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Gundulas Blog: Fit trotz Wehwehchen – es geht!
29.10.2019 / Blogs

Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie in ihrem ProPferd-Blog Einblick!

 

Vor einigen Wochen wurde ich zu einem Pferd gerufen, das ich schon im Frühsommer einmal besuchen durfte. Sein Problem ist immer wieder sein linkes Vorderbein, sodass er nicht nur taktunrein geht, sondern zwischendurch auch lahmt. Vom Tierarzt untersucht, wurde eine Fesselgelenksarthrose im linken Vorderbein diagnostiziert.

Die Besitzerin rief mich an, da sie die Nummer von einer Bekannten bekommen hatte, deren Hunde ich immer wieder betreue. Sie bat mich, das Pferd anzusehen und eine Idee zu finden, wie man die Problematik besser managen könnte, um keine dauerhafte Schmerzmittelgabe zu benötigen.

Ich versprach, mir den Fall anzusehen – und. war schon sehr gespannt, was genau mich erwarten würde. Vorgestellt wurde mir schließlich Leo, ein neunjähriger Noriker. Er lebt mit seinem Artgenossen in einer Art Offenstall, es gab einen befestigten Platz mit überdachter Raufe, die es ermöglichte, dass den ganzen Tag Heu zur Verfügung steht, daneben eine Wiese und ein kleiner Hang – alles bestens!

Wenn ich ein Pferd beurteile, mache ich zuerst eine Exterieuranalyse mit Schwachstellenbeurteilung im Stand und dann auch noch in Bewegung, meist im Schritt und Trab, entweder an der Hand oder an der Longe. Sollte ich mir dann noch kein Bild machen können, wird auch vorgeritten. Bei meiner Analyse berücksichtige ich auch das jeweilige Anliegen des Pferdebesitzers: Der eine will – überspitzt gesagt – morgen aufs Turnier, der andere „nur“, dass es dem Pferd gutgeht. Die Frage, die ich mir dann stelle ist, ob es realisierbar ist? Bei Leo ging es im Wesentlichen darum, sein Arthrose-Problem zu managen, um noch schöne Ausritte genießen zu können.

Noriker haben meist eine breite Brust und stehen zeheneng, d.h, ihre Hufspitzen zeigen nach innen. Was hier aber noch auffiel war, dass beim linken Vorderbein nicht nur die Zehenspitze nach innen zeigte, sondern das Bein als ganzes vom Schultergelenk weg nach innen rotiert war.

In der Ganganalyse von der Seite sah man deutlich, dass Leo den linken Fesselkopf weniger durchdrückte als den rechten – ein Zeichen, dass er den linken Fesselkopf schont. Aber das hatte ich ja auf Grund der tierärztlichen Diagnose auch vermutet.

Die Ganganalyse von hinten ergab eine Kruppbewegung, die rechts deutlich mehr absank als links. Auch war das Bauchpendel – ein Begriff dafür, wie der Bauch nach rechts und links „schaukelt“ – rechts deutlich mehr als links, das echte Hinterbein spurte am rechten Vorderbein außen vorbei und das linke Hinterbein wurde in die Spur zwischen die Vorderbeine gesetzt.

Zu einem solchen oder auch ähnlichen Befund komme ich leider sehr häufig – es hat mit dem Thema ,Geraderichten‘ oder auch ,natürlicher Schiefe‘ zu tun. Ich hole zur Erklärung etwas weiter aus: Jedes Pferd ist – wie auch jeder Mensch  – rechts und links nicht gleich und ist natürlich auch anatomisch nicht ,spiegelgleich‘ aufgebaut. Banal gesagt: Pferde haben zwar zwei Lungenflügel und zwei Nieren, aber nur einen Magen, ein Herz, eine Leber. Die linke Körperhälfte kann also niemals völlig der rechten entsprechen. Deutlich wird das auch beim Darm. Die linke Bauchhälfte ist eher mit dem großen und kleinen Grimmdarm, Teile des Dickdarms ausgefüllt, der Blinddarm (auch zum Dickdarm gehörig) nimmt einen beträchtlichen Teil in der rechten Bauchhöhle ein.

Der Blinddarm dient – grob vereinfacht gesagt – als Gärkammer, das bedeutet, dass Mikroorganismen die Nahrung weiter aufspalten. Sein Fassungsvermögen beträgt zwischen 16 und 68 Liter – im Durschnitt 33 Liter. Um diese nicht unbeträchtliche Zusatzlast auszugleichen, stellen viele Pferde ihr rechtes Bein etwas nach außen – wodurch es eine geringfügig andere Schubrichtung auf das linke Vorderbein ausübt als umgekehrt (also als das linke Hinterbein auf das rechte Vorderbein).

Und genau das macht Noriker Leo Schwierigkeiten: Das problematische linke Vorderbein rotiert ab der Schulter nach innen, um die „Problematik“ des Bauchpendels und des rechten Hinterbeins auszugleichen. Pferde sind Kompensationskünstler, sie eignen sich ganz schnell ein anderes Bewegungsmuster an, um ein Defizit auszugleichen – doch dieses Bewegungsmuster ist in Leos Fall sehr „verbrauchend“, also ungesund: Hier „zahlt“ – bildlich gesprochen – das linke Fesselgelenk die Zeche, und oft kommt auch noch eine Sehnenproblematik am linken Vorderbein dazu.

Das war bei Leo zum Glück nicht der Fall – und man konnte mit gezieltem Training dem negativen, verbrauchenden Bewegungsmuster entgegenwirken. Dabei war es besonders wichtig, dass das rechte Hinterbein nicht außen vorbei spurt UND dass er mit dem rechten Bauchmuskel arbeitet!!! Ein Teil der Bauchmuskulatur stoppt nämlich das Bauchpendel – und das rechte Hinterbein kann dadurch besser unter den Schwerpunkt treten.

Gesagt, getan – und sieh da: Nach einiger Zeit ging es Leo tatsächlich um Klassen besser! Und noch etwas ist wichtig: Noriker sind zwar auf Muskelkraft gezüchtet – aber nicht für lange Trabstrecken durch das Gelände. Jede Rasse hat ihre spezifischen Eigenarten, Stärken und Schwächen, die man beim Training berücksichtigen muss.

Leo wird mit seiner Abnützung im Fesselgelenk weiterleben müssen. Man kann ihm aber helfen, dass eine gezielte Bewegung seine Gesundheit fördert und nicht beschädigt. Ich halte es mit Andrew Taylor Still (Begründer der Osteopathie): „Gesundheit zu finden sollte das Ziel sein, Krankheit finden kann jeder!“

Es geht also darum, Pferde so lange wie möglich fit durch gesunde Bewegung zu erhalten. Das heißt aber nicht, dass sie nichts leisten müssen oder können. Im Gegenteil – „fair Leistung zu verlangen“, das sollte das Motto sein!

Übrigens: Die Messe „mensch@tier" im Schwarzl Freizeitzentrum nahe Graz steht von 9.–10. November vor der Tür. Schon im Frühjahr wurde ich kontaktiert, ob ich Lust hätte, dort mit einem Stand vertreten zu sein. Ich war bis jetzt immer nur Besucher und noch nie Aussteller, aber heuer wage ich es und werde dort meine Equinopathie vorstellen. Wer Lust hat vorbeizuschauen, meine Arbeit kennenzulernen oder Erfahrungen auszutauschen, ist herzlich willkommen!

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