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Florians Blog: So tückisch ist die "Erwartungsfalle" beim Pferdetraining
11.07.2023 / Blogs

Vor Kurzem hat Pferdetrainer Florian Oberparleiter in seinem Blog darüber berichtet, wie uns spezifische Erwartungen im Umgang mit Pferden in die Quere kommen können. Heute zeigt er anhand eines selbst erlebten Falles: Auch wenn man die „Erwartungsfalle“ gut kennt, ist man nicht davor gefeit, in sie hineinzutappen ...

 

Abel und Dynni sind zwei Isländer-Wallache, mit denen ich gelegentlich arbeiten darf. Sie haben mir kürzlich wieder einmal bewusst gemacht, wie unsere Erwartungen an Pferde den Trainingserfolg beeinflussen können.

Sowohl Dynni (auf dem Foto links zu sehen) als auch Abel (rechts) sind beide fortgeschritten in der Bodenarbeit. Abel hat sich aber immer besonders kooperativ gezeigt. Er ist daher auch schon länger „Professor“ in meiner Online-Schule. Als ich mit ihm mit Freiarbeit begonnen habe, stellte er sich ziemlich gut an. Vielleicht nicht ganz so gut, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber immerhin.

Bei Dynni hatte ich eine weniger hohe Erwartungshaltung. Er zeigte aber besondere Freude an der Freiarbeit und bot viele Dinge von selbst an. Schnell machte er große Fortschritte und hängte Abel im Niveau ab. Ich hatte damit – offen gesagt – nicht gerechnet und freute mich über jede Kleinigkeit, die er anbot. Aus den vielen Kleinigkeiten bauten wir ein schönes, großes Ganzes. Das fühlte sich einfach toll an!

Bald begann ich mich schon vor dem Training auf das tolle Gefühl mit ihm zu freuen. Ich begann vorauszusetzen, dass wieder alles so wunderbar wie die letzten Male sein würde. Aber als wir dann begannen, lief es aber nicht mehr so rund. „Naja, es kann ja auch nicht immer bergauf gehen …“, dachte ich und wartete darauf, dass sich das tolle Gefühl in der nächsten Trainingseinheit wieder einstellen würde. Aber leider hielt mich meine Erwartungshaltung auch in den nächsten Einheiten vom Erfolg ab. Beim Versuch, die Verbindung zu reproduzieren, die wir in der Vergangenheit hatten, entging mir, was gerade im Moment passierte: Ich war nicht mehr offen, kleine Versuche seinerseits zu sehen, sondern erwartete das große Ganze in der gleichen Qualität wie in der Vergangenheit zu erhalten. Ich war nicht mehr im Hier und Jetzt bei Dynni. Und so verflog der Zauber …

An Abel hatte ich an denselben Tagen keine großen Erwartungen. Ich wusste ja, dass er seine Sache im Großen und Ganzen gut macht und die Fortschritte langsam kommen würden. Ich nahm ihn unbewusst also an jedem Tag an, wie er gerade drauf war und machte das Beste daraus. Ich stimmte meine Hilfengebung auf seinen jeweiligen Zustand ab, ohne einem Gefühl aus der Vergangenheit nachzujagen. Dabei entging mir nicht, wenn er sich bemühte. Und so zeigte Abel dann auch sein Bestes! Bald war die Arbeit mit ihm richtig cool und machte viel Spaß. Davon gibt es ein Video, das ich kürzlich auf Social-Media veröffentlicht habe.

Zu diesem Zeitpunkt begann ich endlich zu realisieren, dass ich mir mit Dynni selbst im Weg stand – genau das, was ich anderen Menschen oft versuche aufzuzeigen. Es soll mir eine Lehre sein: Auch wenn man die „Erwartungsfalle“ gut kennt, ist man im eigenen Tun manchmal „betriebsblind“ …

Als mir diese Einsicht endlich dämmerte, begann ich, es mit Dynni wieder langsamer anzugehen. Ich startete damit, ihn nur zu bewegen, statt ihn zu trainieren. Dabei versuchte ich, mich in ihn hineinzufühlen und Kleinigkeiten zu belohnen. Ich begann, meine Energie wieder auf seine abzustimmen, statt nach einem Gefühl aus der Vergangenheit zu suchen. Ich ließ Dynni wieder Dynni sein.

Und dreimal dürft ihr raten … Dynni zeigte sich wieder von seiner besten Seite! Oder besser gesagt: von einer noch besseren, als ich sie schon kannte. Denn als ich endlich wieder offen für ihn war, konnte er sich noch weiter entfalten.

Ich hab mich so gefreut und mir gedacht, das muss ich euch erzählen! Vielleicht steckt der eine oder die andere ja gerade auch in einer solchen Falle fest, ohne sich dessen bewusst zu sein …?
 
Florian Oberparleiter
Juli 2023

 

ZUR PERSON

Florian Oberparleiter ist international bekannter Pferdetrainer und hat sich sein ganzes Leben lang intensiv mit Tieren beschäftigt. In seinen Horsemanship- und Kommunikations-Kursen vermittelt er einen Umgang mit Pferden, der auf Körpersprache und Energie beruht. Er hat sich jahrelang mit verschiedenen Trainingskonzepten, Arbeitsweisen und Denkansätzen befasst und mit Pferdeexperten in den USA und Europa gearbeitet. Er schulte unablässig sein Gefühl und seine Wahrnehmung und entwickelte ein eigenständiges Trainingskonzept, das auf Kommunikation und nicht auf Konditionierung basiert und auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.

Weitere Infos über ihn, seine Arbeit und seine Kurse findet man auf www.florian-oberparleiter.com. Apropos: Kurse mit Florian Oberparleiter können auch auf der eigenen Anlage – egal ob in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder einem anderen Land – organisiert werden (Kontakte und Anfragen kann man über die Website, seine Facebook-Seite und seine Instagram-Seite an ihn richten). Zudem bietet Florian auch Online-Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen – siehe www.florian-oberparleiter.com/online-schule/!

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