich habe viele Bäume gesehen, die von dieser Aktivität glatt geschmirgelt wurden.
Wissenschaftler haben einen kleinen Teil dieses Pferde-Kraulens herausgenommen und es für das Pferdetraining genutzt. Nachdem sie beobachtet hatten, wie Pferde sich gegenseitig den Widerrist kraulen, haben Wissenschaftler sich vorgenommen zu beweisen, dass für einen Menschen das Kraulen am Widerrist die beste Stelle für Trainingszwecke ist. Sie meinen, dass das Kraulen am Widerrist das Pferd beruhigt und die Herzschlagrate verringert. Aufgrund dieser Studien sagen Wissenschaftler, dass es keinen Nutzen bringt, irgendeine andere Stelle am Pferd zu streicheln oder zu kraulen.
Es ist toll, dass Wissenschaftler versuchen, bessere Wege zu finden, um mit Pferden umzugehen und sie zu trainieren. Das Problem ist nur, dass viele wissenschaftliche Studien keine neutralen Beobachtungen sind. Viele Studien, die ich gelesen habe, hatten zum Ziel eine bereits vorhandene Idee oder Theorie zu „beweisen“. Und sobald eine solche Studie veröffentlicht wurde, wird sie quasi zum Evangelium und niemand hinterfragt sie.
Ich meine: Statt zu versuchen, das Pferd an bereits vorhandene Ideen anzupassen, sollten Wissenschaftler die vorhandenen Theorien und Trainingsmethoden hinterfragen. Sie sollten herausfinden, was das Beste für das Pferd in jeder Situation ist.
Ich habe mit Tausenden Pferden gearbeitet und dadurch bestimmt Zehntausende Experimente durchgeführt. Ich hab gelernt, dass es das wertvollste Trainingsinstrument ist, den Kopf des Pferdes zu streicheln. In seinen ersten Trainingsstunden ist jedes Pferd ängstlich, und wenn deine Hand ihm nahekommt, steigt natürlich seine Herzschlagrate. Nach ein paar Stunden lernen Pferde allerdings, es zu genießen, wenn ihr Kopf, Hals oder ihre Ohren gestreichelt werden. Es wird zu einer angenehmen und beruhigenden Erfahrung für jedes Pferd.
Es hat viele Vorteile, den Kopf eines Pferdes zu streicheln. Man kann es verwenden, um dem Pferd beizubringen, seinen Kopf bei dir zu halten und dir zu folgen. Man kann es verwenden, um dem Pferd beizubringen, auf dich zuzugehen und über Hindernisse zu steigen. Man kann es verwenden, ihm beizubringen, im Kreis zu gehen. Man kann es verwenden, um ihm beizubringen, stehen zu bleiben, seinen Hals zu beugen und seinen Kopf bei einem zu halten, wenn man an seiner Schulter steht. Man kann es verwenden, um das erste Mal aufzusteigen, das Pferd zu satteln, neue Gegenstände vorzustellen, eine Wunde zu heilen und so ziemlich alles andere, was man tun will.
Vor allem aber wird das Pferd lernen, dass es eine angenehme Erfahrung ist, wenn es bei dir ist – und das ist bei weitem das allerwichtigste. Es wird lernen, sich zu entspannen – und damit kann man anfangen, sein Vertrauen aufzubauen. Wenn ein Pferd einmal entspannt und vertrauensvoll ist, ist es leicht, ihm etwas beizubringen.
Den Beweis dafür kannst du jedesmal mit eigenen Augen sehen, wenn du mit deinem Pferd arbeitest. Man braucht keine wissenschaftlichen Studien um zu erkennen, wann ein Pferd ängstlich und unruhig ist und schweißgebadet vor dir steht. Doch leider wird diese so offensichtliche Tatsache immer und immer wieder von Trainern und Zuschauern ignoriert oder mit einer Ausrede beiseite gewischt. Jedes Mal, wenn ein Pferd wegläuft, ausschlägt, sich aufbäumt oder bockt, ist der Beweis eindeutig erbracht – die Lektion funktioniert nicht.
Es ist höchste Zeit, endlich das anzuerkennen, was so offensichtlich vor unseren Augen passiert – statt blind zu glauben, was manche sogenannte Pferde-Gurus sagen. Schaut Eure Pferde an – sie zeigen Euch nichts als die Wahrheit.
Hier geht's zur Website von Neil Davies: www.fearfreehorsetraining.com
ZUR PERSON
Neil Davies ist seit 1977 professioneller Pferde-Trainer. In den ersten 15 Jahren seiner Trainerlaufbahn hat er Tausende Pferde angeritten und auch zahllose sogenannte ,Problempferde’ trainiert. Egal ob ein 100-Dollar-Pony aus dem Hinterhof oder millionenteure Vollblüter – Neil Davies kennt sie alle. Neil war einer der ersten Pferdetrainer, der seine Arbeit mit Hilfe von Videos dokumentierte. Diese Videos wurden weltweit verkauft, daneben führte er Clinics und Präsentationen in Australien, Neuseeland und den USA durch. Neils einzigartiges Wissen entstand in der Arbeit mit sovielen Pferden, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Obwohl nur wenige die Möglichkeit bzw. die Neigung haben, das zu tun was er tut, kann jeder Pferdefreund von seinem Wissen und seiner Erfahrung profitieren.
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