Anja Luise Wessely-Trupp ist als Reiterin und Ausbilderin österreichweit ein Begriff und vor allem für ihre einfühlsame Arbeit mit jungen Pferden bekannt. Auf ihrem Hof im niederösterreichischen Pernitz lebt sie mit ihren Pferden und für ihre Pferde, die ihr über alles gehen und mit denen sie viele spannende, denkwürdige und auch lustige Erlebnisse teilt, über die Sie in Ihrem Blog ,Mein Leben auf vier Beinen’ auf ProPferd berichtet...
Wenn man jemanden auf dem Turnier helfen soll, ist das eine ganz besondere Aufgabe. Man ist Mädchen für alles, Psychologe (schon Wochen vorher) und manchmal auch so etwas wie die letzte Rettung. Wenn jemand die Handschuhe vergisst, kann ich die natürlich gerne herborgen – und bei der Siegerehrung haben wir sie einfach geteilt, jeder hatte einen. Ist das Sakko kurz vor dem Einreiten noch im weit entfernten Stall, wird ein Familienmitglied darauf angesetzt und gleich noch jemand hinterher geschickt, um sicherzugehen. Das klappt eigentlich fast immer!
Aber dieses Turnier stand unter dem Stern der Stiefel. Die haben nämlich mehr Macht, als man glaubt! Sie müssen glänzen, schön aussehen, gut passen und haben die verblüffende Eigenschaft, sich immer im falschen Moment mit ihrem Zipp zu zerstreiten. Darum trage ich nur Stiefel ohne Zipp, dann ist das Konfliktpotential nicht so groß. Mein einziges Problem ist dann die oft langatmige Trennung von meinen Füßen, aber mit einem guten Stiefelknecht , den ich in den Hintern treten kann, eigentlich unkompliziert. Ich war also nicht betroffen.
So neue Lackstiefelchen sind schon schick! Sie sollen natürlich keine Kratzer bekommen, daher werden sie geschont und beim Training so wenig wie möglich benützt. Außerdem sind sie noch nicht wirklich bequem, und das Eintragen ist eine Qual. Fürs Ausreiten sind sie aber irgendwie zu schade – es besteht ja die Gefahr, dass man einem Ast begegnet. Also verbringen sie die Zeit wohlbehütet zu Hause, bis die anderen Stiefel sich von ihrem Zipp trennen wollen. Dann kommen sie zum Einsatz und müssen gleich mal mit aufs Turnier!
Die herausgeputzte Reiterin und das geschniegelte Pferd sind schon von weitem in der Abreitehalle zu erkennen und ich freue mich auf ihren Auftritt. Die „Hörgeräte" werden mit zitternden Händen angebracht, das erleichtert die Verständigung auf dem vollen Platz um ein Vielfaches und ich muss nicht schreien. Ich bin ein Monk, was das Einflechten betrifft und habe eine ziemlich genaue Vorstellung, wie das ausschauen soll, egal ob geflochten oder genäht. Beim Anblick von 29 Zöpfen, die aus unerfindlichen Gründen alle in eine andere Richtung schauen, stockt mir der Atem. Aber das ist jetzt nicht mehr zu ändern, auch wenn das gar nicht meines ist. Im Stillen taufe ich das Pferd in Rasta-Man um und gelobe, das zu Hause mit der stolzen Friseurin zu üben.
Dann kann's los gehen, und die beiden traben locker ihre Runden. Aber nicht lange, und es kommt eine Vollbremsung auf der Vorhand, womit ich ein ernsthaftes Problem habe. Auf strenge Nachfrage meinerseits kommt nur ein gepresstes „Die Stiefel..." und ein leidendes Stöhnen. Sie sind zu eng und drücken, eh klar. Nach ein paar Versuchen und haufenweise theatralischem Stöhnen wird das Spiel unterbrochen, die brave Mama läuft um die alten, kaputten Stiefel und sucht auch gleich ein Klebeband. Absteigen und raus aus den Lackstiefelchen war der Plan, aber es kommt anders: Ein zwischen hochrot und blass wechselndes Gesicht schaut mich mit großen Augen an, der Socken hat sich im Zipp verfangen und sie kommt nicht raus: gefangen in Lack und Leder! Nach einigen verzweifelten Versuchen, ich mit dem braven, interessiert und vielleicht auch etwas belustigt dreinschauenden Pferd an der Hand , kommt die Mama keuchend mit den alten Stiefeln um die Ecke und probiert selber nochmal, kann aber auch nichts erreichen.
Keine Ahnung, wie die Befreiung dann funktioniert hat, aber das Projekt Turnierstart war für dieses Wochenende gestorben, und Rasta-Man hat seinen Nachmittag auf der Koppel genossen. Der muss sich was denken...