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Tierschützer für strengere Gerten-Regel bei Pferderennen
30.11.2015 / News

Die Verwendung der Gerte beeinflusst den Ausgang eines Rennens nicht, das fand eine australische Studie heraus. Nun fordert Animal Aid eine drastische Beschränkung des Gerten-Einsatzes.
Die Verwendung der Gerte beeinflusst den Ausgang eines Rennens nicht, das fand eine australische Studie heraus. Nun fordert Animal Aid eine drastische Beschränkung des Gerten-Einsatzes. / Foto: Archiv

Die Tierschutzorganisation Animal Aid hat eine neue Initiative gestartet, um den Einsatz von Gerten bei Pferderennen stark einzuschränken und vor allem das exzessive Antreiben zu verbieten.

 

Der Gerteneinsatz bei Pferderennen zählt seit Jahren zu den heikelsten und umstrittensten Fragen im Rennsport – auch und vor allem im ,Mutterland' des Turf, in Großbritannien. Im Oktober 2011 führte man durch die Rennsportbehörde BHA (British Horseracing Authority) neue, strengere Regeln für den Gebrauch der Gerte bei Flach- und Hindernisrennen ein, bei der die Zahl der zulässigen Gerten-Einsätze nahezu halbiert wurde: Jockeys durften die Gerte höchstens sieben Mal in einem Flachrennen und acht Mal bei einem Hindernisrennen einsetzen. Außerdem durfte auf der letzten Achtelmeile die Gerte nicht öfter als fünf Mal angewendet werden. Bei Verstössen drohten Rennsperren sowie der Verlust von Renngebühren und Gewinngelder – bei wiederholten Übertretungen sogar der Verlust der Rennlizenz. Während Tierschutzorganisationen die Initiative der BHA begrüßten, regte sich massiver Widerstand von Seiten der Jockeys – mit Erfolg: Gleich mehrfach mussten die strengen Regeln zum Gebrauch der Gerte überarbeitet werden, vor allem die Strafbestimmungen wurden z. T. deutlich gemildert.

Das Ziel der Reform, den exzessiven Gerteneinsatz auf britischen Rennbahnen zu begrenzen und damit das Image des Rennsports aufzupolieren, hat die Reform jedoch nur teilweise erreicht. Zweifellos muss sich nun jeder Jockey besonders genau überlegen, wann und wie oft er die Gerte einsetzt – doch die unschönen Bilder, wenn Jockeys im Finish eines Rennens noch immer wie wild auf ihre Pferde eindreschen, sind nach wie vor zu sehen, wenngleich etwas seltener. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die besonders rennsport-kritische Tierschutzorganisation ,Animal Aid' einen neuerlichen Anlauf unternommen, die sogenannte ,Gerten-Regel' (whip rule) bei Galopprennen nachzu schärfen. Sie lancierte eine neue Kampagne, den aus ihrer Sicht kritischsten Punkt im derzeitigen Reglement zu ändern – nämlich den Einsatz der Gerte zur Ermutigung bzw. Motivation (encouragement) des Pferdes. Der Gebrauch der Gerte aus genau diesem Grund stelle das größte Problem dar und müsse daher gänzlich aus den BHA-Reglements gestrichen werden, so Animal Aid.

Um ihre Forderung mit Fakten zu unterlegen, hat die Organisation eine umfangreiche Analyse sämtlicher Verstöße gegen die ,Gerten-Regel' auf britischen Rennbahnen im Juli 2015 durchgeführt und unter dem Titel ,Abuse and Lose' vorgelegt. Das Ergebnis ist vernichtend: Während die BHA noch immer behauptet, daß die Gerte vor allem die Sicherheit von Pferd und Reiter gewährleisten soll, ist die Realität eine andere: Die Gerte wird vor allem zum Antreiben in der letzten Phase des Rennens eingesetzt, um gleichsam die letzten Kraftreserven der Pferde zu mobilisieren: 75 % aller Verstösse gegen die Gerten-Regel werden von den beiden erstplatzierten Jockeys im Finish eines Rennens begangen – und bei 75 % aller Verstöße lag zwischen den beiden erstplatzierten Pferden weniger als eine halbe Länge Abstand. Im Report heißt es: „Das alles passiert, weil Schläge zur ,Ermutigung' erlaubt sind und es die Jockeys als gerechtfertigt erachten, gleichsam routinemäßig auf ihre Pferde einzuprügeln. Sie glauben, daß sie mit ein paar gut platzierten Schlägen das Letzte aus ihren erschöpften Tieren herausholen und so ihre Gewinnchancen erhöhen können. Tatsächlich zeigen die Fakten in die entgegengesetzte Richtung."

Animal Aid spielt damit auf eine Untersuchung der Universität von Sydney an, die ebenfalls im Jahr 2011 veröffentlicht wurde und die nachweisen konnte, daß der Einsatz der Gerte keinen Einfluss auf den Ausgang eines Rennens hat – auch durch wiederholten Gerten-Einsatz wurde die Wahrscheinlichkeit, unter den drei Erstplatzierten eines Rennens zu landen, nicht erhöht. Die Autoren konnten darlegen, daß vor allem der erste Teil des Rennens, in dem die Pferde nicht mit der Gerte geschlagen werden, der entscheidende Faktor für den Rennerfolg ist. Rennpferde werden meist völlig grund- und sinnlos in der letzten Phase eines Rennens mit der Gerte angetrieben, wenn ihre Muskeln bereits ermüdet sind und sie ihr Tempo nicht mehr steigern können. Das Schlagen mit der Gerte ändert daran nichts – es ist vielfach ein Schauspiel für die Zuschauer, die Trainer und die Pferdebesitzer, mit dem der Jockey publikumswirksam demonstriert, daß er sein Pferd ,ausreitet' und gleichsam alles für den Sieg zu tun bereit ist.

Ein weiteres starkes Argument für eine Beschränkung oder gar ein Verbot des Gerten-Einsatzes bei Pferderennen lieferte im März dieses Jahres eine Studie der Veterinär-Pathologin Dr. Lydia Tong: Sie konnte das vielfach geäußerte Vorurteil, daß Rennpferde den Schlag einer Gerte kaum spüren und daß Pferdehaut viel dicker und unempfindlicher wäre als die des Menschen, wissenschaftlich entkräften und nachweisen, daß genau das Gegenteil der Fall ist: Die oberste Schicht der Pferdehaut, die Epidermis, ist bei Pferden sogar dünner – und sie haben beträchtlich mehr sensorische Nerven-Enden im Hautgewebe als wir Menschen, sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schmerzempfindlicher. (Eine ausführliche Meldung über diese Studie finden sie hier!)

All diese Fakten können von der BHA nicht länger ignoriert werden, so der Autor des Animal Aid-Reports Dene Stansall: „Unser Bericht zeigt, daß Pferde am öftesten am Ende eines Rennens, wenn der Zieleinlauf knapp ist, unter regelwidrigem Gerten-Einsatz zu leiden haben. Die Pferde werden geschlagen – nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil die Rennbehörde die Verwendung von Gerten zur ,Ermutigung' erlaubt. Die Lösung ist einfach: Der Einsatz der Gerte muss generell verboten werden – es sei denn für die tatsächliche Sicherheit von Pferd und Reiter, so wie es in Norwegen seit 1982 gültig ist. Wenn sich die BHA wirklich um das Wohl der Pferde sorgt, muss sie daher ihre Regeln ändern. Und wenn sie sich nicht um das Tierwohl kümmert, dann sollte sie sich um jene 70 % der Öffentlichkeit kümmern, die nach einer Umfrage gegen die Verwendung von Gerten bei Pferderennen sind. Wir glauben, daß das Ende der Gerte im Rennsport in Sicht ist."

Animal Aid wird in den kommenden Monaten eine intensive öffentliche Kampagne für ihr Anliegen starten, wird auf Rennbahnen demonstrieren und mit einem ,Schlachtbus' (,Battle Bus') eine Tour durch ganz Großbritannien absolvieren. Auch eine parlamentarische Initiative (,Early Day Motion') wurde ins Leben gerufen – mit einer Brief- und Mail-Kampagne sollen Tierschützer und Pferdefreunde motiviert werden, ihre Parlamentsabgeordneten für deren Unterstützung zu gewinnen. Dem britischen Rennsport stehen somit wieder einmal unruhige Zeiten bevor...

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