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1 Finger, 1,5 cm – aber wo? Das Gezerre um den Nasenriemen nimmt kein Ende
20.07.2018 / News

Zu eng verschnallte Nasenriemen bleiben ein Dauerthema im internationalen Dressursport – trotz der neuen Regelungen in Dänemark und Neuseeland.
Zu eng verschnallte Nasenriemen bleiben ein Dauerthema im internationalen Dressursport – trotz der neuen Regelungen in Dänemark und Neuseeland. / Foto: Kseniya Abramova/Fotolia.com

Neuseeland hat – wie schon zuvor Dänemark – die umstrittene FEI-Direktive in Sachen Nasenriemen-Verschnallung zwar nachgebessert – doch eine sinnvolle Regelung um exakt einen Fingerbreit verfehlt. Ein Kommentar von Leo Pingitzer.

 

Applaus ist im digitalen Zeitalter mitunter günstig zu bekommen – wie dieser Fall anschaulich zeigt: Vor wenigen Tagen beschloss die Dressur-Konferenz des Neuseeländischen Pferdesportverbandes (Equestrian Sports New Zealand, ESNZ), die gültige FEI-Regel bezüglich der Verschnallung des Nasenriemens abzuändern. Anstelle der FEI-Empfehlung, wonach zwischen dem Nasenriemen und der Wange des Pferdes ein Finger Platz haben müsse, lautet die neue Bestimmung (Artikel 4.77.4.10) nunmehr: „Kein Nasenriemen darf jemals so eng verschnallt sein, dass er das Wohlbefinden des Pferdes beeinträchtigt. Es muss möglich sein, einen Finger bequem zwischen den Nasenriemen und den Nasenrücken (Vorderseite der Nase) zu schieben.“ Diverse News-Portale und auch das renommierte ,Horse&Hound’ berichteten positiv über diesen Schritt – und lobten den neuseeländischen Verband für seine Bemühungen, zu eng verschnallten Nasenriemen den Kampf anzusagen.

Dieses Lob ist zwar verständlich und in gewissem Umfang auch angebracht – muss aber dennoch relativiert werden: Der Schritt der neuseeländischen Dressur-Abteilung ist zweifellos eine Verbesserung im Vergleich zur vielkritisierten FEI-Direktive, die das Nasenriemen-Leid vieler Pferde zwar verringern, aber eben nicht vollständig beseitigen wird. Gleiches gilt im Übrigen auch für den dänischen Pferdesportverband, der mit Anfang des Jahres 2018 einen vergleichbaren Schritt gesetzt und ebenfalls festgeschrieben hat, dass zwischen dem Nasenriemen und dem Nasenrücken ein Abstand von 1,5 cm eingehalten werden muss. Auch dafür hat es damals viel medialen Beifall gegeben.

Dieser Beifall mag, wie auch im aktuellen Fall von Neuseeland, seine Berechtigung haben – ist aber in gewisser Hinsicht auch gefährlich, weil dadurch die viel sinnvollere und pferdefreundlichere Zwei-Finger-Regel immer mehr in den Hintergrund der Diskussion gerät: Wieso soll ein Pferdesportverband noch die Zwei-Finger-Regel anstreben, wenn er schon für die ,halbe Sache’, also die Ein-Finger-Regel, soviel Applaus erhält? Zu befürchten ist, dass noch mehr Federationen dem Beispiel von Neuseeland und Dänemark folgen – und irgendwann niemand mehr realisiert, dass dies nicht viel mehr ist als ein fragwürdiger, vielleicht sogar fauler Kompromiss.

So wurde bezeichnenderweise kaum noch irgendwo erwähnt, dass im Falle von Neuseeland eigentlich eine andere Lösung angestrebt worden war – nämlich die Festschreibung der klassischen Zwei-Finger-Regel zwischen Nasenriemen und Nasenrücken, zu messen mit dem ,Noseband Taper Gauge’, einer normierten Mess-Schablone der Internationalen Gesellschaft für Pferdewisssenschaften ISES. Einen solchen Antrag hatte – mit der Unterstützung weiterer Personen und Vereine – die neuseeländische Grand Prix-Reiterin Jody Hartstone an die Jahreskonferenz von Dressage New Zealand gerichtet, die von 30. Juni bis 1. July in Palmerston North abgehalten wurde.

Wörtlich hieß es in dem Antrag: „Alle Stewards von ,Dressage New Zealand’ müssen mit einem geprüften Noseband Taper Gauge ausgestattet sein, damit sie die Verschnallung der Nasenriemen auf faire und objektive Weise testen können. Dieses Noseband Taper Gauge muss am Nasenrücken (Vorderseite der Nase) angelegt werden, um sicherzustellen, dass zwei Finger nebeneinander horizontal unter dem Nasenriemen Platz finden. Stewards können während eines Turniers die Nasenriemenspannung jederzeit überprüfen. Jeder Offizielle bzw. Richter kann jederzeit während einer Veranstaltung einen Steward bitten, die Verschnallung des Nasenriemens zu überprüfen. Wenn der Nasenriemen vor einem Dressurbewerb als zu eng befunden wurde, hat der Reiter die Möglichkeit, den Nasenriemen zu lockern, bis dieser die korrekte Verschnallung aufweist. Wenn festgestellt wird, dass ein Pferd/Pony in einer Prüfung mit einem Nasenriemen geritten wurde, der enger als in den entsprechenden Richtlinien verschnallt war, wird das Paar von diesem Bewerb ausgeschlossen. Stewards müssen bei allen vorgeschriebenen Inspektionen die Verschnallung des Nasenriemens mit dem Taper Gauge überprüfen.“

Von all dem ist im Beschluss von ESNZ nicht mehr die Rede. In den Anmerkungen dazu heißt es sogar: „Die gebräuchlichere ,Zwei-Finger-Regel’ wurde zwar in Betracht gezogen – aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass ein Finger adäquat ist. Die Regel sieht auch nicht die verpflichtende Verwendung des ISES Taper Gauge vor, diese Schablone kann jedoch dazu verwendet werden, um den Ein-Finger-Abstand zu überprüfen und scheint ein nützliches und genaues Instrument für Reiter und Stewards zu sein, um sicherzustellen, dass diese Regel eingehalten und konsequent umgesetzt wird.“

Nun, dass „die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass ein Finger adäquat ist“ – das ist zumindest eine mutige Behauptung, denn es gibt auch wissenschaftliche Untersuchungen, die anderes nahelegen: Die im Jahr 2016 vorgelegte Studie „The Effect of Noseband Tightening on Horses Behavior, Eye Temperature and Cardiac Responses" („Die Auswirkungen enger Nasenriemen auf das Verhalten, die Augentemperatur und die Herztätigkeit von Pferden") konnte zeigen, dass auch bei einem Ein-Finger-Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenrücken negative Auswirkungen auf das Pferdewohl zu beobachten sind, etwa eine verringerte Kautätigkeit und ein Anstieg der Augentemperatur, wenngleich nicht so extrem wie bei einem ohne jeglichen Abstand verschnallten Nasenriemen. (Eine ausführliche Zusammenfassung der Studie gibt's hier.)

Es gibt also gute Gründe, die von Dänemark und Neuseeland beschlossene ,Entschärfung' der umstrittenen FEI-Regel mit Vorsicht und Zurückhaltung zu betrachten: Sie ist eine Verbesserung – aber kein Durchbruch; sie ist ein Fortschritt, aber keine nachhaltige Lösung. Und sie darf vor allem kein Alibi dafür sein, die Bekämpfung der zu Recht vielkritisierten FEI-Bestimmung einzustellen. Deren Beseitigung muss das endgültige Ziel sein – wie auch schon ProPferd in einem Kommentar gefordert hat. Die Beschlüsse des dänischen und neuseeländischen Verbandes können nur erste Schritte dazu gewesen sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger, meint
Ihr

Leopold Pingitzer

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