Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie ab sofort auf ihrem neuen ProPferd-Blog Einblick!
In diesem Jahr fiel unser Urlaub länger als sonst aus – fast drei Wochen, einfach super! Für unsere daheimgebliebenen Pferde bedeutete das aber, dass alles penibel vorausgeplant und organisiert werden musste. Nachdem meine Pferde in einem Einstellbetrieb stehen, brauchte ich mich zwar nicht ums Ausmisten und Füttern zu kümmern – musste aber natürlich für andere Dinge Vorsorge treffen: Gehen sie nur Koppel oder sollen sie auch von jemanden weiter trainiert werden? Und wenn ja – von wem?
Schließlich war alles bestens vorbereitet, sogar mein Hufschmied und auch der Tierarzt, die meine Pferde längst in- und auswendig kennen, würden während meiner Abwesenheit da sein – perfekt.
So trat ich beruhigt und guten Gewissens meinen Urlaub an, den ich wirklich sehr genossen habe. (Wobei ich gerne zugebe, dass ich mich am Ende auch wieder auf zu Hause und vor allem auf meine Tiere gefreut habe.)
Im Stall hatte alles wunderbar und wie geplant funktioniert – erst als ich die Arbeit mit meiner Stute wieder aufnehmen wollte, merkte ich, dass etwas nicht passt. Vielleicht ist es bei mir eine Berufskrankheit, gleich mal zu sehen, ob sich im Gangbild etwas verändert hat – aber genau das musste ich leider feststellen: Schritt ging noch, doch an Traben war gar nicht zu denken.
Im Schritt hatte sie eine eigenartige Nickbewegung mit dem Kopf: Linkes Vorderbein nach vorne war noch ok, doch sobald das rechte Vorderbein nach vorne setzte, nahm sie den Kopf hoch – ihre Kopfbewegung sah aus wie von einem Huhn! Auch kam immer wieder ein Runzeln des Mauls zum Vorschein – ein typisches Zeichen von Unwohlsein oder sogar Schmerz.
Pferde haben zwar eine Nickbewegung – sie verlagern den Schwerpunkt ja nach vorne, indem sie den Kopf nach vorne nehmen und rollen dann mit dem gesamten Körper darüber. Aber es sollte keinen großen Unterschied machen, ob linkes oder rechtes Vorderbein nach vorne geht.
Ich war von meinem Urlaub noch sehr entspannt und anfangs daher nicht sehr beunruhigt, es war für mich auch nichts Neues, dass meine Stute eine Gangveränderung aufwies. Doch diesmal sollte mich die Angelegenheit doch länger beschäftigen …
Meine erste Vermutung war, dass sich ein Hufabszess anbahnt. Also setzte ich ein altbewährtes Hausmittel ein: Sauerkraut auf eine Pampers und das Ganze auf den Huf, mit Tesaband umwickelt, und das in der Früh und abends ein paar Tage lang. Auf die Koppel durfte sie aber trotzdem, da ich der Meinung bin, sie bewegt sich ohnehin nur so viel, wie ihr guttut.
Die Situation entspannte sich tatsächlich, also wurde der „Sauerkrautverband“ beendet. Einen Tag später war die gleiche Lahmheit wieder da, grmpffffffhhhh ….
Jetzt nahm ich das Vorderbein genauer unter die Lupe. Als ich aus meinem Urlaub zurückkam, war ihr Gangbild folgendes: rechtes Vorderbein nach vorne setzen – der Kopf geht hoch; das war für mich ein Indiz, dass sie das Gewicht von diesem Bein nehmen wollte. Sie stellte das Bein im Stand aber eher nach vorne – was für sie untypisch war, denn das ist ihr Bein, das tendenziell immer leicht rückständig ist, auf Grund ihrer speziellen Vorgeschichte und ihrer typischen Grasestellung (linkes Vorderbein nach vorne und rechtes etwas weiter nach hinten). Ich konnte sie auch im Stand dazu animieren, ihr volles Gewicht auf dieses Bein zu nehmen. Für mich tauchten immer mehr Fragezeichen auf, ich war – zugegeben – leicht überfordert …
Schritt war mittlerweile problemlos, doch der Trab hatte sich keinen Deut verändert. Ich merkte zwar im Schritt keine muskulären Bewegungseinschränkungen – aber nach ein paar Tritten Trab war die Beugemuskulatur des rechten Vorderbeins verhärtet. Sie setzte das Bein gleich weit nach vorne wie das andere, aber die letzte Belastung, die auf den Huf kommt, brach sie ab.
Es folgte eine tierärztliche Untersuchung. Da mein behandelnder Tierarzt meine Arbeit kennt, wurde alles bis aufs kleinste Detail besprochen, inklusive meiner Beobachtungen, Vorgehensweisen und Vermutungen. Auch er fand nichts, was die Lahmheit im Trab erklären konnte. Bei der Beugeprobe schnaubte sie ab und lief gleich wie vorher. Auch das Abdrücken des Hufes ergab kein Ergebnis, also konnte auch ein Hufabzess ausgeschlossen werden.
Dieses Mal wurde vereinbart, ihr für eine gewisse Zeit doch einen Entzündungshemmer und Schmerzmittel zu verabreichen. Das brachte leichte Linderung – doch nach dem Absetzen der Medikamente war die Situation wie früher – Schritt war ok, der Trab eine Katastrophe. Seltsamerweise hatte ich aber nicht mehr das Gefühl, dass sie irgendwas wirklich schmerzte, sie vermied einfach nur eine Bewegung, die unangenehm war.
Mein Tierarzt und ich kamen schließlich zu dem Entschluss, nochmals die Sauerkrautumschläge oder auch ein 10-minütiges Wasserbad mit einem Schuss Essig pro Tag zu machen, denn das war bis jetzt das einzige, was uns weiterbrachte.
Sollte es nicht besser werden, wäre noch eine Möglichkeit, die Nerven zu blocken, d.h. einen Nerv vorübergehend durch ein Lokalanästhetikum auszuschaltet. So kann man feststellen, welche Region genau betroffen ist. Nachdem meine Stute aber nicht die angenehmste Patientin ist, wollten wir diese Art der Untersuchung noch etwas hinausschieben, vereinbarten aber schon einen Termin.
Doch just zu diesem Termin war sie so unauffällig, dass diese Untersuchung nicht angebracht erschien – ja, so eine Essig/Sauerkraut-Packung hat es in sich….
Außerdem wollte sich der Hufschmid den Huf nochmals ganz genau ansehen. Er konnte nichts entdecken, was auf ein Abszess hinwies – doch was uns auffiel, war, dass der Huf an der Innenseite ca 2. cm unter dem Saumrand eine Einziehung nach innen hat. (Auch eine spannende Geschichte, woher so etwas kommen kann) Nachdem das ja schon der steilere Huf ist, wäre es eine Möglichkeit, dass hier „der Schuh drückt“.
Wir machten die Probe aufs Exempel: Ein mit Essig getränkter Tupfer nur an dieser Stelle verschaffte tatsächlich Erleichterung – und das Gangbild besserte sich! Essig weichte das Horn auf und hat auch eine ähnliche Wirkung wie Aspirin, nämlich blutverdünnend.
Jetzt konnte ich endlich aufatmen, denn meine Ruhe und Gelassenheit, die ich vom Urlaub mitgebracht hatte, waren schon ziemlich aufgebraucht. Nicht auszudenken, wenn dieses Problem bereits während meines Urlaubs aufgetreten wäre – ich hätte ihn abgebrochen, um nach dem Rechten zu sehen … Wir hatten endlich die Nadel im Heuhaufen gefunden – besser gesagt: Unsere unermüdlichen Beobachtungen verhalfen uns schließlich zu Einsichten und Lösungen.
Rückblickend erschien alles ganz logisch: Der rechte Vorderhuf ist auf Grund ihrer Vorgeschichte tendenziell steiler, zusätzlich hatten wir einen extrem trockenen Sommer, der auch das Horn mehr beansprucht hat. Und weil ich auch nicht gerade die große „Huf-Einfetterin“ bin, ist die Elastizität des Horns auch geringer geworden.
Der Beschlag wurde noch so verändert, dass an dieser Stelle kaum Druck ausgeübt wird und die Hufe werden durch eine Hufglocken mit Fell, das nassgemacht wird, etwas feucht gehalten.
Was man daraus lernen kann? Nun, dass es nichts gibt, was es nicht gibt – dass man aber niemals frühzeitig aufgeben darf! Wichtig ist immer, dass alle an einem Strang ziehen und gemeinsam eine Lösung erarbeiten. Und mir ist wieder einmal klar geworden, manchmal liegt es im Detail – vor allem bei einer solchen „Zenzi“ wie meiner geliebten Stute.