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Ursprünge des Reitens geklärt: Vor 5.000 Jahren stieg der Mensch aufs Pferd
05.03.2023 / News

Die Karte rechts zeigt das von der Jamnaja-Kultur bewohnte Gebiet. Das linke Foto zeigt die Grabstätte eines Jamnaja-Mannes, der im Alter von 30 bis 40 Jahren verstorben ist – sein Skelett wies alle sechs Anzeichen des „Horsemanship-Syndroms“ auf.
Die Karte rechts zeigt das von der Jamnaja-Kultur bewohnte Gebiet. Das linke Foto zeigt die Grabstätte eines Jamnaja-Mannes, der im Alter von 30 bis 40 Jahren verstorben ist – sein Skelett wies alle sechs Anzeichen des „Horsemanship-Syndroms“ auf. / Foto: A. Frînculeasa, Prahova County Museum of History and Archaeology
Bildliche Dokumente der Reitkunst in der Bronzezeit (von 2100 bis 1200 v. Chr.). A bis C stammen aus Mesopotamien, D bis F aus Ägypten und G bis I aus der Region Ägäis-Zypern.
Bildliche Dokumente der Reitkunst in der Bronzezeit (von 2100 bis 1200 v. Chr.). A bis C stammen aus Mesopotamien, D bis F aus Ägypten und G bis I aus der Region Ägäis-Zypern. / Illustration: Martin Trautmann, Alin Frînculeasa et al.

Beweise aus Skelettresten deuten darauf hin, dass Menschen in Europa offenbar schon vor 5.000 Jahren auf Pferden geritten sind – das haben WissenschaftlerInnen der Universität Helsinki sowie weiterer europäischer Hochschulen herausgefunden. Demnach war das Reiten für einige Mitglieder der sogenannten Jamnaja-Kultur bereits 3.000 v. Chr. eine übliche Aktivität. „Dies sind die ältesten bisher als Reiter identifizierten Menschen“, so die AutorInnen.


„Der Reiter formt das Pferd“ – so lautet der berühmte Titel eines Buch-Klassikers. Doch zweifellos ist es auch umgekehrt – regelmäßig oder sogar intensiv betriebener Pferdesport „formt“ auch den Reiter und führt beim Menschen zu spezifischen Veränderungen und Anpassungen der Anatomie, etwa durch das ständige Ausbalancieren, die Hilfengebung, das Anpressen der Beine an den Rumpf des Pferdes oder auch durch reit-spezifische Abnützungserscheinungen oder Verletzungen. WissenschaftlerInnen der Universität Helsinki und anderen europäischen Hochschulen fassten all diese Merkmale zum ,Horsemanship-' bzw. ,Reiter-Syndrom’ zusammen – und machten daraus einen richtungweisenden Indikator für die Ursprünge des Reitens, die bisher schwer fassbar und weitgehend unbestimmt geblieben sind.

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Pferde bereits um 3500 bis 3000 v. Chr. wegen ihrer Milch gehalten wurden, was gemeinhin als Hinweis auf die Domestikation des Pferdes durch den Menschen gilt. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Pferde auch tatsächlich geritten wurden – wie die Mitglieder des internationalen Forschungsteams betonen. Hinzu kommt, dass die von frühen Reitern verwendete Ausrüstung selten erhalten geblieben ist und die Zuverlässigkeit von Beweisen aus Studien zu Pferdezähnen und -kiefern, einschließlich angeblicher Gebissabnutzung, in Fachkreisen weiterhin umstritten ist.

Wann also hat der Mensch den großen und folgenreichen Schritt getan, sich aufs Pferd zu setzen und es zu reiten – und damit der Weltgeschichte eine neue, entscheidende Wendung zu geben? Sich die Kraft des Pferdes untertan zu machen, gilt als wesentlicher Entwicklungsschritt der Menschheit – mit der Kraft des Pferdes konnten größere Lasten transportiert und größere Entfernungen zurückgelegt werden – und man war als geschickter Reiter im Kampf haushoch überlegen. Doch wann und wo genau fand diese große Wende der Geschichte statt – und welches Volk hat sie als erstes vollzogen?

Um diese Frage zu beantworten, haben sich die ForscherInnen der Universität Helsinki eine einfache, bislang aber zu wenig beachtete Tatsache zunutze gemacht – dass nämlich die Reitkunst aus zwei interagierenden Komponenten besteht: dem Pferd als Reittier und dem Menschen als Reiter, und diese Interaktion hinterlässt auf beiden Seiten ihre Spuren. Das Reiten sei, so die AutorInnen, eine durchaus anstrengende körperliche Aktivität – und Veränderungen des Bewegungsapparates als Reaktion auf häufige spezifische biomechanische Stressoren seien gut dokumentiert: „Menschenskelette aus archäologischen Quellen sind in größerer Zahl verfügbar als Pferdeskelette und oft durch sachgerechte Bestattungen besser erhalten – sie bieten daher eine gut zugänglichere Informationsquelle über das Reiten“, so Martin Trautmann, Volker Heyd und ihre ForscherkollegInnen.  

In ihrer Studie untersuchten sie daher mehr als 200 Skelettreste aus der Bronzezeit, die in Museen in der Tschechischen Republik, Bulgarien, Polen, Rumänien und Ungarn aufbewahrt werden. Der Großteil davon ist dem Volk der Jamnaja zuzurechnen, die eine archäologische Kultur aus der Kupferzeit bis zur frühen Bronzezeit in der pontischen Steppe am südlichen Rand der westsibirischen Ebene bildet.

Unter diesen Skelettresten identifizierten die ForscherInnen nach langwierigen Analysen schließlich fünf Jamnaja-Individuen, die zuverlässig auf die Zeit vor 4.500 bis 5.000 Jahren aus Gräbern in Rumänien, Bulgarien und Ungarn datiert wurden und charakteristische Knochenveränderungen sowie weitere deutliche Anzeichen aufwiesen, die mit dem Reiten in Zusammenhang stehen. Diese fünf Personen weisen mit hoher diagnostischer Sicherheit vier oder mehr der sechs Skelettmerkmale auf, welche die Forschergruppe unter dem Begriff „Horsemanship-' bzw. ,Reiter-Syndrom“ zusammenfassten. Zu diesen Merkmalen gehören z.B. reittypische Anzeichen von Stressreaktionen in Becken und Oberschenkelknochen, stressinduzierte Wirbeldegeneration oder auch Anzeichen typischer Reitverletzungen. Dies führte das Forscherteam zum klaren Befund: „Dies sind die ältesten bisher als Reiter identifizierten Menschen."

Die AutorInnen führten aus, dass jedes einzelne der sechs Merkmal für sich möglicherweise kein spezifischer „Berufsmarker“ für das Reiten ist. Das gleichzeitige Auftreten aller sechs Merkmale im Fall eines Jamnaja-Mannes verleiht der Interpretation der gewohnheitsmäßigen Reitkunst jedoch ein hohes Maß an Plausibilität, so die ForscherInnen. Sie wandten einen Schwellenwert von mehr als der Hälfte der relevanten sechs diagnostischen Merkmale (also vier oder mehr) an und verwendeten auch noch ein zusätzliches Punktesystem, um den Grad der symptomatischen Wahrscheinlichkeit zwischen Individuen besser einzuschätzen.

Das Forscherteam listete auch 15 weitere Personen auf, von denen neun Jamnaja sind, mit drei positiven Kategorien von diagnostischen Merkmalen und daher einer geringeren Wahrscheinlichkeit für das Reiter-Syndrom. Mit nur drei Merkmalen erfüllten sie jedoch nicht die Anforderungen des Bewertungssystems und reichten daher nicht aus, um von den Forschern plausibel als „Reiter“ bezeichnet zu werden. Diese 15 Personen gehörten – so die AutorInnen – zu insgesamt 217 Individuen aus 39 Stätten, die von den ForscherInnen untersucht und zwischen dem fünften und zweiten Jahrtausend v. Chr. datiert wurden. Etwa 150 davon konnten archäologisch der frühbronzezeitlichen Jamnaja-Kultur zugeordnet werden.

„Biomechanische Stressmarker auf menschlichen Skeletten bieten eine praktikable Möglichkeit, die Geschichte des Reitens weiter zu untersuchen, und können sogar Hinweise auf Reitstile und Ausrüstung geben“, so die ForscherInnen. Darstellungen bronzezeitlicher Reiter zeigen meist eine als „Stuhlsitz“ bezeichnete Position. Dieser Stil wird hauptsächlich verwendet, wenn ohne gepolsterten Sattel oder Steigbügel geritten wird, um Beschwerden für Pferd und Reiter zu vermeiden. Das ist körperlich anstrengend, da die Beine ständig Druck ausüben, um sich an den Rücken des Reittiers zu klammern, und ein ständiges Ausbalancieren erforderlich ist, würde jedoch Aktivitäten wie den Kampf oder den Umgang mit Herdentieren nicht ausschließen, wie zahlreiche historische Beispiele zeigen.

Die in der Studie beobachteten knochenbedingten Veränderungen passen gut zu diesem Reitstil und könnten typisch für die früheste Zeit der Reitkunst gewesen sein. Mit der späteren Einführung von geformten und gepolsterten Stützsätteln und Steigbügeln entwickelten sich weitere Reitweisen wie der Dressursitz und der Jagdsitz, so die ForscherInnen.

Zusammengenommen liefern die Ergebnisse ein starkes Argument dafür, dass Reiten bereits vor 5000 Jahren für einige Jamnaja-Individuen eine übliche Aktivität war, so das Resümee des Studienteams: „Dies stützt andere vorläufige Beweise aus dem dritten Jahrtausend v. Chr. für einen frühen Beginn von Pferden als Reittiere."

Doch die Anfänge des Reitens dürften nicht ohne Probleme und auch nicht ohne Verletzungen stattgefunden haben, so die AutorInnen: „Aufgrund des Mangels an Spezialausrüstung und einer vergleichsweise kurzen Zucht- und Trainingsgeschichte waren frühe Pferde jedoch wahrscheinlich schwer zu handhaben.“

Wie schon in anderen Untersuchungen gezeigt wurde, waren Jamnaja-Pferde ab dem 6. Jahrtausend v. Chr. hinsichtlich ihrer genetischen Abstammungslinien Hausequiden deutlich näher als die Wildpferde der Steppe. Dennoch dürfte es sich bei diesen Pferden noch immer um schwierig zu handhabende und leicht erregbare Tiere gehandelt haben, so dass eine noch stärkere Angstreaktion bei frühen Jamnaja-Pferden wahrscheinlich dazu führte, dass sie bei gewalttätigen oder lauten Aktionen durchgingen.

„Der militärische Nutzen des Reitsports mag daher begrenzt gewesen sein“, so die AutorInnen, „dennoch wäre ein schneller Transport zum und vom Ort der Kämpfe von Vorteil gewesen, selbst wenn die eigentlichen Auseinandersetzungen zu Fuß ausgetragen worden wäre. Das Reiten war sicherlich nützlich, um weite Landstriche zu überblicken und zu beaufsichtigen und größere Viehherden zu kontrollieren. Folglich hätte es wesentlich zum Gesamterfolg der pastoralen Jamnaja-Gesellschaft beigetragen“, so das Forscherteam.

Die Studie „First bioanthropological evidence for Yamnaya horsemanship“ von Martin Trautmann, Alin Frînculeasa et al. ist am 3. März 2023 in der Zeitschrift ,Science Advances’ erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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