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Theurers Olympiasieg vor 40 Jahren: eine Goldmedaille mit schalem Beigeschmack
04.08.2020 / News

Elisabeth Max-Theurer bei ihrem Olympiasieg in Moskau 1980 mit Mon Cherie.
Elisabeth Max-Theurer bei ihrem Olympiasieg in Moskau 1980 mit Mon Cherie. / Foto: Wikipedia CC/Kaspek/Fotograf: Hans Max-Theurer

Vor 40 Jahren holte Elisabeth Theurer mit Mon Cherie olympisches Gold im Dressurbewerb von Moskau. Doch der sportliche Wert der Medaille bleibt umstritten – und Theurers Antreten schlug damals Wunden, die noch immer nicht verheilt sind. Ein Kommentar von Leo Pingitzer.

 

Es war eine Schlagzeile mit pikantem, vermutlich nicht beabsichtigtem Doppelsinn: „Gold – Sissy Theurers olympisches Märchen“ so titelte letzten Samstag die Oberösterreich-Ausgabe der ,Kronen Zeitung’ und widmete dem Goldstreich von 1980 gleich eine stattliche Doppelseite, die wohl ganz nach dem Geschmack von Elisabeth Max-Theurer ausgefallen ist: „Die erst 23-jährige Dressurreiterin Sissy Theurer krönte sich am 1. August 1980 in Moskau zur Olympiasiegerin. Dass die USA und einige westliche europäische Länder wegen des Einmarsches der Russen in Afghanistan die Spiele boykottierten hatten, konnte die Freude nicht trüben.“ Und weiter: „Im Dressur-Viereck überstrahlen Sissy und ihr ,Mon Cherie’ die Konkurrenz: überlegene Olympiasiegerin vor zwei Russen! Mit Krimsekt und Kaviar wurde die Goldmedaille gefeiert, Gold-Pferd ,Mon Cherie’ genoss Karotten.“

Diese Darstellung ist – um es freundlich zu formulieren – doch stark vereinfacht und in hohem Maße ergänzungsbedürftig (was wohl selbst der ,Kronen Zeitung’ klar war, weshalb sie im Sport-Teil der gleichen Ausgabe einen Artikel mit dem vielsagenden Titel „Die billige Goldmedaille“ hinzufügte, der immerhin einiges relativierte). Tatsächlich waren die Dinge komplexer und vielschichtiger – und es gibt wohl kaum ein anderes Thema, das in der Welt des Sports so intensiv, kontrovers und hitzig diskutiert wurde und wird wie die berüchtigten ,Boykott-Spiele’ von 1980 und der umstrittene Auftritt von Elisabeth Theurer im der Dressur. Vor allem drohen – wie diese Geschichte zeigt – 40 Jahre danach wesentliche Fakten rund um diese Spiele und Elisabeth Theurers Auftritt in Moskau in Vergessenheit zu geraten. Deshalb scheint es angebracht und notwendig, einige Sachverhalte klarzustellen und wichtige Abläufe von damals zu rekonstruieren.

Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 hatten die USA unter Präsident Jimmy Carter beschlossen, aus Protest gegen diese Invasion nicht an den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau teilzunehmen – und an weitere Länder appelliert, diesem Beispiel zu folgen. Insgesamt 42 Nationen folgten diesem Boykott-Aufruf, weitere 24 verzichteten aus finanziellen oder sportlichen Gründen auf eine Teilnahme, was in vielen Disziplinen zu einer erheblichen sportlichen Ausdünnung führte, da neben den USA auch sportliche Schwergewichte wie Japan, Kanada, die Volksrepublik China und die BRD den Moskauer Spielen fernblieben. Die olympischen Reitsport-Bewerbe waren davon besonders betroffen, sodaß das Nachrichtenmagazin ,Der Spiegel’ sogar schrieb: „Die Reiterspiele schrumpfen ohne die Medaillenschwadron aus Westeuropa und den USA zu einem drittklassigen Provinzturnier.“ Eine zweifellos pointierte Formulierung, doch mit einem wahren Kern.

Vor allem die Springbewerbe – in denen die osteuropäischen Länder schwach aufgestellten waren – gerieten zur Farce und grenzten fast an Tierquälerei. Nur sechs Teams waren am Start – und viele Teilnehmer veranstalteten, wie Pferdejournalist Dieter Ludwig in einem Rückblick schreibt, „ein Massaker am Holz der Parcourslandschaft“. Etliche Reiter waren weit davon entfernt, den Anforderungen der Parcours gewachsen zu sein – im gesamten Nationenpreis sah man einen einzigen fehlerfreien Umlauf, am Ende siegte Russland (20,25 Fehlerpunkte) vor Polen (56 FP) und Mexiko (59,75 FP). Im Einzelbewerb wurde das Elend fortgesetzt, es gab Stürze sonder Zahl, die Stangen brachen und flogen nur so durch die Gegend, und Fritz Widmer, der damalige Generalsekretär der FEI meinte am Ende erleichtert: „Es fiel wie Ballast von mir, als der letzte Teilnehmer durch das Ziel war – und wir keinen toten Reiter und kein totes Pferd zu beklagen hatten…“

In der Dressur war es glücklicherweise nicht ganz so schlimm – denn immerhin war die UdSSR in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine respektable Dressurnation, die sogar Championats-Medaillen erobert hatte. Zum Kreis der Einzel-Titelanwärter wären sie unter normalen Umständen freilich nicht zu zählen gewesen – was sich jedoch änderte, nachdem nahezu die gesamte Weltspitze in Moskau fehlte. Die einzige Dressurreiterin der Spitzenklasse war – Elisabeth Theurer, während alle anderen ernsthaften Titel-Kandidaten wie die Schweizerin Christine Stückelberger sowie die Deutschen Dr. Reiner Klimke und Uwe Schulten-Baumer zuhause geblieben waren. Theurers Teilnahme sorgte bei anderen ReiterInnen für Staunen und Verärgerung, die auch Jahrzehnte später nicht gänzlich verblasst war. So äußerte sich Christine Stückelberger 2015 in einem Statement: „Während die Deutsche Reiterliche Vereinigung bereits im Mai 1980 entschied, keine Reiter nach Moskau zu senden, gab es ein großes Reitertreffen während des CDI Aachen, an dem auch Richter und Trainer teilnahmen. Die Situation wurde dort gründlich besprochen und wir waren uns alle einig, unter diesen Umständen nicht an den Olympischen Spielen teilzunehmen. In der Schweiz stimmte unser Equipenchef Hans Syz damit überein und kontaktierte das NOC meines Landes, das, im Gegensatz zu Deutschland, keinen totalen Boykott der Olympischen Spiele unterstützte. Es überraschte die Dressurszene, als wir drei Wochen vor Moskau in den Zeitungen lasen, dass sich Sissy Theurer, die Europameisterin von 1979, dazu entschieden hatte, in einer Fokker-Maschine von Formel 1- Weltmeister Niki Lauda nach Moskau zu reisen. Es gab eine Menge Aufregung." Man fühlte sich gleichsam hinters Licht geführt – und das galt auch für die damalige Führung des Österreichischen Bundesfachverbands (BFV), die eigentlich entschieden hatte, keine ReiterInnen nach Moskau zu entsenden, und sich ebenfalls durch Theurers Alleingang brüskiert sah: Präsident Fridolin Schindler sprach von einem „Affront" und einer „persönlichen Beleidigung" und trat mit sofortiger Wirkung zurück. (Anmerkung: Das Österreichische Olympische Comitée hatte sich in seiner Vollversammlung vom 19. Mai 1980 mehrheitlich für eine Olympia-Teilnahme österreichischer Athleten ausgesprochen – der BFV als für Pferdesport zuständiger Fachverband aber hatte Ende Mai entschieden, dem Votum der qualifizierten Reiter zu folgen und keine Teilnehmer zu entsenden.)

So wurde es für Elisabeth Theurer ein vergleichsweise leichter Sieg – in der Einzelwertung vor den Russen Juri Kowschow und Wiktor Ugrjumow, auch in der Mannschaftswertung holte die Sowjetunion Gold vor Bulgarien und Rumänien. In der Einzelwertung waren lediglich 14 ReiterInnen am Start, in der Mannschaftswertung gar nur vier Teams. Einen ebenso authentischen wie neutralen Einblick in das sportliche Niveau der Dressurbewerbe von Moskau gab vor einigen Jahren die Dänin Jytte Lemkow im Portal Eurodressage. Lemkow war in Moskau als Richterin im Einsatz – mit nur 37 Jahren stellte sie den Rekord auf, bis heute die jüngste Dressurrichterin bei Olympischen Spielen gewesen zu sein. Sie erinnert sich: „Obwohl mich in einem Alter, in dem ein Richter heute nur davon träumen kann, mein olympisches Debüt erwartete, reiste ich also ohne großartige Freude nach Moskau. Die Leistungen dort waren dann tatsächlich alles andere als eine Freude! Wir Richter waren uns vollkommen bewusst, dass wir zumeist Reiter richteten, die kein olympisches Niveau besaßen. Es war nicht besonders schwierig, so viele schlechte Ritte zu beurteilen, aber es war seltsam. Ein Reiter aus Rumänien, der zum Start gezwungen worden war, gab nichtmal eine halbe Parade um wenigstens anzudeuten, dass er piaffieren wolle. Sein Pferd, ein recht nettes, war ein Inter I- Pferd und war dazu einfach nicht in der Lage! Er erhielt eine 0 von allen Richtern. Um das Niveau, dem wir uns in Moskau zu stellen hatten, zu veranschaulichen, so viel: In meinen Schlussnoten gab ich 8 von 14 Startern einen Durchschnitt von unter 4!“ Einziger Lichtblick und ihre positivste Erinnerung an die Moskauer Spiele war Sissy Theurers Ritt mit Mon Cherie: „Er gab Moskau olympischen Glanz. Sie hatte keinen Konkurrenten und gewann deutlich vor Juri Kovshov und Viktor Ugrimov, beide aus dem Land des Gastgebers. Sissy war 1979 Einzeleuropameisterin und die einzige der Spitzenreiter, die in Moskau teilnahm. Aber für einige Jahre kritisierten ihre Kollegen sie für genau das und ihre leicht errungene olympische Goldmedaille.“

Der – von Theurers Ritt abgesehen – fragwürdige sportliche Stellenwert der Reitbewerbe von Moskau war jedenfalls evident und sorgte in der Reiterszene für Spott und bissige Kommentare. Für viele Dressurfans blieben es Spiele mit einem schalen Beigeschmack – und nicht wenige sind bis heute der Meinung, dass die wahre Olympiasiegerin des Jahres 1980 die Gewinnerin des Internationalen Dressur-Festivals von Goodwood war, das kurz nach den Moskauer Spielen in Großbritannien ausgetragen wurde. Es war der Auftakt der sogenannten ,Olympischen Ersatzspiele' (,Alternate Olympics'), bei denen sich nahezu die gesamte Weltklasse ein Stelldichein gab. Das Starterfeld konnte sich mit 32 Teilnehmern und sechs Teams in der Mannschaftswertung sehen lassen – einzige namhafte Abwesende war diesmal Sissy Theurer. Der Sieg in Goodwood ging in der Einzelwertung an die Olympiasiegerin 1976 und Weltmeisterin 1978 Christine Stückelberger mit Granat, Gold im Mannschaftsbewerb holte sich Deutschland vor der Schweiz und Dänemark.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich auch ein Österreicher bei den ,Olympischen Ersatzspielen' – die für die Springreiter in Rotterdam veranstaltet wurden – in die Siegerlisten eintrug, nämlich Hugo Simon, der mit Gladstone die gesamte Weltelite in die Schranken wies und einen vielumjubelten Triumph im Einzel-Springen landete. Wie er kürzlich verriet, ist der Siegerpokal von Rotterdam seine Lieblings-Trophäe, und in sportlicher Hinsicht auf einer Stufe mit einem Olympiasieg: Er – der in Moskau fehlte, weil sein Sponsor keine Freigabe für seine Spitzenpferde gab – gilt seither nicht nur bei österreichischen Reitsport-Fans als ,Olympiasieger der Herzen', und dieser Ehrentitel wiegt wohl mehr, als in den Tabellen des IOC gelistet zu sein, meint
Ihr

Leo Pingitzer

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