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Es wäre nicht gut, wenn ihr Pferd sie bevorzugt mit dem linken Auge anschaut …
14.08.2023 / News

Das Testpferd blickt mit dem linken Auge auf den aufgeblasenen Ballon.
Das Testpferd blickt mit dem linken Auge auf den aufgeblasenen Ballon. / Foto: Martina Felici et al.
Das Testpferd blickt mit dem rechten Auge auf den aufgeblasenen Ballon.
Das Testpferd blickt mit dem rechten Auge auf den aufgeblasenen Ballon. / Foto: Martina Felici et al.

Britische WissenschaftlerInnen konnten nachweisen, dass Herz und Gehirn beim Pferd zusammenhängen: Die Betrachtung eines unbekannten Objekts erfolgt bei Pferden bevorzugt mit dem linken Auge und ist mit einer nachweisbaren physiologischen Reaktion der Herzströme verbunden, was auf Stress und stärkere Emotionen hinweist.

 

Die beiden Gehirnhälften weisen wichtige funktionelle Unterschiede auf, insbesondere in den sensorischen Systemen, so Martina Felici und ihr Kollege Adam R. Reddon vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Liverpool John Moores Universität in Großbritannien. Dieses Merkmal habe verhaltensbezogene und physiologische Konsequenzen – und auch mögliche praktische Auswirkungen auf Haustiere, so das Forscherteam einleitend: Die Aktivität der beiden Hemisphären kann je nach Situation, in der sich ein Tier befindet, unterschiedlich sein.

Die linke Gehirnhälfte scheint an der Verarbeitung von Reizen beteiligt zu sein, während die rechte bei der Reaktion auf Bedrohung, der Erkennung von Raubtieren, der Flucht und der Verarbeitung negativer Reize vorherrschend ist. „Daher scheint die rechte Gehirnhälfte zu dominieren, wenn durch einen Reiz, der die Aufmerksamkeit des Tieres erregt hat, eine starke Reaktion ausgelöst werden kann, beispielsweise eine Stressreaktion.“ Unter solchen Umständen können die Augen – und eine Neigung für das einer bestimmten Seite – nützlich sein, um Stress bei Haustieren auf nicht-invasive Weise zu erkennen.

Das Forscherteam wollte mehr über das Zusammenspiel von Physiologie und Lateralisierung bei Pferden erfahren. Sie versuchten, die Augennutzung während eines standardisierten neuartigen Objekttests mit Veränderungen in der Herzreaktion zu korrelieren, und testeten ihre Hypothese, dass Schwankungen in der emotionalen Reaktion auf den Reiz mit Schwankungen in der Augennutzung zusammenhängen. Sie taten dies mit Hilfe der sogenannten Probenentropie jedes Pferdes, die aus Elektrokardiogrammen – also Messungen der Herzströme – gewonnen wurde. Ein stärkerer Abfall der Probenentropie würde auf eine Störung der Schwankungen der Herzwellen hinweisen – sprich: auf eine stärkere emotionale bzw. mit Stress verbundene physiologische Reaktion.

Die Hypothese der ForscherInnen war, dass Pferde, die ihr linkes Auge (und damit die rechte Gehirnhälfte) benutzen, einen stärkeren Abfall der Probenentropie zeigen würden, was auf einen gestressteren bzw. aktivierteren emotionalen Zustand hinweist als Pferde, die hauptsächlich ihr rechtes Auge – und damit ihre linke Gehirnhälfte – benutzen.

In der Studie wurden 20 Pferde (11 Stuten und neun Wallache) aus zwei Ställen eingesetzt. Alle wurden einem standardisierten neuartigen Objekttest unterzogen, bei dem ein orangefarbener Ballon plötzlich aufgeblasen wurde. Für jedes Pferd wurden fünf Minuten lang Elektrokardiogramme aufgezeichnet und mithilfe einer Videoanalyse ermittelt, mit welchem Auge jedes Pferd den Ballon betrachtete.

Die Ergebnisse stützten ihre Hypothese: Pferde, die den Ballon länger mit dem linken Auge betrachteten – und daher ihre rechte Gehirnhälfte stärker nutzten, was auf eine emotionale bzw. stressbehaftete Reaktion hinweist – wiesen tatsächlich eine signifikante Verringerung der Probenentropie auf, zeigten also eine klare physiologische Reaktion. Die Zeitdauer, in der sie mit dem rechten Auge auf den Ballon blickten, wies hingegen keinen Zusammenhang mit der Änderung der Probenentropie auf.

Die AutorInnen stellten zudem fest, dass die meisten Pferde es vorzogen, den Reiz bevorzugt mit dem einen oder anderen Auge zu untersuchen, aber die Richtung dieser Präferenzen war bei den Pferden nicht gleich – und 40 % der Tiere zeigten keine klare Präferenz.

„Unseres Wissens ist diese Studie die erste, die ein mögliches Zusammenspiel von Herz und Gehirn während einer emotionalen Reaktion bei Pferden aufzeigt“, sagten sie. Es sei aber aufgrund der gewonnen Daten nicht möglich, die kausale Richtung dieses Zusammenspiels zu bestimmen – ob also die physiologische Stress-Reaktion (sprich: die stärkere Abnahme der Probenentropie) zuerst auftritt und die anschließende Verarbeitung des Reizes bevorzugt über die rechte Gehirnhälfte auslöst, oder ob Pferde unbekannte Reize eher mit dem linken Auge wahrnehmen (folglich mit der rechten Gehirnhälfte verarbeiten) – und erst dies eine physiologische Stress-Reaktion (Abnahme der Probenentropie) nach sich zieht. In diesem Szenario würden die Präferenzen für eine bestimmte (Augen-)Seite den Unterschied in der Probenentropie bestimmen – und nicht umgekehrt.

Die ForscherInnen dazu: „Ob die zugrunde liegende Lateralität die emotionale Reaktion des Pferdes antreibt oder ob die emotionale Reaktion die Voreingenommenheit bei der Augennutzung beeinflusst, hängt mit einer offenen Frage bei der Untersuchung von Emotionen zusammen: Sind Emotionen unbewusste periphere Reaktionen des Organismus, die durch das autonome Nervensystem vermittelt und durch Reize in der Umwelt hervorgerufen werden – oder werden sie in bestimmten Gehirnbereichen erzeugt und sind die Folge eines kognitiven Prozesses?“

Die in der aktuellen Studie gewonnen Daten könnten jedenfalls keinen Rückschluss auf die kausale Richtung dieses Zusammenhangs geben, so die AutorInnen: „Wir entschieden uns dafür, die Pferde vor dem Test nicht anzubinden, um zusätzlichen Stress zu vermeiden, der eine Änderung der Probenentropie aufgrund der Ballonpräsentation verdecken oder überlagern könnte. Der Ballon wurde zufällig relativ zur Ausgangsposition jedes Pferdes präsentiert und daher ist es möglich, dass das Auge, das hauptsächlich zum Betrachten des Ballons verwendet wurde, und somit die Änderung der Probenentropie durch die zufällige Positionierung des Pferdes bestimmt werden konnte.“

Die Daten stützten diese Perspektive jedoch nicht, da sie weder Unterschiede in der Inspektionszeit des linken oder rechten Auges noch Veränderungen in der Probenentropie zwischen Pferden fanden, die den Versuch begannen, während ihr linkes, rechtes oder beide Augen auf den Ballon gerichtet waren. „Zukünftige Untersuchungen, bei denen die Ausgangsposition des Pferdes auf eine Weise kontrolliert wird, die weder das Pferd beeinträchtigt noch den Zeitpunkt der Elektrokardiogramm-Datenerfassung beeinträchtigt, wären wertvoll, um das Zusammenspiel zwischen lateralisierter Verarbeitung und emotionaler Reaktion zu verstehen.“

Das Studienteam stellte fest, dass die Entropie beim Menschen ein vielversprechender Marker für leichten akuten Stress ist. „Wir betonen, wie wichtig es ist, die Funktion des autonomen Nervensystems zu analysieren, um den Zusammenhang zwischen Emotionalität und Verhalten bei Equiden zu beurteilen, auch in Anwendungsbereichen wie dem Training und der Mensch-Pferd-Beziehung. Auf diese Weise könnte die Probenentropie ein nützlicher Parameter zur Beurteilung der Emotionalität eines Tieres sein.“

Zusammenfassend meinten die AutorInnen, dass die bevorzugte Betrachtung eines neuartigen Objekts mit dem linken oder dem rechten Auge mit der Entropie der Herzprobe zusammenhängt, die möglicherweise den emotionalen Zustand des Tieres widerspiegelt. Dies könne dazu beitragen, die bei Pferden beobachtete individuelle Variation der Lateralisierung zu erklären, indem ein Zusammenhang zwischen Lateralisierung und Physiologie hergestellt wird. „Um die kausale Richtung dieser Beziehung zu entschlüsseln, sind kluge Experimente erforderlich – und dies wäre ein fruchtbarer Boden für zukünftige Arbeiten.“

Die Studie „Heart and brain: Change in cardiac entropy is related to lateralised visual inspection in horses" von Martina Felici, Adam R. Reddon, Veronica Maglieri, Antonio Lanatà und Paolo Baragli ist am 8. Aug. 2023 in der Zeitschrift ,PLOSOne' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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