Der Forensiker weiß: Pferde können – namentlich durch Tierquälerei – zum Opfer von Menschen werden, doch in manchen Fällen ist es auch umgekehrt. Aber gibt es überhaupt soetwas wie „Bösartigkeit bei Pferden"? Der alte Herr hat da – nach Jahrzehnten der Erfahrung – seine Zweifel ...
Über Duldsamkeit und Absicht
Die Palette krimineller Aspekte in der Hippologie ist umfang- und facettenreich: Betrug, Dokumentenfälschung, Sachbeschädigung, Diebstahl, Einbruch, Raub, arglistige Täuschung, sexuelle Belästigung durch Reitlehrer und Animal Hoarding zählen dazu, natürlich auch „eigenwillige“ Formulierungen bei der Beschreibung von Pferden in Inseraten oder bei Auktionen und „Fakes“ – die verdrehte Wahrheit oder wie „Wikipedia“ dies definiert: Schwindel, Fälschung.
Am meisten erregt aber der Tatbestand der Tierquälerei, egal ob in strafrechtlichem oder verwaltungsrechtlichem Sinne, regelmäßig die Gesellschaft zu – zumindest – scheinbarer Entrüstung; jetzt, vor Weihnachten, verlangt es der gute Ton und geheucheltes soziales Engagement, dass man sich „tierlieb“ gibt – dabei wird mancherorts auch gerne über die Stränge geschlagen.
Gemäß dem Newton'schen Wechselwirkungsprizip „actio et re-actio“ treten dann auch regel- und erwartungsgemäß Mahner und Aufklärer auf den Plan, die aufzeigen, dass auch Tiere „böse“ sein können – aber gibt es überhaupt „böse“ Pferde??
Um einer Antwort auf diese Frage näher treten zu können, ist es – wieder einmal – hilfreich, den DUDEN Bedeutungswörterbuch zu konsultieren: Unter „böse“ finden wir
– moralisch schlecht (eine böse Tat, böse Absicht, böser Mensch), wobei als sinnverwandte Begriffe angeführt werden:
– bösartig, boshaft, böswillig, garstig, gehässig, gemeingefährlich, giftig, maliziös, schikanös, schlimm, übel, überwollend, unausstehlich, unleidlich.
– Die für Kinder gerne gebrauchte Zuordnungen von „böse“, wie „nicht folgsam“ oder „nicht artig“ sind – auf Pferde übertragen – eher Erziehungsfragen.
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„Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“ – die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen, behauptet ein lateinisches Sprichwort, dessen Ursprung Ovid zugeschrieben wird“ mit dieser Intrada begrüßte der alte Herr seinen jungen Gast, der diesmal alleine zum Kamingespräch erschienen war. „Ich muss Ihnen etwas Bemerkenswertes vorlesen“ – er nahm eine großformatige Wochenzeitung zur Hand, „Einem (neu erschienenen Buch) ist – bezugnehmend auf das N-Wort – folgender Warnhinweis vorangestellt: Sprache und Sprachgebrauch wandeln sich im Lauf der Zeit. Was in einer bestimmten Epoche angemessen erscheint, kann in der nächsten schon unangemessen sein. Den Wünschen des Autors entsprechend, wurde die Sprache Amerikas in den Siebzigerjahren historisch getreu wiedergegeben.“
Der Autor des Buches (von schwarzer Hautfarbe) dazu befragt: >Dieser Hinweis taucht nur in der deutschen und niederländischen Übersetzung auf – deutsche und niederländische Leser hatten empört an die jeweiligen Verlage geschrieben, weil ich bestimmte Wörter verwendet hatte, ich mag es nicht, wenn die Verlage wütende Briefe von Schwachköpfen bekommen. Mir persönlich ist es ziemlich egal, ob da ein Warnhinweis steht! < Dazu ist anzumerken, dass der „Warnhinweis“ in Wirklichkeit nicht der Wunsch des schwarzen Autors war, sondern wohl der prophylaktischen Entlastung des Verlages dienen sollte.
Erzählt man aus der langen Geschichte der Wissenschaft von Pferden, ist es unvermeidlich, ein Vokabular – z.B. das „Z“-Wort (für diejenigen Leser, denen dessen Bedeutung unbekannt ist = „Zigeuner“) zu benützen, das auch der jeweiligen Epoche stammt, weil man sonst die Geschichte verfälschen würde – der zweite Satz des eingangs zitierten Sinnspruchs beinhaltet in meinen Augen eine Aufforderung an den zeitgenössischen Menschen, sich auf Basis des Bisherigen weiterzuentwickeln, ohne das „Alte“ zu vergessen oder gar zu verdammen. Ein großer österreichischer Staatsmann (ja, solche hat es früher hierzulande gegeben) hat es in einem Fernsehinterview auf den Punkt gebracht: Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur!
Über das Gesicht des jungen Gastes am Kaminfeuer huschte ein Lächeln: „Wie sich die Zeiten ändern, konnte ich kürzlich auch an einem Film der bekannten „Kottan-Serie“ aus den achtziger Jahren bemerken – es war in der Programmzeitschrift ein Inhalt um das Thema „Tierquälerei“ angekündigt nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir!“ oder so ähnlich. Vermeintliche Tierquäler werden von einem Serienkiller mit den gleichen Methoden misshandelt, die sie bei Tieren angewandt haben – wirklich komisch und sarkastisch fand ich in dieser Klamauk- Anhäufung nur folgende Szene!“
Der junge Herr zeigte auf seinem Mobiltelefon das zugehörige Bild mit dem Untertitel:
„Ein Trabertrainer, der seine Pferde unbotmäßig mit der Gerte angetrieben hatte, wird vom „Killer“ vor dem Sulky zu Tode getrieben.“
„Nun, so weit muss ein Protest gegen das Schinden von Pferden ja nicht gleich gehen, schon früher haben mitfühlende Teile der Bevölkerung dagegen ihre Stimme erhoben!“ der alte Herr zog aus einem Regal seiner Bibliothek ein schmales Heftchen hervor, vielleicht zwanzig Seiten dick, das er vor vielen Jahren in einem Antiquariat erworben hatte, das zeitlich vermutlich den letzten Jahren der Monarchie zuzuordnen war; er reichte es dem neugierig gewordenen jungen Herren, der anhub, darin zu blättern, immer wieder stutzte, ungläubig den Kopf schüttelte und schließlich einige Passagen vorlas:
„Öffnet die Augen, lernt sehen, geht nicht blind und teilnahmslos an dem Elend unserer Pferde vorüber. Es kostet weder Arbeit, Zeit noch Geld, nur einigen guten Willen.“
„Eine schändliche Tierquälerei liegt auch darin, dass altersschwache, ja sogar schwer kranke Pferde solange angetrieben werden, bis sie auf der Straße zusammenbrechen und der Tod sie von ihrer Pein erlöst.“
„Das Pferd eines Ziegelwagens, der vom Laaerberg kam, war auf dem Weg wiederholt gestürzt. Beim Tandelmarkt im 9. Bezirk konnte es nicht mehr weiter. Das Tier war in Schweiß gebadet und zitterte am ganzen Körper. Auf das Eingreifen eines tierfreundlichen Herren wurde es endlich ausgespannt, zu Polizeikommissariate geführt und mittels Rettungswagens in das Tierspital geführt.“
„Ein gestürztes Pferd ist sofort auszuspannen. Das eingespannte Pferd darf nicht zu Aufstehen gezwungen werden.“
„Kann ein Pferd die Last nur mit dem äußersten Kraftaufwande oder gar nicht von der Stelle bringen, dann ist ungesäumt auf Kosten des Fuhrwerksbesitzers Vorspann zu nehmen.“
„Der Abend mit Ihnen, werter Herr Doktor…“ sagte der junge Besucher sichtlich beklommen und mit belegter Stimme, „war wieder bemerkenswert – jetzt weiß ich auch, was die Bezeichnung „Vorspannhof“ bedeutet!“
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„Böse Pferde
sind seltene Erscheinungen in solchen Ställen, wo das Pferd Gegenstand einer liebevollen und rationellen Wartung ist.“ (Wrangel: Das Buch vom Pferde, 1910).
Unter Bösartigkeit – dem Gegenteil von „fromm sein“ – versteht man bei Pferden in der Regel eine Verhaltenseigenart, die mit „Beißen oder Schlagen“ bzw. mit „Beißen und Schlagen“ einhergeht, aber auch das habituelle „Wuzeln“ – also an die Wand drücken – ist dazu zu rechnen, wenngleich Letzteres vornehmlich bei Pferden, die am Stand gehalten wurden, verbreitet war. In der älteren Literatur wurden Pferde auch dann als „böse“ angesehen, wenn sie ordnungsgemäßen Dienst unter dem Sattel oder vor dem Wagen beharrlich verweigerten – sei es durch Steigen, kontinuierliches Rückwärtsrichten oder klassisches Abwehrverhalten z.B. Nicht aufsitzen lassen.
„Ich erinnere mich besonders an drei Pferde: Jovanka, Romeo und einen Vollblutaraber-Hengst.
Jovanka, eine Fuchsstute stand damals auf einem Stand zwischen einigen anderen Pferden; jedes Mal, wenn in der Stallgasse hinter ihr jemand vorbeiging, hob sie eines der Hinterbeine und „deutete“ an, wenn das Personal mit der Schubkarre fuhr, schlug sie treffsicher aus und war sichtlich zufrieden, wenn die mit Mist befüllte Karre durch die Stallgasse flog – ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit war ihr sicher. Trat man in ihren Stand, reagierte sie mit einem Drohgesicht, das wohl ein ganzes Bataillon in Flucht geschlagen hätte. Kam jedoch ihr Eigentümer mit Fahrzaum und Brustblattgeschirr über dem Arm in den Stand, war die Stute wie ausgewechselt – fromm, kooperativ und arbeitseifrig. Auch während des Anspannens gab es keine Drohgebärden mehr, an der Deichsel war ihr Leistungswille kaum zu übertreffen. Die Summe der positiven Eigenschaften sowohl im Reit- wie im Fahrdienst bewogen ihren Eigentümer, sie einem Hengst zuzuführen – mit gewisser Sorge sah man dem Augenblick der Geburt entgegen. Eine Woche vor dem erwarteten Ereignis kam sie in eine Abfohlbox, sie war sowohl beim assistierten Abfohlen wie auch in der späteren Säugeperiode bis zum Absetzen mustergültig und fromm- sowohl zu den vielen Menschen, die zum „Fohlenschauen“ kamen wie auch zu ihrem Nachwuchs – einige Wochen nach dem Absetzen kehrte sie zu ihren alten Untugenden zurück.
Romeo, ein großer Fuchswallach mit Dressurerfahrung und nicht mehr ganz jung, war im Reitdienst für seine Eigentümerin, die ihn abgöttisch liebte, der Inbegriff eines Traumpferdes. Als ein langer und schneereicher Winter Ausritte einschränkte, äußerte seine Eigentümerin den Wunsch, Romeo in einen „Goassl-Schnitten“ einzuspannen, wie dies einige Stallgefährten, wie auch ich, zu tun pflegten. Gesagt, getan – weder beim Aufschirren noch beim Heranführen an der Schlitten und Anspannen zeigte der große Fuchs irgend eine Erregung, auch nicht als ich am Schlitten Platz genommen hatte und ihn mit einem sanften „Komm“ und leichter Peitschenhilfe zu Angehen motivierte: Romeo richtete mit einer Ruhe und Konsequenz rückwärts, bis der Schlitten zerlegt und das Geschirr zerrissen war – eine Nachfrage bei seinem Vorbesitzer brachte zutage, dass dieses Verhaltensmuster bekannt war, aber Dienst an der Deichsel oder in den Anzen beim Kauf kein Thema war.
Weder Jovanka noch Romeo waren in meinen Augen böse Pferde.
Ein wirklich böses Pferd erlebte ich in Form eines vierjährigen Vollblutaraberhengstes, der als Jungpferd von seiner Besitzerin hoffnungslos verzärtelt worden war, ohne jemals in Grenzen gewiesen zu werden: es begann mit Zwicken, dann mit leichten Verletzungen, die lächelnd als „Liebesbisse“ eingestuft wurden, in der Folge begann der junge Rüpel ungestraft auf seine Besitzerin aufzuspringen – wobei er seine Absichten gar nicht zu verbergen suchte. Als der nunmehr gut Dreijährige kaum mehr aus der Box kam, weil er vollends unbeherrschbar wurde, kam ein „Trainer“, der mit Gewalt und Brutalität versuchte, dem inzwischen Vierjährigen seine Flausen auszutreiben – Aggressivität und bösartige Angriffslust waren der einzige „Lern-Effekt“ – unter dem Motto „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ hatte das sehr schöne Pferd sein Leben verwirkt – umhüllt von falscher Liebe und ohne jede Erziehung.
Als mir der Hengst zur Kastration vorgestellt wurde, stellte sich heraus, dass er einseitiger Kryptorchide war – ein sogenannter „Klopfer“ – mit einem Hoden im Bauchraum – eine Abnormität, die häufig mit Bösartigkeit verknüpft ist.“
„Wehret den Anfängen“ sagen alte Rössler, wenn Pferde, die in Boxen gehalten werden, beginnen, herauszudrohen und nachzubeißen, wenn andere Pferde vorbeigeführt werden – irgendwann kann der Augenblick kommen, in dem das böse Spielchen auch beim Menschen versucht wird, vorzugweise bei Kindern.
Als „Fehler“ wird Bösartigkeit dann klassifiziert, wenn sie gewohnheitsmäßig auftritt und nicht nur ein Einzelereignis darstellt – aber dennoch nicht immer oder vorhersehbar auftritt, weshalb sie auch gelegentlich als verborgener Mangel vorkommt.
Als erblichen Charakterfehler muss man Bösartigkeit dann betrachten, wenn in der väterlichen oder mütterlichen Linie vermehrt und regelmäßig solches Verhalten auftritt. Hengste, kitzlige und übernervöse Pferde, hier vornehmlich Stuten, können solche Verhaltensabweichungen – manchmal sehr schnell – entwickeln, wenn die ersten Anzeichen nicht ernst genommen und augenblicklich abgestellt werden – eine Strafe muss jedoch in der Sekunde des Angriffes durch Beißen oder Schlagen erfolgen und nicht erst Minuten oder Stunden später – verbunden immer mit Reduktion von Kraftfutter und Erhöhung des Arbeitspensums; denn sticht der Hafer, nützt alles andere wenig!
Verhalten, wie es dieses Bild zeigt, wird häufig dadurch entwickelt, dass Kindern – aber nicht nur diesen – gestattet wird, Pferde mit Futter zu locken, wie dies auf dem unteren Bild dargestellt ist.
Ein kleiner Bub lief – von seiner reitenden Mutter nicht beaufsichtigt – längere Zeit zwischen Stallgasse und Wiese vor dem Stall hin und her und brachte den Pferden Grünfutter – plötzlich kam Geschrei auf, weil der Junge eine schwere Gesichtsverletzung aufwies. Im folgenden Gerichtsverfahren wurde das „Täter-Pferd“ sowohl von der Kindesmutter wie auch deren Rechtsvertretung als „bekannt bösartig“ dargestellt, obwohl es noch nie einen negativen Vorfall mit diesem Wallach gegeben hatte – die Rekonstruktion des Vorfalls kam zu dem Ergebnis, dass der Knabe gegen den eisernen Halfterring und den Pferdeschädel geprallt war und sich dabei eine Platzwunde zugezogen hatte.
Das Pferd hatte – in Erwartung eines Grasbüschels – nur den Kopf herausgestreckt.
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„Erkennt man „Bösartigkeit“ bei einem Pferd durch Beobachtung – das ist eine Frage, die ich mir in all diesen Fällen immer stellte, wenn „Branchen-fremde“ von gefährlichen und bösen Pferden sprachen?“ der alte Herr griff nach seinem iPad, auf dem er einige Fotos vorbereitet hatte. „Als wesentlicher Bestandteil der Bösartigkeit bei Menschen wird – sieht man Fachpublikationen und erzählende Literatur durch – die Heimtücke beschrieben, also (DUDEN) ein Wesen und Verhalten, das vom Streben bestimmt ist, jemandem heimlich und auf versteckte Weise zu schaden - als sinnverwandte Begriffe dienen Arglist, Bosheit, Falschheit, Hinterfotzigkeit, Hinterhältigkeit, Hinterlist; ich bezweifle, dass Pferde solch bewusster und geplanter Niedertracht fähig sind. Nach meiner Erfahrung ist „Bösartigkeit bei Pferden“ eine situationsabhängige reaktive, erlernte und kultivierte Verhaltensform – geprägt unter anderem von der Erkenntnis, dass Angriff die beste Verteidigung sei.
Einfühlsame Menschen können durch Beobachtung und Schlussfolgerung manches über die Geschichte eines Pferdes lernen und vermuten, das anamnestische Sofa des Psychiaters wird uns beim Pferde über weite Strecken dennoch verborgen bleiben.
Sofern Pferdefreunde unserer Tage überhaupt willens sind, sich mit charakterlich verdorbenen Pferden zu befassen, ist tiefe Kenntnis der Ausdrucksweisen dieser Tiere Voraussetzung, verbunden mit der Fähigkeit und dem Willen, die eigene Sicherheit (sofern sie besteht) mit dem Pferde zu teilen, klare Grenzen zu setzen und auf sinnlose Bestrafung zu verzichten.
Das homöopathische Prinzip „similis similibus curentur“ (also gleiches wird mit gleichem geheilt) funktioniert in diesem Falle nicht – wer also glaubt, einen „Pferde-Verbrecher“ mit dessen eigenen Methoden kurieren zu können, wird scheitern – denn es steht immer eine kraftvolle Pferdestärke gegen eine vergleichsweise schwächliche Menschenstärke – wer es nicht mit Geist, Geduld und Vertrauen schafft, sondern mit Tücke, wird letztendlich Heimtücke ernten.
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Frau S. wollte ihren nahen Ruhestand mit einem Pferd verschönern, auch für ihre Kreuzschmerzen war ihr Reiten von Seiten der Ärzte empfohlen worden. Über ein Inserat geriet sie an einen Händler, das angebotene Pferd, ein schmucker Brauner, gefiel ihr bei jedem Besuch besser, Proberitte verliefen zufriedenstellend und ohne Zwischenfall – Frau S. kaufte das Pferd.
Erst später, bei der gerichtlichen Aufarbeitung des Falles fiel ihr auf, dass sie das Pferd, bei ihren Besuchen beim Händler, nie in seiner Box gesehen hatte, jedes Mal stand das Pferd bereits ausgebunden und gesattelt auf dem Putzplatz.
Das Pferd in seiner Box bei der Befundaufnahme durch den Privatgutachter – der Betrachter möge sich selbst ein Bild von der charakterlichen Verfassung machen.
Das Pferd – vorgestellt im Freien – bei der Befundaufnahme durch den Privatgutachter – der Betrachter möge sich ein Bild von der charakterlichen Verfassung machen.
Innerhalb weniger Tage fügte dieser Wallach seiner Eigentümerin, dem Stallbesitzer und dessen Frau die abgebildeten Bissverletzungen zu. Der Privatgutachter kam in seiner Befundanalyse zur Schlussfolgerung, dass das Pferd durch langen Wasserentzug für den Kauf „vorbereitet“ worden war.
Unbeantwortet musste die Frage bleiben, aus welchem Grund der Braune dieses aggressive Verhaltensmuster angenommen hatte – neben dem bereits Erwähnten griff das Pferd – an der Longe bewegt – auch den Longenführer frontal an.
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Im Lehrbuch „Gerichtliche Tierheilkunde“ von Eugen Fröhner aus dem Jahre 1915 – eine Zeit, als man sehr häufigen Kontakt mit bösen Pferden hatte – wird dazu ausgeführt:
„In manchen Fällen kann indessen auch eine fortgesetzte unzweckmäßige Behandlung namentlich durch Strafen und Necken die Ausbildung von Bösartigkeit zur Folge haben.
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Bei der Untersuchung eines Pferdes auf Beißen oder Schlagen hat man sich davor zu hüten, gewisse unerhebliche Untugenden mit Bösartigkeit zu verwechseln.
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Die Entwicklung des Beißens und Schlagens geschieht in den meisten Fällen langsam; bei vielen Pferden handelt es sich sogar um einen angeborenen Charakterfehler […] Die schnelle Ausbildung des Schlagens kommt speziell bei unleidlichen, nervösen und kitzligen Pferden vor, wenn diese wiederholt fehlerhaft behandelt werden. Hierbei wirkt ein Wechsel des Standortes, des Wärters und Dienstes unterstützend mit.“
Das Lehrbuch „Gerichtliche Veterinärmedizin“ von Harro Köhler (Wien) und Helmut Kraft (München) aus 1984 definiert „Bösartigkeit“ als ein gewohnheitsmäßiges Verhalten eines Pferdes, dessen Handlungen an sich geeignet sind, die Gesundheit von Menschen oder Tieren zu schädigen. Der Mangel, äußert sich in Beißen und /oder Schlagen und An-die-Wand -drücken. Der Fehler ist teils habituell, meist aber erworben, wenn Pferde mit leicht erregbarem, empfindlichem Temperament fortgesetzt geneckt, lieblos oder falsch behandelt (gestraft) werden. Der Fehler findet sich am häufigsten bei warmblütigen Pferden, im Allgemeinen bei Hengsten, bei kitzligen oder nymphomanischen Stuten am wenigsten bei Wallachen.“
Aus der persönlichen Erfahrung des Autors dieser Zeilen muss hinzugefügt werden, dass er – in jungen Jahren – das An-die-Wand-Drücken als Spezialität von Norikern jedweden Geschlechts als Fast-Nahtod-Erlebnis mehrfach über sich ergehen lassen musste – mit 800 bis 1200 Kilogramm Lebendgewicht verfügen diese Pferde über sehr überzeugende Argumente – Klimakleben ist im Vergleich dazu ein Kinkerlitzchen.
Das „Lehrbuch der Gerichtlichen Tierheilkunde“ (Eikmeier, Fellmer, Moegle) aus dem Jahre 1990 führt den Begriff „Bösartigkeit“ zwar im Register an, ohne aber im Text näher darauf einzugehen – dies ist vermutlich als Indiz dafür aufzufassen, dass dieses Phänomen in unserer Zeit keine große Rolle mehr spielt. Unter dem Sammelbegriff Verhaltensstörungen und Untugenden werden Erscheinungen aufgezählt, die den ordnungsgemäßen Dienstgebrauch infolge gewohnheitsmäßiger Widersetzlichkeit erheblich mindern oder gar verhindern, wie Stätigkeit (sich nicht anschirren oder anspannen lassen, nicht zugfest Sein, Schlagen nach den Strängen oder dem Wagen, Leinenfangen), Widersetzlichkeit gegen den Schweifriemen, Sattelzwang, Gurtzwang, Ganaschenzwang, Steigen, Bocken, Kleben, Kopfscheue, Scheuen, Durchgehen, sich nicht Verladen oder Beschlagen lassen, Bösartigkeit, Schlagen, Beißen, Faulheit u.a.
Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv & ex libris Dris. Kaun