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Anreiten von jungen Pferden: Über Fehler und verpasste Chancen der FN
12.05.2019 / News

Eine Aussendung zur Herabsetzung des Mindestalters zu Ausbildungsbeginn sorgte für heftige Irritationen – die FN sah sich zu einer Richtigstellung ihrer Position veranlasst.
Eine Aussendung zur Herabsetzung des Mindestalters zu Ausbildungsbeginn sorgte für heftige Irritationen – die FN sah sich zu einer Richtigstellung ihrer Position veranlasst. / Symbolfoto: Simone Aumair

Die FN ist durch eine unglückliche Aussendung ins Kreuzfeuer der sozialen Medien geraten, weil sie einer Herabsetzung des empfohlenen Mindestalters beim Anreiten junger Pferde zugestimmt hat. Doch der wahre Fehler lag ganz woanders ... Ein Kommentar von Leo Pingitzer.

 

FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach hätte es eigentlich besser wissen müssen: Man sollte – im Zeitalter der sozialen Netzwerke – tunlichst vermeiden, die Begriffe ,Ausbildungsbeginn für junge Pferde’ mit Wörtern wie ,früher’ oder ,herabsetzen’ in einem Satz zu verwenden, das führt nahezu zwangsläufig zu  einem Sturm von Aufregung und Empörung, ganz gleich, wie es tatsächlich gemeint war und in welchem Zusammenhang es stand. Dieser Fauxpas – eigentlich ein Anfängerfehler – passierte dem FN-Generalsekretär bei einer Pressemitteilung vom 8. Mai, in der er nach der FN-Position zu den neuen „Leitlinien Tierschutz im Pferdesport“ gefragt wurde, die gerade vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erstellt werden. Diese neuen Leitlinien sehen vor, die bisherige, seit 1992 gültige Empfehlung (die man übrigens hier nachlesen kann) für das Mindestalter bei Ausbildungsbeginn von 3 Jahren auf 30 Monate herabzusetzen – und Soenke Lauterbach war unvorsichtig genug zu sagen, dass man seitens der FN mit diesem Vorschlag „sehr gut leben“ könne. Er hätte zweifellos auch sagen können, dass dies kein Wunsch der FN war und man auch mit der alten Regelung sehr gut hätte weiterleben können – das wäre inhaltlich aufs Gleiche rausgekommen (FN akzeptiert die neue Regelung), wäre aber strategisch viel klüger gewesen. Auch ein Hinweis, dass sich der Beginn der Ausbildung immer an der körperlichen Entwicklung des Pferdes orientieren müsse und dass im Zweifelsfall ein Tierarzt hinzugezogen werden sollte, wäre wohl hilfreich gewesen. Auch das steht nämlich wörtlich so in den ,Leitlinien' – und darüber hätte sich wohl kaum jemand empören können.

Etliche Pferdeportale erkannten aber sofort die offene Flanke, witterten die Chance auf eine klick- und kommentarträchtige Schlagzeile – und ließen sich diese natürlich nicht entgehen: Die sozialen Medien bewährten sich wieder einmal als unschlagbare Empörungsmaschinen – auf Milde oder auf differenzierende Berichterstattung braucht man in Zeiten wie diesen nicht hoffen. Die Wellen der digitalen Erregung setzten der FN derart zu, dass sich diese zwei Tage später zu einer „Richtigstellung der FN-Position“ veranlasst sah. Darin hieß es u. a.: „Meine Aussage im Interview verstehen einige Leute offensichtlich als Aufruf, jetzt grundsätzlich alle Pferde im Alter von 30 Monaten anzureiten. Das stimmt so nicht“, wie Generalsekretär Lauterbach klarstellte.

Weiter heißt es in der Aussendung: „Es gibt keinen festen Zeitpunkt, zu dem mit der Ausbildung eines Reitpferdes begonnen werden muss. Das ist eine höchst individuelle, allein vom Pferd abhängige Entscheidung, die immer zugunsten des Pferdes ausfallen sollte. Um Orientierung bieten zu können, definiert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in den Leitlinien einen Zeitpunkt, zu dem frühestens mit der Ausbildung „zum vorgesehenen Nutzungszweck“ begonnen werden darf. Diese Grenze wurde vom BMEL letztlich bei 30 Monaten gezogen. Wir können mit der Vorgabe leben, da sie mit unseren Ausbildungsgrundsätzen nicht kollidiert.

Unsere Richtlinien für Reiten und Fahren Band I geben an, dass Pferde in der Regel mit drei Jahren angeritten werden. Die FN-Broschüre „Anreiten und Ausbilden von jungen Pferden“ ergänzt dazu: „Ob dies einige Monate früher oder später geschieht, ist individuell von der Entwicklung des Pferdes abhängig. Wichtiger noch als das Alter ist das richtige und schonende Anreiten.“ Darüber hinaus weisen wissenschaftliche Studien darauf hin, dass ein früher, aber langsamer und schonender Aufbau zur langfristigen Gesunderhaltung der Pferde beiträgt."

Abschließend verweist man in der Mitteilung auch auf ein unlängst vorgelegte wissenschaftliche Untersuchung zum Thema: „Meinungsäußerungen, nach denen es pauschal besser ist, möglichst spät mit der Ausbildung zu beginnen, stimmen wir dagegen nicht zu. Dabei stützen wir uns auch auf eine Metaanalyse von Prof. Dr. Uta König von Borstel, Professorin für Tierhaltung und Haltungsbiologie der Universität Gießen, die die vorhandenen wissenschaftlichen Studien zum Thema ausgewertet hat. Auch sie kommt zu dem Ergebnis, dass „ein früher Ausbildungsbeginn in altersgerechter Intensität und Frequenz von Vorteil ist, wenn die Rahmenbedingungen stimmen wie zum Beispiel, dass ausreichend zusätzliche, freie Bewegung gewährt wird“.

Auch ProPferd hat vor wenigen Monaten auf diese aufschlussreiche Studie in einem Artikel verwiesen – deren interessantestes Ergebnis wohl im Nachweis besteht, dass ein früher Ausbildungsbeginn tatsächlich gesundheitliche Vorteile mit sich bringen kann – jedoch nur dann, wenn auch die Haltungsbedingungen für die Pferde günstig und artgerecht sind: Während Pferde mit großzügigem Weidegang von zusätzlicher Ausbildung profitieren, ist das gleiche Training für junge Pferde schädlich, wenn sie in Einzelboxen gehalten werden.

Das Resümee von Prof. Dr. König von Borstel: „Die Meta-Analyse bestehender Studien zum Einfluss des Alters bei Trainingsbeginn und/oder erstem Wettkampfstart zeigt, dass – im Gegensatz zur gängigen Vorstellung, dass frühes Training der Gesundheit des Pferdes schadet – ein eher früher als ein eher später Trainingsbeginn mit einer besseren Gesundheit des Skeletts und einer längeren Wettkampfkarriere verbunden ist. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass nur Pferde mit Weidehaltung von einem frühen Training profitieren, während das gleiche, intensive Training bei Pferden in Boxenhaltung für die Gesundheit des Skeletts schädlich sein kann. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, Anreize für eine kontinuierliche Bewegung durch Gruppenhaltung, Weidegang und zusätzliche Gymnastizierung für junge Pferde zu schaffen.“

Es kommt also mehr auf die Haltung an als auf den exakten Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns – und exakt hier liegt der eigentliche Irrtum der FN in ihrer Stellungnahme zu den neuen ,Leitlinien': Denn sie hat sich, wohl wider besseres Wissen, nicht der Empfehlung angeschlossen, dass junge Pferde am Beginn der Ausbildung in Einzelboxen nur in Ausnahmefällen möglich sein sollen – es sollte stattdessen Gruppenhaltung gewählt werden. Generalsekreätr Soenke Lauterbach dazu: „Das geht so natürlich nicht. Es steht nicht nur in Widerspruch zu unserer vernünftigen Praxis, sondern auch zu den geltenden Leitlinien Pferdehaltung desselben Ministeriums."

Dies ist eine überaus bedauerliche Entscheidung – denn hier hat der FN offensichtlich die Courage gefehlt, die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in eine zukunftsweisende Empfehlung für die Gruppenhaltung, wo immer sie möglich und machbar ist, umzumünzen. Immerhin werden mittlerweile in der Schweiz fast die Hälfte aller Equiden (exakt 48 %) in Gruppensystemen gehalten – und 37 % der Pferde nicht mehr beschlagen, wie eine im Vorjahr veröffentlichte Untersuchung gezeigt hat. Die Pferdewelt verändert sich rasant – doch die FN verweigert sich bislang dieser so begrüßenswerten Entwicklung. Stattdessen setzt sie weiter auf die sogenannte „vernünftige Praxis" der Einzelboxenhaltung – die sich gerade für junge Pferde am Ausbildungsbeginn als negativ und schädlich erweisen kann, wie Prof. Dr. König von Borstel gezeigt hat. Das ist der wahre Fehler der FN in ihrer Stellungnahme zu den ,Leitlinien' – sie hat es verabsäumt, ein mutiges Zeichen zu setzen und eine positive Entwicklung zu unterstützen, die in vollem Gange ist. Man hat eine Chance verpasst – und das ist schade, meint
Ihr

Leopold Pingitzer

PS: Sagen Sie mir ruhig Ihre Meinung: redaktion@propferd.at

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