Am kommenden Montag (9. April) wird im reiterstärksten Bundesland Niederösterreich, das rund ein Drittel aller heimischen Reitvereins-Mitglieder beherbergt, die alljährliche Generalversammlung durchgeführt. Dies wäre an sich kein besonders bemerkenswerter Vorgang, aber gerade im Fall des größten und mächtigsten Landesverbands ist er doch eine nähere Betrachtung wert – nicht zuletzt deshalb, weil er das zweifellos größte und in seiner Wirkung fatalste Defizit des heimischen Pferdesports offenbart: nämlich den Mangel an Kontrolle.
Raten Sie einmal, wieviele Reitvereine und Mitglieder Niederösterreich hat! Nein, Sie brauchen nicht nachzuschauen – es sind exakt 467 Vereine und 15.084 Mitglieder (Zahlen von 2016 – jene von 2017 sind noch nicht verfügbar) lt. offizieller OEPS-Statistik. Und jetzt raten Sie einmal, wieviele Vereine bei der letzten Generalversammlung, die am 24. April 2017 in Altlengbach stattgefunden hat, mit Delegierten vertreten waren? Lt. Satzung des NOEPS (= Niederösterreichischer Pferdesportverband) hat jeder Reitverein bis 50 Mitglieder eine Grundstimme – für jede weiteren 50 Mitglieder kommt eine weitere Stimme hinzu. Theoretisch sind somit, wenn man die letzten verfügbaren Zahlen heranzieht, mindestens 467 Delegierte bei der Generalversammlung stimmberechtigt – und wohl noch einige mehr für die größeren Vereine. Also – wieviele davon waren bei der Generalversammlung 2017 anwesend? Weit gefehlt – einen Versuch haben Sie noch. Leider wieder falsch – aber ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen.
Bei der Generalversammlung des NOEPS 2017 war die gewaltige Anzahl von 26 wahlberechtigten Reitvereinen anwesend, die insgesamt 55 Delegiertenstimmen auf sich vereinten. 26 Vereine – von 467. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 5,57 % – eine Quote, die wohl jeder Autokrat vom Schlage eines Erdogan oder Putin als beschämend empfinden würde, doch von solchen Skrupeln werden Österreichs Reitverbands-Kaiser nicht geplagt. Zu allem Überdruss war die besagte Generalversammlung sogar noch eine sogenannte „wichtige“ – denn bei ihr wurde auch ein neuer Vorstand gewählt, der natürlich weitgehend mit dem alten identisch war. Selbstverständlich erfolgte die Wahl – es gab nur einen einzigen Wahlvorschlag – ohne Gegenstimmen bei drei Enthaltungen, das wäre ja noch schöner.
Nun werden manche einwenden: Na und – wo ist das Problem? Die Wahl war doch zweifellos demokratisch – und wer nicht hingeht, ist eben mit jedem Ergebnis einverstanden. Das ist doch auch bei den Volksabstimmungen in der Schweiz nicht anders, die ebenfalls oft nur unter geringer Beteiligung stattfinden! Und überhaupt: Kann dies nicht auch bedeuten, dass die NÖ ReiterInnen mit ihrem Verband einfach so zufrieden und über alle Maßen glücklich sind, dass sie keinerlei Änderung wünschen – was doch auch der langjährige Präsident Friedrich Schuster stets so behauptet hat?! Was also soll die ewige Meckerei?
Nun, ich möchte an dieser Stelle nicht abstreiten, dass es auch zufriedene Reiterinnen und Reiter in NÖ (wie in ganz Österreich) gibt – aber nach vielen Kontakten und Gesprächen habe ich den Eindruck, dass es zumindest ebensoviele unzufriedene gibt, nur wagen sich diese nicht an die Öffentlichkeit und schon gar nicht zu einer Generalversammlung. Als langjährigem Beobachter drängt sich mir ein anderer Eindruck auf: Niederösterreich ist nicht nur das größte Reiter-Bundesland, sondern auch führend in den Disziplinen Apathie und Resignation. Ganz viele haben aufgehört, sich in sogenannte ,Verbandsangelegenheiten’ einzumischen oder sich auch nur damit zu beschäftigen und wollen am liebsten mit alledem nichts zu tun haben – weil Veränderungen aufgrund der herrschenden Verhältnisse nahezu ausgeschlossen sind. So hat sich – insbesondere in den letzten Jahren – zusehends eine „Lasst’s mich in Ruhe“-Mentalität entwickelt, die dazu führt, dass man Kritik nicht mehr äußert und auf Widerspruch nahezu vollständig verzichtet, und das hat leider fatale Folgen.
So verständlich und nachvollziehbar eine solche Haltung subjektiv auch sein mag – objektiv hat sie für die gesamte Reitsportszene höchst negative Konsequenzen: Denn ohne Kritik und Widerspruch und ohne das öffentliche Benennen von Fehlentwicklungen entfällt auch das, was in unserem politischen System essentiell und lebenswichtig ist: die demokratische Kontrolle, die entweder durch andere staatliche Institutionen, durch Medien oder in letzter Konsequenz durch das Volk selbst ausgeübt werden kann – im Idealfall von allen dreien gemeinsam – und die ein notwendiges Korrektiv für diejenigen ist, welche die Macht innehaben. Im heimischen Pferdesport funktioniert leider keines dieser Instrumente – und die Generalversammlung des NOEPS ist nur ein aktuelles Beispiel dafür (diejenige des OEPS, die ebenfalls demnächst ansteht, wäre ein weiteres). Denn lt. Statuten ist die Generalversammlung das oberste Organ des Verbandes, das vom Vorstand und den Rechnungsprüfern Rechenschaft verlangen kann und für deren Entlastung zuständig ist – das sind klassische Befugnisse eines Kontrollorgans. Die Generalversammlung sollte ein Ort offener und auch kontroverser Diskussion sein, in der Fragen und Hinterfragen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht ist. Der Vorstand sollte die Generalversammlung als obersten Souverän achten und auch ein wenig fürchten – in der Theorie. In der Praxis ist es genau umgekehrt. Längst entfaltet sich im heimischen Pferdesport eine Macht, die keine Kontrolle, kein Korrektiv und daher auch keine Grenzen mehr kennt – und in der Kritiker gnadenlos gemobbt und ausgegrenzt werden.
Dabei gäbe es gerade in Niederösterreich durchaus einige Angriffspunkte – nur wagt sie kaum noch jemand zu benennen. Der NOEPS betont in seiner Außendarstellung gern, wie erfolgreich der Verband ist und weist dabei vor allem auf seine letzthin wieder gewachsene Mitgliederzahl von über 15.000 hin. Das ist alles schön und gut – aber an der Basis des Sports gibt es auch beunruhigende Signale: Die Starterzahlen – insbesondere bei Jugend, Junioren und Jungen Reitern – schwächeln in den Kerndisziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit. Bei den Landesmeisterschaften 2017 waren im Springen gerade noch 11 Jugendliche, 11 Junioren und 3 Junge Reiter am Start, in der Dressur waren es 7 Jugendliche, 6 Junioren und 8 Junge Reiter – nicht gerade berauschend für das größte Reiter-Bundesland. Ein noch größeres Sorgenkind ist die Vielseitigkeit, in der Niederösterreich einst eine Hochburg war, in der 2017 aber gerade noch 1 Jugendlicher und 6 Junioren bei der Landesmeisterschaft an den Start gingen – und kein einziger Junger Reiter. Besorgniserregend ist auch, dass es 2018 in ganz Niederösterreich nur noch drei Vielseitigkeitsturniere geben wird – und erstmals seit vielen Jahren kein internationales VS-Turnier mehr am Programm steht.
Die wenigen turniersportlichen Kennzahlen, die für die einzelnen Bundesländer verfügbar sind, verheißen ebenfalls nichts Gutes: Der kontinuierliche Rückgang bei der Zahl der Turnierpferde ist ganz wesentlich auf die negative Entwicklung in Niederösterreich zurückzuführen: In den Jahren von 2004 bis 2009 gab es in Niederösterreich konstant über 4.000 Turnierpferde – mit dem historischen Höchstwert im Jahr 2007 von 4.278 registrierten Pferden. Doch seit 2009 geht es ausschließlich bergab – und 2016 waren es nur noch 3.574 Turnierpferde in Niederösterreich, ein Rückgang von mehr als 16 % in den letzten zehn Jahren. Zahlen über die regionale Entwicklung bei den Turnierstarts oder den Lizenznehmern liegen leider nicht vor – bzw. werden nicht öffentlich gemacht. Auch das mag etwas darüber aussagen, welchen Stellenwert der Turniersport mittlerweile im österreichischen Pferdesport hat (bzw. nicht mehr hat): Man will es lieber gar nicht wissen …
Damit sei natürlich nicht gesagt, dass in NÖ alles schlecht ist. Aber es ist auch nicht alles so megasuper, wie es offizielle Verbandsaussendungen suggerieren – und es besteht zumindest in bestimmten Sparten Handlungsbedarf, um eine positive sportliche Entwicklung anzustoßen. Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen im NOEPS diese Signale hören und aktiv werden – wenn sie das nicht tun, wird sich aber auch keiner aufregen oder Druck machen. Das ist in Wahrheit das große Problem, das der österreichische Pferdesport derzeit hat,
meint Ihr
Leopold Pingitzer
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