Blogs

Zur Übersichtzurück weiter

Judiths Blog: Mit Mut und Vertrauen gegen Ängste
03.12.2020 / Blogs

Judith Oberngruber-Spenger ist Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung.
Judith Oberngruber-Spenger ist Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung. / Foto: Valerie Oberreiter

Judith Oberngruber-Spenger ist Trainerin, geprüfte Übungsleiterin Reiten mit mehr als 35 Jahren Pferde-Erfahrung und Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung. Sie entwickelte die Methode der Selbst-Aktivierung, um Probleme bzw. negative Verhaltensmuster durch neue, positive zu ersetzen. In ihren Workshops setzt sie auch ihre Pferde als Co-Trainer ein, um Vertrauen zu schaffen, Unbewusstes sichtbar zu machen und individuelle Stärken zu fördern.


Drei Emotionen sind mit dem Reitsport eng verbunden: Mut, Vertrauen – und Angst. Wer hat als Reiter noch nie die erstaunte Aussage eines Bekannten gehört: „Du traust dich aber was!“ Ich frage dann meistens nach, was genau damit gemeint ist. Die häufigsten Antworten sind: Pferde sind so hoch, kräftig und unberechenbar.

Es stimmt schon, ein Pferd wiegt häufig das 8- bis 10-fache unseres Körpergewichts, und wenn man mit Schwung aus einer Höhe von 1,5 Meter oder höher auf dem harten Boden landet, kann man sich schon mal verletzen. Unsere lieben Vierbeiner sind auch enorm stark – sie können uns nicht nur stundenlang durch die Gegend tragen, sie könnten uns auch beißen oder treten (was glücklicherweise höchst selten passiert). Außerdem sind sie wie jedes Lebewesen – und gerade als Fluchttier – zu einem Teil unberechenbar. Daher sind sowohl Respekt vor dem Tier, aber auch möglichst hohe Ansprüche an die Sicherheit im Umgang mit Pferden erforderlich.

Jetzt ist es tatsächlich so, dass Pferde als Pflanzenfresser versuchen einem Menschen (Allesfresser und Jäger/Raubtier) zu vertrauen. Sie lernen von klein auf (hoffentlich), dass die Menschen sich um sie kümmern und ihnen keinen Schaden zufügen. Umgekehrt lernen wir den richtigen Kontakt zum und die Achtsamkeit gegenüber dem Pferd. Auch wir bauen durch angenehme Erfahrungen Vertrauen auf. Als Reiter und Pferdemenschen lernen wir den Umgang mit dem Pferd und vermehren durch korrekten Reitunterricht unsere reiterlichen Fähigkeiten, um den Anforderungen gewachsen zu sein. Beiderseitiges Vertrauen ist in diesem Fall das Schlüsselwort. Aber auch Selbstvertrauen ist wichtig, um dem Pferd wiederum Sicherheit geben zu können.

Braucht es nun Mut, um einem so großen, kräftigen und nur bedingt berechenbaren Tier zu begegnen und auf seinen Rücken zu steigen? Ich denke schon. Allerdings vermindert sich der Anteil des benötigten Muts mit dem erlernten Wissen und Können.

Jüngst bin ich gleich zwei Mal an einem Tag von meinem jungen Holsteiner gesegelt, der an sich ein sehr liebes, aufmerksames und gelehriges Pferdist. Aber er möchte immer wieder „spielen“, so wie es junge Hengste auf der Koppel machen: also den anderen zwicken und dann seitlich wegspringen oder steigen. Nun hat er diese „Aufforderung zum Spielen“ immer wieder beim Führen mit einem zweiten Pferd versucht oder dann sogar beim Menschen. Da so etwas nicht akzeptabel ist, habe ich mit ihm an der Hand gearbeitet, und er hat schnell verstanden, was es bedeutet, brav neben seinem Menschen her zu gehen oder Lektionen zu absolvieren. Aber das „Zwicken“ und der Wunsch zum Spielen – vor allem beim Heimführen von der Koppel – ist dennoch wieder aufgetreten.

An diesem besagten Tag war herrliches Herbstwetter und wir beschlossen, auf dem Außenplatz zu reiten. Zum Aufwärmen machten wir eine Runde um die Koppeln. Ein gewohnter Weg, nur muss man dabei zu einem Windschutzgürtel und diesen entlang reiten. In diesem Gebüsch treibt sich vielerlei „gefährliches“ Getier wie Fasane, Rehe und Hasen herum. Und so kam es, wie es kam: Een Moment der Unachtsamkeit, ein Fasan keckerte – und mein Schimmel wendete auf der Hinterhand. Durch die unerwartete, rasche Drehbewegung wurde ich regelrecht vom Pferd geschleudert. Der Boden war nicht allzu hart und da das Begleitpferd ruhig stehen blieb, konnte ich meinen Hasenfuß sofort am Zügel nehmen und wieder aufsteigen. Dafür nutzte ich den nahen Koppelzaun.

Angekommen am Außenreitplatz merkte ich, dass er auf die anderen Pferde dort reagierte. Er schielte hin, wenn eines in die Nähe kam und schüttelte den Kopf. Da er in der Halle problemlos mit anderen Pferden geritten werden kann, machte ich mit Schrittlektionen zum Aufwärmen weiter. Als ich begann zu traben, war er extrem angespannt und ging nicht wirklich auf meine Bemühungen ein, sich beim Schenkelweichen fallen zu lassen. Ein anderer Reiter mit seiner Stute trabte in unsere Richtung, und mein Junger meinte, nun wäre die Gelegenheit zum Spielen da. Erst stieg er, sobald er wieder am Boden war versetzte er mit dem Kopf zwischen den Beinen. Nach der nächsten Drehung auf der Hinterhand landete ich das zweite Mal an diesem Tag auf ebener Erde. Diesmal zumindest im weichen Sand. Danach galoppierte er völlig verstört mit wehenden Steigbügeln in den Stall zurück. Ich ihm nach. Im Stall stand er dann bei der Box einer jungen Stute und sah mir entgegen. Eigentlich hätte ich wieder auf den Reitplatz hinaus gehen sollen, aber ich wollte die anderen Reiter nicht gefährden und entschloss mich, eine etwas arbeitsintensivere Einheit in der Halle zu absolvieren. Am nächsten Tag sollte er einen ordentlichen Muskelkater haben, damit er nicht auf die Idee kommt, es wäre fein, seine Reiterin zu verlieren...

Ob ich Angst hatte, wieder aufzusteigen? Nein, das nicht. Aber ich hatte einmal einen Seitenbandriss am Knie, weil ich unbedingt am Pferd bleiben wollte, als meine Stute im Galopp um einige Meter seitlich versetzte. Da meine beiden Knie nicht mehr in Ordnung sind, habe ich Angst, mich wieder zu verletzen und versuche alle Drehbewegungen, die auf meine Knie einwirken, zu vermeiden.

Tatsächlich wird man mit mehr Erfahrung und Können sicherer, aber oft auch nachlässiger. Die Quintessenz daraus wäre, dennoch: viel Lernen, höchste Achtsamkeit, maximale Sicherheit, bzw. minimieren von Risiken und Gefahren (Helm aufsetzen!!! – nicht nur beim Springen). Braucht es Mut zum Reiten? Doch, immer wieder, und es kommt auf die Situation an. Vor allem aber braucht es Vertrauen zu sich und zum Pferd – dieses Vertrauen zu entwickeln und Schritt für Schritt aufzubauen ist das Um-und-auf für ein angstfreies Miteinander. Und auf diesem Weg soll man sich auch durch kleine oder größere ,Unstimmigkeiten‘ nicht beirren lassen – es lohnt sich!

In diesem Sinne wünsche ich Euch eine schöne Vorweihnachtszeit mit Euren Pferden.

Eure
Judith

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen