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Gundulas Blog: Du reitest für morgen!
30.11.2019 / Blogs

Die erste Lektion: Spüre den Rhythmus des Pferdes – und versuch, mit dem Körper und nicht mit den Händen zu reiten!
Die erste Lektion: Spüre den Rhythmus des Pferdes – und versuch, mit dem Körper und nicht mit den Händen zu reiten! / Foto: K. Gerletz

Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie ab sofort auf ihrem neuen ProPferd-Blog Einblick!

 

Ich wurde mit diesem Satz in einer Trainingsstunde mit meiner Stute konfrontiert. Der Trainer sagte zu mir: „Reite Dein Pferd mit Deinem Körper und nicht mit den Händen.“ Damit meinte er: Mein Körper und der Körper des Pferdes sollen eins werden – das ist das Ziel jeglicher Reiterei! Klar ist aber auch, dass das nicht von Anfang an funktionieren wird – man muss sich es erarbeiten. Denn in der Reiterei gilt auch noch ein anderer Satz, den mir mein Lehrer auf den Weg gab: „Du reitest für morgen!“ Was er damit meinte, wurde mir erst nach und nach klar.

Es fängt damit an, den Rhythmus des Pferdes zu spüren. Man sitzt am Pferd bzw. im Sattel, fühlt die Pferdebewegung – mal unabhängig von der Gangart – und lässt sich mit seinem Körper, mit seiner Beckenbewegung darauf ein. So ergibt sich ein gewisser Rhythmus. Will ich diesen jetzt ändern, d.h. das Pferd langsamer oder auch flotter machen, brauche ich nur die Bewegung meines Beckens zu wechseln. Klingt sehr einfach – ist es aber nicht und wird einem auch nicht geschenkt!

Eine wichtige Voraussetzung ist, dass man mit seinem Körper spielen kann, dass das Reiterbecken mobil und der Rumpf des Reiters stabil ist. Meine Beobachtungen ergeben immer wieder: Reiter, die daran noch zu arbeiten haben, oder auch ängstliche Reiter, die die Geschwindigkeit scheuen, neigen gern dazu, sich am Zügel festzuhalten – mit all seinen unerwünschten und negativen Folgen.

Zieht der Reiter ständig gewollt oder auch ungewollt am Zügel (egal ob der Zügel im Kappzaum oder an der Trense eingeschnallt ist, oder auch eingeschnallte Ausbinder) wird sich das Pferd gegen diesen Druck wehren - Druck erzeugt Gegendruck. Es nimmt den Kopf hoch, drückt den Rücken weg (Richtung Hohlkreuz) – und damit fängt die Misere an: Das Pferd verspannt den Rücken, die Beckenstellung ändert sich, die Hinterbeine schaufeln nach hinten hinaus, ev. wird auch das Tempo schneller. Der Reiter kommt kaum noch gut zum Sitzen. Das Pferd bekommt Kreuzweh, aber auch der Reiter. Alles andere als ein Bewegungsmuster, das die Gesundheit beider fördert.

Hat man den Kopf des Pferdes endlich herangezogen, fallen einem nach der Reitstunde fast die Arme ab, den man hat ja ziemlich Kraft gebraucht. Und das Pferd hat Genick - und Kopf und wahrscheinlich auch Rückenschmerzen. In dieser Position müssen die Nackenstrecker – die kleine Muskulatur kurz hinter den Ohren – so unter Dehnung arbeiten, dass diese schnell erschöpft sind. Probieren Sie mal, einen Liter Bierkrug mit einer ausgestreckten Hand zu halten. Wie lange schaffen Sie das, ohne das Ihnen der Arm schmerzt? Oder wie fühlen Sie sich mit einem verspannten Nacken, weil Sie ev. zu lange am Computer gesessen haben?

Und nur weil das Pferd den Kopf heranziehen lässt, heißt es nicht, dass dieses über seinen Rücken läuft. Solche Dinge machen Stress und das bedeutet, dass der Pferderücken sich Richtung Hohlkreuz entwickelt – und soweit sollte man es niemals kommen lassen. Reiter und Pferd sollen auf einen gemeinsamen, guten Weg gebracht werden – mit einem nach oben schwingenden Rücken und einem lockeren Maul, das genüsslich vor sich hin schmatzt – und nicht vor Stress wild an der Trense kaut bzw. mit den Zähnen knirscht oder auch die Zunge herausstreckt, um dem Druck zu entgehen. Wie aber erreicht diesen positiven, gemeinsamen Weg?

Zu erkennen, dass eine Situation nicht optimal läuft, ist in jedem Fall der erste und wichtigste Schritt. Mein Ansatz ist, die Voraussetzungen des Reiters für diesen Sport zu optimieren und das Pferd in seinem Bewegungsmuster so zu formen und zu stabilisieren (auch mit Hilfe von kinesiologischen Taping), dass sich beide miteinander weiterentwickeln können.

Die einfachste Übung, seinen Rumpf zu trainieren, ist auf einem Bein zu stehen. Aber ACHTUNG die Beckenschaufeln müssen auf gleicher Höhe sein. Bitte auch mal das Bein wechseln! Und um das Ganze schwieriger zu machen, stellt man sich auf einen wackeligen Untergrund – anfangs reicht eine zusammengefaltete Decke. Wichtig ist auch, dass man kein Hohlkreuz macht und sich vorstellt, man zieht seinen Bauchnabel nach hinten.

Könnt ihr euch noch an Hulahoop erinnern – eine perfekte Variante, seinen Rumpf und auch die Beckenbeweglichkeit zu trainieren! Der Nachteil daran ist, dass man die Hände hochhält, was man für den Reitersitz nicht brauchen kann. Bei besonders schwierigen Fällen, wo ich keine Lösung zur Korrektur des Reitersitzes finden kann, arbeite ich mit Werner, einem Sportwissenschafter, zusammen.

Am Pferd lernen meine Schüler, zuerst einmal im Schritt einen Vier-Takt, den Rhythmus des Pferdes zu erspüren und dann einfach mit ihrem Becken zu spielen und den Rhythmus zu verändern, auch mal ohne am Zügel zu ziehen oder anzuhalten. Notfalls gehe ich anfangs auch nebenher mit, habe das Pferd an der Longe oder am Seil und gebe so zusätzliche Sicherheit. Wenn das funktioniert, kann man den Schwierigkeitsgrad erhöhen bzw man die Gangart ändern – vom Leichten zum Schwierigen!

Die Pferde werden von mir mit Argusaugen betrachtet, sodass sie keinen Schaden nehmen – denn sie dürfen keinesfalls zu kurz kommen und die ,Zeche‘ für die Probleme ihrer Reiter zahlen. Die Kunst als Trainer besteht darin, sowohl den Reiter als auch das Pferd zu fördern und beiden zu einer Entwicklung auf dem richtigen Weg zu verhelfen. So werden die Pferde von mir als Ausgleich z. B. am Boden gearbeitet. Gerne tape ich dafür auch die Rückenlendenbinde (Faszia thorakolumbalis), um diese zu entspannen. Denn auf ihr liegt der Sattel, auf dem das Reitergewicht lastet.

Genau das bedeutet für mich der Satz „Du reitest für morgen!“ Nur wenn wir das Pferd richtig ausbilden und reiten und ihm die Freude an der Arbeit erhalten, wird es gesund bleiben und auch morgen noch gern und bereitwillig mit uns zusammenarbeiten. Dieses Ziel müssen wir immer vor Augen haben – weil wir doch alle wollen, dass unsere Pferde schöner und strahlender und nicht gebrochen und taktunrein werden.

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