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Spanische Hofreitschule wird das Thema Nervenschnitt nicht los
30.04.2023 / News

Wie konnte es passieren, dass Lipizzanerhengste nach einer Nervenschnitt-OP wieder in Training und Vorführungen geschickt wurden – diese Frage ist nach wie vor unbeantwortet.
Wie konnte es passieren, dass Lipizzanerhengste nach einer Nervenschnitt-OP wieder in Training und Vorführungen geschickt wurden – diese Frage ist nach wie vor unbeantwortet. / Symbolfoto: Archiv

Offenbar sind Hengste der Hofreitschule nach einer Nervenschnitt-OP wieder in Training und Vorführungen zum Einsatz gekommen – dies musste der neue Geschäftsführer Dr. Alfred Hudler im Rahmen eines Pressefrühstücks einräumen, blieb aber Details und Hintergründe schuldig. Doch die Öffentlichkeit hat ein Anrecht auf volle Aufklärung – und eine Antwort auf die Frage: „Wie konnte das passieren?“


Der neue Geschäftsführer der Spanischen Hofreitschule – Dr. Alfred Hudler – lud am 27. April zum Pressefrühstück, flankiert und unterstützt von den beiden Oberbereitern Rudolf Rostek und Herbert Seiberl sowie Tierärztin Dr. med.vet. Sophia Sommerauer, welche die Hengste der Hofreitschule intern betreut. Es war Dr. Hudlers erster derartiger Auftritt, nachdem er per 1. Dezember als alleiniger Geschäftsführer der Hofreitschule übernommen hat – und obwohl er zweifellos lieber von Plänen und Perspektiven und einer hoffentlich rosigen Zukunft geredet hätte, zielte der Großteil der Journalistenfragen auf die weniger rosige Vergangenheit: Die Aufregungen nach der Dienstfreistellung von Oberbereiter Andreas Hausberger haben sich noch längst nicht gelegt – und auch der desaströse Rechnungshof-Bericht von 2021 sorgte für eine ganze Reihe kritischer Fragen.

So wurde rasch klar: Die mediale Gegenoffensive, um das angeschlagene öffentliche Bild der Hofreitschule zu korrigieren und zum Positiven zu wenden, kam nicht wirklich zustande – es ging im Wesentlichen um Schadensbegrenzung und um das Abwehren von teilweise hochnotpeinlichen Vorwürfen. Einer davon betraf das Thema ,Nervenschnitt’ – das seit einigen Monaten durch die Medien geistert und das bislang als einzig namhaftes Medium die Tageszeitung ,Kurier’ in einem Artikel vom 5. Okt. 2022 ausführlicher behandelt hat (hier nachzulesen).

In ihrer damaligen Stellungnahme bestritt die Hofreitschule nicht, dass es zu Nervenschnitten – offenkundig bei mehreren Pferden – gekommen sei, doch diese hätten nur dazu gedient, die Pferde schmerzfrei zu bekommen. Man betonte, dass weder der Aufsichtsrat als Organ, noch der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Ulrich Herzog in die Entscheidungen zur Durchführung einer Neurektomie eingebunden gewesen sein. Erst im nachhinein sei man darüber informiert worden – woraufhin die spätere Geschäftsführung (Klima/Klissenbauer) entschieden habe, die betroffenen Hengste in den Ruhestand zu schicken. Künftig soll es derartige Eingriffe nicht mehr geben – eine Linie, die auch der Aufsichtsrat unterstützt.

Trotz dieser überaus geschickten und letztlich auch effektiven Stellungnahme – weitere Medienberichte blieben weitgehend aus, die Faktenlage blieb nebulos – rumorte das Thema ,Nervenschnitt’ insbesondere bei Pferde- und Tierfreunden weiter, und so kam es auch beim Pressefrühstück am 27. April neuerlich aufs Tapet.

Dr. Hudler blieb in seiner Antwort allgemein:  „Das Thema Nervenschnitt, das immer wieder kommt, ist 2017 passiert. Das gibt es nicht mehr. Es gibt nichts mehr, was nicht den Regeln entspricht, den Dopinggesetzen etc. Es wird alles auch lückenlos dokumentiert – da überzeuge ich mich auch selber regelmäßig davon. Es gibt nichts, was nicht den geltenden Vorschriften und auch nicht unseren eigenen Ansprüchen, was das Tierwohl betrifft, entspricht. Die Frage, warum das damals gemacht wurde, das kann ich Ihnen nicht beantworten, das müsste man die Geschäftsführer fragen, die das entschieden haben.“

Dr. Sommerauer ergänzte: „Ich bin jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren als interne Tierärztin der Spanischen Hofreitschule tätig und betreue auch alle Dinge, die das Tierwohl, die tiermedizinische Betreuung und auch – gemeinsam mit den Bereitern – die Trainingsmöglichkeiten der Pferde betreffen. Das mit den Nervenschnitten ist auch für mich ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt – das aber jetzt in meiner Zeit sicher nicht stattfinden wird. Wie Hr. Dr. Hudler schon gesagt hat: Warum das damals gemacht worden ist, weiß ich nicht. Es ist so, dass diese Pferde pensioniert worden sind und nicht mehr hier zum Einsatz kommen – und dass auch diese Behandlungsmöglichkeit hier nicht mehr zum Einsatz kommen wird. Ich stehe wirklich dafür, dass die tiermedizinische Betreuung der Spanischen Hofreitschule höchste Qualität hat und auch trotz der vielen Traditionen den modernen Standards entspricht.“

Soweit – so schlimm, möchte man meinen, doch diese Vorfälle bloß als „vergangen und vorbei“ (und am liebsten wohl auch noch mit dem Zusatz „vergessen“) zu erklären und flugs zur Tagesordnung überzugehen, ist vielen Pferdefreunden zu einfach und auch zu wenig, zumal unwidersprochen blieb, dass betroffene Pferde offenbar nach dem operativen Eingriff wieder im Training und sogar in Vorführungen eingesetzt worden sind. Das an sich ist ein veritabler Skandal – der noch dadurch verschärft wird, dass der Sachverhalt bislang nicht einmal ansatzweise untersucht worden ist, von einer öffentlichen Aufklärung und Aufarbeitung ganz zu schweigen.

Zur Enttäuschung vieler Pferdefreunde zeigte sich nun auch Geschäftsführer Dr. Hudler am Thema bemerkenswert desinteressiert („Das müsste man die Geschäftsführer fragen, die das entschieden haben“) und stellte auch keine weiteren Aufklärungsschritte in Aussicht. Ja, man vermisste sogar das klare Bekenntnis, dass hier offenkundig eine schwere Verfehlung der früheren Geschäftsführung (Gürtler/Klissenbauer) passiert ist – das Wort „Fehler“ kam Dr. Hudler bei der Pressekonferenz nicht über die Lippen.

Dieses Desinteresse stellt – man muss es offen sagen – weder ihm noch der Hofreitschule und schon gar nicht dem Landwirtschaftsministerium als Eigentümervertreter ein gutes Zeugnis aus. Neurektomien bei Pferden sind – jedenfalls in der Pferde-Community – ein historisch belastetes und umstrittenes Thema, das noch dazu emotional aufgeladen ist. Eine Neurektomie, also die Durchtrennung bestimmter Nerven im Fesselträgerbereich, ist grundsätzlich eine legitime tierärztliche Behandlungsoption, wenn einem Pferd auf anderem Weg kein schmerzfreies Leben ermöglicht werden kann. Der Eingriff bedingt aber auch, dass die angeschlossenen Gewebe (z.B. Muskeln) nicht mehr ausreichend versorgt werden, was eine vermehrte Instabilität des Fesselträgers zur Folge hat – und damit die Gefahr, dass sich die operierten Pferde erst recht wieder verletzen. Daher ist nach übereinstimmender Lehrmeinung eine sportliche Nutzung solcher Pferde nicht mehr möglich: Neurektomierte Pferde gehören auf die Koppel bzw. in Pension – und nicht in eine Vorführung oder ein forciertes Training.

Dass Letzteres an der Spanischen Hofreitschule – gleichsam dem Wächter der klassischen Reitkunst und Garanten für korrekte, pferdegerechte Ausbildung – offenkundig passiert ist, ist ein eklatanter und durch nichts zu entschuldigender Sündenfall, wie er in der Geschichte des Instituts wohl einmalig ist. Hengste nach einer Nervenschnitt-OP weiter in Training und Vorführungen einzusetzen – das geht gar nicht und ist eine entsetzliche Verfehlung, die dazu geeignet ist, das Image und das Ansehen der Institution nachhaltig zu schädigen. Im Pferdesport hätte es jedenfalls schwerste disziplinäre Konsequenzen.

Umso mehr erstaunt es, dass weder Aufsichtsrat noch Geschäftsführer und auch nicht das Landwirtschaftsministerium als Eigentümervertreter darin einen Anlass sehen, den Sachverhalt eingehend zu untersuchen, aufzuklären und aufzuarbeiten. Denn im Moment sind so gut wie alle relevanten Fragen in diesem Zusammenhang unbeantwortet:

– Wieviele Hengste der Hofreitschule – und welche genau – wurden einer Neurektomie unterzogen?
– Welches exakte Krankheitsbild bzw. welche Diagnose hat zu den Nervenschnitt-OPs geführt?
– Hätte es möglicherweise alternative Behandlungen für die betroffenen Hengste gegeben?
– Wieso kam es offenbar zu einer Häufung von Neurektomien innerhalb eines relativ überschaubaren Zeitraums (2017/2018)?
– Liegen dieser Häufung strukturelle Probleme in den internen Abläufen zugrunde (z.B. bei der medizinischen Beurteilung/Einschätzung von Hengsten, in Aufbau bzw. Intensität der Ausbildung etc.)?
– Wer hat die Neurektomie durchgeführt, welche Aufklärung gab es dazu und an wen war diese gerichtet?
– Wer war in die Entscheidungsprozesse, die zu den Eingriffen führten, einbezogen – und wer hat die Eingriffe letztlich beauftragt bzw. formell freigegeben?
– Welchen Bereitern waren die betroffenen Pferde zugeteilt – und haben diese von den Eingriffen gewusst?
– Wer hat die definitive Entscheidung getroffen, die neurektomierten Hengste wieder in die Reitschule und damit ins Training zu nehmen?
– Wie lange blieben die Pferde nach den Eingriffen im aktiven Einsatz?
– Wie geht es den Pferden heute?

Gewiss sind diese Fragen für die neue Geschäftsführung nicht gerade angenehm – aber es ist eben nicht immer angenehm, Geschäftsführer zu sein. Wir aber fragen uns: Warum wurde und wird keine Untersuchung der Vorgänge beauftragt? Möchte Dr. Hudler nicht über all diese Dinge detailliert Bescheid wissen? Möchte er nicht wissen, warum so gehandelt und entschieden wurde – auch um derartige Fehlentwicklungen für die Zukunft auszuschließen? Reicht dem Aufsichtsrat wirklich die Feststellung, von all dem nichts gewusst zu haben? Möchten Aufsichtsrat und Landwirtschaftsministerium nicht wissen, was hier genau aus welchen Gründen passiert ist – und wer letztlich für den schweren Image-Schaden an der Hofreitschule die Verantwortung trägt? Das erscheint besonders seltsam angesichts der Tatsache, dass im Aufsichtsrat der Spanischen Hofreitschule der bereits genannte Dr. Ulrich Herzog sitzt, der im Gesundheitsministerium den Bereich Verbrauchergesundheit und Veterinärwesen leitet, also im weiteren Sinn auch für die Überwachung des Tierwohls zuständig ist.

Vor allem hat die Öffentlichkeit ein Anrecht auf volle Aufklärung – und eine Antwort auf die große Frage: „Wie konnte das passieren?“ Die Spanische Hofreitschule ist eine Gesellschaft öffentlichen Rechts, die im Eigentum der Republik Österreich steht und auch durch Steuergeld finanziert wird. Als solche ist sie – auch und gerade in dieser Frage – der Öffentlichkeit und den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes Rechenschaft schuldig.

Und überhaupt: Wovor hat man denn Angst? Fürchtet man, dass vielleicht jene Kritiker, die seit vielen Jahren vor einer Überlastung der Hengste infolge des wirtschaftlichen Drucks gewarnt hatten, am Ende Recht haben könnten?

Dr. Hudler hat – weil diese Vorgänge weit vor seinem Amtsantritt passiert sind und ihn persönlich gewiss keine Mitschuld trifft – noch immer die Chance, Verantwortung zu übernehmen, Einsicht zu verlangen und auch Einsicht zu zeigen. Es wäre ein erster Schritt, mit den Fehlern der Vergangenheit aufzuräumen und auf Kritiker zuzugehen. Denn diese werden auch weiterhin nicht verstummen, vielleicht ist ihm das an diesem 27. April klargeworden,

meint
Ihr

Leo Pingitzer

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