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Florians Blog: Pass auf, wie du über dein Pferd denkst!
02.03.2023 / Blogs

Wie wir unser Gegenüber sehen, so behandeln wir es auch – bewusst oder unbewusst, und das kann direkten Einfluss auf die Entwicklung und das Verhalten unseres Gegenübers haben. Diesen sogenannten Pygmalion-Effekt gilt es auch im Umgang mit Pferden zu beachten. Denn was wir über unser Pferd denken, könnte Wirklichkeit werden!
 

Foto: Hannah Assil


Vom „sturen Gaul“ zum sensiblen und intelligenten Pferd
Die meisten Pferd-Mensch-Beziehungen sind emotional. Dazu gehören sowohl positive als auch negative Emotionen. Bei der – beim Reiten im wahrsten Sinne des Wortes – engen Zusammenarbeit von Mensch und Pferd, neigen wir Menschen dazu, unserem Pferd bestimmte Attribute zuzuschreiben, und die sind nicht immer positiv.

In den Augen der Menschen gibt es da nicht nur „brave“, sondern auch „sture“, „dumme“, oder gar „A…loch-“ Pferde. Diese Zuschreibungen sind selten fair – und können sogar sehr problematisch sein.

Einerseits halten wir – unbewusst – ständig Ausschau nach Verhaltensweisen, die unsere Zuschreibung untermauern und sehen über gegenteilige Indizien hinweg. In der Psychologie nennt man das den Bestätigungsfehler.

Andererseits beeinflusst unsere Bewertung des Pferdes die Behandlung des Tieres: Behandeln wir unser Pferd als „sturen Gaul“, wird es ein solcher bleiben (oder eher werden!). Behandeln wir es als sensibles und intelligentes Lebewesen, wird es uns als solches begegnen. Ob positive oder negative Zuschreibungen, das Pferd wird sich ihnen anpassen!
 
Wissenschaftlicher Hintergrund
Dieser Effekt ist in der Psychologie als Rosenthal oder Pygmalion-Effekt bekannt. Er geht auf eine bahnbrechende Studie in den 1960er Jahren zurück. Dabei wurde Lehrkräften mitgeteilt, dass einige Kinder in ihren Klassen besonderes Potenzial in ihrer intellektuellen Entwicklung hätten. Diese Kinder waren jedoch nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden. Doch siehe da, acht Monate später wiesen genau diese Kinder ein signifikant höheren IQ auf.

Die Forscher, die diese Studie durchgeführt hatten, Robert Rosenthal und Lenore Jacobson, zogen aus diesem Ergebnis den Schluss, dass die Lehrer diese Schüler durch ihre positive Erwartung unbewusst anders behandelt hatten und so ihre Entwicklung besonders positiv beeinflussten.

Dieses Prinzip wurde im Vorfeld schon mit Ratten getestet und es folgten viele Nachfolge-Studien. Immer korrelierte die Erwartungshaltung der Lehrenden mit der Leistung der Schülerinnen und Schüler.
 
Mein erster Kontakt mit dem Pygmalion-Effekt im Pferdetraining
Zu Beginn meiner Trainertätigkeit wurde mir in meinen Horsemanship-Kursen die Relevanz des Pygmalion-Effekts im Umgang mit Pferden zum ersten Mal bewusst. In den Vorstellungsrunden zu Beginn der Kurse beschrieben die BesitzerInnen ihr Pferd häufig als „blöd“, „stur“ oder „böse“, untermauert von diversen Anekdoten.

Ich ließ mich von diesen scheinbaren Fakten beeinflussen und erwartete vierbeinige Gegner. Überraschenderweise traf ich später aber immer „nur“ auf Pferde. Auf liebe, nette Pferde sogar, die nur noch nicht ganz verstanden worden waren.

Behandelte ich dann die Pferde so, wie ich sie empfand, merkte ich in vielen Fällen nichts von den beschrieben negativen Tendenzen. Ließ ich die Worte aus der Vorstellungsrunde jedoch nachhallen, ertappte ich mich dabei, genau diese Eigenschaften in den Tieren hervorzurufen.

So wurde ich erstmals für dieses Thema sensibilisiert, ohne es benennen zu können. Bis heute erlebe ich regelmäßig, wie das Verhalten von Pferden sich mit der Einstellung ihrer Besitzer verändern kann.
 
Leichter gesagt als getan
In der Praxis ist es nicht immer einfach, nur das Gute in seinem Pferd zu sehen. Je unerwünschter sein Verhalten wird, umso schwerer fällt uns das in der Regel. Das erlebe ich beispielsweise oft bei aggressivem Verhalten. 

Hat ein Pferd einmal gelernt zu beißen, zu buckeln oder gar den Menschen zu attackieren, neigen viele Menschen dazu, es für „böse“ zu halten. Warum das Pferd sich so verhält, wird dabei leicht aus den Augen verloren. Stattdessen behandeln wir das „böse“ Pferd natürlich auch als solches. In der Regel trägt aber genau solch eine Behandlung dazu bei, dass das Pferd „böse“ ist.
 
Der böse Normen
Vor nicht allzu langer Zeit durfte ich mit Normen arbeiten. Der große Warmblüter zeigte sich alles andere als kooperativ. Er hatte gelernt, den Menschen anzusteigen, wenn ihm etwas gegen den Strich ging oder sich seines Reiters durch Steigen zu entledigen. Ging man hinter ihm vorbei, lief man Gefahr, einen Tritt abzubekommen.

In seinem Stall galt Normen als „A…loch“. Wurde mit ihm gearbeitet, versuchte man durch entsprechenden Druck, eine Eskalation zu verhindern. Dies hatte den Anschein zu funktionieren, denn wenn der Druck stark genug war, beugt sich ihm Normen. Allerdings geschah dies mit großem Widerwillen und hatte zur Folge, dass Normens Toleranzgrenze für jegliche Einwirkung auf ihn immer niedriger wurde. Mit der Zeit reichte es aus, dass der Mensch die Richtung anzeigte, um Normen ausrasten zu lassen.

Unbeteiligten Dritten fällt es in einem Fall wie diesem leichter, die Schuld nicht beim Pferd zu suchen – ganz anders sieht es aber aus, wenn man tatsächlich einem großen Kerl wie Normen gegenübersteht. Schuldzuweisungen sind daher nicht angebracht.

Als Normen in meine Obhut kam, begann ich sukzessive daran zu arbeiten, ihm den Grund für seine Reaktion (zu viel Druck) zu nehmen. Dass ich ihn als sensibles, missverstandenes Pferd mit weichem Herzen sah, half mir, die Mittel und Wege zu finden, die er brauchte, um auf den richtigen Weg zu kommen.
 
Richtig verstanden
Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass durch eine positive oder gar naive Sichtweise Probleme einfach verschwinden – dies zu glauben, könnte sehr gefährlich werden, denn selbstverständlich ist ein achtsamer Umgang mit unerwünschten Verhaltensweisen des Pferdes geboten. Es geht vielmehr darum, auch die positiven Seiten des Pferdes zu sehen und diese vielleicht sogar in den Vordergrund zu rücken.

Dazu gehört, das Potential des Pferdes zu erkennen, aber auch nicht zu überschätzen. Jedes Pferd hat natürliche Grenzen. Sich nicht von der Vergabe negativer Attribute hemmen zu lassen, aber auch nicht die natürlichen Grenzen des Pferdes zu übergehen, ist die Kunst bei der Sache.

Halte ich meinen leicht erregbaren Vollblüter für hysterisch, wird er wohl auch so sein und bleiben. Behandle ich ihn im Gegenteil gleich wie ein nervenstarkes Pferd, das weder Großvieh noch Mähdrescher fürchtet, kann es auch schnell mal gefährlich werden. Die Lösung liegt in der Mitte: Sehe ich ihn als ein hochsensibles Pferd mit wunderbaren Fähigkeiten, gelingt es mir am ehesten, mich an sein wahres Potential heranzutasten.

Die positiven Seiten des Pferdes zu sehen, schenkt uns die Geduld, ihm die Zeit zu geben, die es braucht und die Bereitschaft, unser Training auf das Pferd abzustimmen.
 
Ein positiver Nebeneffekt
Es ist ein tolles Gefühl, ein liebes, feines, sensibles oder gemütliches Pferd zu reiten. Meistens macht es mit bösen, sturen, unsensiblen oder faulen Gäulen nicht so viel Spaß. Dabei sind das alles nur Zuschreibungen, mit denen wir unsere Pferde versehen. 

Das Pferd negativ abzustempeln, nimmt uns die Freude am Umgang mit ihm. Das Gute im Pferd zu sehen, tut auch uns Menschen gut.

Florian Oberparleiter
März 2023

 
Quellenangaben:
Rosenthal, Robert; Jacobson, Lenore (1966). Teachers' Expectancies Determinants of Pupils' IQ Gains, in: Psychological Reports, 19, S. 115-118
Rosenthal, Robert; Fode, Kermit L. (1963), The Effect of Experimenter Bias on the Performance of the Albino Rat, in: Behavioral Science 8, S. 183-189

 

ZUR PERSON

Florian Oberparleiter ist international bekannter Pferdetrainer und hat sich sein ganzes Leben lang intensiv mit Tieren beschäftigt. In seinen Horsemanship- und Kommunikations-Kursen vermittelt er einen Umgang mit Pferden, der auf Körpersprache und Energie beruht. Er hat sich jahrelang mit verschiedenen Trainingskonzepten, Arbeitsweisen und Denkansätzen befasst und mit Pferdeexperten in den USA und Europa gearbeitet. Er schulte unablässig sein Gefühl und seine Wahrnehmung und entwickelte ein eigenständiges Trainingskonzept, das auf Kommunikation und nicht auf Konditionierung basiert und auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.

Weitere Infos über ihn, seine Arbeit und seine Kurse findet man auf www.florian-oberparleiter.com. Apropos: Kurse mit Florian Oberparleiter können auch auf der eigenen Anlage – egal ob in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder einem anderen Land – organisiert werden (Kontakte und Anfragen kann man über die Website, seine Facebook-Seite und seine Instagram-Seite an ihn richten). Zudem bietet Florian auch Online-Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen – siehe www.florian-oberparleiter.com/online-schule/!

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