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Gundulas Blog: Klassische Reitkunst, neu gehört
21.12.2021 / Blogs

Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie auf ihrem ProPferd-Blog Einblick!

 

Die alten Meister der Reitkunst, wie Xenophon, Frederico Grisone, Wiliam Cavendish u.a. haben ihre Erfahrungen und ihre Lebensweisheit in fantastischen Büchern zusammengefasst – so ist ein Wissensschatz entstanden, der aber leider oftmals nur schwer zugänglich und für heutige LeserInnen nicht immer leicht verständlich ist. Und so ging es mir wie wohl vielen anderen auch: So sehr mich diese Materie auch interessiert hat, habe ich mich nie so ganz drübergetraut. Kennt Ihr das?

Umso mehr freut es mich, dass zwei liebe Freundinnen – Barbara Welter Böller (Leiterin der Fachschule für Osteopathie) und Marion Wilimzig (Pferdewirtschaftsmeisterin) – sich entschlossen haben, sich dieser alten Meisterwerke anzunehmen und sie mittels CD oder auch Download für die breite Öffentlichkeit hörbar machen.

Eines der ersten Hörbücher, das entstand, war „Über die Reitkunst“ – ein Werk des griechischen Philosophen und Feldherrn Xenophon, ein klassisches Werk, das immer wieder neu übersetzt und intensiv diskutiert wurde. Gelesen wird es in einer Übersetzung Erwin Pollacks – und besonders hervorzuheben ist, dass Barbara heutige Erkenntnisse und Wissenswertes über Xenophon einfließen lässt.

Xenophon (geboren ca 430 v. Christus gestorben ca 354 v. Christus) ist der erste bekannte Autor, der die Lehre vom Pferd und Reiter verfasste.  Sein Werk blieb fast vollständig erhalten und wird besonders für seine klare und verständliche Sprache geschätzt.

Pferdefreunde verdanken Xenophon „Peri Hippikes“ -„Von der Reitkunst“-  und „Hipparchikus“ – „der Reitoberst“. Mit diesen Werken schuf er die Grundlage für spätere Reitlehren. Seine an jüngere Reiter gerichteten Ausführungen sollten diesen helfen, ihr Pferdefachwissen zu erweitern und die Natur und die Psyche des Pferdes besser zu verstehen.

Die Kapitel gehen über den Körperbau des Pferdes, die Fohlenaufzucht, den Kauf eines gerittenen Pferdes, den sicheren Umgang mit dem Pferd, natürlich auch über das Reiten und die Ausbildung des Pferdes im Gelände und für den Kriegsfall bis hin zur Schule über der Erde.

Fasziniert haben mich auch die Kapitel über Stall und Pferdepflege. Er beschreibt, wie man das Putzen der Pferdebeine angeht, sodass es für den Menschen gefahrlos und für das Pferd angenehm sei.  Je mehr man über seine Schriften hört, desto mehr kommt man zum Schluss, dass Xenophon auffordert  f, das Pferd als Partner zu sehen und dementsprechend zu behandeln.

Hier ein paar seiner Ausbildungsgrundsätze, die man auch gut in die heutige Zeit übernehmen kann!

– Dein Pferd sei zuverlässiger Freund, nicht Sklave!

– Widme seiner Ausbildung so viel Aufmerksamkeit, als ginge es um deinen eigenen Sohn. Achte darauf, dass Körper und Seele deines Pferdes sorgfältig geschult werden. Es soll sich durch Leistungsvermögen und Zuverlässigkeit auszeichnen. Seine charakterliche Prägung und Formung sei dir besonders wichtig! Präge es von seinen ersten Lebenstagen an so, dass es zu dir tiefes Vertrauen fasst, dich respektiert und dir gehorcht. Mache dein Pferd menschenfreundlich! Es soll dich geradezu lieben.

– Bringe es zu Arbeitsfreude und freiwilligem Gehorsam!

– Sei achtsam und nimm auf seine Bedürfnisse Rücksicht!

– Setze alles daran, dich deinem Pferd verständlich mitzuteilen. Es soll deine „Sprache“ verstehen! Belohnung und Strafe sind die einzigen Erziehungsmittel. Aber Belohnung hat unbedingt Vorrang. Belohne jede besondere Leistung und jeden Lernfortschritt – am besten, indem du ihm eine Pause gönnst oder die Arbeit beendest.

– Langweile dein Pferd nicht! Variiere die Arbeit, biete ihm unterschiedliche Anregungen. Reite es nicht nur in der Bahn, trainiere es im Gelände, beim Springen und auf der Jagd.

– Arbeite an deiner eigenen körperlichen und charakterlichen Schulung! Bemühe dich um einen korrekten, von der Bewegung des Pferdes unabhängigen Sitz, der dir bei jeder Übung, jedem Tempo und in jedem Gelände ein kontrolliertes Einwirken auf das Pferd ermöglicht. Deine Hand darf unter keinen Umständen das Pferd im Maul stören. Erziehe dich dazu, in jedem Fall Ruhe zu bewahren und deine Emotionen zu kontrollieren. Gib Zornausbrüchen keinen Raum.

– Mach dir klar, dass die Lektionen der höheren Dressur keine Kunststücke sind, die du deinem Pferd mit Hilfe unnatürlicher Zwangsmittel beibringen kannst. Sie sind Formen der imponierenden Selbstdarstellung des Pferdes, die es in besonderen Erregungszuständen vor seinen Artgenossen von sich aus zeigt.

– Dein Pferd soll Freude bei seiner Arbeit empfinden und in seinen Bewegungen und seiner Haltung Begeisterung zum Ausdruck bringen.

– Versuche nicht, dein Pferd durch stark rückwärts wirkende Zügeltätigkeit oder andere Zwangsmittel zu versammeln und aufzurichten. Reite bestimmt vorwärts bei leicht anstehendem, im entscheidenden Moment nachgebendem oder hingegebenem Zügel.
(Die Grundsätze entstammen dem im WuWei Verlag erschienen Buch “Xenophons Reitkunst” von Dr. Klaus Widdra)

Ich habe Xenophons Worte mit den Ohren verschlungen! So manche Autofahrt hat sich durch diese fantastische CD kürzer angefühlt als sie war. Auch wenn mir nicht jeder alte Meister liegt, ist es eine Bereicherung, seine Sicht zu hören und seinen Blickwinkel mancher Themen zu überdenken.

Doch es gibt noch mehr zu entdecken: Federico Grisone (geboren 1507 verstorben 1570) – einer der bekanntesten Reitmeister der Renaissance. – wer war er wirklich, was dachte er über Zäume,….Sein Ruf, extrem scharfe Zäumungen, vor allem Kandaren, entwickelt zu haben, um damit eine gewaltsame Unterwerfung der Pferde zu erreichen, eilt ihm voraus. Doch war es wirklich so?

Marion studierte ihn intensiv, reiste auch nach Neapel, hat eine Neopolitaner Züchterfamilie besucht und nahm Kontakt zu einer Autorin der jüngsten Grisoni-Übersetzung, einer Amerikanerin, auf. Sie studierte Grisoni fast zwei Jahre lang – und Barbara machte sich dann an die Umsetzung. So entstand die CD Federico Grisone – eine Begegnung. Mein Tipp: Hört sie Euch an und macht Euch selbst ein Bild!

Kurz vor Weihnachten sind auch noch die CDs von William Cavendish (1593-1676), 1. Duke of Newcastle erschienen. Er war in vielerlei Hinsicht eine außergewöhnliche Persönlichkeit – und viele Reitausbilder nach ihm profitierten von seinen Werken. Wer sich in der eigenen Reiterei auf die klassische Lehre der Alten Reitmeister beruft, kommt an dieser CD einfach nicht vorbei!

Besonders begeistert mich aber die kürzlich erschienene CD  „Meisterwerke – Reitvorschrift vom 29.Juni 1912“.Sie ist eine Erweiterung der Instruktion zum Reitunterricht für die Kavallerie und basiert im Wesentlichen auf dem Werk Gustav Steinbrechts „Das Gymnasium des Pferdes“.

Also – ich weiß schon , was ich in der ruhigen Zeit mache: mich gemütlich in mein Sofa setzen , eine heiße Tasse Tee, vielleicht auch einen Kakao, und statt Lesen, höre ich mir die beiden neuen CDs von Barbara und Marion an, denen ich sehr dankbar bin, dass sie dieses tolle Projekt gestartet haben.

Hier noch der Link (mit Bestellmöglichkeit) für alle Interessierten: Schon gehört? Reitkunst gelesen! - (Fachschule Osteopathische Pferdetherapie und Hundetherapie Barbara Welter-Böller, www.welter-boeller.de)

Habt ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Start ins neue Jahr – und bleibt vor allem gesund, das wünscht Euch

Eure Gundula

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