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Schlimmer Verdacht: Medikament könnte plötzlichen Tod von Rennpferden begünstigen
30.11.2022 / News

Ein vielfach angewendetes, handelsübliches Medikament könnte an den plötzlichen Todesfällen im Pferderennsport mitschuldig sein, so die aktuelle Studie.
Ein vielfach angewendetes, handelsübliches Medikament könnte an den plötzlichen Todesfällen im Pferderennsport mitschuldig sein, so die aktuelle Studie. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Ein Medikament, das bei Vollblut-Rennpferden in Nordamerika weit verbreitet ist, könnte laut einer neuen Studie das Risiko eines plötzlichen Todes erhöhen. Doch auch andere Faktoren könnten mit dem bislang kaum erforschten Phänomen in Zusammenhang stehen.

 

Die von Dr. Euan Bennett von der Universität Glasgow und Prof. Tim Parkin von der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Bristol durchgeführte Studie ist die erste groß angelegte Untersuchung, die den plötzlichen Tod bei Vollblut-Rennpferden in den USA und Kanada im Detail beleuchtet. Die Arbeit wurde von der Grayson Jockey Club Foundation finanziert und vor kurzem im „Journal of the American Veterinary Medical Association“ veröffentlicht.

Die Studie analysierte über einen Zeitraum von 12 Jahren über vier Millionen Starts bei Pferderennen, wobei Daten aus der ,Equine Injury Database’ (EID) verwendet wurden, einer umfangreichen Datenbank, die Einzelheiten zu fast allen offiziellen Pferderennstarts in den USA und Kanada enthält.

Als „plötzlicher Tod“ wird jeder Todesfall angesehen, der innerhalb von drei Tagen nach dem Rennen auftrat, wobei die im EID aufgezeichneten Daten insgesamt fünf mögliche Diagnosen bzw. Beschreibungen der Todesursache umfassen: 1. plötzlicher Tod (sudden death = SUD), 2. Lungenblutung (pulmonary hemorrhage), 3. leistungsinduzierte Lungenblutung (exercise-induced pulmonary hemorrhage = EIPH), 4. Erschöpfungssyndrom/Hitzschlag (post-exertional distress/heatstroke = PED) sowie 5. Herzrhythmusstörungen (cardiac arrhythmia). Todesfälle aufgrund katastrophaler Verletzungen des Muskel- bzw. Knochenapparats – mit großem Abstand die häufigste Todesursache von Rennpferden – wurden in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt.

In absoluten Zahlen ausgedrückt: Insgesamt waren in der EID-Datenbank 4.198.073 Pferdestarts erfasst, die zwischen 2009 und 2021 auf insgesamt 144 Rennbahnen durchgeführt wurden, welche dem EID Verletzungen und Todesfälle gemeldet hatten. Davon wurden 536 als Todesfälle mit einer oder mehreren der genannten tödlichen Verletzungsbeschreibungen erfasst, die als eine Form des plötzlichen Todes eingestuft und daher auch in der Untersuchung berücksichtigt wurden. Von den 536 Fällen von plötzlichem Tod entfielen 462 (86,2 %) auf Todesbeschreibung 1 (= SUD), 58 (10,8 %) auf Todesursache 2 (Lungenblutung), 49 (9,1 %) auf Todesursache 3 (leistungsinduzierte Lungenblutung EIPH), 21 (3,9 %) auf Todesursache 4 (Erschöpfungssyndrom/Hitzschlag PED) und 12 (2,2 %) ) auf Todesursache 5 (Herzrhythmusstörungen). (Zur Beachtung: Es sind Mehrfach-Zuordnungen möglich, daher übersteigt die Gesamtsumme auch die Zahl 536).

Insgesamt traten 0,13 plötzliche Todesfälle/1.000 Starts auf – grob gesagt führte also etwa einer von 10.000 Rennstarts zu einem rennbedingten plötzlichen Tod eines Pferdes. Bezogen auf die Pferde, die während des untersuchten Zeitraums an Rennen teilnahmen, erlitten 0,2 % einen plötzlichen Tod während des Rennens. Die Gesamtzahl der erfassten Todesfälle durch alle Ursachen (einschließlich plötzlichem Tod) im selben Zeitraum betrug 7.220, was einer Inzidenzrate von 1,72/1.000 Starts oder 2,5 % der einzelnen Pferde entspricht.

Die Forscher identifizierten nach eingehenden statistischen Analysen und Modellrechnungen insgesamt relevante 15 Risikofaktoren ermittelt, darunter die Jahreszeit des ausgetragenen Rennens, die Art des Geläufs, die Pferdestarts in den letzten 90 bis 180 Tagen und der erste Start des Pferdes. Es wurde auch festgestellt, dass das Risiko eines plötzlichen Todes bei Hengsten höher war als bei Stuten – ebenso bei Pferden, die fünf Jahre oder älter waren, verglichen mit Pferden, die drei Jahre oder jünger waren. Auch der Wert des Rennens und die Renndistanz konnten als Risikofaktoren identifiziert werden. Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass es möglich sein könnte, Pferde mit einem besonders hohen Risiko zu identifizieren – zum Beispiel aufgrund einer früheren Verletzung und einer Unterbrechung des Trainings/Rennens.

Das wohl auffälligste und bemerkenswerteste Ergebnis der Studie aber war ein anderes: Als herausragender Risikofaktor entpuppte sich, ob ein Pferd am Renntag eine bestimmte Medikation erhalten hatte oder nicht. Bei Pferden, denen am Renntag Furosemid verabreicht wurde, war die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Todes um 62 % höher als bei Pferden, die kein Furosemid erhielten.

Furosemid (auch bekannt als Frusemid und unter dem Handelsnamen Lasix) ist ein Diuretikum, also ein harntreibendes Mittel, das im Rennsport verwendet wurde, um leistungsinduzierte Lungenblutungen zu verhindern. Es wird auch mit einer verbesserten Rennleistung in Verbindung gebracht – und daher auch sehr häufig eingesetzt. Die beiden Autoren merkten dazu an, „dass 94 % der Pferdestarts in der Kohorte am Renntag mit Furosemid behandelt wurden, also ist dies ein sehr häufiger Risikofaktor. Daher sollte die Identifizierung eines möglichen kausalen Zusammenhangs zwischen der Verabreichung von Furosemid und plötzlichem Tod absolute Priorität haben. Die Verabreichung von Furosemid ist – zusammen mit einer Einschränkung der Wasseraufnahme – eine gängige Praxis am Renntag für das Management von EIPH und hat nachweislich auch zu einer Verbesserung der Rennleistung geführt. In ethischer Hinsicht ist die Praxis, Medikamente am Renntag zuzulassen, jedoch umstritten und problematisch für den Sport.“ Die Verabreichung von Furosemid am Renntag ist je nach Rechtsprechung unter bestimmten Umständen bereits eingeschränkt oder sogar gänzlich verboten.

Den Wirkmechanismus beschrieben die Autoren so: „Furosemid ist ein Diuretikum und verringert die Schwere der EIPH (= leistungsinduzierte Lungenblutung), indem es das Blutvolumen und damit den Blutfluss und den Druck in den Lungenarterien verringert. Die diuretische Wirkung führt zu einem Verlust von Natrium, Kalium und Chlorid in den Urin und prädisponiert daher für Elektrolytanomalien. Beim Menschen können diese Beeinträchtigungen des Elektrolythaushalts zu Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) und dadurch verursachtem Tod prädisponieren. Daher könnte die Hypothese aufgestellt werden, dass die Verabreichung von Furosemid bei Pferden das Risiko eines plötzlichen Todes durch Herzrhythmusveränderungen erhöhen könnte. Da jedoch die genaue Ursache des plötzlichen Todes (kardialer vs. nichtkardialer Auslöser) bei den Pferden dieser Studie nicht bestimmt wurde, können wir über mögliche Mechanismen nur spekulieren.“

Dr. Bennett abschließend: „In den letzten 12 Jahren ist das Gesamtrisiko eines Todesfalls innerhalb von drei Tagen nach dem Rennen um über 30 % gesunken, aber die Inzidenzrate plötzlicher Todesfälle hat sich nicht wesentlich verändert. Dies deutet darauf hin, dass zwar Interventionen vorgenommen wurden, die zu einer Verringerung katastrophaler Verletzungen beigetragen haben, es jedoch verschiedene Risikoquellen für plötzliche Todesfälle gibt, die noch nicht identifiziert wurden. Diese Studie deutet darauf hin, dass ein Risikoprofil möglich sein könnte, das identifiziert, welche Pferde dem größten Risiko eines plötzlichen Todes ausgesetzt sind. Angesichts der Seltenheit des Ergebnisses sind weitere Arbeiten erforderlich, um mögliche Interventionen zu ermitteln, die zu einer Verringerung der plötzlichen Todesfälle beitragen könnten.“

Und weiter: „Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Furosemidkonsum und plötzlichem Tod macht die Tatsache, dass Furosemidkonsum so häufig ist, dieses Ergebnis angesichts der statistischen Aussagekraft dieser groß angelegten Studie besonders bemerkenswert. Diskussionen über die Ethik der Verabreichung von Medikamenten am Renntag sollten potenzielle Risiken wie die hier identifizierten berücksichtigen, und es sind weitere Arbeiten erforderlich, um genau zu verstehen, warum wir diesen Zusammenhang identifiziert haben.“

Die Studie „Fifteen risk factors associated with sudden death in Thoroughbred racehorses in North America (2009–2021)" von Euan D. Bennett and Tim D. H. Parkin ist am 20. Okt. 2022 im ,Journal of the American Veterinary Medical Association' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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