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Filmtipp: Suffragette – das Frauen-Wahlrecht und ein Pferderennen
03.02.2016 / News

Die Wäscherin Maud Watts – brillant verkörpert von Carey Mulligan – muss für den Kampf um ihre Unabhängigkeit einen hohen Preis zahlen.
Die Wäscherin Maud Watts – brillant verkörpert von Carey Mulligan – muss für den Kampf um ihre Unabhängigkeit einen hohen Preis zahlen. / Foto: Filmladen Filmverleih
Die Geschehnisse nehmen ihren Lauf: Emily Wilding Davison (Natalie Press) und Maud Watts (Carey Mulligan) beim Epsom Derby 1913.
Die Geschehnisse nehmen ihren Lauf: Emily Wilding Davison (Natalie Press) und Maud Watts (Carey Mulligan) beim Epsom Derby 1913. / Foto: Filmladen Filmverleih

Am 5. Februar startet das britische Film-Epos ,Suffragette – Taten statt Worte' in unseren Kinos – es erzählt die Geschichte des verzweifelten Kampfs um das Frauen-Wahlrecht in Großbritannien, bei dem ein Pferderennen eine zentrale Rolle spielt.

 

„Suffragette – Taten statt Worte" schildert anhand der fiktiven Figur der Wäscherin Maud Watts (grandios gespielt von Carey Mulligan) die Geschichte der britischen Frauenbewegung und ihres jahrzehntelangen, verzweifelten Kampfs um das Frauen-Wahlrecht, die als „Suffragetten-Bewegung" (Suffrage = Wahlrecht) in die Geschichte eingegangen ist. Das von Sarah Gavron inszenierte Drama wurde von zahlreichen Kritikern mit Lob überschüttet, weil es den aufopferungsvollen Kampf der radikalen Suffragetten auf mitreißende, aber niemals melodramatische Weise zu zeigen vermag und die Hoffnung und die Verzweiflung der britischen Frauen sicht- und spürbar machen kann. Dies ist zu großen Teilen das Verdient der mitreißenden Schauspielkunst von Carey Mulligan, die die Figur der Wäscherin Maud Watts mit berührender Intensität und Glaubwürdigkeit zeichnet – und auch den Preis erahnen lässt, den man als Ehefrau und Mutter für seine eigene Unabhängigkeit zahlen musste. Carey Mulligan ist das große Erlebnis dieses Films – und allein das ist es wert, ihn anzusehen.

Eine zentrale Rolle im Film – und auch in der historischen Suffragetten-Bewegung – kommt einem Pferderennen zu, das als „Suffragetten-Derby" in die Geschichte des Rennsports, aber auch in die politische Geschichte Großbritanniens eingegangen ist: Es war der 4. Juni 1913, und das Epsom Derby – eines der größten Sport- und Medien-Ereignisse des Landes mit Hunderttausenden Zuschauern – war in vollem Gang. Als sich das Feld der Tattenham-Kurve näherte, geschah das Unglaubliche: Die damals 40-jährige Emily Wilding Davison, die an der Innenseite der Bahn unter den Zuschauern gestanden war, schlüpfte unter der Absperrung durch und lief auf die Rennbahn. Während einige Pferde noch an ihr vorbeirannten, lief der Hengst Anmer von Jockey Herbert Jones in vollem Galopp in sie hinein, der Hengst stürzte, die Frau und der Jockey blieben bewusstlos liegen. Der Hengst Anmer, der im Besitz von König George V. stand, konnte unverletzt aufstehen und lief weiter. Herbert Jones erlitt eine Gehirnerschütterung und verbrachte sechs Wochen im Krankenhaus. Emily Davison wurde mit einem Schädelbruch und schweren inneren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert und erlangte ihr Bewusstsein nicht wieder. Sie verstarb am 8. Juni 1913 im Epsom Cottage Hospital, vier Tage nach der verhängnisvollen Kollision.

Emily Davison war Mitglied der sogenannten Suffragetten-Bewegung, die in Großbritannien jahrzehntelang für das Frauen-Wahlrecht kämpfte – zunächst mit friedlichen Mitteln und über lange Zeit erfolglos. 1898 gründete Emmeline Pankhurst die ,Women's Social and Political Union* (WSPU) und entwickelte neue, radikalere Formen des Protests: Statt friedlich und freundlich lächelnd zu demonstrieren, ketteten sich Frauen an Zäune und Gebäude, organisierten Blockaden und nutzten auch die Medien, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, wodurch die Bewegung immer mehr Anhänger gewann. Der Staat und das Establishment schlugen mit voller Härte zurück: Am 18. November 1910 wurde eine Demonstrationen der Suffragetten von der Londoner Polizei mit Knüppeln und Schlagstöcken aufgelöst, es gab viele Verletzte und zahlreiche Verhaftungen. In der Haft traten die Frauen in Hungerstreik und wurden daraufhin auf brutale Weise – mit einem Schlauch durch die Nase – zwangsernährt. Doch der Widerstand der WSPU ließ sich auch mit solchen Mitteln nicht brechen, man kämpfte noch verbissener und vehementer weiter, steckte Briefkästen in Brand, warf Schaufenster-Scheiben ein und attackierte später sogar Kirchen.

Auch die spektakuläre Aktion von Emily Davison ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Davison war Mitglied der WSPU, wurde acht Mal für ihre gewaltsamen Protestaktionen inhaftiert und wollte mit ihrer spektakulären Aktion auf die Anliegen der Suffragetten aufmerksam machen. Aber wollte sie sich auch tatsächlich selbst töten, ihr eigenes Leben opfern, um für Großbritanniens Frauen das Wahlrecht und die Gleichberechtigung zu erkämpfen? War der öffentliche Suizid ihr Kalkül – oder war es doch nur ein Unfall, weil sie das Tempo der Pferde und die Distanz zu ihnen unterschätzt hatte? Jahrzehntelang wurde über diese Fragen in Großbritannien heftig diskutiert und gestritten. Während sie für die einen gleichsam eine verblendete Emanze war, die das eigene und das Leben anderer aufs Spiel gesetzt hatte, so war und ist sie für die britische Frauenbewegung eine Märtyrerin und Ikone, die ihr Leben für die Sache der Frauen geopfert hat.

Tatsächlich war Emily Davison die einzige Suffragette, die ihr Leben im Kampf für das Frauen-Wahlrecht verlor – und es hat lange gedauert, bis ihr Kampf für die Rechte der Frauen und das große Opfer, das sie dafür gebracht hat, auch öffentlich anerkannt wurden: Anläßlich ihres 100. Todestages und der 100. Wiederkehr des ,Suffragetten-Derbys' wurde am 18. April 2013 auf der Rennbahn von Epsom eine Gedenktafel enthüllt, für die Davisons Familie sich lange eingesetzt hatte. Auf ihr ist zu lesen: „Es war dieser Ort, am 4. Juni 1913, an dem die Suffragette Emily Wilding Davison schwer verletzt wurde und daraufhin im Epsom Cottage Hospital verstarb. Ihre lebenslange Hingabe im Kampf für das Frauenwahlrecht und ihr Beitrag für das Leben der britischen Frauen in der Vergangenheit und in der Gegenwart werden stets in Erinnerung bleiben."

Auch Journalisten und Historiker haben sich in den letzten Jahren intensiv mit dem „Suffragetten-Derby" und dem Schicksal von Emilty Wilding Davison. Für eine TV-Dokumentation haben Experten die historischen Fotos und Videoaufnahmen teils mit aufwendigen forensischen Methoden analysiert – ihre Ergebnisse eröffneten neue Einblicke in das, was an diesem schicksalhaften Sommertag des Jahres 1913 auf der Rennbahn von Epsom geschehen ist. Philippa Bilton, eine Cousine von Emily Davison, ist jedenfalls überzeugt, dass ihre Tante nicht vorsätzlich Selbstmord begehen wollte: „Sie war zweifellos bereit, für die Sache des Frauenwahlrechts zu sterben – aber das war ganz bestimmt nicht ihre Absicht, als sie unter der Absperrung durchschlüpfte und auf die Rennbahn lief. Aber sie wusste wohl, dass dies passieren kann."

Tatsächlich sprechen immer mehr Indizien gegen einen absichtlichen Selbstmord: Biographin Maureen Howes – die Zugang zu privaten Familienaufzeichnungen hatte – fand einen Brief von Emily Davison in ihrem Nachlass, der ein Rückfahrticket aus Epsom enthielt. Emily wollte nach Paris fahren und sich dort um ihren Neffen kümmern – all dies spricht gegen einen bewußten Selbstmord, so Maureen Howes. Laut ihren Recherchen hatte Davison in der Gruppe von Protestierenden „den Kürzeren gezogen" und sollte beim Paddock der Rennpferde ein Tuch der lokalen Suffragetten-Gruppe am Pferd von König George V. befestigen. Aber etwas ging schief, Davison schaffte es nicht zum Paddock und musste offenbar zu Plan B greifen. Maureen Howes: „Emily nahm das Risiko auf sich und ging zum Tattenham Corner, weil sie wußte, daß dort die Kamera von Pathe Newsreel stand, die alles festhalten würde. Sie ging aber nicht dorthin mit der Absicht, sich selbst umzubringen."

Auch Emilys Großneffe Geoffrey Davison ist der Überzeugung: „Sie war keine Verrückte, die Selbstmord begehen wollte – und sie wollte auch keine Märtyrerin sein." Tatsächlich fand die Polizei ein Schal bzw. Halstuch mit der Aufschrift ,Votes for Women' (,Wahlrecht für Frauen') bei der verunglückten Emily Davison – die offenbar beim Versuch, es irgendwie am herangaloppierenden Anmer zu befestigen oder es ihm umzuhängen, von diesem überrannt worden war. Auch wenn Emily Davison keine Märtyrerin ist – für Großbritanniens Frauenbewegung bleibt sie eine Heldin und eine Ikone, die bereit war, in einem bestimmten Moment, am 4. Juni 1913, für die Freiheit der Frauen ihr kostbarstes Gut einzusetzen – ihr Leben. Insofern war es ein historischer Moment – ein Moment, der die ganze Verzweiflung der Frauen Großbritanniens, die jahrzehntelang für ihre Freiheit und für ihr Wahlrecht kämpfen mussten, sichtbar gemacht hat.

Emily Davison ist auf dem S. Mary's Friedhof in Morpeth/Northumberland begraben – auf ihrem Grabstein steht die Inschrift „Taten, nicht Worte".

Eine tragische Facette ihrer Tat bleibt der Umstand, dass der Jockey von Anmer, Herbert Jones, nie über die Geschehnisse des 4. Juni 1913 hinweggekommen ist und sein Leben lang, wie er selbst sagte, „vom Gesicht dieser armen Frau verfolgt wurde". Er beging 1951 Selbstmord. Beim Begräbnis von WSPU-Gründerin Emmeline Pankhurst im Jahr 1928 legte er einen Kranz nieder, „um der Erinnerung von Mrs. Pankhurst und Miss Emily Davison Ehre zu erweisen." Zwei Wochen nach ihrem Tod wurde jenes Gesetz ratifiziert, das Großbritanniens Frauen das uneingeschränkte Wahlrecht gewährte.

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