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Gastkommentar: Österreichs Dilemma mit den „Berittenen“
08.02.2016 / News

Kaum eine europäische Metropole kommt ohne berittene Polizeieinheit aus – nur Wien bildet eine Ausnahme. Hier im Bild die berittene Polizei von Palma de Mallorca, die zu den ältesten in Spanien zählt.
Kaum eine europäische Metropole kommt ohne berittene Polizeieinheit aus – nur Wien bildet eine Ausnahme. Hier im Bild die berittene Polizei von Palma de Mallorca, die zu den ältesten in Spanien zählt. / Foto: Martin Haller

Europa diskutiert gerade über den Bau von kilometerlangen Grenzzäunen in ländlichen Gebieten, die mit Auto oder zu Fuß kaum zu überwachen sein werden. Europa muss erneut Menschenmassen regulieren, deren Ausmaß alles übersteigt, womit man in den letzten Jahrzehnten konfrontiert war. Europa wird zunehmend ein Kontinent der Massenkundgebungen, die bereits jetzt ihr brisantes Potential deutlich erahnen lassen.

Wie Sicherheitsexperten nahezu ausnahmslos bestätigen, könnte eine gut ausgebildete, berittene Exekutive gerade in solchen Situationen beruhigend und deeskalierend einwirken und den Gebrauch schärferer Mittel überflüssig machen. In Deutschland erkennt man dies immer deutlicher – und hat aus den fatalen Vorkommnissen von Köln seine Lehren gezogen: Die Präsenz der Polizeikräfte soll insgesamt gesteigert und der Bevölkerung so deutlich gezeigt werden, daß der Staat präsent und bereit ist, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Und vor wenigen Tagen setzte das Polizeipräsidium Freiburg ein bemerkenswertes Zeichen und gab offiziell den Einsatz von berittenen Beamten in der Stadt Freiburg bekannt. Die „Berittenen“ sollen aus der Reiterstaffel in Mannheim leihweise übernommen und an kritischen Punkten gezielt eingesetzt werden, um „den Kontrolldruck auf potentielle Straftäter zu intensivieren, einen Nachhaltigkeits- und Verdrängungseffekt zu erzielen und das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken“, wie es in der Begründung heißt.

Davon ist man in Österreich weit entfernt – sämtliche Diskussionen und Bemühungen, berittene Polizeieinheiten in der Zweiten Republik aufzubauen, verliefen bisher ausnahmslos im Sande, weil es keinen politischen Willen dafür gab. Offiziell waren stets die hohen Kosten das gewichtigste Argument gegen einen Aufbau berittener Polizeieinheiten – doch unter vorgehaltener Hand wurden immer wieder die Erinnerungen an die Ereignisse des Jahres 1927 als wahrer Grund angeführt, als die Arbeiter-Unruhen und der „Justizpalast-Brand“ brutal niedergeschlagen wurden, was zu 89 Todesopfern unter den Demonstranten führte. Diese tragischen Ereignisse werden bis heute „den Berittenen“ angelastet – wiewohl die weitaus meisten Opfer auf das Gewehrfeuer der Fußtruppen zurückzuführen waren. Seither haben aber weder Zu-Fuß-Gehen oder generell Feuerwaffen eine breite politische Ablehnung erfahren.

Angesichts der aktuellen Ereignisse und eines zunehmenden Gefühls der Unsicherheit in weiten Bevölkerungskreisen muss aber die Frage erlaubt sein, ob man diese vermeintliche Altlast noch ewig mit sich herumtragen und ideologische Vorurteile pflegen möchte – oder sich nicht endlich einer sachlichen Diskussion über die modernen Möglichkeiten berittener Exekutiven stellt. Denn es kann wohl kein Zufall sein, dass so viele europäische Länder, wie Deutschland, Italien, Frankreich oder Großbritannien, seit jeher über solche Spezialeinheiten verfügen und sie als höchst nützlichen Teil ihrer Sicherheitskräfte betrachten. Deutschland verfügt derzeit über ein rundes Dutzend berittener Staffeln in sieben Bundesländern – und auch große Schweizer Städte wie Bern oder St. Gallen verzichten nicht darauf. Österreich und Wien sind aber leider auch hier anders.

Dabei bieten Pferde im Exekutiveinsatz eine Vielzahl von Vorteilen:

– Erhöhte Sicht und Position: Durch sie lässt sich ein relativ großes Areal leicht überwachen. Das „hohe Ross“ ist zudem beeindruckend und vermittelt Autorität. Durch die erhöhte Sitzposition sind die Reiter besonders geschützt.

– Geländegängigkeit: Wo Motorräder und Autos nicht mehr fahren können (Wald, Steillagen), ist der Einsatz von Pferden oft noch möglich. Zudem legen Reiter große Strecken schnell zurück, vor allem in naturbelassenem Gelände – und kein davonlaufender Dieb, und sei er auch noch so flink, hätte eine Chance zu entkommen.

– Größe und Gewicht: Pferde sind eine wertvolle Hilfe beim Räumen von Plätzen bzw. beim Auflösen größerer Menschenansammlungen. Schon einige wenige Reiter besitzen – wenn optimal postiert – enorme Wirkung bei der Regulierung von Menschenmassen.

– Umweltverträglichkeit: Besonders in freier Natur bzw. in Naturschutzgebieten können Pferde Dienst versehen, ohne die Natur zu beeinträchtigen. Sie werden sogar als Teil derselben empfunden.

– Der psychologische Faktor: Berittene Polizisten werden schon von weitem besonders deutlich wahrgenommen, sie wirken beruhigend auf normale Passanten und respekteinflößend und deeskalierend auf ,Problemgruppen’ wie Fußballfans oder Jugendbanden.

– Der Image-Faktor: Nachweislich sind berittene Beamte für Polizei und Sicherheitskräfte wertvolle Sympathieträger, die in hohem Maße Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Sie sind ein beliebtes Fotomotiv bei Touristen und werden auch besonders häufig von der Bevölkerung angesprochen und kontaktiert.

Neben diesen konkreten und unmittelbaren Aspekten wären da noch eine Imagepolitur für Pferde allgemein, ein Aufschwung der mit dem Reiten verbundenen Berufsbilder (Schmied, Sattler etc.) und nicht zuletzt ein stärkerer Zulauf zur Exekutive zu erwarten. Wenn gerade von 750 weiteren Polizeibeamten in Österreich die Rede ist, dann sollte die Aussicht auf einen Einsatz im Sattel doch viele – vor allem weibliche – AspirantInnen anziehen?

Selbstverständlich gibt es auch Nachteile:

– Beim engen Kontakt mit Menschenmassen ist natürlich besondere Vorsicht seitens der Reiter geboten, um die Gefahr der ungewollten Verletzung von Demonstranten und Reitern bzw. Pferden möglichst gering zu halten. Hier ist auf optimale Ausrüstung und gute Ausbildung von Reiter und Pferd zu setzen.

– Natürlich verursacht eine berittene Einheit auch zusätzliche Kosten, etwa für die Anschaffung und Ausbildung der Pferde, ihre Unterbringung und Pflege, für Hufschmied und Tierarzt, für Ausrüstung und für den Transport zu den Einsatzorten. Das Beispiel der im Jahr 2010 neu aufgebauten Polizeireiter-Staffel in Hamburg – die Hanseatisch-präzise auf Heller und Pfennig durchgerechnet und analysiert wurde – zeigt jedoch, dass sich die Kosten in einem durchaus überschaubaren Rahmen halten: im Jahr der Gründung 2010 kostete der gesamte Aufbau der Staffel mit acht Pferden rund 400.000,– Euro – in den Folgejahren betrugen die jährlichen Kosten (exklusive Personal) ca. 150.000,– Euro.

Doch – wie gerade das Beispiel Hamburg beweist – überwiegen die Vorteile sehr deutlich: Die interne Auswertung durch den Hamburger Senat im Jahr 2012 erbrachte ein so positives Urteil, dass die Polizeireiter-Staffel nach zwei Probejahren verlängert wurde. Das eindeutige Resümee: „Insgesamt führt die Abwägung der Kosten und Nutzen zu dem Ergebnis, die Reiterstaffel beizubehalten.“

Mittlerweile wurde die berittene Einheit in Hamburg sogar ausgebaut. Auch das Polizeipräsidium Freiburg hat festgestellt: „Mensch und Tier bilden eine professionelle und effektive polizeiliche Einheit.“ Ob auch eine österreichische Innenministerin (es darf auch ein Mann sein) zu so viel Pragmatismus und Einsicht fähig ist...?
Martin Haller

Martin Haller ist Fachjournalist & Buchautor und betreibt einen Pferdehof in der Steiermark.

Kommentare

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1) Nadeschda: Danke für den tollen Artikel!
Sonntag, 1. Juli 2018
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