Kommentare 

Zur Übersichtzurück weiter

Olympia-Eklat des OEPS: Einfach nur ein weiteres Missmanagement
25.07.2021 / News

Leo Pingitzer schreibt für ProPferd.
Leo Pingitzer schreibt für ProPferd. / Symbolfoto: Archiv/Petr Blaha

Nach dem Ausfall von Victoria Max-Theurers Pferd Abegglen FH NRW und dem Platzen des österreichischen Olympia-Dressurteams ist der OEPS in Argumentationsnot: Warum wurde auf die Mitnahme einer qualifizierten Ersatzreiterin verzichtet?

 

Zwei Dinge seien vorweg klargestellt: Natürlich kann niemand etwas dafür, dass Victoria Max-Theurers Pferd Abegglen FH NRW wegen eines Abszesses an der Backenzahn-Wurzel auf ihren Start im olympischen Dressurbewerb verzichten musste und damit auch das österreichische Team – mangels Ersatzreiterin – geplatzt ist. Und selbstverständlich macht niemand der Reiterin daraus einen Vorwurf – es war die einzig mögliche und verantwortungsvolle Entscheidung, nicht zuletzt im Hinblick auf das Pferdewohl.

Auf einem ganz anderen Blatt stehen aber zwei andere Fragen, nämlich wie der OEPS mit diesem bedauerlichen Ausfall umgeht (und wie er diesen kommuniziert) und vor allem, wie es dazu kommen konnte, dass man – aus welchen Gründen auch immer – seitens des Verbandes auf die Mitnahme einer Ersatzreiterin verzichtet hat (und wer dafür verantwortlich ist). Auf diese beiden Fragen gibt es bislang keine bzw. nur unbefriedigende Antworten.

In einer Aussendung hatte Equipe-Chefin Ursula Barth mitgeteilt, dass die endgültige Abgabe der Nennliste unmittelbar nach Ende des Vet-Checks erfolgt wäre und danach „leider keine Änderungen in der Besetzung“ mehr möglich gewesen wären. Mit anderen Worten: Der OEPS argumentierte, dass das Team auch dann geplatzt wäre, wenn eine Ersatzreiterin in Tokyo mit dabei gewesen wäre – dies wurde auch so gegenüber allen großen Tageszeitungen und auch gegenüber dem ORF kommuniziert. Ein Beleg für diese Darstellung – etwa ein entsprechender Hinweis auf das geltende Reglement oder technische Bestimmungen – wurde bislang jedoch nicht vorgelegt. Und nachgefragt bzw. nachrecherchiert hat – mit der lobenswerten Ausnahme des Portals Eqwo.net – auch niemand.

In der Zwischenzeit verdichten sich jedoch die Zweifel, ob diese Darstellung des OEPS auch korrekt ist – denn in den div. Bestimmungen und Regulativen, die zu den olympischen Dressurbewerben zu finden sind, ist nichts dergleichen zu lesen. So heißt es etwa in den ,FEI Regulations for Equestrian Events at the Olympic Games' klipp und klar, dass der Tausch eines Reiter-Pferd-Paares vor Wettkampfbeginn (Pre-Competition Changes) in der Dressur bis zu zwei Stunden vor Beginn des Grand Prix-Bewerbes (= „Dressage Pre-Competition Change Deadline") möglich sei – der Einsatz einer Ersatzreiterin für Victoria Max-Theurer wäre demnach kein Problem gewesen (es war eben nur keine da). Von einer ,endgültigen Abgabe der Nennliste' als Deadline ist hier nichts zu finden.

Auch im ,Team Leaders Guide - Equestrian' des Organisationskomitees von Tokyo ist dies so festgehalten. Dort heißt es zur Ersatzreiter-Regelung (LAR = ,Late Athlete Replacement'): Die Nominierung eines Ersatzreiters „ist in der Zeitspanne zwischen der offiziellen Nennung (,declaration of starters') und bis zu zwei (2) Stunden vor dem ersten Wettkampf erlaubt und kann nur mit Reitern und/oder Pferden durchgeführt werden, die sich bereits im Olympiastall befinden. Pro qualifiziertem Team ist ein (1) Ersatzreiter und/oder -Pferd zugelassen. Bitte beachten Sie, dass der LAR-Prozess und die Genehmigung bis zu 18 Stunden dauern kann und mit der endgültigen Bestätigung der Athleten für die jeweilige Veranstaltung abgeschlossen werden muss." Das wäre sich zeitlich alles ausgegangen – aber vielleicht hatte der OEPS ja tatsächlich Dokumente oder Informationen zur Verfügung, die anderes nahelegen. Umso wichtiger und dringlicher wäre es, dass der OEPS für seine Sicht der Dinge Belege vorweist, wir lassen uns ja gern eines Besseren belehren.

Solange dies nicht geschieht, bleibt er in Argumentationsnot – und auch die Frage ungeklärt, wieso viele andere Dressurnationen selbstverständlich MIT Ersatzreiter/in nach Tokyo gekommen sind (sofern sie welche zur Verfügung hatten und diese auch zur Anreise bereit waren), Österreich aber nicht, obwohl es erstmals seit 2004 wieder die Möglichkeit hatte, mit einem kompletten Dressurteam an den Start zu gehen. Wieso hat man darauf verzichtet, Astrid Neumayer als qualifizierte Ersatzreiterin mitzunehmen – obwohl jedem Reitsport-Funktionär klar sein muss, wie rasch ein gesundheitliches Problem bei einem Pferd auftauchen kann (siehe Patrik Kittels Well Done, der im Training gestolpert ist) oder wie schnell sich z.B. ein Athlet eine Covid-Infektion einfängt und deshalb ausfällt (siehe den deutschen Radprofi Simon Geschke)?

Das kolportierte Argument, man wollte Neumayers Pferd Zap Zap die Strapazen der Anreise und die heißen Temperaturen ersparen, ist dabei wenig überzeugend und auch nicht sehr glaubwürdig – gerade im Falle des OEPS nicht, denn dieser hatte vor kurzem gar nichts dabeigefunden, Sandra Nuxoll und ihren Pferden eine 2.000 km lange Reise vom norddeutschen Dinklage nach Ebreichsdorf zuzumuten, um dort bei einer Sichtung zu beweisen, dass sie mindestens 66 % im Grand Prix erreichen könne (Nuxoll hatte zuvor mit Bonheur de la Vie den prestigeträchtigen Louisdor Cup mit 77,140 % im Grand Prix gewonnen). Nuxoll entschied sich – nicht zuletzt dem Pferdewohl zuliebe – schließlich gegen die Teilnahme, worauf der OEPS ihr weitere internationale Startfreigaben verweigerte und Nuxoll die Nation wechselte (siehe unseren Kommentar dazu). Soviel zur Glaubwürdigkeit des OEPS in Sachen Pferdewohl.

Nebenbei bemerkt: Auf eine Reiterin wie Sandra Nuxoll kaltschnäuzig zu verzichten hat Österreichs Dressursport nicht nur nachhaltig geschadet, sondern die Reitsport-Nation Österreich zum wiederholten Male der internationalen Lächerlichkeit preisgegeben – ebenso wie viele andere Vorfälle der letzten Monate und Jahre, über die man in Europa oft nur ungläubig den Kopf schüttelte. Dieser Serie von Pannen, haarsträubenden Entscheidungen und Missmanagement wird mit dem nunmehrigen Olympia-Eklat nur noch ein weiterer Baustein hinzugefügt – es geht einfach immer munter weiter so, weil die Väter (und Mütter) dieses Missmanagements, sprich: die handelnden Personen, stets die gleichen bleiben und keine Veranlassung sehen, aus irgendeinem Malheur irgendwelche Konsequenzen zu ziehen.

Der Punkt ist: Dem ,Prinzip Hoffnung' kann man als Privatperson frönen, kann sorglos und nachlässig sein, wie man will – als Sportverband muss man aber anders agieren: verantwortungsvoll, vorausschauend, professionell und alle Risiken abwägend und einberechnend. Die Mitnahme eines Ersatzreiters wäre aus vielerlei Gründen ein Gebot der Vernunft und der sportlichen Professionalität gewesen – ein Ersatzreiter ist im Gefüge eines Teams enorm wichtig, auch wenn seine Rolle oft eine undankbare und wenig anerkannte ist. Er verringert den Druck auf die anderen und kann zusätzliche Sicherheit und Motivation geben. Verzichtet man auf ihn, kann das rasch ins Auge gehen, wie man jetzt sieht. Der Stehsatz, dass man nachher immer klüger ist, gilt in diesem Fall nicht – denn so klug muss man als Sportverband wirklich vorher sein, die anderen sind es nämlich auch. Und man stünde jetzt nicht dermaßen in der Kritik.

Warum also blieb der Platz der Reservereiterin im österreichischen Dressurteam ungenutzt? Warum hat der OEPS das Risiko in Kauf genommen, dass bei irgendeinem gesundheitlichen Problem eines Reiters/einer Reiterin oder eines Pferdes das österreichische Dressurteam platzt – und wer trägt für diese zweifellos schlechte sportliche Entscheidung die Verantwortung? Der Sportdirektor? Die Dressurreferentin? Die Equipe-Chefin? Der Generalsekretär? Oder die Präsidentin? Der OEPS wird sich diesbezüglich erklären müssen, das ist er nicht nur der Öffentlichkeit, sondern vor allem auch den eigenen Verbandsmitgliedern schuldig,
meint Ihr

Leopold Pingitzer

PS: Sagen Sie mir ruhig Ihre Meinung: redaktion@propferd.at

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen