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Gerichtsgeschichten & Pferdesachen: Wertverlust eines Turnierpferdes nach Unfall
26.08.2023 / News

Im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit hat der Tierarzt und gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. Reinhard Kaun – der auch ein Leben lang Reiter, Gespann-Fahrer und Turnierrichter war – einen einzigartigen Wissensschatz zusammengetragen, der nahezu jeden Aspekt im Umgang mit Pferden berührt, der zu rechtlichen Problemen oder sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann. Einen wichtigen Teil davon hat er im Handbuch „Über die forensische Relevanz im Umgang mit Pferden" zusammengefasst und systematisch dargestellt – von allgemeinen Fragen des Handlings und Umgangs mit Pferden bis zu Themen wie tierärztliche Sorgfaltsfehler, Pferdekauf, Schadenersatz, Wertermittlung, Strafrecht und Regelwerke, Tiertransporte, Straßenverkehrsordnung sowie Unterricht und Veranstaltungen, um nur einige zu nennen. All diese Themen sollen in der neuen Serie „Gerichtsgeschichten & Pferdesachen" auszugsweise und anhand real erlebter, aussagekräftiger Geschichten dargestellt und illustriert werden, die aus Gutachten von 1989 bis 2000 stammen. Jede Folge soll auf diese Weise Fachwissen vermitteln, vor allem aber auch das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für einen möglichst sicheren und von ethischen Prinzipien getragenen Umgang mit dem Partner Pferd schärfen.

In der 10. Folge seiner Serie geht Dr. Reinhard Kaun auf den Fall eines angeblich mehrere Hunderttausend Euro teuren Turnierpferdes ein, das nach einem Verkehrsunfall nicht mehr einsatzfähig war. Das folgende Gerichtsverfahren geriet zum Duell der Sachverständigen – mit einem eindeutigen Sieger ...


Equo ne credite – Gefährliche Pferde ?!

Die Warnung, dem Pferde nicht zu vertrauen, richtete sich in der Sage des klassischen Altertums über den Trojanischen Krieg an die Bewohner der Stadt Troja und bezog sich auf das Trojanische Pferd, eine überdimensionale Pferdefigur aus Holz, die die Griechen unter Odysseus als Kriegslist zum Einschleusen von Soldaten  in die Wehrmauern der Stadt ersonnen hatten.

„Athenes Segen ruht auf dem Pferde“ so ging es von Mund zu Mund, und schon lief ein Teil nach der Stadt, riß ein breites Stück der Mauer ein, um Platz für das riesige Ross zu schaffen, indes andere die Füße des Ungetüms mit Rädern und Rollen versahen, gewaltige Seile aus Hanf drehten, sie dem Riesentier um den Hals warfen und es so ruckweise über die weite Ebene hinauf nach Troia zogen. Dazu sangen Knaben- und Mädchenchöre feierliche Hymnen wie an einem Freudenfest. Viermal stieß das verderbenbringende Holzpferd an die Schwelle des Tores, viermal dröhnte es in seinem Bauch von Erz und Waffen – aber die Troier blieben blind und taub. Mit Jubelgesängen führten sie das Ungeheuer auf ihre heilige Burg.
 


Kassandra, mit göttlicher Sehkraft begabt stürzte mit flatternden  Haaren gassauf, gassab und rief: „ Trauet dem Pferde nicht, Feuer und Blut wallen aus dem Bauche des Rosses hervor, schrecklich rächen die Götter!“
Da löschte Sinon die Fackel wieder und schlich zum hölzernen Pferde hin, das einsam und finster im Tempelbezirk stand und pochte leise an dessen Bauch. Da kletterte Odysseus die Leiter hinab, und ein Mann nach dem anderen folgte ihm – als sie alle im Freien standen, hoben sie die Lanzen, zückten die Schwerter und verbreiteten sich durch alle Strassen, drangen in alle Häuser und Paläste ein und vollführten unter den trunkenen Troiern ein grauenhaftes Gemetzel. Blut färbte die Schwelle aller Wohnungen, hunderte wurden im Schlafe erschlagen – sie waren zu weinschwer, um kämpfend eine Waffe zu führen; das Winseln und Heulen geängstigter Tiere erscholl in den Strassen.
Die Hirten machten mit ihren Herden einen weiten Bogen um die zuerstörte Stadt, die Schiffer, die auf dem Hellespont kreuzten, zeigten einander die Ruinen in der Ferne, blickten empor und schauderten.“

(Aus: Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums; Kremayr& Scheriau 1955)

 

Als Trojanisches Pferd (englisch Trojan horse), im EDV-Jargon auch kurz Trojaner [Anm. 1] genannt, bezeichnet man ein Computerprogramm, das als nützliche Anwendung getarnt ist, im Hintergrund aber ohne Wissen des Anwenders eine andere Funktion erfüllt. [1] Trojanische Pferde zählen zu den unerwünschten bzw. schädlichen Programmen, der sogenannten Malware.
Wikipedia

 

Pferden kein „blindes“ Vertrauen entgegen zu bringen ist jedoch gültiges Gebot aller überschaubaren hippologischen Epochen – nicht etwa, weil Pferde – wie der listige Odysseus - hinterhältig, heimtückisch oder nicht vertrauenswürdig wären – sondern weil sie, ihrem Naturell entsprechend, ihrer eigenen Schreckhaftigkeit nicht trauen können.

Offenbart sich dieses „innere Wesen“ des Pferdes in all` seinen Facetten und Nuancen in Form der Speziellen Tiergefahr, so geschieht dies keineswegs mit Absicht, Vorsatz oder (zwingend) aus Charaktermängeln, sondern aus dem, dem Pferde innewohnenden Ablauf von Reflexketten instinkthaften, genetisch verankerten und epigenetisch erweiterten Verhaltens – aus diesem Grunde ist nicht nach jedem Zwischenfall mit einem Pferd ein Schuldtragender auszumachen, ein Verlauf kann nämlich auch schicksalhaft sein.

Am Felde der Wirtschaftsökonomie gibt es seit einigen Jahren das Forschungs- und Arbeitsgebiet mit der Bezeichnung „Nudging“ -  gemäß  Langenscheidts „Handwörterbuch Englisch“  leitet sich der Begriff vom Verb „to nudge – anstoßen, stupsen“ ab.

 

Nudge [nʌdʒ] (engl. für Stups oder Schubs, hier im Sinne von Denkanstoß) ist ein Begriff der Verhaltensökonomik, der durch den Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein und deren Buch Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness (deutscher Titel Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt) von 2008 geprägt wurde: Unter einem Nudge verstehen die Autoren eine Methode, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, ohne dabei auf Verbote und Gebote zurückgreifen oder ökonomische Anreize verändern zu müssen.[1] Seit dieser Veröffentlichung findet der Begriff auch in anderen Gebieten Anwendung, etwa der Marketing-Kommunikation.
Es wird – im Gegensatz zum Modell des Homo oeconomicus – von einem realistischeren Menschenbild ausgegangen: Der Mensch sei nicht immer in der Lage, die optimale Entscheidung zu treffen. Auch die experimentelle Wirtschaftsforschung zeigt, dass Menschen sich in vielen Situationen anders verhalten, als es die Theorie der rationalen Nutzenmaximierung vorhersagt.
Durch „Nudges“ kann dies nach Thaler und Sunstein korrigiert werden. Zum Beispiel werden in einer Cafeteria Obst und Gemüse auf Augenhöhe platziert, um deren Konsum zu erhöhen, oder Zigarettenschachteln mit Warnhinweisen versehen, um den Konsum zu senken.
Wikipedia

 

Denk- und Verhaltensanstöße gibt es aber nicht nur in der Wirtschaft, sondern sie sind auch im täglichen Leben von Pferden und von Pferdeleuten präsent – Pferde reagieren auf solche „Stupser“ instinktiv und ihrer „Pferdenatur“ entsprechend, der Pferdemensch sollte in seiner Reaktion auf einen „Stupser“ einem kognitiven, vernunftbegabten und kritischen Homo sapiens entsprechen.
Das Verhalten eines Pferdes ist nur durch fachgerechten Umgang, durch Anleitung und Sicherheit zu beeinflussen, eine Karotte, ein gutes Wort und freundliche Berührung kann ein „nudge“ in Richtung positiven Verhaltens sein – eine Methode, die vermutlich so alt ist, wie die Geschichte der Pferde; Lügen, Täuschungen oder „fakes“ – wie man heute dazu sagt, können Pferde nicht beeindrucken, bestenfalls vorübergehend irritieren – offen für die Art der Manipulation ist hingegen der – unkritische – Mensch und diese Verwundbarkeit durch Lügen, Betrug und Täuschung nimmt seit einigen Jahren in geradezu beängstigendem Tempo zu. Ich setze den ungefähren Anfang dieser unheilvollen Entwicklung mit der Einführung der Navigationsgeräte in Autos, am Fahrrad, aber auch im Sattel an, als Lenker, Velocipädisten und Reiter nicht mehr eine Landkarte (wie letztere es in Wanderreitkursen gelernt hatten) zu Rate zogen, sondern der viel zu spät als Verdummungsinstrument erkannten „KI“ vertrauten und dergestalt mit ihren Vehikeln oder Pferden hoffnungslos in namenlosen Gegenden strandeten. Die Wendigkeit von Pferden   und ihr Instinkt für Gefahr hat sich allzu oft als rettende Eigenschaft erwiesen – deshalb meine Erkenntnis:

Vertraue dem Pferde!

Pferdemenschen unserer Zeit haben erkennbar mit dem Dilemma zu kämpfen, dass das „Angebot“ an Förderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für Mensch und Pferd nahe zu unüberschaubar geworden ist, aber die „Anbieter“ nicht zwingend fachlich und ethisch in erwünschtem Niveau angesiedelt sind – wie soll ein Erst-Klassler erkennen, wenn ihm ein Zweit-Klassler falsche Informationen gibt oder sein Lehrer moralisch nicht einwandfrei ist?
Eine besondere Gefahr, und deshalb von veritablem Übel sind die in Mode gekommenen Studien, die nicht mehr, auch nur ansatzweise, den Charakter ernsthafter wissenschaftlicher Bemühungen haben. Aus Jedem und Jeder, mit einem Thema beschäftigt, ist heute ein Forscher, oder zeitgemäß – eine oder ein Forschender geworden, Abschlussarbeiten, Bachelor- oder Masterarbeiten und Dissertationen erheben den Anspruch auf Wissenschaft und Studie. Für die Verfasser solcher Schriften ist letztlich nicht mehr unbedingt die fachliche Tiefe oder die Größe eines Probandenfeldes von Wichtigkeit, sondern dass die „Arbeit“ in möglichst vielen Fachjournalen publiziert bzw. zitiert wird (Impact Factor) und dass die „Aussage, also das Ergebnis“ eine (scheinbar)  möglichst zweifelfreie ist – beide Aspekte bergen die Versuchung zu Oberflächlichkeit (Anzahl der Publikationen vor  Qualität) und Schwindeleien (leichte Korrekturen erhöhen die Aussagekraft).
Erfolgreiches „Googeln“ bedarf ebenso wie seriöse Literaturrecherche eines fachlich stabilen Fundaments – eines treffsicheren Bodenankers, das heute so beliebte „Surfen im Netz“ bleibt, wie der Begriff schon ausdrückt, ein schnelles Dahingleiten auf der Oberfläche ohne jeden Tiefgang.
Meine, weiter oben ausgesprochene Ermutigung, dem Pferde zu vertrauen, kann auch hier eine Hilfe sein: Personen und /oder „Methoden“, die von Ihrem Pferde erkennbar abgelehnt werden, sollten näher, kritisch unter die Lupe genommen werden – hingegen ein erfahrener Guide durch das große Areal der Hippologie kann jedem nur gewünscht werden.

Die Erzählung, die weiter oben eine Massenhysterie zur Feier der Ankunft des Troianischen Pferdes beschreibt, erscheint unglaublich zeitgemäß; die folgenden Gemetzel, auf List und Trug aufgebaut und ausgelöst, erleben wir tagtäglich.

Ich nehme an, dass viele Leser den wunderbaren Film „Der Leopard“ kennen, neben herrlicher Szenen mit berittenen und bespannten Pferden ist in einem Satz aus dem Munde des alternden Fürsten tiefe Weisheit ausgedrückt:

„Es muss sich alles ändern, damit alles gleichbleibt!“

Kuriose Anmerkung am Rande: Als ich, während der Film vor einigen Monaten auf TV lief, diese bemerkenswerte Erkenntnis, die auch in „panta rhei“ ausgedrückt ist, hörte und sofort auf meinem Remarkable© notierte, konnte ich nicht ahnen, dass mir dieser Satz im Laufe der nächsten Wochen und Monate mehrmals wiederbegegnen würde – in diversen Printmedien: ich bin nicht sicher, spricht dies für Weisheit oder denjenigen, der sie zitiert?

 

 „Der Verdacht“

Für den Rechtsfall, den ich als nächsten und letzten der Folgen über „Gerichtsgeschichten und Pferdesachen“ erzähle, musste ich als bestellter Gerichtsgutachter eines österreichischen Landesgerichtes nach Bremen fliegen, um von dort dann per Leihwagen an die Küste der Nordsee zu reisen, wo eines der verfahrensgegenständlichen Pferde eingestellt war. In meiner Visitentasche, die ich beim Hinflug als Handgepäck mitführte, war von Kamera, Diktaphon, Wärmebildkamera und anderen notwendigen diagnostischen Hilfsmitteln auch die oben abgebildete Hufuntersuchungszange untergebracht. Während das Ein-Checken am österreichischen Flughafen ohne Zwischenfall ablief und die Hufuntersuchungszange vom Kontrollbeamten sofort als tierärztliches Instrument erkannt worden war, wurde ich bei Antritt des Rückfluges – ich hatte die Tasche als Frachtgepäck abgegeben,  von ernst dreinschauenden Sicherheitsbeamten höflich aus der Reihe der anstehenden Fluggäste gebeten und in einen Nebenraum geführt, wo zwei weitere Beamte unter dem Röntgengerät meine Visitentasche durchleuchteten und mit sichtlicher Anspannung auf die Hufuntersuchungszange: „Was ist das?“ war die bange Frage, die sie an mich richteten – ich erklärte des Gegenstand, meine Mission, den Gerichtsauftrag und meinen Beruf – all ´das wurde freundlich zur Kenntnis genommen und ich wurde gebeten, im Kontrollraum zu bleiben und zu warten.

Nach einer kurzen Zeitspanne erschien ein großgewachsener, gut aussehender Herr gehobenen Alters, der sich mit seinem Dienstausweis als Amtstierarzt vorstellte. Er bestätigte den Sicherheitsbeamten, dass dies wohl eine Hufuntersuchungszange wäre, wiewohl er ein Modell dieser Form noch nie gesehen hatte (Dieses Modell war damals ganz neu auf dem Markt!). Die Sicherheitsbeamten waren der Ansicht, dass die Zange sehr wohl als Waffe benutzt werden könnte, sie gestatteten mein Boarding nur angesichts der vorgezeigten Gerichtsunterlagen – sie belehrten mich mit strenger, leicht spöttischer Miene, dass korrekte englische Sportkleidung und ein Sachverständigenausweis nicht ausschließe, dass der Träger Terrorist ist.

Ich bin nie mehr zu einem Gerichtstermin geflogen.

Symbolfoto Archiv Dr. Kaun

Wenn Versicherungen streiten ...
Eines der verfahrensgegenständlichen Pferde hatte beim Ankauf DM 450.000.00 gekostet, gab der Eigentümer an, der kurz nach der Jahrtausendwende seinen Pferdetransporter - mit deutschem Kennzeichen und mit vier Pferden beladen – vom Süden kommend über die österreichische Grenze steuerte und in einen Verkehrsunfall mit einem PKW verwickelt wurde. Das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls traf den PKW- Lenker, der beladene Pferdetransporter war im Zuge der Kollision umgestürzt.
Die Pferde wurden entladen und über die gesperrte Autobahn zu einem privaten Reitstall geführt und dort über Nacht aufgestallt – am nächsten Tag war ein Ersatzfahrzeug eingetroffen, das die bis dahin weder untersuchten oder behandelten Pferde in eine deutsche Pferdeklinik brachte.
Im darauffolgenden Streit, in dem es vorrangig um das am stärksten verletzte Springpferd, Behandlungskosten und Unbrauchbarkeit für den Sport ging, standen sich ein deutsches und ein österreichisches Versicherungsunternehmen vor einem österreichischen Gericht gegenüber – hatte man anfangs den Eindruck, Kosten zur Auffindung und Feststellung der materiellen Wahrheit spielen keine Rolle, artete das Verfahren im weiteren Verlauf zu einer beschämenden Pfennigfuchserei aus.

Drei der vier Pferde wurden mit Erfolg behandelt, sie gesundeten vollständig – das Vierte (Eingangs Erwähnte) hatte sich schwere Läsionen an den Extremitäten zugezogen, auch „kissing spines“ wurden diagnostiziert – ein Einsatz als Turnierpferd war nicht mehr möglich.
Die beklagte Partei (also die Versicherung des unfallverursachenden PKWs) brachte vor, dass die Gründe, die  zur Unbrauchbarkeit als Turnierpferd führten, darin zu suchen sind, dass dem verletzten Pferd unmittelbar nach dem Unfall ein langer Fußmarsch auf der Autobahn zugemutet worden war und außerdem eine unbedingt notwendige Sofortversorgung unterblieben ist – erst 40 Stunden nach den Unfall setzte eine erste tierärztliche Behandlung ein, was bei dem 14 jährigen Pferd die sportliche Unbrauchbarkeit zur Folge hatte. Von 1994 bis 2000 waren sechs Teilnahmen an internationalen Springturnieren nachvollziehbar.

Das Versicherungsunternehmen, das dem geschädigten Pferdeeigentümer gegenüber in der Pflicht war hatte ein Schätzgutachten bei dem deutschen Pferdesachverständigen P. in Auftrag gegeben, in dem auch Art und Umfang der unfallbedingt bleibenden Schäden berücksichtigt werden sollte, obwohl der beauftragte Gutachter kein Veterinärmediziner war, sondern einen rechtsnahen Beruf ausübte. Diese Privatgutachten enthielt auch folgende Feststellungen:
„Ich stelle den Verkehrswert vor dem Unfallereignis zwischen DM 380.000.00 bis DM 420.000.00 fest….
Das Pferd hat auf Grund der chronischen, nicht behebbaren Lahmheit nach dem Unfall lediglich noch Schlachtwert, ca. DM 1300.00.
Unter Berücksichtigung aller wertbildenden Faktoren und unter Einbeziehung der erwähnten Grundlagen ermittle ich eine Wertminderung von DM 398.700.00.“   


 
Aus dem Urteil:

Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht:

[zit.] „Der vom erkennenden Gericht erstbestellte Sachverständige H. konnte das Gericht nicht überzeugen, und zwar aus folgenden Überlegungen:
– Der Sachverständige H. hatte in seinem Gutachten ausgeführt, dass er aus den vorgelegten Unterlagen zweifelsfrei ableiten könne, dass der Wert des verfahrensgegenständlichen Pferdes vor dem Unfall ca. € 205.000.00 betragen habe:
Der Sachverständige H. erwähnt jedoch weder welche Charakteristika (z.B. Alter, Rasse, Aussehen etc.) zur Feststellung diese Wertes führten, noch ist aus dem Gutachten ersichtlich, aus welchen Unterlagen er den Wert „zweifelsfrei“ ableitet.
Gegenständliches Gutachten des Sachverständigen H.ist unschlüssig und sind seine gutachterlichen Ausführungen nicht nachvollziehbar.
– Hingegen hat der Sachverständige K. das Gericht – vor allem auf Grund seiner sattelfesten mündlichen Gutachtensergänzung- bzw. erörterung in der Streiverhandlung überzeugt:
– Schon allein die Intensität der vom SV eigens angestellten Nachforschungen ist außergewöhnlich und überdurchschnittlich. Darüberhinaus fügte er dem Gutachten nicht nur eine umfangreiche Lichtbildbeilage an, sondern erstellte auch eine DVD, die das verfahrensgegenständliche Pferd in Bewegung zeigt.
– Hinsichtlich der Höhe des Wertes des Pferdes bediente sich der Sachverständige K. eines eigens entwickelten Schätzmodells.
– Darüberhinaus setzte sich der SV K. mit dem Privatgutachten des SV P. differenziert und ausführlich auseinander: Schlüssig und nachvollziehbar gelang es ihm, die im Privatgutachten des SV P. vorhandenen Widersprüche aufzuzeigen.
– Auch konnte der SV K. das in der Verhandlung angesehene Video, das von der Klagevertreterin erst kurz vor der verhandlung dem Gericht vorgelegt wurde,  aus dem Stegreif eindrucksvoll und nachvollziehbar analysieren.

Der Pferdeeigentümer wurde als Zeuge vernommen, das Gericht hielt dazu fest:
[zit.]
– „Er gab an, dass das Pferd beim Kauf im Jahre 199X DM 450.000.00 gekostet habe.
– Über einen schriftlichen Kaufvertrag verfüge er nicht, das Pferd sei, wie auf dem Pferdemarkt üblich, per Handschlag gekauft worden.
– Eine schriftliche Bestätigung über eine Kaufuntersuchung gibt es nicht.
– An welchen Turnieren und welche Platzierung das Pferd erreicht hatte, konnte der Zeuge nicht angeben.“

In der rechtlichen Beurteilung formulierte das erkennende Gericht:
[zit.]
– „ Zum Privatgutachten und Ergänzungsgutachten des deutschen Sachverständigen P. ist anzumerken, dass Gutachten, die nicht von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen stammen, auch nicht als Sachverständigengutachten im Sinne der ZPO gelten, zumal nur der gerichtlich bestellte Sachverständige ausdrücklich befugt ist, aus dem von ihm erhobenen Befund Schlussfolgerungen zu ziehen,die als Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung dienen. Nach der Rechtssprechung haben Privatgutachten den Charakter einer Privaturkunde, und beweisen daher bloß, welche Ansicht der Verfasser vertritt.“

Im Spruch stellte das Gericht fest, dass die beklagte Partei der klagenden Partei den Betrag von € 50.000.00 zu bezahlen hat, das Mehrgegehren von € 115.000.00 wurde abgewiesen.

 

Der beim Unfall verletzte Wallach, der vom Pferdeigentümer als Springpferd internationaler Qualität mit einem Wert von mindestens DM 300.000.00 bis mehrere Millionen beschrieben wurde, war unmittelbar nach dem Unfall nur mit Blauspray behandelt worden und erst nach einem Transport über etwa 400 km und etwa 24 Stunden später in einer Pferdeklinik vorgestellt worden.

[zit. Urteil] „Der Wallach war durch den Unfall schockiert und hatte sich Läsionen an den Extremitäten zugezogen. Nicht zwingend unfallbedingt ist die Druckempfindlichkeit im Genick, keinesfalls unfallbedingt sind die sog . „kissing spines“ – ob der Ausriss am Fesselträgeransatz bedingt durch den gegenständlichen Unfall war, ließ sich weder aus Krankengeschichten noch durch die Befundaufnahme feststellen.

Nicht feststellbar ist, ob durch den Fußmarsch des Pferdes auf der Autobahn vom Unfallort bis zur Notunterkunft und das Unterbleiben einer sofortigen Notversorgung unmittelbar nach dem Unfall kausal eine Verschlechterung des Zustandbildes eingetreten ist.

Beim Ankauf im Jahre 199X war der Wallach 13 Jahre alt.“

 


 Vor kurzer Zeit traf ich einen langjährigen, sehr geschätzten Bekannten aus der Pferdeszene, der mich mit den Worten begrüßte: „Ihre Beiträge auf dem Pferdeforum ProPferd sind für mich wöchentliche Pflichtlektüre und gelten als Geheimtipp in der Pferdewelt“!

Ich kann nur schwer sagen, ob mich diese freundlich gemeinte Begrüßung mehr erfreute oder eher bestürzte. Meine ehrenamtliche publizistische Tätigkeit auf ProPferd, die nun doch schon einige Jahre zu verfolgen ist, hat das Ziel, Aufklärung und Rechtsfrieden am hippologischen Felde  zu erhalten und zu vergrößern.


Gerichtliche Entscheidungen – das Urteil

 

Urteile werden in Österreich – wie am Formblatt ersichtlich – im Namen der Republik Österreich gefällt. Der Begriff „Republik“ leitet sich vom lateinischen „res publica“  - also „öffentliche Sache“ ab und steht für Gemeinwesen, Staatswesen, Staat – ein Urteil ist also eine öffentliche Sache und sollte im fachlichen Gehalt „einschlägigen Verkehrskreisen“ bekannt sein.

Vermeidung von Fehlern, rechtskonformes Verhalten, Verhinderung von Klagen an die „falsche Adresse“ und Abwenden von tierquälerischen Ansätzen in allen Graden und Facetten  - Beweggründe und Ziele, die ein aufgeklärter Pferdemensch auf sein Banner schreiben sollte – ich möchte dazu aus meiner Lebenserfahrung Hilfestellung bieten.

Die vergangenen zehn Wochen hatte die jeweilige Kolumne den Titel „Gerichtsgeschichten und Pferdesachen“ – Streitfälle, Verhandlungsverläufe, Gutachten und Urteile wurden entfremdet und anonymisiert dargestellt.

Nicht „Wem ist etwas zugestoßen?" oder „Wie ist die Sache im Detail ausgegangen?" ist dabei von Bedeutung, sondern

– Was ist passiert?
– Konnte man es vermeiden?
– Was ist aus dem Vorfall zu lernen?

sind die Fragen, die jeweils als forensische Relevanz aufgezeigt wurden.

Übrigens: „forensisch“ leitet sich von „forum“ ab, das – übertragen laut DUDEN Fremdwörterbuch  – auch folgende Bedeutung hat:

„Geeigneter Personenkreis, der eine sachverständige Erörterung von Problemen und Fragen garantiert.“

Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun
http://www.pferd.co.at | http://www.pferdesicherheit.at

 

NACHBEMERKUNG & AUSBLICK

Mit dieser 10. Folge endet vorerst die von Dr. Reinhard Kaun verfasste Serie „Gerichtsgeschichten & Pferdesachen“ – eine Tatsache, die zweifellos viele Leserinnen und Leser bedauern werden, die Woche für Woche den fachlichen Exkursionen und Explikationen des Pferdeexperten gefolgt sind. Diese verkörpern gewiss kein Massenpublikum, sondern ein ,Forum’ im soeben erläuterten Sinn – wenngleich man seine Anzahl keineswegs unterschätzen sollte: Auch in dieser Serie gab es keine Folge, die weniger als 1.000 Aufrufe hatte, die meisten kamen locker auf ein Mehrfaches davon, und das ist für durchaus anspruchsvolle, tiefgehende und auch quantitativ umfangreiche Fachbeiträge zu unterschiedlichsten Themenstellungen mehr als bemerkenswert.

Die Erklärung für diesen Erfolg liegt auf der Hand: Dr. Kaun ist im Laufe der letzten Jahre das Kunststück gelungen, sich durch seine publizistische Tätigkeit – die über ProPferd weit hinausgeht – etwas zu schaffen, was man salopp als ,Fangemeinde’ bezeichnen könnte, also eine aufgeschlossene und geneigte Leserschaft, die seinen ebenso spannenden wie lehrreichen Ausführungen mit Interesse und bisweilen auch mit Faszination zuhört. Um es auf den Punkt zu bringen: Dr. Kaun ist in medialer Hinsicht zur ,Marke’ geworden, zu einer unabhängigen, objektiven und strengen Stimme, der viele vertrauensvoll und begeistert folgen.

Mit der Einschätzung, dass es sich bei Dr. Kauns Beiträgen um „wöchentliche Pflichtlektüre“ und einen „Geheimtipp in der Pferdewelt“ handelt (siehe oben), liegt sein geschätzter Bekannter daher durchaus richtig. Denn der Wert eines Geheimtipps besteht ja vor allem darin, dass er von besonders fachkundigen, eingeweihten Personen stammt und aus diesem Grund als besonders kostbar gilt ...

Dies soll auch künftig so bleiben, weshalb der aktuelle ,Serien-Abschied’ auch kein Anlass für Betrübnis ist: Denn es geht schon demnächst munter weiter, wie wir an dieser Stelle verraten dürfen: Die nächste Artikel-Serie von Dr. Kaun ist bereits in Arbeit – und sie führt uns, wenn wir das etwas prosaisch formulieren dürfen, diesmal geradewegs ins ,Herz der Finsternis’, nämlich in das Reich der Rosstäuscher und Pferdequäler, der Gauner und Glücksritter, der Betrüger und Spitzbuben  – kurz: all jener Personen, die über kurz oder lang die Gerichte und damit auch die gerichtlich beeideten Sachverständigen beschäftigen.

Leider scheinen Pferde und ihr Umfeld solche zwielichtigen Gestalten geradezu magisch anzuziehen – und deshalb spielen „Kriminelle Aspekte in der Hippologie“ auch eine beträchtliche Rolle in der Arbeit eines Gutachters. Ihren historischen und zeitgenössischen Ausprägungen wird Dr. Reinhard Kaun schon demnächst hier nachspüren – wir freuen uns darauf! In diesem Sinne – bis bald,
Ihr

Leopold Pingitzer
Redaktion ProPferd.at

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