Seit mehr als 30 Jahren ist Dr. Reinhard Kaun als gerichtlich beeideter Sachverständiger tätig und hat in dieser Zeit Gutachten zu mehr als 2.500 Verfahren vor Gericht und für Versicherungen erstellt. Auf ProPferd lässt er die markantesten und lehrreichsten Fälle noch einmal Revue passieren – wie etwa einen höchst ungewöhnlichen Jagdunfall, bei dem ein Jäger ein Fohlen mit einem Wildschwein verwechselt und getötet hatte …
Der hier geschilderte Fall sorgte vor einigen Jahren auch für einiges mediale Aufsehen: Während einer Wildschweinjagd in den Abendstunden traf ein Jäger in OÖ ein sechs Monate altes Fohlen, das sich auf der Weide aufgehalten hatte, und verletzte es so schwer, dass es trotz umgehender Einlieferung in eine Pferdeklinik nicht gerettet werden konnte, es musste eingeschläfert werden. Das sechs Monate alte Quarter Horse-Fohlen war das Maturageschenk für eine Schülerin und von beträchtlichem Wert (ca. 15.000,– Euro). Zu einem Strafverfahren kam es in der Folge übrigens nicht, im Zivilverfahren wurde der ,Schaden’ in einem außergerichtlichen Vergleich bereinigt.
In seinem Gutachten analysierte Dr. Reinhard Kaun insbesondere die Kausalität der Ereignisse, die zur Euthanasie des Fohlens führten (= Gutachtensauftrag). Hier Auszüge daraus …
Bei der fachlichen Beurteilung der Kausalkette, die letztendlich zum Tod des Fohlens geführt hat, ist es unbedeutend, aus welchem Grunde die Jäger ausgerückt sind. Soweit jedoch nachvollziehbar, lag keinerlei jagdlicher Notfall vor, der eine risikoreiche bewaffnete Intervention verlangt hätte. Auch ist es nicht Aufgabe des Gutachtens, eventuelle Ausschließungsgründe für die Haftung aufzuzeigen, sehr wohl muss aber von fachlicher Seite der Vorgang von allen Seiten beleuchtet werden.
Die Jäger bezogen auf Grund eines angeblichen Anrufes Stellung in der Nähe des Anwesens 41xx in A. 16. Seitens der aufnehmenden PI wurden keine Erhebungen durchgeführt, ob der Standort der Jäger geeignet war, von dort aus die Jagd auszuüben bzw. ob dort wegen zu großer Nähe zu menschlichen Siedlungen die Jagd zu ruhen habe [OÖ Jagdgesetz § 4 (e)]
Die Jäger haben keine jagdliche Einrichtung(Hochstand) benützt, von welcher aus „in den Boden“ geschossen würde, sondern nahmen ihren Standplatz auf der Straße bei ihrem PKW, was eine Schusslinie in der Höhe des liegenden Waffe (fast) parallel Boden bedingt und die Bedeutung des Kugelfangs oberste Priorität haben muss.
3.1.8: Vor Abgabe eines Schusses hat sich der Schütze zu vergewissern, dass niemand gefährdet wird.
3.2.2: Der Büchsenschuss darf nur abgegeben werden, wenn ein geeigneter Kugelfang vorhanden ist. Als geeigneter Kugelfang ist der Hintergrund des Geländes anzusehen. Der Wald ist auf Grund hoher Gellergefahr (= Gefahr eines Abprallers bzw. Querschlägers, Anm.) kein geeigneter Kugelfang.
(Jagdunfallverhütungsvorschrift, Stand Jänner 2013)
Den Jägern war das Gebiet, in dem sie sich befanden, wohl bekannt, weil – wie sie selber angegeben haben – dort regelmäßig ausgehen und außerdem seit vielen Jahren unweit von dort beheimatet sind.
Es hat sich also dort keineswegs plötzlich und unvermutet ein pferdehaltender Betrieb aufgetan, sondern sie wussten sehr wohl, dass dort Pferde gezüchtet und auf den Weiden gehalten werden, die streckenweise durch Weidenriegel getrennt und schlecht einsehbar sind. Davon abgesehen, würde unbekannte landschaftliche Topografie in der Schussrichtung und im Kugelfang a priori ein Schussverbot bedingen.
Der Schütze, der den Schaden am Pferd verursacht hat, hat für seine jagdlichen Absichten eine spezielle Jagdwaffe mitgenommen, die als Waffe, vom Kaliber und der Munition her für Schwarzwild prinzipiell geeignet ist, nicht jedoch zur Fasanenjagd verwendet wird.
Insoferne ist die ursprüngliche Behauptung, man wäre auf einen Fasan gegangen, als Schutzbehauptung für einen vermutlichen Schussfehler durch Hochziehen des Laufes zu werten. Es ist nämlich sonst schwer zu erklären, dass ein Geschoß bei bereits fallender Bascule ein Objekt in größerer Höhe trifft als dem Zielobjekt angetragen wurde, es sei denn man zieht einen Geller/Querschläger in Betracht, der nach oben oder schräg-oben abgewendet hat.
Die Ansprechbarkeit von Schwarzwild in der Dämmerung ist, wie bereits erwähnt, bekanntermaßen sehr schwierig, weshalb bei geringstem Zweifel ein Schuss zu unterlassen ist.
Die Jagd zur Nachtzeit ist aber generell verboten [OÖ Landesjagdgesetz § 62 (5)], mit der Ausnahme von schädlichem Wild, wozu aber Schwarzwild in OÖ nicht zählt. Als Nachtzeit zählt die Zeit ab einer Stunde nach Sonnenuntergang.
Sonnenuntergang war am Vorfallstage um 18.01 Uhr, was bedeutet, dass ab 19.01 Uhr die Jagd zu ruhen gehabt hätte. Im Protokoll der PI L. wird auf Seite 7 auf die Diskrepanz in der Angabe der Vorfallzeit zwischen den Jägern (18.30 bis 18.45 Uhr) und dem Zeugen XY (nach 19.15 Uhr) hingewiesen, wobei im offiziellen Polizeiprotokoll einmal 19.15 Uhr und einmal 19.15 – 19.30 Uhr angeführt ist.
Folgt man den Angaben des Schützen N.N. , so gab er den Schuss zwischen 18.30 und 18.45 Uhr, also noch im erlaubten Büchsenlicht ab, rauchte anschließend eine Zigarette und ging dann etwa 80 m zur vermeintlichen Stelle, wo das getroffene Wild hätte liegen müssen, ging anschließend weiter um nach etwa 40 m das angeschossene Pferd zu finden. Dann ging er sofort zum Auto zurück, und meldete sich gegen 19.45 Uhr, also eine Stunde nach Abgabe des Schusses, beim Zeugen XY. Das Gericht wird zu würdigen haben, ob es diesen Zeitaufwand für wenige hundert Meter nachvollziehen kann, oder ob die tatsächliche Schusszeit möglicherweise schon innerhalb des Nachtjagdverbotes gelegen war.
Zusätzliche Brisanz bekommt der Vorfall, wenn berücksichtigt wird, dass der Zeuge XY bis kurz nach 19 Uhr sich noch selber auf der 30 m von seinem Anwesen entfernten Koppel befunden hat.
Am Beginn der Kausalkette steht also eine Reihe von Abweichungen vom jagdlichen Rechts- und Regelbetrieb.
Das Einschreiten der Behörde beruht auf dem Verdacht der Sachbeschädigung gem. § 125 StGB, wobei aber in realiter eine schwere Sachbeschädigung im Sinne des § 126 (1)7 vorliegt, weil der Schaden € 3.000,00 übersteigt.
Nach Ansicht des Sachverständigen kann aber die Verletzung eines „Lieblingstieres“ mit Todesfolge – wie z.B. eines Fohlens – nicht nur im Sinne der Schadensregulierung als Sachschaden betrachtet werden.
Der § 285 a ABGB definiert die Stellung des Tieres im Wertesystem der Gesellschaft: Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt.
Eines dieser Schutzgesetze ist das Bundestierschutzgesetz, das den Schutz der Tiere als Obliegenheit des Menschen als sittlich verantwortliches und dispositionsfähiges Wesen darstellt. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine moralische, sondern Kraft des Gesetzes um eine rechtliche Verpflichtung, die grundsätzlich allen Menschen, unabhängig davon obliegt, ob sich das Tier im Eigentum oder in der Gewahrsame des Menschen befindet oder ob es sich in seinem natürlichen Lebensraum aufhält.
Der § 5 TschG verbietet es, Tieren ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder sie in schwere Angst zu versetzen. Mit diesem Absatz ist der Generaltatbestand der verwaltungsstrafrechtlichen Tierquälerei geregelt, der – quasi als Prophylaxe – die TierhaltungsV als Mindestnormenliste entgegenhält, um auf der Basis artgerechter Haltung Tieren körperliches, soziales und psychisches Wohlbefinden zu garantieren.
Eine völlig andere Dimension bekommt der Vorwurf der Tierquälerei nach dem Strafgesetz § 222 StGB – wenn zu begutachten ist, ob Tiere roh misshandelt oder ihnen unnötige Qualen zugefügt wurden.
Zunächst zu den Definitionen:
– unter Misshandlung ist jeder Angriff auf ein Tier zu verstehen, der dessen physisches Wohlbefinden nicht ganz unerheblich beeinträchtigt;
– roh wird die Misshandlung dann, wenn aus dem Ausmaß und der Intensität der gegen das Tier gesetzten Handlung und der dem Tier zugefügten Schmerzen in Verbindung mit dem Fehlen eines vernünftigen und berechtigten Zwecks auf eine gefühllose Gesinnung des Täters geschlossen werden kann;
– Zufügen unnötiger Qualen, das sind körperliche Schmerzen von nicht ganz kurzer Dauer, aber auch die Herbeiführung anderer Qualen wie Hunger oder Angstzustände.
Der § 222 StGB ist der einzige Paragraph des Strafgesetzes, der nicht menschliches Interesse, sondern das Wohlbefinden des einzelnen Tieres zum Rechtsgut erhebt.
Das angesprochene physische Wohlbefinden, das nicht unerheblich beeinträchtigt sein muss, um dem Tatbestand der Tierquälerei zu entsprechen, ist aber neben körperlicher Empfindung auch stark abhängig vom psychischen und sozialen Wohlbefinden. So sind in der geltenden Rechtsprechung regelmäßig auch Qualen das Thema, die aus länger dauernden Schmerz – und Angstzuständen resultieren, die nicht zur Wahrung überwiegend menschlicher Interessen notwendig erscheinen.
Im vorliegenden Fall wurde das Pferd um ca. 19 Uhr am 23.10.20xx verletzt, im Laufe der Nacht zuerst ambulant und dann stationär notversorgt und schließlich am 24.10.20xx wegen schlechter Prognose eingeschläfert.
Es kann also aus Erfahrung davon ausgegangen werden, dass in dieser Zeitspanne das Wohlbefinden des Fohlens durch die Schussverletzung per se, durch die Injektionen, durch den Transport, die Untersuchungen und Behandlungen nicht unerheblich beeinträchtigt war, wenn auch die Schmerzen medikamentell weitgehend unter Kontrolle waren. Die Emotion ANGST durch Schussverletzung, Transport und Klinikmilieu war mit Sicherheit bis zum Dyskomfort vorhanden.
Psychischen Schmerz erlitt aber nicht nur das Fohlen, sondern auch die Mutterstute, die sich plötzlich ihres Saugfohlens beraubt sah. In versierten Pferdekreisen bedient man sich altbewährter Methoden, die einer Mutterstute die Möglichkeit geben, sich von einem plötzlich gestorbenen Fohlen zu lösen. Dieser Verabschiedungsvorgang fiel gegenständlich naturgemäß weg.
Die Entscheidung der erstversorgenden Tierärztin, das Pferd in die Pferdeklinik NN zu überweisen, war professionell und korrekt. Die weiterführenden Untersuchungen, die ambulant in dieser Tiefe nicht möglich gewesen wären, brachten das Ausmaß der Verletzung in vollem Umfang zur Geltung, wie er im Tierarztbrief, in den Röntgenbildern und in den anschließenden Obduktionsfotos nachvollzogen werden kann.
Die Euthanasie des Pferdes war sowohl im Hinblick auf sein Aufkommen (quo ad vitam) wie auch auf seine spätere Verwendung (quo ad functionem) die richtige Entscheidung.
Das Besondere am Ankauf eines Fohlens besteht für den Besitzer darin, dass er einen „hohen Preis“ dafür bezahlt, dass er nach nicht unerheblichen Anschaffungskosten auch noch vier Jahre Aufzucht – und Ausbildungskosten zu tragen hat, bevor zum ersten Male „Lustgewinn“ im Sinne der Ausübung des Pferdesports möglich ist.
Auf dieser Basis entsteht bei Fohlenbesitzern regelmäßig eine sehr enge und tiefe psychische Bindung an ein Pferd, es wird zum „Leibpferd“.
Der Verlust eines Lieblingstieres auf eine derart sinnentleerte Weise wie im vorliegenden Fall bedeutet je nach individueller Persönlichkeitsstruktur eine psychische Traumatisierung unterschiedlicher Dimension, die dann im Sinne des § 1331 ABGB den Wert der besonderen Vorliebe zu fordern berechtigt, wenn der Schaden aus Mutwillen oder durch eine nach dem Strafgesetz verbotenen Handlung entstanden ist. In diesem Zusammenhang sei auf die Übertretung des Jagd- und Tierschutzgesetzes verwiesen, wie auch der §§ 125, 126 und 222 StGB.
Die Verletzung jagdlicher Regeln sei nur am Rande erwähnt – wer regelwidrig handelt, handelt aber meist auch rechtswidrig.
ZUSAMMENFASSUNG
Vorfall und Kausalität zum Tod des Pferdes
– Es lag kein jagdlicher Notfall oder akuter Interventionsbedarf vor.
– Der Verursacher hat sich bewusst für den Schuss entschieden und dergestalt billigend das Risiko schlechter Ansprechbarkeit bei Dunkelheit und mangelhaften Kugelfang in Kauf genommen.
– Der Verursacher hat aus fachlicher Sicht die Kriterien der Tierquälerei im Sinne des § 222 StGB erfüllt.
– Aus dem Beginn der Kausalkette – Verletzung eines Fohlens durch Abgabe eines nicht notwendigen und risikobehafteten Schusses – entstand eine medizinische Notsituation, die in der Folge zu einer Klinikeinweisung geführt hat.
– Die Ergebnisse der Untersuchungen in der Pferdeklinik Tillysburg brachten ein Verletzungsmuster zutage, das eine Wiederherstellungen und Genesung des Fohlens „quo ad vitam et quo ad functionem“ mit hoher Wahrscheinlichkeit als unmöglich erscheinen ließ
– Die Euthanasie des Fohlens als direkte Folge eines unter nicht regelhaften Bedingungen einem Stück Schwarzwild angetragenen Schusses des Verursachers schließt die Kausalkette nachvollziehbar und logisch.
Wert des Pferdes – kausale Kosten
– Der Wert des Pferdes im Sinne des Ankaufswertes von € 14.500.00 ist nachvollziehbar.
– Eine leistungsbedingte Wertsteigerung ist auf Grund des Lebensalters des Fohlens nicht möglich.
– Bisherige Aufwendungen zur Erhaltung und Aufzucht sind in einer Größenordnung von € 300.00 per Lebensmonat angemessen.
– Die Kostenaufstellungen der Vet-Praxis BA sowie der Pferdeklinik AB sind vorfallkausal, in der Höhe nachvollziehbar und schlüssig.
– Die Kostenaufwendungen des XY in der Höhe von € 476.72 sind, soweit sie in den Beurteilungsbereich dieses SV fallen, nachvollziehbar und schlüssig.
Wert der besonderen Vorliebe
– Die Forderung nach dem Wert der besonderen Vorliebe i.S. d. § 1331 ABGB erscheint aus fachlicher Sicht (unbeschadet einer juridischen Wertung) berechtigt, weil die geforderten Voraussetzungen nach Fachmeinung gegeben sind.
– Tierquälerei im Sinne des § 222 StGB wurde am Fohlen durch die Schussverletzung und ihre Folgen sowie an der Mutterstute durch vermeidbaren Verlust des Fohlens begangen.
– Die Abgeltung psychischen Schmerzes bei der Geschädigten wäre aus fachlicher Sicht und aus der langjährigen Kenntnis von Tierhaltern nicht unangebracht.
Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun – Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Forensische Hippologie
Fachtierarzt für Pferdeheilkunde em., Fachtierarzt für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin em., Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, A 2070 Retz, Herrengasse 7, Tel. +43.699.10401385, Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at