Blogs

Zur Übersichtzurück weiter

Judiths Blog: Loslassen und Geduld haben beim Reiten
22.04.2021 / Blogs

Judith Oberngruber-Spenger arbeitet seit 35 Jahren mit Pferden.
Judith Oberngruber-Spenger arbeitet seit 35 Jahren mit Pferden. / Foto: Valerie Oberreiter

Judith Oberngruber-Spenger ist Trainerin, geprüfte Übungsleiterin Reiten mit mehr als 35 Jahren Pferde-Erfahrung und Expertin für Trauma- und Krisenbewältigung. Sie entwickelte die Methode der Selbst-Aktivierung, um Probleme bzw. negative Verhaltensmuster durch neue, positive zu ersetzen. In ihren Workshops setzt sie auch ihre Pferde als Co-Trainer ein, um Vertrauen zu schaffen, Unbewusstes sichtbar zu machen und individuelle Stärken zu fördern.


Wie wichtig ist es, beim Reiten an Loslassen zu denken? Wie viel Geduld braucht man, um zu einem Erfolg zu kommen?

Mein Riesenbaby und ich sind ein ganz spezieller Fall. Ich bin knapp 160 cm groß mit kurzen Beinen. Clarcoon (Holsteiner, wird heuer 6 Jahre alt) ist über 180 cm und verfügt über eine ganz tolle Bewegung. Aber auch über einen großen, schlaksigen Körper mit langen Beinen, der erst noch koordiniert werden muss. Von Anfang an hat mich diese Bewegung begeistert, bis ich versuchte, diese enormen Schwingungen auszusitzen. Zu Beginn war es bereits eine Herausforderung, im Leichttraben das Gleichgewicht zu finden – sowohl sein Gleichgewicht als auch meines. Nachdem wir diese Hürde gemeistert hatten, versuchte ich mich am Aussitzen.

Diese ersten Versuche setzten eine Reihe von massiven Schwierigkeiten in Gang. Zum einen war ich mit dieser enormen Bewegung überfordert. Ehrlich, ich fühlte mich wie ein richtiger Anfänger. Es schüttelte mich herum, ich spannte den Rücken an, um mich zu stabilisieren, klammerte mich mit den Oberschenkeln fest und hatte dadurch auch alles andere als ruhige Hände. Clarcoon war wohl ähnlich überfordert: Überrascht von diesem störenden Gewicht auf seinem Rücken, verspannte er sich noch mehr und hielt den Rücken fest, bremste sich in der Bewegung ein (ging nicht mehr vorwärts), und rollte sich ein. schließlich waren wir beide nur noch verspannt. Von lockerem, losgelassenem Reiten war keine Rede mehr. Zudem fing Clarcoon an, die Zunge ziemlich weit aus dem Maul heraushängen zu lassen.

Das Fazit war, dass ich begann, so sehr an mir zu zweifeln, dass ich sogar darüber nachdachte, das Reiten aufzugeben. Dank lieber Unterstützung durch zwei Trainerinnen machte ich weiter und einen Schritt zurück (mindestens einen). Zuerst verzichtete ich auf Aussitzen und begann Clarcoon wieder in die Tiefe zu reiten. Vorwärts, abwärts, mit ausreichend Schwung und ganz wenig Hand war die Devise. Außerdem probierte ich einige Gebisse aus. Von Nathe-Stangen, über Spezialtrensen bin ich dann auf eine einfach gebrochene D-Trense von Trust gekommen. Das, was hier in zwei Sätzen steht, dauerte mindestens drei Monate. So viel zum Thema Geduld.

Nachdem das Zungen-Problem durch ein anderes Gebiss und geänderte Reitweise gelöst war, konnte ich wieder an eine mögliche Weiterentwicklung denken. Außerdem konzentrierte ich mich in dieser Phase noch mehr auf meinen Sitz. Ich arbeitete an der Stabilität meines Oberkörpers und meiner Balance, einer stabilen Hand mit ganz wenig Maulkontakt und vor allem an einem lockeren Becken. Denn nur, wenn das Becken schwingt, kann man auch eine feine Hand haben. An ganz langen Leinen begann mein Baby sich langsam wieder an die Hand heran zu dehnen.

Ganz wichtig war in diesem Zusammenhang auch meine mentale Arbeit. Dieses Loslassen von einem Soll Zustand. Ein Pferd in diesem Alter „sollte“ einen anderen Ausbildungsstand haben. Diesen ,Schritt zurück‘ zuzulassen und mich wieder zu entspannen, war unumgänglich – körperlich und auch geistig. Ich konzentrierte mich auf die Freude beim Reiten und an der Bewegung, die mich vor eine so große Herausforderung gestellt hatte. Für jeden kleinen Erfolg war ich dankbar. Wie zum Beispiel eine Trainingseinheit ohne Zunge, die aus dem Maul hing, oder ein bisschen Gewicht in meinen Händen.

Fünf Monate nach meinem inneren Konflikt betreffend meiner Reitkarriere fühlte ich mich wie im siebten Himmel: Nachdem ich eine ganze Runde und noch eine große Tour ganz beglückt im Aussitzen dahin „geschwebt“ war, musste ich leider zur Belohnung von Clarcoon in den Schritt durchparieren. Gerne wäre ich noch weiter getrabt. Ab diesem Moment gelang es mir immer öfter, dieses Gefühl zu erleben – und weitere zwei Monate später konnte ich ihn nach der Lösungsphase ganz gut aussitzen, ohne Schwungverlust und an den Hilfen. Obwohl ich noch lange nicht perfekt auf ihm Aussitzen kann, weiß ich, dass es nur eine Frage der Losgelassenheit und Stabilität ist – sowohl seiner als auch meiner – und daran arbeiten wir täglich gemeinsam mit viel Freude!

Eure Judith
www.emotion-works.at

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen