Judith Oberngruber ist Trainerin, geprüfte Übungsleiterin Reiten mit mehr als 35 Jahren Pferde-Erfahrung und Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung. Sie entwickelte die Methode der Selbst-Aktivierung, um Probleme bzw. negative Verhaltensmuster durch neue, positive zu ersetzen. In ihren Workshops setzt sie auch ihre Pferde als Co-Trainer ein, um Vertrauen zu schaffen, Unbewusstes sichtbar zu machen und individuelle Stärken zu fördern.
WiedereinsteigerInnen oder Erwachsene Reitanfänger haben sehr häufig den Wunsch, die Situation „im Griff“ zu haben. Volle Kontrolle über das Pferd, um potenziellen Gefahren vorzubeugen, sitzt als vorherrschender Gedanke in den Köpfen vieler Reiter.
Ich stelle jetzt die Behauptung auf, dass es das NICHT gibt, nicht geben kann. Ein Pferd ist ein Lebewesen mit einem eigenen Willen, eigenen Bedürfnissen und vor allem Ängsten. Diese Ängste kann man abbauen, indem man dem Herdentier als „Leit-Mensch“ Sicherheit gibt, und die Konfrontation mit gefürchteten Situationen und Gegenständen übt. In Gelassenheitstrainings erlernen das Pferd-Mensch-Paar ungewohnte und neue Aufgaben zu meistern. Manche Pferde sind von Geburt nervöser als andere, viele Pferde erfahren in ihrem jungen Leben als Fohlen und Jungpferd auf der Weide sehr wenig und erschrecken dann vor Autos, Geräuschen, raschelnden Büschen, allem Möglichen und Unmöglichen.
Zurück zum Thema. Selbst Hilfszügel und andere Fesseln können ein Pferd nicht aufhalten, wenn es wirklich weg möchte.
Daher denke ich, es ist zielführender, wenn man mit anderen Gedanken in den Sattel steigt.
Für mich hat sich gezeigt, dass ich mit Einfühlungsvermögen und Hingabe weiterkomme. Gerade meine Stute, die ganz gern Menschen oder Jacken am Rand vom Platz als potenzielle Gefahr einstuft, reagiert sehr positiv darauf, wenn ich ihr die Hand „hingebe“ und nur über den Sitz vorwärts reite.
Mein Großer macht sich sehr gerne eng und spannt sich auf, wenn wir auf einem neuen Platz sind oder er alleine zu Saisonbeginn am Springplatz, der etwas abseits vom Stall liegt, geritten wird. Da ist es wichtig, dass ich ihn trotzdem nicht immer fester nehme und dadurch seine Anspannung bestätige. Ja, es ist ein Risiko, ein Pferd, dass sich anfühlt wie ein Dynamitfass kurz vor der Explosion mit weicher Hand vorwärts zu treiben. Aber es ist der einzige Weg. Vertrauen geben und in Ruhe auf das Pferd einwirken. Ruhig Atmen und ganz bewusst Anspannung aus dem eigenen Körper nehmen.
Warum sitzen Kinder wie selbstverständlich auf dem Pferd?
Weil sie sich keine Gedanken machen, was passieren könnte.
Was kann man demnach als Erwachsener tun?
· Verletzungsrisiken durch gute Ausrüstung, Schutzwesten, Helme und Sturzbügel minimieren.
· Sich nach Möglichkeit auf Pferde setzen, die zum eigenen Ausbildungsstand passen
(Junger/unerfahrener Reiter – erfahrenes Pferd, junges Pferd – erfahrener Reiter)
· Kompetente Trainer, die dein Vertrauen genießen
· Eigene Ausgeglichenheit
· Körperliche Balance üben, üben, üben und noch einmal üben
· Am Pferd ist die Aufmerksamkeit zu 100% beim Pferd und bei dem was man tut!!!
Ein weiteres Argument für die Hingabe ist meiner Meinung nach der Größenunterschied und die Art der Bewegung des Pferdes. Als Reiter befinden wir uns AM Pferd – und nicht umgekehrt. Will ich auf die Bewegung einwirken, muss ich zuerst auf diese eingehen. Ich muss dem Rücken des Pferdes in die verschiedenen Richtungen folgen. Wenn ich mich dann im Einklang, im Rhythmus mitbewege, ohne zu stören, kann ich beginnen meinerseits auf das Pferd einzuwirken. Versuche ich vom Beginn der Einheit an dem Pferd meinen Rhythmus, meine Kontrolle aufzuzwingen, wird es nur verhalten und wahrscheinlich auch unwillig vorwärts gehen. Dann beginnt der Teufelskreis. Das Pferd macht den Rücken fest, der Reiter sitzt steif oder kann gar nicht sitzen, weil er durchgeschüttelt wird, das Pferd macht sich noch fester um Schmerzen vorzubeugen, drückt mit dem Kopf nach oben und der Reiter versucht den Kopf runter zu ziehen oder zu parieren, damit das Pferd den Rücken rund macht. Wichtig! Ein starrer Reiter blockiert den Pferderücken, der dann nicht mehr schwingen kann.
Ein Pferd lässt sich dann fallen und schwingt, wenn es sich wohl fühlt. Zumeist von einem zufriedenen Schnauben begleitet.
Probiert es doch einfach mal aus:
· Mit der Hand der natürlichen Nickbewegung folgen (in Richtung Pferdemaul)
· Zwischendurch nachgeben (Überstreichen – beide Hände ein wenig nach vorne schieben)
· Innerlich Loslassen
· Sich einlassen
· Mitnehmen lassen und der Rückenbewegung folgen
· Sich tragen lassen (ohne schwer einzusitzen – eigne Körperspannung halten)
Erst, wenn ihr euch im Einklang mit der Pferdebewegung fühlt, erst dann durch sanftes Einwirken auf das Pferd Einfluss nehmen. Also zuerst die Hingabe und dann kommt immer mehr „Kontrolle“ dazu.
Viel Spaß beim Umdenken und Hingeben
wünscht
Eure Judith
(Kontakt: judith@emotion-works.at)
PS.: Das Einfühlen in die Bewegung erfolgt beim Profi in dem Moment, wo das Pferd losgeht nach dem Aufsteigen. Beim Amateur oder gar Anfänger kann das schon ein bisschen dauern.