Judith Oberngruber-Spenger ist Trainerin, geprüfte Übungsleiterin Reiten mit mehr als 35 Jahren Pferde-Erfahrung und Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung. Sie entwickelte die Methode der Selbst-Aktivierung, um Probleme bzw. negative Verhaltensmuster durch neue, positive zu ersetzen. In ihren Workshops setzt sie auch ihre Pferde als Co-Trainer ein, um Vertrauen zu schaffen, Unbewusstes sichtbar zu machen und individuelle Stärken zu fördern.
Wenn ich meine Schüler oder andere Reiter nach ihren Zielen frage, dann kommt meistens eine Antwort, die ,leistungsorientiert' ist: Ich möchte den Reiterpass, die Lizenz machen oder an Wettbewerben bestimmter Klassen teilnehmen, so lauten für gewöhnlich die Antworten. Frage ich danach, was das Ziel für die Reitstunde ist, werden zumeist Lektionen genannt, die geübt werden wollen, manchmal auch die Verbesserung des Sitzes. Überhaupt noch nie habe ich als Antwort bekommen: „Ich möchte harmonischer mit meinem Pferd kommunizieren!“ oder „Ich möchte meine Hilfengebung verfeinern!“ oder „Ich möchte mehr Losgelassenheit!“. Dabei sind gerade diese Dinge der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme in der Reiterei.
So wie die Ausbildungsskala für Pferde jedem Reiter und Ausbilder ein Begriff sein sollte, so ist die Ausbildung des Reiters nach bestimmten Stufen und Voraussetzungen wichtig. Es bringt einfach nichts, einen klemmenden Reiter, der keine Balance und Körperkontrolle hat, einfache Wechsel reiten zu lassen. Die erste Priorität ist die Balance in den Bügeln zu finden. Danach kommt die Losgelassenheit des Reiters und dann die Körperspannung und Hilfengebung, zuerst ohne und dann mit dem Zügel. Idealerweise erlangt der Reitschüler an der Longe diese Voraussetzungen, um sich danach an das „Führen“ des Pferdes in der Bahn zu wagen. Denn ab dem Moment des Frei-Reitens kommt vor allem die Aufgabe dazu, dem Pferd den Weg vorzugeben. Denn natürlich, weiß ein Pferd nicht, wie groß die Tour sein soll.
Bei aller Harmonie ist es ganz wichtig, dass der Reiter dem Pferd klar und sanft mitteilt, wie und wohin es sich bewegen soll. Gleichzeitig muss man ein Augenmerk auf die Gesamtheit des Menschen-Pferd-Gefüges haben. Denn es kommt immer auf das harmonische Bild an. Nie darf ein vorgefasstes Ideal als Maß der Dinge gelten. Wichtig ist auch, dass jedem bewusst ist, dass alles seine Zeit braucht. Und dass bereits eingelernte Handlungen und Bewegungsmuster schwerer zu verändern sind als etwas neu zu erlernen.
Wie kann ich mir den Weg zu einem harmonischen, leichten und dennoch effektiven Reiten vorstellen?
Als erstes Ziel gilt, das Pferd so wenig wie möglich zu stören. Daraus ergibt sich die Basis jeden gefühlvollen Reitens, zuallererst die Balance am Pferd zu finden, ohne sich an den Zügeln festzuhalten oder mit den Beinen zu klammern. Dazu ist es wichtig die Bewegung des Pferdes zu erfühlen und dem Takt zu folgen. Als zweiten Schritt erlernt der Reiter die feine Verbindung zum Pferdemaul zu erfühlen. Nur den Kontakt halten und zum Beispiel der Nick-Bewegung des Pferdekopfes im Schritt zu folgen. Erst danach und ganz vorsichtig kommt die Einwirkung über die Hand dazu. Einwirkung über die Hand darf nur und immer in Kombination mit dem Bein und nie länger als 3 Sekunden erfolgen. In der Regel werden die Hilfen viel zu stark gegeben – was den Effekt hat, dass das Pferd abstumpft, gegen die Hand geht oder sich drauflehnt. Auch hier gilt: nach dem Annehmen „loslassen“! Das sollte freilich nicht in einem durchhängenden Zügel resultieren, denn zumeist ist das darauffolgende Annehmen für das Pferd unangenehmer, da es eher ruckartig erfolgt. Im Idealfall reden wir von einem Zentimeter Veränderung der Zügellänge durch ein festes schließen der Faust und ein leichtes Öffnen dieser. Zusammengefasst heißt das, eine konstante, weiche Verbindung zum Pferdemaul (oder zur Nase) aufrecht erhalten.
Vielleicht ist euch aufgefallen, dass ich bisher nur vom Reiter gesprochen habe. Das ist richtig. Denn zuallererst muss die Voraussetzung beim Reiter geschaffen sein, bevor eine korrekte und vor allem harmonische Einwirkung auf das Pferd möglich wird. Daher sollte die eigene Entwicklung und die Arbeit an sich selbst im Vordergrund stehen. Alles andere kommt dann fast wie von selbst. Denn ein Pferd kann nur losgelassen und entspannt gehen, wenn auch der Reiter unverkrampft am Pferd sitzt und feine Hilfen gibt.
Noch ein Wort zum Allerwichtigsten: Die Freude am Zusammensein mit dem Partner Pferd, die Freude, von ihm auf seinem Rücken getragen zu werden, dieses wunderbare Gefühl der Bewegung erleben zu dürfen – all das gilt es neben allem Lernen zu genießen. Empfindet tiefe Freude und Dankbarkeit für dieses wunderbare Geschenk, dann wird euch alles leichter fallen!
Viel Freude und Harmonie
wünscht euch
eure
Judith
www.emotion-works.at