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Dressur-Olympiasiegerin kritisiert Spanische Hofreitschule hart: Danke, Fr. Stückelberger!
06.04.2023 / News

Leopold Pingitzer schreibt für ProPferd.at.
Leopold Pingitzer schreibt für ProPferd.at. / Foto: Archiv/Petr Blaha

Sie zählt zu den großen Pferdesport-Persönlichkeiten der Gegenwart und ist persönlich eng mit der Spanischen Hofreitschule verbunden – doch trotz zunehmender öffentlicher Kritik war die Schweizer Dressur-Olympiasiegerin und Weltmeisterin Christine Stückelberger lange loyal gegenüber dem Traditionsinstitut – und übte sich in vornehmer Zurückhaltung.

Damit ist es nach den jüngsten Ereignissen rund um die Dienstfreistellung (samt Betretungsverbot) von Oberbereiter Andreas Hausberger nun vorbei: In einem Beitrag, der auf dem Online-Portal des Reitsportmagazins St. Georg publiziert wurde (hier nachzulesen), geht Christine Stückelberger mit der Hofreitschule und deren Entwicklung in den letzten Jahren hart ins Gericht – und holt geradezu zu einem Rundumschlag aus: Schon die Ausgliederung aus der Bundesverwaltung im Jahr 2001 bezeichnet sie als „unverständlich“, müsse doch für die Hofreitschule als Kulturinstitution das Gleiche gelten wie für die Staatsoper und andere Kultureinrichtungen, die selbstverständlich vom Staat subventioniert und nicht dem Zwang ausgesetzt werden, sich selbst erhalten zu müssen. Durch den wirtschaftlichen Erfolgsdruck sank daraufhin das Niveau der Reitschule „drastisch“ – und zudem habe man die schönste Reithalle der Welt durch den Zubau moderner Zuschauerlogen „verschandelt“.

Kern ihrer Kritik aber ist die verfehlte Personalpolitik der letzten 15 Jahre, die sich auch unter dem neuen Geschäftsführer Alfred Hudler fortsetze: Dass Oberbereiter wie Hans Riegler und Klaus Krzisch dienstfrei gestellt bzw. vorzeitig pensioniert (Arthur Kottas-Heldenberg) werden – aus welchen Gründen im Einzelnen auch immer – sei eine „Unsitte“, mit der in der Ära Gürtler begonnen worden war. Dieser fortwährende personelle Aderlass habe die Hofreitschule „von innen ausgehöhlt“ und ins Chaos geführt, so Stückelberger. Gefühl, Wissen und Technik seien verlorengegangen – die Pferde stehen heute „unter extremer Spannung“, was auch die Vorführungen in der Schule und auf den Tourneen deutlich widerspiegeln, insbesondere bei der Schule über der Erde.

Stückelbergers Kommentar endet mit der eindringlichen Bitte, ja, dem Appell, den „unschätzbaren Wert“, den die Pflege der klassischen Reitkunst am Institut darstellt und die 2010 auch zum nationalen immateriellen Kulturerbe der UNESCO erhoben wurde, zu bewahren. Manager seien leicht ersetzbar – ein Oberbereiter jedoch, der jahrzehntelang an den klassischen Maximen der Reitkunst geschult und ausgebildet wurde, sei nahezu unersetzlich, so Stückelberger. Genau einen solchen brauche es jetzt in der Reitbahn – einen „guten und erfahrenen Leiter“, der sich „in den Finessen der korrekten Hilfengebung der alten und immer noch geltenden Reitlehre von Xenophon auskennt.“

Für ihren engagierten, fachkundigen und spürbar von Herzen kommenden Kommentar hat Christine Stückelberger umgehend viel Lob erhalten – dem auch wir uns ausdrücklich anschließen möchten. Ihre Stellungnahme ist – ohne irgendjemanden nahetreten zu wollen – die bislang gewichtigste, kompetenteste und profundeste Kritik, die von Expertenseite außerhalb der Schule geäußert wurde – und gewiss eine, die auch die Geschäftsführung der Hofreitschule nicht mehr ignorieren oder wegwischen kann.

Denn Christine Stückelberger ist nicht irgendwer, sondern eine der profiliertesten und bekanntesten Pferdesport-Persönlichkeiten der Gegenwart: Sie war Dressur-Olympiasiegerin mit Granat 1976 in Montreal, Weltmeisterin in Goodwood 1978 und auch Siegerin der sogenannten Ersatz-Olympiade 1980, ebenfalls in Goodwood. Sie ist im Vorstand der „Gesellschaft Freunde der Spanischen Hofreitschule“ und dem Institut auch persönlich durch ihren langjährigen Lebenspartner Georg Wahl (der von Alois Podhajsky an die Hofreitschule geholt worden war und unter Hans Handler zum Oberbereiter aufstieg) tief verbunden.

Christine Stückelberger ist aber auch – Pikanterie am Rande – eine jener beiden ExpertInnen, die 2009 seitens der Hofreitschule aufgeboten wurden, um den Antrag für die Aufnahme in die UNESCO Nationalliste des immateriellen Kulturerbes zu empfehlen (der andere war Hofrat Dr. Georg Kugler, stellvertretender Generaldirektor und Leiter der Bibliothek des Kunsthistorischen Museums sowie von 1973-2000 Direktor der Wagenburg in Schönbrunn).

Dass sich nun ausgerechnet Christine Stückelberger dem Lager der Kritiker der Hofreitschule angeschlossen hat – noch dazu mit derartiger Verve und Überzeugungskraft – bringt den neuen Geschäftsführer Alfred Hudler in eine höchst unangenehme Lage: Denn bislang war es klare Hauspolitik, jegliche Kritik am Institut abzuschmettern und als völlig grund- und substanzlos darzustellen. Dies wird angesichts der klaren Worte von Christine Stückelberger so nicht mehr möglich sein – dazu hat ihr entschiedenes Statement eindeutig zuviel Gewicht.

Man darf gespannt sein, wie Geschäftsführer Hudler und auch sein Aufsichtsrat auf diese neue Situation und die nicht abreißende öffentliche Kritik reagieren werden. Nach Stückelbergers unverblümten Worten lässt sich die bisherige „Es-is-doch-eh-alles-bestens"-Strategie nicht mehr gesichtswahrend durchhalten: Tatsächlich hat sich das mediale und politische Spiel um die Hofreitschule mit Stückelbergers Kommentar geändert – und das kann nicht nur die neue Geschäftsführung, sondern auch der politisch verantwortliche Minister Norbert Totschnig nicht ignorieren.

Man darf also gespannt auf den nächsten Zug sein – und erstmals seit langem darf man auch wieder zarte Hoffnungen darauf haben, dass sich die Dinge an der Hofreitschule vielleicht doch irgendwann zum Besseren wenden.

Allein für diesen schmalen Hoffnungsschimmer muss man Christine Stückelberger – der Grande Dame des internationalen Dressursports – zutiefst dankbar sein, meint
Ihr

Leopold Pingitzer

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