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Gastkommentar: Das Leiden der jungen Pferde
13.08.2019 / News

Dr. Reinhard Kaun ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Pferde.
Dr. Reinhard Kaun ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Pferde. / Foto: privat
Methodisches Training von Pferden.pptx

Pferde zu früh, zu jung – geistig, psychisch und körperlich zu wenig vorbereitet – in den Arbeitsprozess zu schicken, ist schlichtweg Tierquälerei nach dem Strafgesetz, so der gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. Reinhard Kaun.

 

.....nein, dies ist kein „Briefroman“ und auch keine Dichtung von Johann Wolfgang von Goethe – vielmehr stellt dieser Text eine ergänzende Betrachtung zum kritischen Gastkommentar über den „Westernreitsport“ des vielseitigen Autors Martin Haller dar.

Der Autor dieser Zeilen lernte Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts „Westernreiten“ in jenem Lande kennen, das gemeinhin begrifflich eng damit verknüpft wird, nämlich in Texas. Die später wie Nebengötter verehrten Gurus gab es damals noch nicht, der Einzug der Westernreiterei in Europa, speziell in Deutschland und Österreich erfolgte nahezu im Handstreich auf der Equitana in Essen 1973 und 1975.

Nach den Erfahrungen des Autors ist das Westernreiten im ursprünglichen Sinn eine nicht sehr vornehme Gebrauchsreiterei, Pferdeschonung oder empathischer Umgang mit dem Pferd zählt nicht gerade zu herausstechendsten Merkmalen dieser Reitweise, wie die Realität, aber auch die Fiktion in Form unzähliger Westernfilme eindrucksvoll zeigt.

Der Rinderhirte ist ein rauer Gesell, feine Zügelführung oder behutsamer Einsatz der meist mörderischen Sporen ist ebenso wenig Bestandteil seiner Milch der frommen Denkungsart, wie klassische Ausbildung von Reiter und Pferd – wo Pferde herdenweise zur Verfügung stehen, ist das Individuum wenig wert und wird auch wenig geachtet oder geschätzt – dass diese bedauerliche Entwicklung als Zuwaage dieser Reitweise nach Europa importiert wurde, ist nicht eben ein kultureller Gewinn, wenngleich Adjektive (wie z.B. „Natural“) oder diverse Practioner Degrees anderes verheißen sollen.

Adipositas – eine Volkskrankheit unserer Zeit – die ihren unmittelbaren Ursprung auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat – macht vor Cowboys, aber noch viel weniger vor Cowgirls halt – auf die Diskrepanz zwischen Gewicht von Pferd und ReiterIN weist Martin Haller sehr fokussiert hin und untermauert dies mit exakten wissenschaftlichen Befunden.

In der Folge werden einige einfache Anhaltspunkte dargestellt:

– Der Zahnstatus ist ein altbewährter Hinweis zur Bestimmung des Reifegrades eines Pferdes: vollständig bleibendes Gebiss zeigt die körperliche Reife an und diese ist – abhängig von Typ und Rasse – mit 5 1⁄2 bis 6 1⁄2 Jahren erreicht.

– Das Stadium der jungen und der alten Remonte: die junge Remonte im Alter von 3 – 4 Jahren wird langsam auf ihren späteren „Dienst“ am Boden (nicht unter dem Sattel) vorbereitet, die alte Remonte lernt bereits unter dem Sattel Balance und Gleichgewicht unter dem Reiter in allen Grundgangarten aufzubauen.

– Aufbau der Grundkondition: Das Leistungsvermögen eines Pferdes besteht zu etwa 30 % an Er-Erbten, die restlichen 70 % müssen durch Aufzucht, Haltung, Fütterung und gekonntem Training erworben werden. Ein Pferd, das bis zu seinem 7. Lebensjahr keine „Grundkondition“ aufgebaut hat, wird ein Leben lang anfällig, kränklich und wenig belastbar sein. Der Aufbau einer Grundkondition ist die Arbeit für die junge und alte Remonte und die wichtigste Basis für sportlichen Erfolg und Gesundheit.

–  Phasen zum Aufbau der Grundkondition

1. Anpassungstraining ab 3 – 4 Jahren, Zielorgane sind Knochen, Gelenke, Sehnen, Bänder, Hufe, Muskelansätze. Dauer: 6-12 Monate je nach Typ

2. Krafttraining ab 4. Lebensjahr, Zielorgane: Muskulatur und periphere Blutgefäße Dauer: 4 bis 8 Wochen

3. Ausdauertraining im Anschluss an das Krafttraining. Zielorgane sind Herz, Kreislauf, Lunge, Blut und der Milzspeicher. Dauer: 4 – 6 Wochen

KRAFT UND AUSDAUER KÖNNEN NICHT PARALLEL TRAINIERT WERDEN.

Nimmt der geneigte Leser nun die Mühe auf sich, und betrachtet die Zeitspannen, die notwendig sind, um ein junges Pferd korrekt für sein Leben vorzubereiten, so wird schnell zu erkennen sein, dass „gut Ding Weile braucht“.

Pferde zu früh, zu jung – geistig, psychisch und körperlich zu wenig vorbereitet – in den Arbeitsprozess zu schicken, ist schlichtweg Tierquälerei nach dem Strafgesetz, weil Vorsatz, Vermeidbarkeit und Unnötigkeit gegeben sind, als bloßer Unfug kann dies nicht abgetan werden, zumal kein berechtigter Sinn dahinter streckt.

Zum Nachdenken: Wenn das zulässige Gesamtgewicht von Pferd und ReiterIN überschritten wird, so ist es in den seltensten Fällen das Pferd, das seine Zentner reduzieren muss.

In diesem Sinne: Dank an Martin Haller für diesen „eye opener“.

Wie ein schonendes und pferdegerechtes Training methodisch aufgebaut sein sollte, kann man in der oben eingebetteten Download-Datei „Methodisches Training von Pferden" nachlesen, die freundlicherweise von Dr. Reinhard Kaun zur Verfügung gestellt wurde!

Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun – Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Forensische Hippologie
Fachtierarzt  für Pferdeheilkunde em., Fachtierarzt  für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin em.
Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, A 2070 Retz, Herrengasse 7, Tel. +43.699.10401385 , Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at

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