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Pferde hochklassiger DressurreiterInnen sind häufiger hinter der Senkrechten
24.03.2024 / News

Dieses Pferd befindet sich hinter der Senkrechten – seine Nasenlinie liegt deutlich hinter der gelben Linie, welche die Vertikale darstellt.
Dieses Pferd befindet sich hinter der Senkrechten – seine Nasenlinie liegt deutlich hinter der gelben Linie, welche die Vertikale darstellt. / Foto: Kathrin Kienapfel et.al.

Eine aktuelle Studie zeigt: Je besser internationale DressurreiterInnen in der Weltrangliste platziert waren, desto häufiger ritten sie ihre Pferde beim Aufwärmen und im Wettkampf hinter der Senkrechten – und sie wurden dafür von den RichterInnen auch noch mit höheren Wertnoten belohnt. Theoretisch sollte es eigentlich umgekehrt sein ...


Die Regeln der Fédération Equestre Internationale (FEI) sind theoretisch sehr klar und besagen, dass die Nasenlinien von Dressurpferden jederzeit auf oder leicht vor der Vertikalen/der Senkrechten liegen müssen. Dies gilt auch für viele Regelwerke weltweit, insbesondere in Deutschland mit den „Richtlinien für Reiten und Fahren“, die einen Rahmen bieten, an dem sich andere Reitsportverbände orientieren können.

Was aber bedeutet „hinter der Vertikalen“ wissenschaftlich betrachtet? Wenn die Nasenebene eines Pferdes exakt senkrecht zum Boden steht, arbeitet es in der Senkrechten; Jede zusätzliche Beugung des Halses bringt die Nasenlinie hinter die Vertikale bzw. die Senkrechte, wodurch der Winkel zwischen Kopf und Hals enger wird. Dies führt in der Folge zu einer Kompression von Strukturen wie der Luftröhre und der Ohrspeicheldrüse sowie zu einer Beeinträctigung des Blickfelds – also in letzter Konsequenz zu einer Verschlechterung des Pferdewohls.

In einer kürzlich durchgeführten Studie haben ForscherInnen aus der Schweiz sowie aus Deutschland die beunruhigende Entdeckung gemacht, dass in der Weltrangliste höher gereihte internationale DressurreiterInnen ihre Pferde beim Wettkampf und beim Aufwärmen weiter hinter der Senkrechten als weniger hoch gereihte. Zudem zeigten diese Pferde im Allgemeinen mehr Konfliktverhalten – wie z. B. Schweifschlagen und ungewöhnliche orale Verhaltensweisen (etwa das Zeigen der Zähne und der Zunge sowie Kaubewegungen mit offenem Maul) –, je mehr bzw. je stärker sich ihr Kopf hinter der Senkrechten befand, sei es im Wettkampf oder beim Aufwärmen.

Und noch etwas fanden die ForscherInnen heraus – dass nämlich Dressurrichter dazu neigten, diese besorgniserregende Tendenz auch noch zu verstärken, indem sie Pferden, die mit dem Kopf weiter hinter der Senkrechten antraten, höhere Wertnoten geben. Dieser Trend sei zwar nur „mild bis moderat“, verstoße aber gegen die Wettbewerbsregeln, so Mit-Autorin Dr. Kathrin Kienapfel von der Forschungsgruppe Pferde des Schweizerischen Nationalgestüts in Avenches.

Diese Ergebnisse waren selbst von den VerfasserInnen nicht erwartet worden, wie Dr. Kienapfel gegenüber dem Portal TheHorse.com einräumte: „Um ehrlich zu sein, war ich etwas überrascht“, sagte sie. „Ich war mir natürlich ziemlich sicher, dass es einige geschlossene Rahmen gab, aber ich war mir sicher, dass ich auch mehrere Nasenlinien vor der Vertikalen finden würde. Und ich war sehr überrascht, als wir uns die Korrelation der Ergebnisse mit der Kopf- und Halsposition ansahen. Meine Hypothese war, dass wir keinen Zusammenhang finden würden oder im besten Fall, dass die Pferde bestraft würden, weil sie im Wettbewerb zu weit hinter der Vertikalen standen, wie es in den Regeln festgelegt ist. Aber wir haben das Gegenteil festgestellt.“

In früheren Studien haben Forscher herausgearbeitet, dass die Nase eines Pferdes im Interesse einer guten Gesundheit und eines guten Wohlbefindens nicht zu nahe an der Brust liegen sollte, da dies die Atmung und das Blickfeld behindert, die physiologische Muskelfunktion beeinträchtigen und den Pferden ansonsten Unbehagen bereiten könnte. Die vertikale Nasenlinie ist gleichsam die „sichere Grenze“, die im Sinne des Pferdewohls nicht unterschritten werden sollte.

Um mehr Klarheit über die Kopf- und Halspositionen von Pferden im Showring zu bekommen, besuchten Dr. Kienapfel und ihre KollegInnen in den Jahren 2018 und 2019 den Grand Prix Special (CDIO5*) in Aachen, machten dort umfangreiche Videoaufzeichnungen von 49 Pferden und ihren ReiterInnen während des Aufwärmens sowie während des Wettkampfs. Fast alle ReiterInnen gehörten zu den Top 100 der FEI Dressur-Weltrangliste.

In jedem der daraus resultierenden insgesamt 6.571 Videobilder maßen die Wissenschaftler den Winkel der Nasenebene des Pferdes, den Winkel am Genick und den Winkel der Schulter, während sie in höheren Gangarten (also über den Schritt hinausgehend) gearbeitet wurden. Aus diesen Daten berechneten die ForscherInnen den Durchschnitt jedes dieser Winkel für jedes Pferd über alle seine Videobilder hinweg. Sie zeichneten auch jedes sichtbare Konfliktverhalten auf, von dem anzunehmen ist, dass es Stress, Schmerz oder Unbehagen widerspiegelt und daher auf eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens hinweist, wenn es in hoher Häufigkeit angezeigt wird.

Die ForscherInnen fanden in umfangreichen Analysen heraus, dass der durchschnittliche Winkel der Nasenebene bei allen Pferden zusammen beim Aufwärmen 11 Grad hinter der Vertikalen und beim Wettkampf 5 Grad hinter der Vertikalen lag. Der durchschnittliche Genickwinkel war daher im Wettkampf mit 28° größer bzw. offener als beim Aufwärmen, wo er 24° betrug. Und noch ein Befund war irritierend: Im Durchschnitt zeigte sich bei ReiterInnen mit besserer Welranglisten-Platzierung eine stärkere Positionierung hinter der Senkrechten – auch das hatte man so nicht erwartet.

Pferde zeigten beim Aufwärmen 27 % mehr Gesamt-Konfliktverhalten und 26 % mehr ungewöhnliche orale Verhaltensweisen als im Wettkampf, und sie zeigten diese Verhaltensweisen häufiger, wenn sich die Nasenlinie hinter der Senkrechten befand. Dennoch schien das Schweifschlagen – aus noch ungeklärten Gründen – nicht zeitgleich mit der Position hinter der Senkrechten aufzutreten, wie Dr. Kienapfel anmerkte.

Das änderte aber nichts am Resümee der AutorInnen, das durchaus besorgniserregend ausfiel: „Pferde neigten dazu, ihre Nasenebene (Nasenlinie) beim Aufwärmen häufiger hinter der Vertikalen zu haben als während des Wettkampfs. Der Genickwinkel war während des Wettkampfs größer als während des Aufwärmens, während es im Schulterwinkel zwischen den beiden Situationen keinen signifikanten Unterschied gab. Pferde zeigten beim Aufwärmen mehr Konfliktverhalten und ungewöhnliche orale Verhaltensweisen als beim Wettkampf. Die Wertnoten der RichterInnen korrelierten mit den Kopf-Hals-Positionen während des Wettbewerbs. Pferde, deren Nasenlinie weiter hinter der Vertikalen gehalten wurde, erzielten tendenziell höhere Wertnoten.“

Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, „dass Bedenken hinsichtlich des Tierschutzes und der Einhaltung von Vorschriften bestehen könnten. Die in dieser Studie von WeltklassereiterInnen angewendeten Kopf-Hals-Positionen scheinen den etablierten Regeln zu widersprechen, dennoch werden diese Abweichungen von den Kampfrichtern bei Wettkämpfen nicht bestraft.“

Dr. Kienapfel unterstrich daher die hohe Verantwortung der Wettkampfrichter in dieser Frage: „Den Richtern wird dringend empfohlen, mehr auf die verwendete Kopf-Hals-Position zu achten und auch Konfliktverhalten zu berücksichtigen.“ Die Ergebnisse deuten, so Dr. Kienapfel weiter, darauf hin, dass Richter und Stewards möglicherweise mehr Schulung benötigen, um Positionen hinter der Vertikalen zu erkennen bzw. anzuerkennen, um proaktiver handeln zu können. Und sie betonte: „Das ist wirklich wichtig; sonst wird sich nichts ändern. Die Richter haben die Macht, das System zu ändern.“

Die Studie „Comparison of head–neck positions and conflict behaviour in ridden elite dressage horses between warm-up and competition“ von Kathrin Kienapfel, Lara Piccolo, M. Cockburn, Annik Gmel, Dominik Ruess und Iris Bachmann ist im März 2024 in der Zeitschrift ,Applied Animal Behaviour Science' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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