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Organisations-Chaos & ein totes Distanzpferd: Der Größenwahn der FEI rächt sich bitter
17.09.2018 / News

Leo Pingitzer schreibt für ProPferd.
Leo Pingitzer schreibt für ProPferd. / Archivfoto: Petr Blaha

Am organisatorischen Desaster der World Equestrian Games in Tryon ist nicht nur Hurrikan Florence schuld, sondern auch ein überforderter Veranstalter und letztlich die FEI selbst, die ein Wettkampf-Format, das niemals richtig funktioniert hat, um jeden Preis fortsetzen wollte. Ein Kommentar von Leo Pingitzer.


Schon vom ersten Tag an standen die Weltreiterspiele in Tryon im US-Bundesstaat North Carolina unter keinem guten Stern: Die Eröffnungsfeier war längst absolviert, da wurde auf dem WM-Gelände noch immer munter gebaut, gebohrt und gebaggert, die Toiletten waren nur in bestimmten Gebäuden nutzbar, es gab zuwenig Hotelbetten, dafür wohnten einige Pfleger in improvisierten Zeltunterkünften, wofür sich WM-Organisationschef Mark Bellissimo schließlich sogar entschuldigen musste. Das organisatorische Chaos setzte sich an den folgenden Tagen leider fort – den Herausforderungen des Hurrikans Florence, der alle Zeitpläne und Programme buchstäblich hinwegfegte, waren die Veranstaler offenkundig nicht gewachsen: Man blieb stur, wo man flexibel hätte sein müssen – und stand am Ende vor einem Scherbenhaufen: Die Dressur-Kür wurde abgesagt, ebenso der WM-Bewerb der Distanzreiter, der – vielleicht – zu einem späteren Zeitpunkt an anderem Ort nachgetragen wird, wie die FEI vage meinte.

Was sich in Tryon rund um den völlig verunglückten Distanzreit-Wettbewerb abspielte, ist in der WM-Geschichte ohne Beispiel: Es begann damit, dass es für Teilnehmer und Betreuer nicht möglich war, vor dem Start die WM-Strecke zu besichtigen, weil sich das Gelände durchwegs in Privatbesitz befindet und nur für den Tag des Rennens geöffnet wurde – ein wohl einzigartiger Vorgang bei einer Weltmeisterschaft. Am Wettkampftag (Mittwoch, 12. September) startete das Rennen um 6.30 Uhr früh an zwei verschiedenen Orten und offenbar auch in unterschiedliche Richtungen – offenkundig hatte niemand vor Ort eine Ahnung oder einen Überblick. Erst nach Stunden wurde das Rennen abgebrochen und schließlich auf verkürzter Strecke um die Mittagszeit neu gestartet, ehe es in am späten Nachmittag aufgrund extremer Wetter- und Bodenverhältnisse endgültig abgebrochen werden musste.

Dass diese Entscheidung richtig war, stellte sich erst zwei Tage später heraus: Wie die FEI am 15. September in einer Aussendung mitteilte, mussten von den insgesamt 94 Pferden, die den Neustart in Angriff genommen hatten, 53 – also mehr als die Hälfte – nach dem Abbruch in der Veterinärstation behandelt werden. 52 dieser Pferde litten infolge der extremen Hitze und der sehr hohen Luftfeuchtigkeit an Kreislaufproblemen, 32 davon mussten Infusionen erhalten, zwei Pferde kämpften mit Nierenproblemen. Eines davon – der 20 Jahre alte Angloaraber-Wallach Barack Obama der Neuseeländerin Jenny Champion – musste schließlich sogar eingeschläfert werden. Die FEI kündigte eine genaue Untersuchung der Vorfälle und auch eine Obduktion des toten Pferdes an – ließ aber keinen Zweifel daran, dass die Entscheidung zum Abbruch die einzig richtige war und „unsere Funktionäre am Mittwoch den Sport gerettet haben“, wie es in der offiziellen Aussendung hieß.

Das sind ungewohnte Töne für eine ansonsten so zurückhaltende Organisation wie die FEI – und es drängt sich dabei unweigerlich der Eindruck auf, dass diese starken Worte auch dazu dienen sollen, von den eigenen Versäumnissen und Fehlentscheidungen abzulenken. Eine diesbezügliche Diskussion kommt auf die FEI jedoch unweigerlich zu – denn an dem organisatorischen Desaster von Tryon trägt sie ohne Zweifel eine erhebliche Mitschuld. Die klägliche Leistung des Veranstalters ist nur die logische Fortsetzung eines mehr als holprigen Auswahlprozesses, der den Weltverband des Pferdesports von 2012 bis 2014 beschäftigte: Nachdem das erste Bewerbungsverfahren für die Weltreiterspiele 2018 kläglich gescheitert war und am Ende keiner der ursprünglich acht Interessenten die von der FEI geforderten finanziellen Garantien nachweisen konnte, startete am 1. Juli 2013 der Vergabeprozess ein zweites Mal, aus dem schließlich Bromont als einziger von drei Bewerbern übrigblieb und beim FEI-Frühjahrsmeeting im Juni 2014 als Ausrichter der Weltreiterspiele 2018 präsentiert wurde. Doch kaum zwei Jahre später folgte die Ernüchterung: Bromont musste im Sommer 2016 den Vertrag mit der FEI auflösen, weil die kanadische Regierung jegliche öffentliche Unterstützung für den Event verweigerte. Zwei Jahre vor der Großveranstaltung stand die FEI ohne Austragungsort da – und hätte vernünftigerweise die Reißleine ziehen müssen, sprich: die Veranstaltung in dieser Form absagen und die einzelnen Championate an andere Ausrichter vergeben müssen. Das wollte man aber nicht – die Idee der World Equestrian Games musste um jeden Preis gerettet werden.

In letzter Sekunde bot sich schließlich Tryon in den USA als Ersatzlösung an: Mark Bellissimo, Geschäftsführer der Firma Equestrian Sport Productions, Mitbesitzer und Betreiber von drei führenden Pferdesport-Resorts in den USA (dem Palm Beach International Equestrian Center in Wellington/Florida, dem Colorado Horse Park und dem Tryon International Equestrian Centre) ließ sich überreden – und bewahrte die FEI damit vor einer historischen Blamage, nämlich einer Absage der World Equestrian Games 2018 und einer Aufteilung der Championate auf mehrere Veranstalter. Dass man den neuen Veranstalter aber eine organisatorische Herkulesaufgabe zumutete, die zahlreiche Experten für kaum bewältigbar hielten, spielte die FEI in der Öffentlichkeit herunter: Schließlich habe im Jahr 1996 auch Rom kurzfristig die Weltreiterspiele für 1998 von Irland übernommen – und alles sei gutgegangen. Dabei übersah man geflissentlich, dass die Spiele von 1998 noch bei weitem nicht so komplex und schwierig waren wie jene von 2018: Man musste nur fünf statt acht Weltmeisterschaften austragen – mit deutlich weniger Pferden, weniger Aktiven und weniger Funktionären: Der Vergleich, ja, die Gleichstellung beider Events, den FEI-Präsident Ingmar De Vos damals zog, war weder fair noch realistisch: Wie nun immer deutlicher erkennbar wird, könnte es sich in Wahrheit um eine ,mission impossible’ gehandelt haben, die man Mark Bellissimo da aufbürdete.

Nun bekommt die FEI die Rechnung für ihren Hochmut präsentiert – auch wenn vorerst Mark Bellissimo die schlechte Presse abbekommt und als Hauptverantwortlicher für das organisatorische Chaos geprügelt wird. In Wahrheit macht man es sich damit zu leicht – der Anteil der FEI am Desaster ist zumindest ebenso hoch. Denn bei objektiver Betrachtung ist das Konzept der World Equestrian Games – also der Zusammenfassung der wichtigsten FEI-Weltmeisterschaften zu einem Großevent, der im Vier-Jahres-Rhythmus alternierend zu den Olympischen Spielen stattfindet – alles andere als eine Erfolgsgeschichte, sondern ein Format, das sich überlebt hat und nur noch mit Krampf und Kampf am Leben erhalten wird. Die Idee, damit ein großes, medienwirksames Veranstaltungsformat für den Fall aufzubauen, dass der Pferdesport aus dem olympischen Programm gestrichen werden sollte, erwies sich als naiver Wunschtraum: Dazu reicht die Popularität und wirtschaftliche Kraft des Pferdesports schlicht und einfach nicht. Und sie war auch wirtschaftlich niemals tragfähig: Wenn man den Berichten und Recherchen zahlreicher Medien Glauben schenkt, haben bislang sämtliche World Equestrian Games mit einem Verlust bilanziert, angefangen von Stockholm (SWE) 1990 über The Hague (NED) 1994, Rom (ITA) 1998, Jerez de la Frontera (ESP) 2002, Aachen (GER) 2006 bis zu Kentucky (USA) 2010 und der Normandie (FRA) im Jahr 2014. Einzig die Weltreiterspiele 2006 in Aachen konnten ausgeglichen bzw. leicht positiv bilanzieren – dank hervorragender Organisation, perfekter Infrastruktur und großem Rückhalt durch Publikum, Sponsoren und öffentlichen Stellen. Es sollte, wie die Events davor und danach zeigten, eine Ausnahme bleiben.

So ist es kein Wunder, dass sich immer weniger Bewerber für die Monsterspiele melden und es zusehends schwieriger wird, geeignete Veranstalter zu finden. Es gibt bis zur Stunde auch noch keinen offiziellen Ausrichter für die Weltreiterspiele 2022 – ja, nicht einmal einen Bewerber, nachdem sowohl Lexington als auch Samorin im Vorjahr ausgestiegen sind. Die FEI beruhigt und gibt an, dass sehr wohl Interessenten vorhanden wären – doch dahinter scheint viel Zweckoptimismus zu stecken. Die FEI will sich mit der Frage künftiger Weltreiterspiele offiziell erst nach Tryon beschäftigen – doch sie wäre gut beraten, nicht bloß auf Bewerbersuche zu gehen, sondern parallel dazu auch andere Optionen ernsthaft zu prüfen, etwa eine Verkleinderung, Aufteilung oder Restrukturierung der World Equestrian Games. So könnte es z. B. durchaus Sinn machen, etwa die drei populärsten Disziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit als Schwerpunkt-Event zu belassen – und fallweise eine weitere Diszplinen dazuzunehmen, je nach den Kapazitäten und Möglichkeiten des Veranstalters. Damit könnte gleichsam ein pferdesportliches Leuchtturm-Projekt bestehen bleiben, dessen Licht fallweise auch den anderen, weniger populären FEI-Disziplinen zugute kommen könnte: Es wäre groß und attraktiv genug, um mediale Strahlkraft zu entfalten – und dabei organisatorisch und finanziell erheblich leichter zu bewältigen.

Nicht zuletzt sollte die FEI auch an ihren eigenen Ruf – und den des Pferdesports insgesamt – denken: Organisations-Chaos, Bewerbs-Absagen und überforderte oder sogar tote Pferde sorgen nur für eins – nämlich für schlechte Schlagzeilen, und die kann der Pferdesport wahrlich nicht brauchen. Schon nach den WEG 2014 in der Normandie, bei denen ebenfalls enorm viel schiefging, machte der bittere Witz von den WEG als ,Worst Ever Games’ die Runde. Tryon wird in dieser Hinsicht seinen Vorgänger vielleicht sogar noch übertreffen. Der Imageschaden trifft in letzter Konsquenz auch den Weltreiterverband selbst und den ganzen Pferdesport. Nach zwei organisatorisch misslungenen und medial wenig überzeugenden Weltreiterspielen sollte die FEI ernsthaft überlegen, ob sie sich diesen Stunt noch einmal antun will – oder endlich den Mut und den Pragmatismus aufbringt, die Sackgasse der World Equestrian Games zu verlassen und nach anderen, smarteren und schlankeren Lösungen und Formaten zu suchen. Es sollte der FEI langsam dämmern, dass die Zeiten gigantomanischer Sportevents, die nichts als Schulden, Umweltschäden und sinnlose Sportruinen hinterlassen, mittlerweile vorbei sind – und auch die World Equestrian Games letztlich ein Kind dieses unzeitgemäßen Größenwahns sind. Weniger ist manchmal mehr – doch dieser Gedanke wäre für die FEI etwas wirklich Neues,

meint Ihr

Leopold Pingitzer

PS: Sagen Sie mir ruhig Ihre Meinung: redaktion@propferd.at

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1) Moonlight59: Es gibt einige gigantische und sehr erfolgreiche Veranstaltungen, die regelmäßig - manche jährlich - stattfinden. Dazu gehören etwa Aachen oder Windsor. Im Rahmen dieser erprobten Events wäre es ein Leichtes, einige Sparten zusätzlich ganz groß auszutragen oder ohnedies dort vorhandene mit FEI-Unterstützung aufzuwerten oder wenn nötig zu komplettieren. Mir ist nicht bekannt, dass es bei den alten, gestandenen Groß-Events jemals zu so katastrophalen Bedingungen gekommen wäre wie bei den WEGs. Offenbar ist die Einheit von Veranstalter und Veranstaltungsort eine Bedingung des Erfolgs. Es scheint, als ob nur ortsansässige, erfahrene Veranstalter mit wirklich großen Events zurecht kämen. Plötzliche Gigantomanie oder eitle Selbstüberschätzung führen meist ins Chaos.
Donnerstag, 11. Oktober 2018
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