News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Menschen lieben Pferde, aber lieben Pferde auch Menschen?
02.10.2021 / News

Spannende Frage: Wir sind ganz verrückt nach unseren Pferden – aber ist das auch umgekehrt der Fall?
Spannende Frage: Wir sind ganz verrückt nach unseren Pferden – aber ist das auch umgekehrt der Fall? / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Wir fühlen uns mit unseren Pferden emotional stark verbunden – aber gilt das auch umgekehrt? Ob Pferde tatsächlich eine Bindung zu Menschen aufbauen, konnte wissenschaftlich bislang nicht eindeutig bewiesen werden – es ist aber auch nicht gänzlich auszuschließen, wie die Ergebnisse einer aktuellen Studie nahelegen.

 

Dass Menschen eine starke, enge Beziehung zu ihren Pferden aufbauen können, wird niemand ernsthaft bezweifeln. Aber trifft das auch umgekehrt zu – sind Pferde tatsächlich in der Lage, eine emotionale Bindung zum Menschen zu entwickeln, wie das z.B. bei Hunden nachweislich der Fall ist?

Diese Frage beschäftigt zunehmend auch die Wissenschaft – und es mag für viele Pferdefreunde durchaus irritierend sein, dass ein schlagender Beweis für diese emotionale Bindungsfähigkeit von Pferden bislang nicht erbracht werden konnte. Das gilt auch für die jüngste Untersuchung, die von Elke Hartmann und ihren Forscherkollegen von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Uppsala durchgeführt wurde – auch hier kam man zwar zu spannenden Einsichten, aber zu keinem eindeutigen Ergebnis.

Dabei gibt es Hinweise für beide Annahme: So hat eine Untersuchung italienischer Wissenschaftler vor kurzem gezeigt, dass Pferde in der Nähe vertrauter Menschen tendenziell entspannter sind – was die Forscher dahingehend interpretierten, dass Pferde sehr wohl in der Lage wären, durch täglichen Kontakt zu vertrauten Menschen und auf der Basis positiver Erfahrungen eine emotionale Beziehung aufzubauen.

Elke Hartmann und ihre Forscherkollegen aus Schweden und Dänemark fragten sich jedoch, ob Pferde eine echte Bindung bzw. Beziehung entwickeln, die über ein Gefühl der Entspannung mit vertrauten Menschen hinausgeht. Sie wollten herausfinden, ob diese Bindung von der Art der Ausbildung beeinflusst wird, die das Pferd von dieser Person erhalten hat – vor allem, ob Pferde mehr Anzeichen von Bindung zu einer Person zeigen würden, die positive Verstärkung (Futterbelohnung oder Widerristkraulen) in das Trainingsprogramm eingebaut hatte.

Ihr Team arbeitete mit 12 Warmblut-Schulpferden, darunter sechs Stuten und sechs Wallache im Alter von 5 bis 13 Jahren, die von div. Reitschülern zum Reiten und Fahren herangezogen wurden, wobei im Wesentlichen mit negativer Verstärkung (= Druckentlastung) gearbeitet wurde. Zu Beginn und am Ende des Test-Zeitraums wurden die Pferde einem „Angst-Test“ unterzogen:

Vor dem Training
Die Pferde wurden in einer Reitbahn mit vier am Boden liegenden rosa Gummi-Gymnastikbällen freigelassen, zwei unbekannte Personen, die während des 10-minütigen Tests still standen, befanden sich in unmittelbarer Nähe. Jeder dieser beiden Unbekannten führte anschließend im zweiten Teil des Tests jedes Pferd durch einen Parcours mit fünf Stationen, der aus neuen, ,furchterregende’ Gegenstände wie offene Regenschirme und fallende Plastiktüten voller Metalldosen und Plastikflaschen bestand.

Das Training
Das Training selbst bestand darin, den 12 Testpferden insgesamt 10 neue einfache Bewegungen bzw. Lektionen beizubringen, wie zum Beispiel zur Seite treten, rückwärtsgehen, den Kopf senken etc. Das Training wurde von einer Person durchgeführt, welche die Pferde bis dahin nicht kannten, und erstreckte sich über 10 Tage und dauerte 15 Minuten pro Tag. Der Trainer verwendete dabei für jede der drei experimentellen Gruppen eine andere Methode:

– nur negative Verstärkung (sanfter Druck und anschließende Entlastung);
– negative Verstärkung mit positiver Verstärkung (Futter-Belohnung)
– negative Verstärkung mit positiver Verstärkung (Kraulen am Widerrist).

Nach dem Training
Die Pferde wurden nach dem Training wieder in einer Reitbahn mit vier Gymnastikbällen aus Gummi, diesmal in blaun Plastiksäcke gesteckt, freigelassen; in unmittelbarer Nähe befand sich eine neue, unbekannte Person und der mittlerweile vertraute Trainer. Im zweiten Test-Abschnitt führten beide die Pferde durch den gleichen Test-Parcours wie vor dem Training.

Das bemerkenswerte Ergebnis: Unabhängig von der Trainingsmethode zeigten alle Pferde nach dem Training ähnliche Reaktionen beim „Angst-Test“, so Elke Hartmann gegenüber dem Portal TheHorse.com. Die Pferde verhielten sich nach dem Training zwar ruhiger als zuvor – womöglich aufgrund eines Gewöhnungs-Effekts – aber sie zeigten keinen signifkanten Unterschied zwischen dem unbekannten Menschen und dem vertrauten Trainer.

Die Pferde zeigten jedoch in bestimmten Situationen eine leichte Neigung zur Bindung an den Trainer, sagte sie. Beim freilaufenden ersten Teil des „Angst-Tests“ nach dem Training zum Beispiel erkundeten einige Pferde eher jene Bälle auf dem Boden, die näher beim vertrauten Trainer lagen. Sie wiesen auch etwas niedrigere Herzfrequenzen auf, wenn sie näher an dieser vertrauten Person waren. Doch diese Beobachtung war nicht eindeutig, denn dieselben Pferde hatten bereits während des „Angst-Tests“ vor dem Training die Tendenz, sich eher jenen Bällen anzunähern, die den Menschen näher lagen. Es sei also möglich, so Hartmann, dass diese Schulpferde bereits ganz allgemein Menschen mit „Sicherheit“ in Verbindung brachten, ohne sich an einen bestimmten Menschen zu binden – oder dass sie schlicht und einfach neugieriger und weniger ängstlich waren.

Das Team stellte auch fest, dass Pferde, die mit negativer Verstärkung plus Kraulen am Widerrist trainiert wurden, im „Angst-Test“ nach dem Training mit dem vertrauten Trainer im Vergleich zur fremden Person deutlich weniger Zeit benötigten, um durch den Parcours zu kommen. Die Pferde könnten dank des positiven Impulses ,Kraulens am Widerrist’ – ein üblicher gegenseitiger Pflegeakt unter Artgenossen – eine Bindung zum Trainer entwickelt, so Hartmann.

Trotz dieser interessanten Teilergebnisse seien aber nach wie vor viele Fragen offen, so die Wissenschaftler. Der Zeitaufwand für das Training der Testpferde habe möglicherweise auch bei positiver Verstärkung nicht ausgereicht, um echte Bindungen aufzubauen, so Elke Hartmann. Und vielleicht ist die Zeit, die die meisten Besitzer und Reiter mit ihren Pferden verbringen, einfach zu kurz, um eine solche emotionale Verbundenheit aufbauen zu können – zumindest eine, die sich wissenschaftlich messen lässt, wie das bei Hunden der Fall ist. Hunde binden sich tatsächlich an Menschen, wie man in mehreren Untersuchungen nachweisen konnte – sie betrachten ihren Menschen als „sicheren Hafen“ und bleiben in seiner Nähe, wenn sie Angst haben.

Natürlich sei es schwierig, Hunde mit Pferden zu vergleichen, denn als verschiedene Spezies haben sie unterschiedliche Wege, ihr Bindungsverhalten auszudrücken. „Hunde springen uns an, laden uns zum Spielen ein und suchen Geborgenheit bei uns“, so Hartmann. Zudem würden wir mit Hunden meist unter einem Dach leben und generell viel mehr Zeit in unmittelbarer körperlicher Nähe verbringen, kurz: Mit Hunden teilen wir uns den Lebensraum – was aber auf Pferde nicht bzw. nicht in diesem Ausmaß zutrifft: „Pferde leben nicht in unserem Haus und scheinen meiner Erfahrung nach die Gesellschaft anderer Pferde anstelle von Menschen zu bevorzugen“, so Elke Hartmann. Was manche Leute als „Beziehung“ empfinden – etwa ein Pferd, das sich freudig bzw. eifrig nähert – ist nicht unbedingt ein Indiz für eine emotionale Bindung: „Wenn ein Pferd auf der Weide auf mich zuläuft – heißt das, dass es es sich mit mir verbunden fühlt, oder weiß es nur, dass ich das Futter habe, das es möchte?“ so Hartmann.

All das muss aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass Pferde keine emotionalen Bindungen zu Menschen entwickeln können: „Wir wissen einfach noch nicht genug darüber“, so Elke Hartmann. Vielleicht müsse man nur deutlich mehr Zeit mit ihnen verbringen, als man das in dieser Studie getan habe – dann wäre es durchaus denkbar, dass eines Tages ein solcher wissenschaftlicher Nachweis gelingt.

Bis dahin sollten sich die Menschen aber bewusst sein, dass ihre Bindungsgefühle möglicherweise nicht auf Gegenseitigkeit beruhen, so die Forscher. Missverständnisse über die „Liebe“ von Pferden oder anderen positiven, menschenähnlichen Emotionen uns gegenüber könnten Menschen sogar in gefährliche Vertrauenssituationen bringen oder Enttäuschung und emotionale Verletzungen verursachen – was wiederum dazu führen könnte, dass Menschen sich ihren Pferden gegenüber anders verhalten. „Ich finde es für das Pferdewohl sehr wichtig, dass wir die Bindung des Pferdes an uns nicht überschätzen“, so Elke Hartmanns Resümee.

Die Studie „From the Horse's Perspective: Investigating Attachment Behaviour and the Effect of Training Method on Fear Reactions and Ease of Handling-A Pilot Study" von Elke Hartmann, Therese Rehn, Janne Winther Christensen und Per Peetz Nielsen ist im Februar 2021 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen