News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Führen von Pferden auf die Weide: ein Ritual mit Risiko
31.07.2023 / News

Ein Pferd auf die Weide zu bringen zählt zu den häufigsten und alltäglichsten Vorgängen für jeden Pferdehalter – und dennoch kommt es dabei immer wieder zu schweren Unfällen, so auch vor wenigen Tagen in Kärnten. Warum das so ist und wie man die Gefahren beim Führen von Pferden möglichst gering halten kann, fasst Sicherheitsexperte Dr. Reinhard Kaun zusammen.

 

Es war eine karge Mitteilung der Landespolizeidirektion Kärnten: Eine 40 Jahre alte Frau aus dem Bezirk Hermagor brachte am 28. Juli 2023 abends auf einem Reiterhof einen Noriker Wallach mittels Halfter und Führstrick auf die Koppel. Dort wollte sie das Pferd abhalftern, als dieses erschrak und mit den Vorderbeinen hochstieg. Gleichzeitig schlug es auch mit den Hinterbeinen aus und traf die Frau. Sie wurde dadurch durch die Luft geschleudert und ist in der Folge zu Boden gefallen. Sie musste mit einer schweren Verletzung nach Erstversorgung von der Rettung in das LKH Villach gebracht werden.

Der Fall ruft einmal mehr in Erinnerung, dass das Führen von Pferden, im besonderen auch das Führen auf die Koppel oder Weide, nicht nur ein sehr alltäglicher, sondern auch gefahrenträchtiger Vorgang für jeden Pferdehalter ist – denn Meldungen wie jene der LPD Kärnten tauchen mit erschreckender Regelmäßigkeit in den Schlagzeilen der Medien auf. Doch warum ist das so – und wie kann es sein, dass ein Routinevorgang wie das Pferde-Führen so häufig zu Unfällen und Verletzungen führt?

Wir haben diese Fragen dem Sicherheitsexperten, Tierarzt und gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Reinhard Kaun gestellt – und dieser hat sich dankenswerterweise bereiterklärt, nochmals die elementarsten Sicherheitsregeln rund um das Führen von Pferden zusammenzufassen. Hier im Folgenden seine Ausführungen.

 

Das Führen von Pferden auf die Weide – ein gekonntes Ritual

Schon viele Male hat der Verfasser dieser Zeilen auf ein Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes in Österreich hingewiesen, wonach „Pferde als unberechenbare, von ihren Trieben und Instinkten geleitete Lebewesen“ gelten – oberste Aufgabe des vernunftbegabten, mit Pferden verantwortungsbewusst umgehenden Menschen muss deshalb sein, den Faktor Unberechenbarkeit auf ein erträgliches und vertretbares Maß zu reduzieren. Um dies zu erreichen, hat man sich seit Jahrtausenden den Umstand zu Nutze gemacht, dass Pferde Gewohnheitstiere sind, denen Ritual- förmiges Wiederholen von Standardabläufen Sicherheit verleiht. Ritual bedeutet in diesem Zusammenhang das „Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. [zit. DUDEN Bedeutungswörterbuch]

Zweifellos fördert es die Wachheit und Aufmerksamkeit von Pferden, wenn mit ihnen neue Formen der Beschäftigung geübt werden wie gefinkelte Bodenarbeit, raffinierte Zirkuslektionen, Steigen auf Befehl und viele andere mehr – nur – diese „Übungen“ dürfen nicht anstatt einer Erziehung zu berechenbaren Pferden erfolgen, sondern bestenfalls ergänzend und vertiefend zu dieser Grundvoraussetzung; zu schnell wird sonst aus der angelernten akrobatischen „Nummer“ ein salto mortale – ein „Todessprung“.

Das Führen auf die Weide kann aus mehreren Gründen risikobehaftet sein, sei es aus Stallmut oder weil schon andere Pferde dort herumlaufen – oder wie so oft – weil Pferde zu diesem Vorgang nie ordnungsgemäß erzogen wurden und eine verlässliche Kontrolle durch eine Führperson nicht gegeben ist – wodurch wir wieder beim tausendmale zitierten § 1320 ABGB 2. Satz angelangt sind. Gefordert ist hier Routine im positiven Sinn eines gut erzogenen Pferdes – nicht jedoch die Routine eines Rüpels oder Durchgehers.

Symbolfoto: Archiv Dr. Reinhard Kaun

Ausrüstung des Pferdeführers
– Handschuhe, gutes Schuhwerk, bei Bedarf eine Gerte
– Immer einige große Karotten

Ausrüstung des Pferdes
– Gut passendes Stallhalfter für Halfter-führige Pferde
– Wischzaum oder Knebeltrense für unsichere und ungehorsame Pferde
– Steigergebiss für Hengste
– Führleine oder Führkette, Zügel für Wischzaum oder Knebeltrense
– Kette oder Strick werden nie dem Pferde durchs Maul gezogen, nur im Notfall über den Nasenrücken.

Das Führen
– Pferdeführer gehen immer auf der linken Seite des Pferdes
– Pferdeführer gehen immer auf der Höhe zwischen Hals und Schulter des Pferdes und halten mit dem rechten Ellbogen das Pferd auf Distanz
– Pferdeführer halten Führleine/Zügel in führend in der rechten Hand, das lose Ende sichernd in der linken Hand.
– Pferdeführer bestimmen das Tempo, nie das Pferd – Pferde, die drängeln, eilen oder stürmen, werden auf der Stelle gewendet und wieder zurück in Richtung Stall geführt, angehalten, sobald sie sich benehmen und mit einer Karotte und freundlichen Worten belohnt – dann erneut zur Weide geführt, wobei bei sehr schlecht erzogenen Pferden diese „Spielchen“ manchmal mehrmals wiederholt werden muss.
– Reißen im Maul oder am Führstrick bei erhaltener Vorwärtsbewegung zur Weide ist sinnlos und kontraproduktiv – das Pferd wird seinen Ungehorsam von Mal zu Mal „ausbauen“!
– Am Eingang zur Weide angekommen, muss ein verantwortungsbewusster Pferdeführer schon im Vorfeld genau wissen
   o    ist die Weide noch/schon offen,
   o    sind schon andere Pferde auf der Weide,
   o    was muss geöffnet werden: Holzstangen, Weideband, Drahtspirale,
   o    ist der Elektrozaun eingeschaltet?

Ankommen beim Eingang der Weide
– Rechtshänder werden sinnvollerweise den Führstrick zum Pferd in der rechten Hand halten und mit der Linken das Öffnungsprozedere der Weideumzäunung durchführen.
– Sobald der Eingang geöffnet und frei ist, wird das Pferd – noch am Führstick/Zügel gesichert - in die Weide geführt und sofort zur Führperson gewendet – Mensch und Pferd stehen einander also von Angesicht zu Angesicht gegenüber – und jetzt bekommt das Pferd eine nicht zu kleine Karotte (mit der es eine kleine Weile beschäftigt sein soll!!) und Lob.
– Der Führstrick wird abgehängt oder der Wischzaum (über das Stallhalfter) gezogen oder die Knebeltrense mit Zügel entfernt – all das mit Ruhe und ohne Hektik - und jetzt erst wird das Pferd mit einem „Geh“ in die Freiheit entlassen.
– Ein korrekt passendes Stallhalfter soll immer am Pferd sein, sobald es sich im Freien aufhält, weil ansonsten eine Verwahrung nicht möglich ist, also auch auf Weiden und Koppeln.

Dem zu erwartenden Einwand sei an dieser Stelle sogleich begegnet:

Gut erzogene und gehorsame (nicht etwa gebrochene oder untertänige) Pferde sparen Zeit, erhöhen die Sicherheit für ihre Umgebung, verbessern die Vorhersehbarkeit und werden somit in deutlich erhöhtem Maße berechenbar – das Ritual wird zur positiven Routine – und: Übung macht den Meister, bei Mensch und Tier!

Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun
http://www.pferd.co.at | http://www.pferdesicherheit.at

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen