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Gesichtsausdruck von Pferden verrät, wann eine Sedierung wirkt
02.06.2021 / News

So funktioniert die Gesichtsskala ,FaceSed
So funktioniert die Gesichtsskala ,FaceSed': Je nach Stellung der Ohren, dem Öffnungsgrad der Augen sowie dem Entspannungsgrad von Ober- und Unterlippe wird ein Score von 0 bis 2 vergeben. / Foto: Alice Rodrigues de Oliveira et.al.

Pferde müssen aus den unterschiedlichsten Gründen sediert werden – allen voran bei medizinischen Behandlungen bzw. Eingriffen, aber auch in Notsituationen, um etwa eine gefahrlose Rettung durchführen zu können. Doch wann genau kann man davon ausgehen, dass die Sedierung beim Pferd tatsächlich ,anschlägt’ und ihre volle Wirksamkeit entfaltet hat? Brasilianische Wissenschaftler haben sich dazu etwas überlegt.


Für die durchaus knifflige Frage, ob eine notwendige Sedierung bereits die gewünschte Wirkung entfaltet hat und daher eine schmerz- und gefahrlose Behandlung möglich ist, haben Forscher der São Paulo State University in Brasilien eine einfache und praktische Gesichtsskala für Pferde entwickelt. Sie soll eine Entscheidungshilfe dafür sein, den Grad der Sedierung möglichst objektiv und sicher beurteilen zu können.

Die Wissenschaftlerin Alice Rodrigues de Oliveira und ihre Kollegen nannten diese Skala ,FaceSed’. Sie basiert auf Elementen der ,Skala des Schmerzausdrucks bei Pferden’ (Horse Grimace Scale), die 2015 von einer internationalen Forschergruppe aus Deutschland, Italien und Großbritannien entwickelt worden war (siehe auch unseren Artikel dazu).

Sedierungs- und Beruhigungsverfahren bei stehenden Pferden sind Alternativen zur Vollnarkose, die bekanntermaßen bei Pferden mit einem ungewöhnlich hohen Sterblichkeitsrisiko verbunden ist – Experten gehen von einer anästhesiebedingten Sterblichkeitsrate von etwa 0,9 % bei Pferden aus (siehe auch diesen Artikel dazu).

Der Sedierung kommt daher in der Pferdemedizin eine besonders große Bedeutung zu – als deutlich verträglichere und weniger risikobehaftete Alternative zur Vollnarkose. In der Vergangenheit wurden daher verschiedene Skalen und Bewertungssysteme entwickelt, um die Sedierung bei Pferden unter der Wirkung von Sedativa und Beruhigungsmitteln zu qualifizieren und zu quantifizieren.

Die einzige objektive Messung, die keine Interpretation durch den Beobachter erfordert, ist bislang die Kopfhaltung, präziser gesagt: die Höhe des Pferdekopfes über dem Boden, die erstmals 1991 als Gradmesser für die Sedierungs-Wirkung verwendet wurde. Andere Methoden zur Beurteilung von Tiefe und Qualität der Sedierung sind subjektiv, da ihre Interpretation auf der – mehr oder weniger subjektiven – Erfahrung des Beobachters mit den Auswirkungen der Sedierung bei Pferden basiert.

Obwohl dabei auch Gesichtsmerkmale verwendet werden, um die Sedierung von Pferden abzuschätzen, gibt es bislang keine Studien, die ihre Zuverlässigkeit und Validität messen. Da die Beurteilung des Gesichtsausdrucks nur auf Beobachtung basiert, würde die Entwicklung einer objektiven Ausdrucks-Skala die Nachteile und Einschränkungen anderer Methoden vermeiden, so die brasilianischen Wissenschaftler. Dies führte zur Ausarbeitung der Gesichtsskala ,FaceSed’, die im Wesentlichen auf der Anpassung und Modifikation von drei der sechs Gesichts-Merkmals-Gruppen basiert, die auch bei der ,Horse Grimace Scale’, also der ,Skala des Schmerzausdrucks bei Pferden’, verwendet werden.

Um ,FaceSed’ zu testen, wurden sieben Pferde sowohl mit hoher als auch mit niedriger Dosis sediert, wobei ihre Gesichter zu Beginn, am Höhepunkt, im Zwischenstadium und am Ende der Sedierung fotografiert wurden. Die Fotos wurden nach dem Zufallsprinzip gemischt und an vier tierärztliche Bewerter gesendet, die zuvor darin geschult wurden, die drei zentralen ,FaceSed’-Merkmale zu beurteilen und anzuwenden. Dabei wurde ein Score von 0 (= keine erkennbare Entspannung) bis zu 2 (deutliche Entspannung) vergeben. Folgende Merkmale wurden dabei bewertet:
– die Stellung der Ohren
– der Öffnungsgrad der Augen und
– der Entspannungs-Grad der Unter- und Oberlippe.

Wie die Ergebnisse zeigen, konnte sich ,FaceSed’ gut bewähren: Es gab eine beachtliche Übereinstimmung und Konsistenz unter den Bewertern, die allesamt individuell konsistente Ergebnisse lieferten. ,FaceSed’, so die Wissenschaftler, habe sich als gültiges und zuverlässiges Instrument zur Beurteilung der Sedierungs-Wirkung bei Pferden erwiesen. Die Pferde zeigten sowohl in der Spitzen- als auch in der Zwischenphase ihrer Sedierung höhere Werte im Vergleich zu Beginn und Ende.

„Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass FaceSed eine einfache und praktische Skala ist, die Zuverlässigkeit und Validität bietet, um die kontinuierliche Sedierung bei Pferden zu bewerten, die einer Ruhigstellung mit Acepromazin und einer Sedierung mit dem Alpha-2-Agonisten Detomidin mit oder ohne das Opioid Methadon unterzogen wurden“, so das Resümee der Forscher.

Die Autoren betonten, dass ,FaceSed’ in der vorliegenden Studie von ausgebildeten Anästhesisten angewendet wurde. „Weitere Studien in klinischen und anderen experimentellen Szenarien und die Bewertung durch unerfahrene Beobachter können entweder bestätigen oder nicht, ob die vor Ort bewerteten Gesichtsmerkmale von sedierten Pferden ähnliche Ergebnisse liefern. Gegenwärtig ist FaceSed eine rasch und einfach anzuwendende Skala und kann in der klinischen Praxis und zu Forschungszwecken nützlich sein.“

Die Studie „Development and validation of the facial scale (FaceSed) to evaluate sedation in horses"
von Alice Rodrigues de Oliveira, Miguel Gozalo-Marcilla, Simone Katja Ringer, Stijn Schauvliege, Mariana Werneck Fonseca , Pedro Henrique Esteves Trindade, José Nicolau Prospero Puoli Filho und Stelio Pacca Loureiro Luna ist am 1. Juni 2021 in der Zeitschrift ,PLOS One' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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