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Neujahrswünsche an die Spanische Hofreitschule
01.01.2023 / News

Österreich und Wien im Besonderen sind stolz auf die Pflege der schönen Künste – doch leider scheint man die klassische Reitkunst nicht dazu zu zählen ...
Österreich und Wien im Besonderen sind stolz auf die Pflege der schönen Künste – doch leider scheint man die klassische Reitkunst nicht dazu zu zählen ... / Symbolfoto: Archiv/Birgit Popp

In Wien pflegt man zum Jahreswechsel die schönen Künste, man weiß sie zu zelebrieren und zu vermarkten, man liebt und lebt sie mit Hingabe, wie speziell das Neujahrskonzert eindrucksvoll vor Augen führt. Doch hätte sich nicht auch die klassische Reitkunst soviel Aufmerksamkeit und Pflege verdient …? Ein Gastkommentar von Martin Haller

 

Wien, nein, ganz Österreich begeht den Neujahrstag mit Musik und Tanz, mit den Philharmonikern und dem Staatsopernballett und – immer wieder – den Lipizzanern. Das ist Tradition, das bringt Devisen, macht Freude und hat Niveau. In Wien pflegt man die schönen Künste, man weiß sie zu zelebrieren und zu vermarkten, man liebt und lebt sie mit Hingabe … Selten so ausgeprägt wie zu Neujahr, denn da zieht man einen gewissen Schlussstrich unter ein altes und beginnt voller guter Vorsätze ein neues. Neujahr ist ein legitimer Zeitpunkt, um die Schwächen des letzten Jahres langsam zu vergessen und sich auf die erhofften Stärken des zukünftigen Jahres zu freuen. Ein bisserl was von einer Kombination aus „nix ist so alt wie das gestrige Jahr“ und „die Hoffnung stirbt zuletzt“, garniert mit einer Prise „es kommt nie was Besseres nach“. Da tut es gut, wenn just am heutigen Neujahrstag eine TV-Dokumentation die Musik der Dynastie Strauss, und besonders natürlich des Schani als deren hervorragendem Protagonisten, analysiert und in all ihrer Raffinesse und Schönheit darstellt.

Als Österreich-Ungarn noch riesengroß war, ein Multikulti-Reich mit rund einem Dutzend großer Ethnien und einem ganzen Bündel kleiner Volksgruppen, gab ein wahres Kaleidoskop von Sprachen, Trachten und Bräuchen, nicht zu sprechen von der Vielfalt der Speisen, der Melodien und Tänze und der Uniformen. Aus diesem bunten Strauß der Kulturen hat sich bis heute gerade in Wien wie in einem Brennspiegel ein hoch verdichtetes Konzentrat an Schönheit und Talent erhalten können. Ja, mit Stolz darf man sagen, dass wir Österreicher mit Beharrlichkeit und Traditionsbewusstsein, mit Talent und viel „G‘spür“ unzählige Kostbarkeiten unserer unglaublich reichen „Multi-Kultur“ aus der guten alten Zeit in die Gegenwart herüberretten konnten. Unter diesen Kostbarkeiten befindet sich ein Unikat – die letzte auf kontinuierlicher Tradition beruhende Hofreitschule der Welt. Cadre Noir – gegründet 1814; Jerez de la Frontera – gegründet 1973; Escuela in Portugal – gegründet 1979 … Wiener Hofreitschule – gegründet je nach Interpretation 1521 oder 1533 oder spätestens 1565. Wien kann also zweifellos die „Mutter aller Reitakademien“ für sich reklamieren!

Das Schicksal und der Lauf der Geschichte haben es uns nicht immer leicht gemacht; da gab es Bomben und Siegermächte, Wirtschaftskrisen und politische Umwälzungen und nicht zuletzt die typischen Nebengeräusche eines kleingeistigen, weil klein gewordenen Landes an der Ostflanke Mitteleuropas. Korruption und Nepotismus, Postenschacher und politische Willkür, aber auch eine fürchterliche Realitätsverweigerung sind bestimmende Begleiter unserer Politik. Wie schön, wenn in der oben erwähnten Dokumentation einige namhafte Dirigenten betonen, dass gerade die unsterbliche Musik der Strauss-Dynastie, die Qualität der Wiener Philharmoniker und die leichte Muse allgemein in Wien und Österreich nach wie vor auf unerreichter Höhe stehen. Man hört sowas gerne, man freut sich am Duft des Eigenlobs, wenn es denn berechtigt ist. Zumal in dem Dokumentarfilm profunde Kenner auch relativieren durften, Strauss hie und da kritisierten, seine kompositorischen Schwächen aufzeigten und darauf hinwiesen, dass nicht alles, wo Strauss draufsteht, auch wirklich Strauss sei … etwas Kritik tut so einem Film sehr gut.

Als Freund der klassischen Reitkunst und Musik (beides uralte Künste, die untrennbar verbunden sind oder es sein sollten) war ich betrübt. Wenn man über unseren „Heiligen Schani“ so eine profunde, gut recherchierte Dokumentation macht, warum dann nicht auch über sein hippologisches Gegenstück, die Spanische Reitschule? Warum darf man nicht ehrlich und offen über die Gepflogenheiten, Stärken und Schwächen dieser Institution berichten – warum erschöpft sich die Diskussion darüber in polemischen Außenansichten?

Kürzlich ist ein neuer Geschäftsführer bestellt worden, ein Mann aus der Wirtschaft (Brauwesen), offenkundig mit klaren politischen Verbindungen und wenig hippologischer Erfahrung. Er ist der fünfte en suite, dem man keine gewachsene Verbindung zur Schule, kein ausgesprochenes Naheverhältnis zur klassischen Reitkunst nachsagen kann. Ich wünsche mir für 2023, dass man der Spanischen endlich wieder einen Leiter und damit Status gibt, der sie kritiklos mit dem Neujahrskonzert auf eine Stufe stellen kann; der uns mit unzweifelhaftem Stolz auf eine unantastbare Institution erfüllt, wie es die Philharmoniker sind; der die Wiener Reitkunst so anerkannt werden lässt, dass der Bundespräsident und alle Landesgrößen stolz jedes Jahr einer Gala-Vorführung beiwohnen, wie sie das beim Neujahrskonzert pflichtschuldigst tun.

Übrigens ist die dysfunktionale Wiener Rennbahn Freudenau im heurigen Konzert der hippologische Aufputz des musikalischen Events; man kommt also doch nicht ganz ohne die Pferde aus in unserem Ländchen. Die Freudenau, wo keine eleganten Besucher mehr zu spannenden Rennen pilgern, ist eine schöne Leich‘ – schuld war die Politik. Die Spanische ist zwar noch keine Leiche, aber quasi eine Dauerpatientin, der man die lebensrettende Medizin versagt. Der verabreichende Arzt muss erst noch gefunden werden und sich gegen alle politischen Begehrlichkeiten durchsetzen. Geritten von einem perfekten Orchester, dirigiert von einem Karajan der Reitkunst, sollte die Melodie der Schönheit zu Pferd wieder erklingen, ohne falsche Noten, ohne Zweifel am Instrumentarium und ohne Frage nach Sinnhaftigkeit und Profit.

So schlage ich vor: Macht 2023 zum Jahr der Neugeburt UNSERER Spanischen Reitschule – mit allem Pipapo und ohne Wenn-und-aber. Prosit Neujahr, möge es dir zum Guten gereichen, mögest Du genesen, Du liebe Alte!

Martin Haller

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